Home Raumfahrt Trägeraketen Amerikanische Trägerraketen Site Map counter

Die Geschichte von zwei Doppelentwicklungen

Jupiter1945 ging der Krieg zu Ende. Die USA wähnten sich im Alleinbesitz der Atombombe. Zusammen mit der großen strategischen Bomberflotte schien eine Mittelstreckenrakete zu ihrem Transport nicht notwendig. Ihre Reichweite war zu gering und die Entwicklung erschien für den potenziellen Nutzen zu teuer. So rüstete man in den USA erst mal ab und die 1945 in die USA gebrachten Raketenforscher feuerten erst mal nur ebenfalls "übersiedelte" A-4 ab und gaben ihr wissen an die US-Industrie weiter.

Diese Einschätzung änderte sich, als Russland 1949 seine erste eigene Atombombe zündete. Ein Jahr später begann der Koreakrieg, bei dem die von den USA geführten UN-Streitkräfte schnell an den Rand einer Niederlage gerieten. Zeitweise wurde der Einsatz von Atomwaffen auf dem Gefechtsfeld erwogen. Im Jahre 1950 vergab die US-Regierung deswegen den Entwicklungsauftrag neu. Die Rakete bekam die Priorität "1A", die höchstmögliche im US-Militärprogramm. Den Entwicklungsauftrag erhielt das US-Army Redstone Arsenal, mit dem Team um von Braun. Die Auftragsvergabe war folgerichtig. In den USA hatten nur Wernher von Braun und etwa Hundert an der A-4 beteiligte Ingenieure die Kenntnis, um eine große, mit flüssigen Treibstoffen angetriebene Rakete zu bauen.

Die Ausschreibung des Verteidigungsministeriums forderte die Beförderung eines nuklearen Sprengkopfes über eine Distanz von 200 Meilen, also rund 320 km. Die Entwicklung der PGM-11 Redstone begann 1950. Da es sich um einen direkten Nachfahren der A-4 handelte, konnte sie bereits 1952 abgeschlossen werden. Die Firma Chrysler - Autohersteller und kleiner Flugzeugbauer - bekam den Produktionsauftrag im Oktober 1952. Den Namen "Redstone", nach dem Army Redstone Arsenal, wo sie entwickelt wurde, bekam die Rakete am 8.4.1952.

Doch erneut machten die USA eine Pause. Es kam nicht sofort zu einem Anschlussauftrag. Trotzdem wurde die Zeit zwischen 1950 und 1954 nicht vertrödelt. Die US-Luftfahrtindustrie ging daran aus dem A-4 Triebwerk neue Triebwerke zu entwickeln, die in der Schubklasse von 667 kN angesiedelt waren (die "krumme" Angabe kommt durch das Rechnen im imperialen System, das in den USA bis heute gebräuchlich ist, dort sind es genau 150.000 lbf ("Pfund Kraft")). Es war nicht nur eine Steigerung des Schubs. Es war die Evolution von der ersten Technologie der A-4 zur heute eingesetzten Technologie. Die Erbauer der A-4 fanden für alle Probleme, die man lösen musste um eine Rakete erfolgreich zu entwickeln, auch Lösungen aber viele waren suboptimal. Die Brennkammer war doppelwandig und schwer. Die neuen Triebwerke hatten eine Brennkammer aus vielen kleinen Kanälen die zusammengeschweißt waren und durch die das Kühlmittel strömte. Aufgrund der großen Oberfläche wurde so die Kühlung verbessert. Die Kanäle selbst mussten nicht dem Brennkammerdruck standhalten, das taten äußere umhüllende Schichten oder Spannbänder aus belastbareren Legierungen. Die Masse des Treibwerks konnte so deutlich gesenkt werden. Die A-4 setzte für das für die Turbopumpen benötigte Heißgas ein eigenes System ein, das Wasserstoffperoxyd katalytisch zersetzte. Die neuen Triebwerke nutzten den Treibstoff selbst, auch das sparte Gewicht ein. Die Schubrichtung wurde bei der A-4 durch im Abgasstrahl befindliche Strahlruder verändert. Sie senkten den Schub etwas ab und erhöhten die Masse des Triebwerks. Die modernen Konstruktionen sind kardanisch aufgehängt und durch eine Pneumatik oder Hydraulik schwenkbar. Diese Triebwerke von Rocketdyne und Aerojet entsprachen erstmals heutigen Konstruktionen und hatten viel bessere Leistungsparameter als das A-4 Triebwerk und machten so erst neue Raketen sinnvoll, die sonst zu schwer gewesen wären.

