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Die R-16

R-16 vor dem StartAls am 4.10.1957 die Sowjetunion den ersten Satelliten Sputnik 1 startete, meinte man in den USA, dass man von der UdSSR technologisch überholt worden sei. Heute weiß man es besser: Die R-7 (SS-6 "Sapwood") die Sputnik startete, war noch in der Erprobung als ICBM. In der Tat überholten die USA die Sowjetunion im Testprogramm der Atlas die R-7. Die Atlas wurde auch schneller und in größeren Stückzahlen stationiert.

Russland war sich des Rückstands bewusst, musste man doch keine Spionage treiben um von jedem erfolgreichen Atlas-Start in der Wochenschau informiert zu werden. Die Atlas wie die R-7 waren als ICBM der ersten (manche meinen auch "Nullte" Generation) zu verwundbar. Beide Träger konnten wegen der Verwendung von flüssigem Sauerstoff als Oxidator nur kurz in betanktem Zustand gehalten worden werden und waren so eher eine Erstschlagswaffe als zur Abschreckung gedacht.

Obwohl selbst Nikita Chruschtschow zu der Verwirrung beitrug indem er öffentlich sagte, die Sowjetunion produziere "Raketen wie Würstchen am Fließband" war der Führung ihr Rückstand durchaus bewusst und sie drang auf eine Weiterentwicklung, die dauerhaft betankt einsatzbereit gehalten werden konnte. Das war die R-16. Mit ihr ist wegen des Rückstandes in der atomaren / Raketenrüstung aber auch das größte Unglück in der sowjetischen Raumfahrt, wahrscheinlich der Raumfahrt weltweit verbunden.

Von der R-7 zur R-16

Erstaunlicherweise verlief die Raketenentwicklung bei militärischen Raketen in Ost und West sehr ähnlich, wenngleich es den kleinen aber feinen Unterschied gab, dass die UdSSR die Interkontinentalrakete vor der Mittelstreckenrakete anging.

Der unmittelbare Nachfolger der A-4, der Mutter aller Raketen nach dem zweiten Weltkrieg war in der Sowjetunion die R-5. Diese erste Rakete des OKB-586 von Jangel (heute Juschmasch in Dnipro in der Ukraine) verwendete noch die Treibstoffkombination der A-4 und einen separaten Gasgeneratorkreislauf. Der Schub wurde mit der Hilfe von deutschen Spezialisten leicht über das A-4 Niveau gehoben. Ähnliche Charakteristiken hatte auch das amerikanische Pendant "Redstone", entworfen von Wernher von Braun und anderen deutschen Spezialisten und angetrieben von einem schubgesteigerten A-4 Triebwerk. Als weitere Parallelen wurden beide Raketen in Deutschland (West- und Ostdeutschland stationiert), weil die Reichweite noch nicht ausreichte, um Russland oder die USA zu erreichen.

Dann kommt die Differenz: Die R-7 "Semjorka" wurde in Russland vor einer Mittelstreckenrakete längerer Reichweite angegangen, Koroljow konnte die Führung - aka Stalin davon überzeugen, eine gewichtige Rolle dürfte dabei gespielt haben, dass eine Mittelstreckenrakete selbst mit größerer Reichweite nicht die USA erreichen konnte. Die USA beschlossen, nachdem Beobachter 1954 R-5 Raketen auf der Maiparade in Moskau sahen, die Entwicklung der Jupiter und Thor mit rund 2.500 km Reichweite. Da man diese in England, Italien und der Türkei stationierte, konnte man so Russland atomar bedrohen ohne über eine ICBM zu verfügen. Russland beschloss kurz darauf die Mittelstreckenraketen R-12 mit derselben Reichweite wie die Thor / Jupiter (etwa 2.500 km) und die R-14 mit einer noch größeren Reichweite (3.200-4.500 km, russische und amerikanische angaben differieren) zu entwickeln. Die R-12 wurde noch vor der R-7 operationell, weil die Entwicklung schneller verlief.

Ebenso gibt es als Parallele die ersten ICBM mit zwei Stufen (sowohl Atlas wie auch R-7 sind eineinhalbstufig) die beide sehr kurzlebig waren, weil sie sehr bald von ICBM mit lagerfähigen Treibstoffen abgelöst wurden. Das war auf russischer Seite die R-9 von Koroljows OKB-1, die aufgrund Verzögerungen in der Entwicklung erst nach der R-16 stationiert wurde und mit 80 t Startmasse leichter als die R-7 und R-16 war und auf amerikanischer Seite die Titan I die mit rund 100 t Startmasse ebenfalls leichter als die Atlas und ihre Nachfolgerin Titan II war. Auch die Titan I war nur kurz im Dienst.

Eine ICBM mit lagerfähigen Treibstoffen

Alle diese frühen Raketen nutzten Sauerstoff als Oxidator. Sauerstoff ist nur unterhalb -183 Grad Celsius flüssig. Er verdampft so andauernd, und muss laufend ergänzt werden. Noch einschränkender ist, dass flüssiger Sauerstoff um ein vielfaches aggressiver als gasförmiger Sauerstoff, er oxidiert viel schneller Materialien, die aufgrund der niedrigen Temperaturen zudem leichter von Materialermüdung betroffen sind. Für den militärischen Einsatz von Nachteil ist, dass man die ICBM nicht mal in einem Silo unterbringen kann. Der verdampfende Sauerstoff erzeugt eine sauerstoffreiche, brandfördernde Atmosphäre. Die Titan I wurde in Silos stationiert, musste zum Start aber mit einem Aufzug ins freie gefahren werden, ein System das nach einem atomaren Erstschlag wohl kaum noch funktioniert hätte. Einmal brach ein Brand in einem Silo aus, der nur durch Einleiten von Stickstoff gestoppt werden konnte, dabei erstickten Arbeiter im Silo.

Die Lösung waren lagerfähige flüssige Treibstoffe. Solche waren nicht neu. Schon im zweiten Weltkrieg wurde der Raketenjäger Me 163 und die ebenfalls deutsche Flugabwehrrakete "Wasserfall" von lagerfähigen flüssigen Treibstoffen angetrieben. Lagerfähige Treibstoffe trieben schon die R-12 und R-14 an. Als weitere Parallele setzten beide ICBM in den USA die Titan in der Sowjetunion die R-16 ähnliche Treibstoffe ein. Als Oxidator setzte die Titan II Stickstofftetroxid und die R-16 (SS-7 "Saddler", ohne russischen Spitznamen, Produktionscode 8K64) hochkonzentrierte Salpetersäure (rot rauchende Salpetersäure, HNO3 die Stickstofftetroxid enthält, russische Bezeichnung AK27I) und die Titan reines Stickstofftetroxid (N2O4). Stickstofftetroxid erhält man, wenn man aus der Salpetersäure das in der Säure chemisch gebundene Wasser entfernt. Beide Substanzen sind also ähnlich. Die Wahl von Salpetersäure für die R-16 obwohl sie etwas weniger Energie liefert als Stickstofftetroxid dürfte daran liegen, das Salpetersäure in einem viel größeren Bereich flüssig ist, Stickstofftetroxid geht bei 28 Grad Celsius in den gasförmigen Zustand über.

Als Verbrennungsträger setzte die R-16 UDMH, unsymmetrisches Dimethylhydrazin ein. Die Titan II eine Mischung von UDMH und dem "normalen" Hydrazin, genannt Aerozin-50. Das war eine Verlegenheitslösung, weil bei den Titan-Triebwerken der Verbrennungsträger zur Kühlung genutzt wird aber noch flüssig bleiben muss. Weil reines Hydrazin bei den tiefen Temperaturen in Arkansas im Winter ausgefroren wäre (sein Schmelzpunkt liegt bei 1,5 Grad Celsius) mischte man solange UDMH hinzu bis die Mischung die Temperaturspezifikationen einhielt. Bei den noch tieferen Temperaturen in Sibirien, wo die R-15 stationiert wurde, fiel so die Wahl auf das UDMH das erst bei -58 Grad Celsius fest wird.