Jupiter im FlugDas war nicht einfach. Es kam zu einem Phänomen das damals bei jeder neuen Triebwerksentwicklung auftrat: Verbrennungsinstabilitäten. Der Treibstoff muss in einer Brennkammer absolut gleichmä0ig verbrennen, tut er dies nicht, so schwankt der Brennkammerdruck. Da die Förderung durch die Turbopumpe gegen diesen Druck erfolgt schwankt so aber auch die Fördermenge an Treibstoff, was wiederum zu noch stärkeren Druckschwankungen führt - eine Sequenz die sich als Feedback aufschaukelt und innerhalb kürzester Zeit zur Explosion des Triebwerks führen kann. Da half damals nur "Trial and Error", also etwas am Injektor verändern und erneut probieren.

Russland kam in genau die gleichen Probleme als sie von der A-4 zu leistungsfähigeren Triebwerken übergingen. Dort beschloss man aber, das man kein langwieriges Testprogramm durchführt, sondern stattdessen anstatt einer mehrere Brennkammern mit dem Schub einer A-4 oder kleiner einsetzt. So hat die R-7 "Semjorka" 20 Hauptbrennkammern, selbst die Jahre später in Dienst gestellte R-16, eine Rakete von der Größe der Titan II hat noch sechs Brennkammern jede mit nur etwas größerem Schub als das A-4 Triebwerk. Ebenso blieb man in der UdSSR lange bei dem separaten Kreislauf für den Gasgenerator und anstatt kardanisch bewegliche Triebwerke einzusetzen, baute man zusätzliche Steuertriebwerke ein, welche bei der R-7 die Brennkammerzahl auf 32 erhöhten - das US-Gegenstück Atlas kam mit Steuertriebwerken mit lediglich fünf Brennkammern aus.

Diese Jahre beschwerten den USA so einen vorsprang, denn auch wenn sie folgende Träger deutlich später als die UdSSR angingen, so waren ihre Entwicklungsphasen viel kürzer und letztendlich hatten sie früher einsatzbereite Systeme als die Sowjetunion.

1954 änderte sich die politische Meinung erneut. Nun begann man auch in der Raketentechnik aufzurüsten und es wurden in kurzer Zeit sowohl zwei Mittelstreckenraketen und zwei Interkontinentalraketen genehmigt. Das ist in den USA eine Besonderheit, denn eigentlich reicht eine Rakete für jeden Einsatzzweck und so wurde es seitdem auch gehandhabt. Die Hintergrundgeschichte ist daher interessant.

ThorDie Geschichte der Jupiter und Thor

Auslöser war die Entwicklung von Mittelstreckenraketen in der Sowjetunion. Als US-Beobachter die Mittelstreckenrakete R-5 1954 bei Paraden auf dem Roten Platz sahen, wähnten sich die USA in einer "Mittelstreckenraketenlücke". Mit dem Wort Lücke (englisch Gap) kann man in den USA praktisch alles erreichen, das scheint bei Militärs und Politikern den Verstand abzuschalten. So führte auch noch 25 Jahre später - als die USA und die UdSSR schon zehntausende von Atomsprengköpfen hatten, die "Mittelstreckenraketenlücke" durch die Stationierung von SS-20 zum NATO Doppelbeschluss und der Nachrüstung mit Pershing II und Cruise Missles. So kam es zur Entwicklung von Raketen, welche die Sowjetunion von Europa aus erreichen konnten. Die Entwicklung von zwei Modellen lag an den unterschiedlichen Erfordernissen:

Die Air Force favorisierte die Thor, da sie aufgrund ihres Durchmessers in den Frachtraum einer C-124 passte (maximaler Durchmesser 2,44 m). Die Army wollte eine eigene Rakete haben. Sie verfügte mit Wernher von Braun und seinem Stab über die entsprechenden Experten. Allerdings benötigte sie die Schützenhilfe der Navy, um eine zweite Entwicklung im DoD durchzusetzen. Da die Navy ebenfalls eigene Raketen haben wollte, bekam die Army diese Hilfe. Für die Navy musste die Rakete kürzer sein, um in den Rumpf von U-Booten zu passen. Später wurden die Jupiter, als es sie gab, dann mit C-124 Transportern vom ABMA in Alabama zum Testgelände bei Cape Canaveral geflogen und sie passten trotz des größeren Durchmessers in die Flugzeuge.

Das Eingehen auf die Wünsche der Navy gab den Ausschlag für die Genehmigung durch das Verteidigungsministerium. Es war eine Jupiter-S genannte Version geplant, die auf Schiffen stationiert werden sollte. Doch neue Sicherheitsbestimmungen der Navy verhinderten später die Stationierung einer Rakete mit 45 t leicht entzündlichem Treibstoff. Es wurde so eine mit festen Treibstoffen angetriebene Rakete, die spätere Polaris, entwickelt.

Während des Jahres 1954 wurde das Design der Jupiter erarbeitet. Wernher von Braun schlug es dem Verteidigungsminister im September 1955 als folgerichtige Weiterentwicklung der Redstone vor. Im Dezember 1955 wurden zeitgleich die Thor und Jupiterentwicklung (PGM-19) genehmigt.

Thor StartDer Personalstand des ABMA wurde für die Entwicklung auf 1.600 Mitarbeiter erweitert, davon waren 500 Wissenschaftler und 100 deutsche Emigranten. Leiter wurde Wernher von Braun, Leiter des wichtigsten Forschungslabors Dr. Ernst Stuhlinger. Ursprünglich war für die Jupiter wie bei der Thor ein Durchmesser von 2,41 m geplant. Dann wäre die Rakete mehr als 28 m lang gewesen. Aufgrund der Navy-Forderung einer Länge von maximal 15,24 m wurde der Durchmesser auf 2,67 m vergrößert, doch die "15,24 m Grenze" entpuppte sich auch mit diesem Durchmesser als schwer umsetzbar. Zuerst wollte das ABMA mit einer 52,16 t schweren und 18,29 m langen Rakete beginnen, die dann mit Verbesserungen auf 15,24 m Länge und 38,6 t Gewicht nach den ersten Testflügen verkleinert wird. Dies wurde von der Navy abgelehnt. Das ABMA plante nun eine 16,77 m lange Rakete, die gerade die Mindestanforderungen an Reichweite der Navy von 1.400 Seemeilen (2.408 km) erreichte. Am Schluss einigte man sich auf eine Länge von 17,68 m die eine Reichweite von 1.500 Seemeilen, 2.778 km ermöglichte.

Dies war die Konzeption die schlussendlich umgesetzt wurde. Die Navy war trotzdem nicht zufrieden. Sie wollte keine Kompromisse eingehen. Als die Atomenergiebehörde im September 1956 ankündigte, dass die Sprengköpfe für Wasserstoffbomben durch neue Technologien leichter würden, stieg die Navy im Dezember 1956 aus dem Projekt aus. Sie arbeitete nun an der Polaris Rakete.

Da das ABMA nun keine Rücksicht mehr auf die Abmessungsforderung der Navy nehmen musste erhöhte sie die Länge wieder auf 18,29 m. Die Tanks waren relativ leicht zu verlängern. Anders sah es beim Durchmesser aus, den konnte man zu diesem Zeitpunkt nur mit einem kompletten Neudesign ändern. Er blieb bei 2,67 m.

Ohne die Schützenhilfe der Navy sah es über weite Teile des Jahres 1957 so aus, als würde das Projekt eingestellt werden. Die Air Force reagierte auf Anfragen der ABMA über Einsatzpläne für die Thor und ihre Stationierung nicht, die Produktion wurde halbiert auf eine Rakete pro Monat. Eine Überprüfung des DoD beider Systeme Thor und Jupiter begann mit dem Ziel, eines der beiden Systeme zu eliminieren.

Am 1.3.1957 fand der erste Test einer Jupiter IRBM statt. Das Testprogramm verlief besser als bei den Vorgängern. Im November 1957 beschloss die Regierung, dass sich die Air Force um alle Raketen mit einer Reichweite von über 200 Meilen kümmern sollte. Damit übernahm die Air Force das Projekt.

Sie stellte die Jupiter nicht ein, weil sich die Situation am 4. Oktober durch den Start von Sputnik geändert hatte. Es gab nun eine echte Bedrohung durch russische ICBM und alles was die USA zu diesem Zeitpunkt in der Entwicklung hatten, waren die beiden IRBM. Allerdings wurden Army-Pläne beschnitten. Diese sahen vor, dass die Jupiter mobil war, über die Straße verschoben werden konnte. Die Air Force wollte fest stationierte Raketen. Sie müssten innerhalb von 15 Minuten startbereit sein.

Die Zahl der Forschungs- und Entwicklungsexemplare wurde auf 32 reduziert, davon wurden später drei als Juno II Satellitenträger umgebaut. Die ersten Raketen baute das ABMA im Redstone Arsenal zusammen. Die Serienproduktion erfolgte durch Chrysler in Warren im Bundestaat Michigan von 1958 bis 1961. Gebaut wurden 62 Einsatzexemplare für die Stationierung und Waffentests. Sieben weitere Jupiter wurden von der NASA bestellt, sodass es insgesamt 101 gefertigte Raketen gab. 36 dieser Raketen wurden gestartet.