Auch sonst haben beide ICBM Ähnlichkeiten - sie setzten beide zwei Stufen ein, die Stufentrennung erfolgt "heiß" (die zweite Stufe startet solange die erste noch läuft, bei russischen Raketen ist dies der Standard, die Titan II war dagegen auf der US-Seite eine einmalige Ausnahme) und sowohl der Durchmesser von 3 m (R-16) / 3,05 m (Titan II) wie auch die Höhe von 31,4 m (Titan) (30,4 - 34,4 m R-16, je nach Sprengkopf) waren vergleichbar. Ebenso die Startmassen von 141 t R-16 bzw. 154 t (Titan II). Anders als die Titan II wurde die R-16 aber sehr bald durch andere Raketen abgelöst. Die Titan II blieb dagegen über zwanzig Jahre stationiert und wurde erst Mitte der Achtziger Jahre ausgemustert. Außerdem diente Sie anders als die R-16 auch als Satellitenträger und startete die Gemini-Raumschiffe.

Blick auf die Triebwerke der ersten StufeDas Design

Den Auftrag für die R-16 erhielt das OKB-586 unter der Leitung von Michail Kusmitsch Jangel (1911-1971). Für die Auftragsvergabe ausschlaggebend war, das die R-16 von den Triebwerken der R-14 angetrieben werden konnte, die sich schon in der Entwicklung befanden. Die Wahl des OKB-586 war auch deswegen folgerichtig, weil dieses OKB schon drei Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen entwickelt hatten: die R-11, eine Konversion der deutschen Wasserfallrakete als Kurzstreckenrakete, Jahrzehnte später durch den Einsatz im Golfkrieg als "Scud" bekannt, die R-12 und R-14 als Mittelstreckenraketen (die beide als Trägerraketen eingesetzt wurden: Als Kosmos B und C (Kosmos 11K63 und 11K65). So konnte das Design in für heutige Verhältnisse erstaunlich kurzer Zeit umgesetzt wurde. Der letzte Beschluss zum Bau der KPdSU erfolgte am 30.5.1960 nach Entwicklungsende, mit dem Testen wurde am 10.10.1960 begonnen. Die Entwicklung wurde forciert. Premier Nikita Chruschtschow selbst war von dem Konzept begeistert als er es 1959 zum ersten Mal präsentiert bekam. Eine dauerhaft betankt gehaltene Rakete hätte so viel Abschreckungspotenzial, dass er die rote Armee auf 1,2 Millionen Mann reduzieren könne, sagte er.

Das Konzept wurde zwar nach der letzten Genehmigung schnell umgesetzt, hat aber eine lange Vorgeschichte. Schon am 17.12.1956 bekam Jangels OKB-586 den Auftrag eine Alternative zur R-7 "Semjorka" zu erarbeiten. Sie war zu komplex und brauchte viel zu lange für die Startvorbereitung. Das erste Konzept war im November 1957 fertig, wurde im Januar 1958 von einer Expertenkommission begutachtet. Am 28.8.1958 bekam Jangel das Okay, weiter zu machen und die Arbeit zu beschleunigen. Am 13.5.1959 wurde die Entwicklung offiziell beschlossen. Jangel sollte die R-14 und R-16 konstruieren und alle Arbeiten an Raketen kürzerer Reichweite an denen er bisher arbeitete abbrechen. Doch Koroljow, bisher die unangefochtene Nummer 1 der Raketentechnik in der Sowjetunion, konnte erreichen das er zeitgleich die Genehmigung für seine R-9 erhielt. Jangel verkaufte dir R-16 als einfache Evolution der R-14, wie immer bei so "einfachen" Hochskalierungen gab es aber dann doch Probleme die die Arbeit verzögerten.

R-16 im SchnittFür die R-16 wurden in Baikonur zwei Startrampen gebaut LC-41 und 42. LC-41 sollte Teststarts und experimentelle Tests ohne Starts absolvieren. Von LC-42 aus sollte das taktische System, also die korrekte Steuerung ins Zielgebiet getestet werden.

Die R-16 verwandte keine komplizierte Raketentechnik um sie möglichst schnell zu entwickeln. Die erste Stufe bestand aus den Komponenten (von oben nach unten) Stufenadapter, Salpetersäuretank, Instrumentenraum (Zwischentankbereich), UDMH-Tank, und Triebwerksektion mit eigenen Versorgungstanks. Die zweite Stufe hatte denselben Aufbau, jedoch einen kleineren Durchmesser. Verbunden war sie durch einen Gitterrohradapter zum entweichen der Flammen und vier Sprengbolzen die bei Zündung der zweiten Stufe gezündet wurden und sie von der ersten Stufe trennten.

Die Triebwerke waren Bündel von RD-215. Dieses Treibwerk wurde für die R-14 entwickelt. Das RD-215 von Gluschkos OKB-456 hat zwei Brennkammern, die von einer gemeinsamen Turbopumpe angetrieben werden. Dieses Konstruktionsprinzip war eine Folge dessen, das sowjetische Ingenieure, nachdem sie die ersten eigenen Raketen bauten, sehr bald merkten das Triebwerke mit wesentlich mehr Schub als das A-4 Triebwerk mit 254 kN Schub zu Verbrennungsinstabilitäten neigen, die rasch zur Explosion des Triebwerks führen können. Das Problem trat damals bei jedem neuen Triebwerk auf und konnte nur durch aufwendige Versuche gelöst werden. In den USA investierte man die Zeit und das Geld, um den Injektor immer wieder zu verändern bis die Verbrennungsinstabilität nicht mehr auftrat, in der Sowjetunion, wo man sich rechentechnisch im Nachteil wähnte, beschloss man stattdessen ein Triebwerk aus mehreren Brennkammern mit einer gemeinsamen Turbopumpe zu konstruieren. Das war eine schnellere Lösung. Die Turbopumpe konnte man relativ leicht skalieren. So kam man mit einer Turbopumpe für mehrere Brennkammern aus. So hatte die R-7 in der Zentralstufe und vier Außenblöcken 20 Hauptbrennkammern, die R-12 und R-14 je vier Brennkammern und die R-16 sechs.

Die R-14 setzte zwei RD-215 als eine gemeinsame Einheit ein (RD-216). Eine Modifikation des RD-215 für die R-16 bildete das RD-217 (zwei Brennkammern). Drei dieser RD-217 bilden zusammen den Treibwerksblock der ersten Stufe unter der Bezeichnung RD-218. Eine weitere Modifikation mit einer längeren Düse für den Betrieb im Vakuum war das RD-219 mit zwei Brennkammern, es bildete das Triebwerk für die zweite Stufe. Das hießt beide Stufen setzten dasselbe Triebwerk ein, nur einmal drei und einmal zwei Triebwerke (sechs bzw. zwei Brennkammern). Die zweite Stufe war daher für eine Rakete dieser Masse viel zu groß, bei der Titan wog sie 30 t, bei der R-16 über 40 t, entsprechend war ein Großteil der Wurfmasse die Leermasse der zweiten Stufe, der Sprengkopf wog je nach Version nur ein Drittel der Stufe. Die Wahl des Oxidators Salpetersäure führte zudem zu einem relativ geringen spezifischen Impuls, was die Nutzlast weiter absenkte.

Die Brennkammern sind fest angebracht, das Schwenken würde es erfordern, dass man die Treibstoffleitungen dehnen könnte, was ausschied. Daher benötigt die Rakete zum Ändern des Kurses noch Steuertriebwerke. Dafür wurden die Triebwerke RD-68 (erste Stufe) und RD-69 (zweite Stufe) eingesetzt. Sie befinfen sich an der Außenseite der Rakete. Die Steuertriebwerke waren schwenkbar und lieferten einen zusätzlichen Schub von 380 bzw. 49,2 kN, das sind für Steuertriebwerke relativ hohe Schübe (die mehr als doppelt so schwere R-7 mit 300 kN Schub) sie trugen also noch zum Antrieb mit bei. Die RD-68 und RD-69 wurden vom OKB-586 entwickelt, während die Haupttriebwerke von Gluschkos OKB-456 kamen. Die RD-68/69 haben je vier Brennkammern, die schwenkbar sind, werden aber von einer gemeinsamen Turbopumpe angetrieben.