Im Juni 1961 wurde die erste Schwadron in Italien operational, im November 1961 folgte eine Schwadron in der Türkei. Es wurden nur 15 Raketen in Italien und 30 in der Türkei stationiert.

Die in der Türkei stationierten Jupiter führten zur Kubakrise. Denn die Sowjetunion stationierte als Antwort auf die Bedrohung R-12 und R-14 Mittelstreckenraketen auf Kuba. Die Krise wurde beigelegt und Kennedy stimmte zu, die Jupiter aus der Türkei abzuziehen. So hatte die Jupiter eine sehr kurze militärische Einsatzgeschichte. Im April 1964 wurden alle Jupiter ausgemustert. Es gab zu diesem Zeitpunkt 55 IRBM. 45 stationierte Jupiter und 10 für Teststarts vorgesehene Träger. Da das Satellitenprogramm zu dem Zeitpunkt schon beendet war, wurden alle bis auf 12 Museumsexemplare verschrottet.

Auch die Entwicklung der Thor erfolgte wegen der befürchteten "Mittelstreckenraketenlücke" in einem extrem kurzen Zeitraum. Am 30.11.1955 wurde der Auftrag ausgeschrieben, am 27.12.1955 bekam Douglas den Auftrag. Schon am 25.1.1957, also noch vor der Jupiter, erfolgte der erste Start einer Thor. Im August 1958 begann die Stationierung in England, wo sie fünf Jahre lang bis zum September 1963 stationiert war. Es wurden 224 Exemplare gebaut, aber nur 60 stationiert. Der große Rest wurde für Testflüge bei der Entwicklung (64) und Übungsflüge um die Mannschaften in der Nutzung der Waffe zu unterweisen (100) benötigt. Als Mittelstreckenrakete sollte die Thor einen 1.000 kg schweren Sprengkopf mit einer Sprengkraft von 1,62 MT-TNT Äquivalent über eine Distanz von 2.400 km transportieren. Die viel größere Zahl an Thor (gegenüber der Jupiter) liegt vor allem daran das das Erprobungsprogramm viel schleppender verlief. Erst der fünfte Flug am 20.9.1957 war ein voller Erfolg. Die Thor hatte zudem zwei Testphasen. In Phase I sollte nur die Rakete erprobt werden, in Phase II das Lenkungssystem. In beiden Phasen gab es viel mehr Ausfälle als bei der Jupiter.

Die Thor wurde dann als Trägerrakete eingesetzt, zuerst mit der Agena Oberstufe, dann mit der Delta Oberstufe. In dieser Variante mit zahlreichen Upgrades bis 2018. Die Jupiter wurde auch als Trägerrakete "Juno II" genutzt, aber nur für wenige Flüge die alle zwischen 1959 und 1961 stattfanden. Technisch gesehen gibt es viele Gemeinsamkeiten. So benutzen beide Raketen Varianten desselben Triebwerks LR79 von Rocketdyne das auch die Atlas antrieb. Beide hatten auch denselben Treibstoff und setzten Verniertriebwerke nach Brennschluss des Haupttriebwerks ein um die Zielgenauigkeit zu erhöhen. In der Konstruktion war die Jupiter aber konservativer und hatte eine höhere Leermasse als die Thor. Daher gab es bei ihr auch weniger Probleme bei dem Testprogramm, aber wenn die Probleme gelöst waren so war die Thor die bessere Alternative für eine Trägerrakete.

Beide Träger hatten wie die Atlas und Titan I aufgrund des leicht verdampfenden Treibstoffs nur eine kurze Einsatzzeit und wurden Anfang der Sechziger Jahre durch modernere Raketen ersetzt.

Atlas DDie Geschichte der Atlas und Titan I

Schon vorher kam es erneut zu einer Doppelentwicklung. Diesmal lag aber ein halbes Jahr zwischen den Genehmigung.

Die Atlas war die erste Interkontinentalrakete der USA. Verglichen mit den vorhandenen oder in der Entwicklung befindlichen Mittelstreckenraketen stellte die Atlas einen Entwicklungssprung dar. Die neue Rakete stellte sowohl aufgrund der Größe als auch wegen der Technologie erhebliche Anforderungen an die Technik. Die Atlas sollte einen Sprengkopf auf fast orbitale Geschwindigkeit mit nur einer Stufe beschleunigen. Spätere ICBM setzten dafür zwei oder drei Stufen ein. Als die Atlas entwickelt wurde, gab es keine Erfahrungen mit dem Zünden von Raketenstufen in der Schwerelosigkeit. Zudem war die Zuverlässigkeit der Antriebe gering. Anfang der Fünfziger Jahre gelangen nur 50 Prozent der Triebwerkszündungen. Am Boden konnten die Triebwerke wieder abstellt werden - doch für eine ICBM war eine Ausfallquote von 50 Prozent untragbar.