RD-218

RD-219

Produktionscode:

8D712

8D713

Schub (Meereshöhe / Vakuum)

2.221,4 kN / 2.610,6 kN

- / 882,5 kN

Spezifischer Impuls (Meereshöhe / Vakuum)

2413 / 2835 m/s

- / 2874 m/s

Gewicht:

1.920 kg trocken, 2.200 kg mit Flüssigkeiten

700 kg trocken, 797 kg mit Flüssigkeiten

Höhe:

2,19 m

2,03 m

Maximaler Durchmesser:

2,79 m

2,16 m

Brennkammerdruck:

73,6 bar

73,6 bar

Expansionsverhältnis:

18,8

25,8

Zweite StufeDie Tanks bestanden beim Treibstoff aus einer leichten Aluminium-Magnesiumlegierung. Die Salpetersäuretanks aus der gleichen Legierung, aber chemisch passiviert, das heißt eine Aluminiumoxidschicht schützte sie besser vor Korrosion. Zusätzlich enthielt die rot rauchende Salpetersäure (70 Prozent Salpetersäure, 26 Prozent N2O4, 2 Prozent Wasser) einen Zusatz von 0,14 Prozent Iod als Korrosionsinhibitor. Die Tanks waren durch Stringer und Spanten verstärkt. Sie wurden durch Stickstoff unter Druck gehalten, auch während der Lagerung. Dafür gab es in der ersten Stufe im Zwischentankbereich fünf kugelförmige Druckgasflaschen. Sie hielten den Tankdruck auch bei Entleerung aufrecht. Bei der zweiten Stufe wurden die Tanks vor dem Start mit Stickstoff von der Startbasis unter Druck gestellt, aber diese Druck bei der Entleerung nicht durch wettrennen Stickstoff aufrecht erhalten. Das war nicht nötig weil der Druck die Tanks stabiler machte, es wirkten beim Start ja aerodynamische Kräfte auf die Rakete ein. Die zweite Stufe zündete in aber so großer Höhe das nun keine Kräfte mehr einwirkten und der Druck absinken konnte.

Das Steuersystem war analog, aber für sowjetische Verhältnisse revolutionär. Als erste sowjetische Rakete war die R-16 nach dem Start autonom, also nicht wie ihre Vorgänger auf ein funktionierendes Startzentrum mit einem Funkleitstrahl angewiesen. Es wurde von Karthon am OKB-692 in Charkiw entworfen. Es bestand aus einer Kreiselplattform, einem Autopiloten, einem System das gewährleistete das der Schub der Haupttriebwerke immer durch den Massenschwerpunkt ging, einem System, dass den möglichst gleichzeitigen Verbrauch der Treibstoffe gewährleistete und einem Geschwindigkeitsintegrator.

Triebwerke erste StufeAuch wenn die genaue Funktion nicht bekannt ist, so sind es doch dieselben Systeme wie bei einer Atlas ICBM. Bei einer Atlas funktionierte die Lenkung so: Der Autopilot war im Prinzip ein Sequenzer eine programmierbare Uhr, er löste zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Schritte aus. Er neigte nach einer Periode des senkrechten Aufstiegs die Kreiselplattform mit einer vorgegebenen Winkelrate. Der Endwinkel gab die Entfernung der Zielkoordinaten vom Startpunkt an und ein Drehmanöver nach dem Start die Richtung. Eine Kreiselplattform, die aus ihrer Ausgangslage gedreht wird, gibt eine Kraft ab, diese wurde verstärkt und in Bewegungen der vier Steuerbrennkammern umgesetzt, welche nun die Rakete drehten bis sie wieder in die gleiche Richtung wie die Kreisplattform zeigte, nun aber eben schräg zur Erdoberfläche orientiert. Die zweite Stufe wird meistens gezündet wenn schon der Endwinkel erreicht ist, hier wird die Kreiselplattform dann nicht mehr gedreht, Veränderungen der Lage durch Störkräfte führen aber trotzdem zu einer Lageänderung der Kreiselplattform, und damit zu Gegenaktionen der Steuertriebwerke. Mit der Kreiselplattform wird der Kurs vorgegeben, mit einer vorgeladenen Batterie oder einem aufgeladenen Kondensator die Geschwindigkeit. Die Batterie wird durch die verstärkten Signale der Beschleunigungssensoren entladen. Physikalisch entspricht dieses Vorgehen einer Integration der Beschleunigung über die Zeit, sodass man als Ergebnis die momentane Geschwindigkeit erhält. Die Batterie wurde sozusagen mit der Sollgeschwindigkeit (bei einer ICBM im Bereich von 7 km/s) vorgeladen. War diese erreicht, so war die Batterie entladen, das löste den Brennschluss der Triebwerke aus. Diese Technik ist vollständig analog (die Titan II hatte als Pendant schon einen einfachen Digitalcomputer) und erklärt die lange Vorbereitungszeit, weil schon kleine Fehler in der Ausrichtung der Kreiselplattform vor dem Start zu einer großen Kursabweichung führen können. Die Kreiselplattform als Inertailsystem waren damals sehr schnell rotierende masive Kreisel die weitestgehend reibungsfrei gelagert wurdn, mindestens einer pro Raumachse. Längere Zeit konnte die Plattform durch die immer noch vorhandene Restreibung nicht aktiv bleiben. Das Steuersystem befand sich in der Instrumentensektion zwischen den Tanks in der ersten und zweiten Stufe und wog 440 kg, davon 152 kg in der ersten und 288 kg in der zweiten Stufe.

Es gab drei Sprengköpfe:TRiebwerke zweite Stufe

Sprengkopf

Sprengkraft

Gewicht

Reichweite

8F17

3 MT TNT-Äquivalent

1.400- 1500 kg

13.000 km

8F115

5 MT TNT-Äquivalent

2.175 kg

11.000 km

8F116

6 MT TNT-Äquivalent

2.200 kg

10.500 km

Wasserstoffbomben so hoher Sprengkraft waren damals auch bei US-ICBM gängig. Sie sollten die schlechte Zielgenauigkeit der R-16 von 2,38 bzw. 2,70 km CEP (50 Prozentige Wahrscheinlichkeit das der Aufschlagpunkt maximal 2,38 bzw. 2,7 km vom Zielpunkt entfernt ist) ausgleichen. Die folgenden Generationen waren zielgenauer und hatten kleinere Sprengköpfe, damit waren auch die Raketen kleiner oder sie konnten mehrere Sprengköpfe (MIRV) mitführen.

Die Nedelin Katastrophe (24.10.1960)

Wie beschrieben genoss die Fertigstellung der R-16 oberste Priorität. Daher war die rasche Indienststellung dieser Rakete dringlich, denn 1960 war die Sowjetunion nicht fähig bei einem Erstschlag mit ICBMs zurückzuschlagen, da sie über keine strategische Bomberflotte verfügte. Chruschtschow wollte vermeiden, dass die Amerikaner dies bemerkten, die damals die ersten Aufklärungssatelliten starteten. Schon der erste erfolgreiche - Discoverer XIV bildete ein Fünftel der Sowjetunion ab und auf den Bildern fand man wenige einsatzbereite ICBM.

So drängte die im Militär verantwortlichen Generäle, an ihrer Spitze Hauptmarschall Mitrofan Iwanowitsch Nedelin, seit dem 17.12.1959 Kommandeur der damals neu geschaffenen strategischen Raketentruppen auf einen Erprobungsstart am 23.10.1960, obgleich Techniker die Rakete noch nicht für ausgereift hielten.

Erst im August 1960 gab es erste Tests der Stufen bei Sagorsk nahe Moskau. Anstatt diese fortzusetzen, bis die Stufen ausgereift und durchgetestet wurden, sollte nun schon bald ein Versuchsstart erfolgen.

Das Testprogramm der Gesamtrakete begann am 10.10.1960. Nur zwölf Tage später wurde die R-16 am 22.10.1960 mit 124 Tonnen 98 % (hochkonzentrierter) Salpetersäure und UDMH betankt. Der Oxidator Salpetersäure ist ätzend und UDMH ist giftig.

Dabei entdeckte man ein kleines, aber harmloses Leck. Es gab Probleme am 23. Oktober: So hatte man aus Versehen, die Membranen die den Treibstoff vor dem Strömen in die Treibstoffleitungen hinderten, für die zweite Stufe gesprengt - man wollte eigentlich die Membranen in der ersten Stufe aktivieren. Da nun die Ventile als letzter Schutz vor dem Gelangen ins Freie den Treibstoffen ausgesetzt waren, musste der Start in den nächsten zwei Tagen erfolgen. Dabei gab es weitere Probleme: Die Ventile eines der Erststufentriebwerke öffneten und schlossen sich immer wieder spontan. Weiterhin war der Stromverteiler für die Rakete defekt. So plädierte General Gerchik dafür, dass man den ersten Teststart abbrechen und die Rakete enttanken sollte, was Hauptfeldmarschall Nedelin ablehnte. Er soll den General angeschrien haben, bei einem Atomkrieg könne man das auch nicht tun. Da es sich um einen Probestart handelte, hatte auch noch niemand eine Vorgehensweise für das Enttanken ausgearbeitet.