Die Entwicklung der Atlas begann im Juli 1955 mit einem Auftrag an General Dynamics. Doch reichen ihre Wurzeln länger zurück. Schon vorher hatte Convair im Projekt MX-774 mit drei Testflügen wichtige Neuerungen erprobt - schwenkbare Triebwerke, einen durch Druck versteiften Tank und einen abtrennbaren Sprengkopf. Zu der Waffenentwicklung kam es nie, weil sich das Verteidigungsministerium als alleinigen Besitzer der Atombombe wähnte. Convair unterbreitete schon 1951 dem US-Verteidigungsministerium einen Entwurf über eine Interkontinentalrakete, die schon damals "Atlas" hieß. Sie wog 304.000 kg und verfügte über sieben Triebwerke.

Im Laufe der Zeit änderte sich die strategische Lage. Amerika rüstete auf und vergrößerte Anfang der Fünfziger Jahre das atomare Arsenal. Fortschritte in der Nukleartechnik machten ICBM als Träger attraktiver. Die, 1952 zum ersten Mal getestete Wasserstoffbombe hatte eine größere Sprengkraft als die Atombombe. So musste ein Ziel nicht mehr genau getroffen werden. Dies lockerte die Anforderungen für die Treffgenauigkeit einer ICBM von 500 m auf 4,5 bis 6 km. Bei großen Sprengköpfen würden sogar 8 km ausreichen. Die Streuung um den Zielpunkt war damals ein Problem. Mit den vorhandenen Steuerungen war die Zielgenauigkeit, die man für eine A-Bombe brauchte, nicht erreichbar, die für eine H-Bombe dagegen schon.

Auch die Sprengköpfe wurden kleiner. 1952 versprach eine neue Technik nur 3.000 Pfund schwere Sprengköpfe. 1954 war mit dem Einsatz von Lithiumdeuterid anstelle von flüssigem Deuterium absehbar, dass ein Sprengkopf nur noch 1.500 Pfund wiegen würde. Die Atlas musste für den Transport des neuen Sprengkopfes nur noch 109 t statt 304 t wiegen.

Verbesserungen in der Steuerungstechnik versprachen auch die geforderte Genauigkeit. Inertialplattformen, in mit Flüssigkeit gefüllten Kanistern besser vor Stößen und Vibrationen geschützt, sollten eine Treffgenauigkeit von 1.000 - 1.500 m erreichen.

Atlas Start 1958Die Entwicklungen führten dazu, dass 1954 das Verteidigungsministerium die Entwicklung der Atlas beschloss. Sie räumte ihr die höchste Priorität im Verteidigungsprogramm der USA ein. Ihre Entwicklung wurde als so wichtig eingestuft, dass nahezu alle Flugzeugbauer und Hersteller von Computern, Feinmesstechnik und Instrumententechnik an dem Programm beteiligt waren, insgesamt 220 Firmen. Es gab für jedes Bauteil/Funktion zwei Firmen, die es fertigten oder entwickelten und man verfolgte mehrere Wege gleichzeitig. So arbeiteten verschiedene Firmen gleichzeitig an der Steuerung vom Boden aus (Radiolenkung) und an einer Inertialplattform mit einem analogen Rechner in der Rakete. Es wurden bei Testflügen Kupferhitzeschutzschilde und Ablativschilde erprobt. Als 1955 die Entwicklung der Titan beschlossen wurde, konnte das Verteidigungs­ministerium die Firmen zwischen beiden Projekten aufteilen. Erhalten wurde so eine breite Basis von qualifizierten Firmen - die Ursprünge einer neuen Industrie. Die Entwicklung war für die damalige Zeit enorm teuer und kostete 2,23 Milliarden Dollar. Je nach Quelle wurden 350 oder 381 Atlas als militärische Träger gebaut. Davon wurden nur 126 stationiert (je 27 Atlas D+E und 72 Atlas F). Die offizielle Programmbezeichnung war SM-65.