Nedelin KatastropheMan legte am 23.10.1960 eine Nachtpause, ein um am nächsten Tag den Stromverteiler und Ventile im Triebwerk der ersten Stufe auszutauschen.

Am Starttag erhielt Nedelin mehrere Anrufe, in denen er gefragt wurde, wann endlich die R-16 startet. Für ihn und seinen Stab wurde lediglich 800 m von der Startrampe entfernt eine Holztribüne aufgebaut. In dieser Distanz befinden sich bei Startrampen zwar auch die "Blöckhäuser" für die Mannschaften, die an der Rakete arbeiten und sie starten, aber das sind Bunker mit Wänden aus dickem Beton und mehreren Türen aus massivem Stahl. Schon diese Tribüne nahe des Startplatzes war leichtsinnig, bei einem Fehlstart hätte man in dieser Entfernung zumindest verletzt werden können. Normal ist das bei einer Rakete dieser Größe sich niemand mehr als einige Kilometer dem Startplatz nähert.

Als man am Starttag weniger als eine Stunde vor dem Start Probleme bei der Elektronik feststellte, wurde nicht der Start abgebrochen. Als Nedelin von der weiteren Verzögerung von 30 Minuten erfuhr, ging er persönlich zur Startrampe, um sich ein Bild der Lage zu machen. Die meisten Angehörigen seines Stabs folgten ihm. Nun arbeiteten die Techniker unter der persönlichen Aufsicht des Chefs der Raketenstreitkräfte, Hauptfeldmarschall Nedelin, an der noch aufgetankten Rakete weiter. Nedelin setzte sich demonstrativ auf einen Stuhl, 15 bis 25 Meter neben die Rakete, sodass niemand wagte, die Startrampe zu verlassen, obgleich bei der aufgetankten Rakete nicht einmal Techniker bei der Rakete etwas zu suchen hatten. Seine Anwesenheit verringerte die Sicherheit noch, denn wer wird nicht nervös, wenn der oberste Militär einem bei der Arbeit zusieht. Bis zu 250 Personen, vor allem Beobachter und der Generalstab, daneben Techniker, hielten sich nun neben der Rakete auf.

Nedelin KatastropheZur Katastrophe kam es weil die Rakete auf interne Stromversorgung umgeschaltet war. Die Batterien sollten wegen der Kälte so vorgewärmt werden. Das für die Katastrophe verantwortliche System "PTR" (Programming Current Distributor in englisch), sollte die Bordsysteme in vorgegebener Reihenfolge aktivieren und war so aktiv. Daneben waren durch den Vortag die Membranen als Sicherung für den Treibstoff gesprengt, nur noch das Ventil vor dem Triebwerk verhinderte einen Start. Die Treibstoffkombination ist selbstentzündlich, das heißt sie entzündet sich spontan, während bei anderen Treibstoffen zumindest eine offene Flamme nötig ist.

Ein Schalter im Kontrollzentrum hatte drei Positionen - "Vor Start" - "Manuelle Zündung"- "Nach Start". Der Schalter war aufgrund eines vorhergehenden Tests in der Stellung "Nach Start". Bei abgeschalteter Stromversorgung wäre er problemlos zurück in die erste Stellung drehbar gewesen. Er kontrollierte als Backupsystem für den Autopilot die Zündung der zweiten Stufe.