Doch kurz nach der Auftragsvergabe kamen dem Verteidigungsministerium Bedenken auf. Die Atlas hatte, damit sie überhaupt mir nur einer stufe die geforderte Reichweite aufwies radikale Neuerungen. So waren die Tanks so dünn, dass sie ohne Innendruck kollabierten. Anders war aber das Leergewicht nicht auf den Zielwert reduzierbar. Mehr noch. Von den drei Haupttriebwerken sollten zwei während des Flugs abgeworfen werden. Das konnte man nur bedingt vorher testen. Es scheiterte denn auch einmal bei den ersten Testflügen und mehrmals kollabierten Atlas weil das Druckbeaufschlagungssystem versagte oder es ein Leck in den dünnen Tankwänden gab. Wichtiger war die mangelnde Zuverlässigkeit und die beschränkten Fähigkeit, aus einem Silo zu starten. Das erreichten nur die letzten Atlas-F Raketen. Die technische Auslegung der Atlas, mit "eineinhalb" Stufen und extrem dünnen Tankwänden, sprach gegen eine militärisch genutzte Rakete. De Atlas brauchte alleine drei Entwicklungsversionen (Atlas A-C), erst die Atlas D war bedingt einsatzbereit. Die Militärs wollten daher ein zweites, robusteres und unkompliziertes Raketensystem, um von der Atlas unabhängig zu sein. Wäre die Atlasentwicklung gescheitert, würden die Russen eine ICBM besitzen und Amerika wäre wehrlos.

Schon 1954, während der Konstruktion der Atlas, holte das DoD Alternativvorschläge ein. Aus diesen resultierte die Entscheidung, ein Backupsystem zur Atlas zu bauen. Im Oktober 1955 bekam der Flugzeughersteller Martin den Auftrag, die SM-68 "Titan" zu entwickeln. Das war 18 Monate nach Entwicklungsbeginn der Atlas.

Die Titan I sollte einen nuklearen Sprengkopf mit einer Sprengkraft von vier Megatonnen TNT über eine Distanz von 8.000 Seemeilen, rund 14.800 Kilometer befördern. Die Reichweite der Titan war größer als die der Atlas, dafür war der Sprengkopf kleiner. Eine wichtige Forderung war, dass die Rakete für das militärische Personal einfacher handhabbar war als die Atlas. Außerdem sollte sie schneller gestartet werden können. Das ursprünglich für die Titan vorgesehene autonome Lenksystem wurde auf die Atlas übertragen. Die Titan bekam dafür das Radiolenksystem der Atlas.

Anders als die Atlas wurde die Titan als echte zweistufige Rakete ausgelegt. Da die zweite Stufe deutlich leichter war als die Atlas (nach Abwerfen der Boostertriebwerke), vergrößerten sich Nutzlast und Reichweite.

Titan IDie Titan I sollte voll betankt in Silos stationiert werden. Durch den verdampfenden Sauerstoff mussten die Raketen vor dem Start mit einem Aufzug hydraulisch aus dem Silo gefahren werden. Sonst hätte es durch den hohen Sauerstoffgehalt der Luft eine Explosion bei der Zündung gegeben. Der Start aus einem Silo heraus war aufgrund von Konstruktionsmängeln des 30 m tiefen Silos nicht möglich. Dazu musste der Flammenstrahl zur Seite abgelenkt werden. Doch das erfolgte nur zum Teil.

Das Herausfahren aus dem Silo dauerte etwa 20 Minuten - eine Zeit, die nur bei einem Erstschlag zur Verfügung stand. Zudem musste der Sauerstoff dauernd nachgefüllt werden, da er bei -183 Grad Celsius verdampft. Er führte zu einer Atmosphäre, in der Brände beschleunigt werden. Im Mai 1962 erstickten 65 Arbeiter in einem Silo, als ein Dieselaggregat in Brand geriet. Das Feuer geriet außer Kontrolle. Man konnte die Explosion der Titan nur durch Einleiten von Stickstoff in das Silo verhindern. Auch sonst war die Titan I nicht die unkomplizierte Waffe, die sie sein sollte. Die dauernde Befüllung mit flüssigem Sauerstoff führte zu Materialermüdung. Dadurch kam es zu Undichtigkeiten.

Titan I StartDer erste Testflug einer Titan I fand am 6.2.1959 von Cape Canaveral aus statt, noch mit einer Dummy-Zweistufe. Der erste Test mit einer aktiven Zweitstufe am 15.5.1959 endete bei den Prüfungen auf der Startrampe mit einer Explosion. Erst am 2.2.1960 fand der erste erfolgreiche Testflug statt. Am 3.12.1960 endete die Vorbereitung für den ersten Test in Vandenberg mit einem Desaster. Der Aufzug, der die Rakete aus dem Silo befördern sollte versagte. Dadurch fiel die voll betankte Titan 1 auf den Siloboden und explodierte.

Die Stationierung der Titan I begann im April 1962. Sie war noch im selben Jahr beendet. Die Air Force stationierte 54 Raketen, welche die 27 Atlas E und 27 Atlas D Raketen ersetzten. Insgesamt wurden 163 Titan I gebaut. Davon waren 62 Vorserienmodelle, die für Erprobungstests eingesetzt wurden. Weitere 47 Raketen wurden für Testzwecke gestartet, um die Mannschaften mit dem Träger vertraut zu machen. Es gab insgesamt 67 Teststarts, 20 davon vom VAFB. Nur die Hälfte dieser Starts war erfolgreich. Das war vielleicht der Grund, warum die Titan 1 so schnell von der Titan 2 abgelöst wurde. Eine Rakete explodierte 1962 auf der Beale AFB im Silo. Die Produktionskosten betrugen 1,5 Millionen Dollar pro Stück.

Beide ICBM der ersten Generation waren nur kurz im Einsatz. Der Grund war die Wahl des Treibstoffs: Der Oxydator flüssiger Sauerstoff ist nur unterhalb -183 Grad Celsius flüssig. Eine Rakete konnte nie lange betankt bleiben und sie konnte nicht aus einem vor einem nuklearen Angriff geschützten Silo aus gestartet werden. Dei Einschränkung war noch größer als bei den Thor und Jupiter die wegen ihrer geringeren Treibstoffmenge immerhin schnell betankt werden konnten und nicht in Silos stationiert wurden. Martin, der Hersteller der Titan offerierte als Ersatz die Titan II die lagerfähige Treibstoffe einsetzte und die aus der Titan I entwickelt wurde. Sie ersetzte beide Träger und blieb dann über zwanzig Jahre lang im Einsatz. Sie war auch die Basis für die Titan III als Trägerrakete.

Während die Atlas eine zweite Karriere als Trägerrakete machte - erneut zuerst mit den Agena Oberstufe, dann der Centaur und in der ursprünglichen Form bis 2004 eingesetzt wurde, wurde die Titan I nie als Trägerrakete eingesetzt. Sie war geplant für suborbitale Testflüge eines Raumgleiters X-37 "Dyna Soar", aber das Projekt wurde eingestellt.

Die ausgemusterten Thor und Atlas wurden später auch als Satellitenträger genutzt. Dazu wurden sie mit Feststoffantrieben aus anderen Programmen erweitert und beförderten vor allem kleine militärische Satelliten in erdnahe Bahnen wie Wettersatelliten des DMSP-Programms. Die meisten Thor und Atlas die als Raumfahrtträger zum Einsatz kamen wurden aber zusätzlich gefertigt und dann stufenweise verbessert.

Träger

Jupiter

Thor

Atlas

Titan

Entwicklungsbeginn

2.12.1955

26.12.1955

14.1.1954

12.1.1955

Erster Teststart

1.3.1957

25.1.1957

11.6.1957

6.2.1959

Letzter Teststart

5.12.1960

17.12.1959

24.8.1959

1.3.1962

Beginn der Stationierung

1961

Dezember 1960

September 1959 bis September 1962 (Atlas D-F)

April 1962

Beginn der Ausmusterung

1963

August 1963

Mai 1964 bis April 1965 (Atlas D-F)

25.6.1965

Gefertigte Exemplare

~ 100

~ 225

~ 350 bis 383

155- 163

Davon stationiert:

45

60

129

54

Nutzlast

750 kg

1.000 kg

1.100 - 1.840 kg

1.794 kg

Reichweite

2.778 km

2.400 km

8.000 bis 14.500 km abhängig vom Sprengkopf

14.800 km

CEP

1.500 m

1.000 m

1.600 m

2.020 m

Startmasse:

49.393 kg

49.950 kg

117.900 kg

98.504 kg

Trockenmasse:

4.368 kg

3.125 kg

2.347 + 3.050 kg (Atlas D)

4.474 + 2.168 kg

Die Masse ist jeweils ohne Sprengkopf. Die große Differenz zwischen gebauten und stationierten Raketen erklärt sich neben den Testflügen auch dadurch, dass stationierte Raketen von den Bodenmannschaften testweise abgefeuert wurden um sie im Umgang realitätsnah bis zum Abschuss zu schulen. Je kürzer eine Rakete stationiert war, desto weniger dieser Starts gab es.

Bücher des Autors über Trägerraketen

Wie man an dem Umfang der Website sieht, sind Trägerraketen eines meiner Hauptinteressen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Büchern von mir, auch weil ich in den letzten Jahren aufgrund neuer Träger oder weiterer Informationen über alte Projekte die Bücher neu aufgelegt habe. Sie finden eine Gesamtübersicht aller Bücher von mir bei Amazon und hier beim Verlag.

Ich beschränke mich in diesem Abschnitt auf die aktuellen Werke. Für die in Europa entwickelten Trägerraketen gibt es von mir zwei Werke:

Europäische Trägerraketen 1 behandelt die Vergangenheit (also bei Drucklegung): Das sind die nationalen Raketen Diamant, OTRAG und Black Arrow und die europäischen Träger Ariane 1 bis 4 und Europarakete.

Europäische Trägerraketen 2 behandelt die zur Drucklegung 2015 aktuellen Träger: Ariane 5, Vega und die damaligen Pläne für Vega C und Ariane 6.

Wer sich nur für einen der in den beiden besprochenen Träger interessiert, findet auch jeweils eine Monografie, die inhaltlich identisch mit dem Kapitel in den Sammelbänden ist, nur eben als Auskopplung.

Weiter gehend, alle Raketen die es weltweit gibt, behandelnd, gehen zwei Bände:

US-Trägerraketen

und

Internationale Trägerraketen (im Sinne von allen anderen Raketen weltweit)

Auch hier habe ich 2023 begonnen, die Bände aufzusplitten, einfach weil der Umfang für eine Aktualisierung sonst weder handelbar wäre bzw. an die Seitengrenze stößt, die der Verlag setzt. Ich habe auch bei den Einzelbänden nochmals recherchiert und den Umfang erweitert. Bisher sind erschienen:

US Trägerraketen 1 mit den frühen, kleinen Trägern (Vanguard, Juno, Scout)

US Trägerraketen 2 mit der Titan-Familie

2023 wird noch die erste Auskopplung aus den internationalen Raketen über russische Träger erscheinen. Nach und nach werden alle Raketen dann in einzelnen Monografien geordnet nach Trägerfamilien oder Nationen dann aktualisiert auf den aktuellen Stand, so besprochen.

Für die Saturns gibt es noch einen Sonderband, den ersten in der Reihe über das Apolloprogramm.

Alle bisherigen Bücher sind gerichtet an Leute, die wie ich sich nicht mit oberflächlichen Informationen oder Zusammenfassung der Wikipedia zufriedengeben. Wenn sie sich nicht für Technik interessieren, sondern nette Anekdoten hören wollen, dann sind die bisherigen Bücher nichts für Sie. Für dieses Publikum gibt es das Buch „Fotosafari durch den Raketenwald“ bei dem jeder Träger genau eine Doppelseite mit einem Foto und einer Beschreibung hat. (Also etwa ein Zehntel der Seitenzahl auf den ich ihn bei den beiden obigen Bänden abhandelte). Das Buch ist anders als die anderen Bände in Farbe. Ab und an macht BOD als Print on Demand Dienstleister Mist und verschickt es nur in Schwarz-Weiß, bitte reklamieren sie dann, ich als Autor kann dies nicht beeinflussen.

Als Autor würde ich mich freuen, wenn sie direkt beim Verlag bestellen, da ich da eine etwas größere Marge erhalte. Dank Buchpreisbindung und kostenlosem Versand ist das genauso teuer wie bei Amazon, Libri und iTunes oder im Buchhandel. Über eine ehrliche Kritik würde ich mich freuen.

Alle Bücher sind auch als E-Book erschienen, üblicherweise zu 2/3 des Preises der Printausgabe – ich würde sie gerne billiger anbieten, doch da der Gesetzgeber E-Books mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, Bücher aber mit nur 7 Prozent, geht das leider nicht. Ein Vorteil der E-Books - neben dem einfacher recherchierbaren Text ist, das alle Abbildungen, die im Originalmanuskript in Farbe, sind auch in Farbe sind, während ich sonst - um Druckkosten zu sparen - meist auf Farbe verzichte. Sie brauchen einen pdf-fähigen Reader um die Bücher zu lesen. Sofern der Verlag nicht weiter für bestimmte Geräte (Kindle) konvertiert ist das Standardformat der E-Books ein DRM-geschütztes PDF.

Mehr über meine Bücher finden sie auf der Website Raumfahrtbuecher.de und eine Liste aller Veröffentlichungen findet sich auch bei meinem Wikipediaeintrag.

 


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
Sitemap Kontakt Neues Impressum / Datenschutz Hier werben / advert here Buchshop Bücher vom Autor Top 99