15 Minuten vor dem Start kam es zur Katastrophe - ein Techniker drehte den Schalter zurück auf "Vor Start" und passierte dabei die Mittelposition und zündete damit die zweite Stufe. Der Sequenzer PTR führte nun den vorgegebenen Ablauf durch. Der Flammenstrahl von vier Brennkammern durchtrennte wie ein Schweißbrenner den UDMH-Tank der ersten Stufe und nach wenigen Sekunden explodierte die erste Stufe. Es gab einen Feuerball von 120 m Durchmesser und 20 Sekunden Dauer. Überleben konnte nur der, der weit genug von der Rakete weg war. Von General Nedelin wurde nur noch ein Teil einer Schulterklappe und der Stern seines Ordens "Held der Sowjetunion" gefunden. Von vielen Toten gab es nur schwarze Flecken am Boden. Die Feuer wüteten noch weitere zwei Stunden. Die vier Kameras die mitliefen hielten nur je 90 Sekunden fest. Nach der MDR-Doku weil danach die Helligkeit so stark abgenommen hat, das ein Weiterfilmen sinnlos war, eventuell hatten sie aber auch nicht mehr Film - Filme von russischen Starts sind rar und immer sehr kurz. Nach 90 Sekunden wäre die erste Stufe ausgebrannt und längst nur noch ein kleiner Punkt am Himmel, sodass es keinen Sinn macht bei einem Start länger zu filmen.

NedelinNach dem offiziellen Untersuchungsbericht gab es insgesamt 92 Tote (74 Militärangehörige und 18 Zivilisten) und 49 Verletzte wovon aber 16 in den folgenden zwei Monaten starben (bei der Anzahl der Toten schon berücksichtigt). Die Zahl ist aber umstritten, es werden auch in anderen russischen Quellen 78 und 106 Tote genannt. Die englischsprachige Wikipedia gibt einen Bereich von 54 bis 300 an. Viele Tote waren so stark verbrannt, sodass sie nicht mehr identifiziert werden konnten.

Premier Chruschtschow ließ das Unglück von Breschnew untersuchen, mit der Anweisung keinen Schuldigen zu bestrafen, wahrscheinlich weil auch er einsah, dass er eine Mitschuld am Unglück trug, denn auch er drängte auf einen raschen Start. Breschnew reiste schon am 25.10.1960 an und entlastete in einer Besprechung alle Anwesenden. Im offiziellen Untersuchungsbericht wird dann auch kein Schuldiger genannt. Chruschtschow schreibt in seinen Memoiren, Breschnew habe geantwortet "Alle Schuldigen wurden schon bestraft". Offiziell starben die Menschen nach sowjetischer Verlautbarung bei einem Flugzeugunglück, damit versuchte man die wahre Ursache zu verschleiern. Sie wurden in einem Massengrab beerdigt. Der Untersuchungsbericht der Nedelin-Katastrophe wurde erst unter Jelzin veröffentlicht.

Die Rolle Chruschtschows ist bis heute umstritten die MDR Dokumentation von 2003 nennt ihn als Schuldigen, allerdings nur durch Zeugenaussagen von niederen Rängen. Chruschtschows Sohn Sergej widerspricht dem. Ich persönlich glaube, das an der Story, das der Start ein "Geschenk" zum Jahrestag der Oktoberevolution sein sollte. (am 7. November, Russland übernahm erst nach Sturz des Zaren den gregorianischen Kalender, sodass sie im julianischen Kalender am 25. Oktober stattfand) Chruschtschow liebte es bei solchen Anlässen mit Erstleistungen zu protzen, so wurde auch Sputnik 2 mit dem Hund Laika zu diesem Anlass gestartet - aber er hat sich damals schon nach dem realen Kalender gerichtet und bis zum 7. November waren noch 13 Tage Zeit, Zeit genug die Rakete nochmals zu enttanken und alles zu prüfen. Ich denke vielmehr wollte Nedelin selbst dieses Geschenk machen, ohne das es irgendwie eingefordert wurde. Schlussendlich war er es der den druck vor Ort so aufbaute. Zudem ist diese Doku in vielem ungenau. Die gesamte Vorgeschichte des Unglücks kommt in der MDR-Doku praktisch nicht vor.

NachhallR-16 Diagramm, By Heriberto Arribas Abato - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25073451

Die R-16 absolvierte ihren Testflug erst 1961, die Testkampagne durchlief durchwachsen. Der erste Teststart am 2.2.1961, also mehr als drei Monate nach der Nedelin-Katastrophe war ein Fehlschlag. Die Rakete schlug nach nur 520 km auf. Schon am 22.2.1961 fand dann der nächste Start statt. Doch erst der fünfte Start am 16.4.1961 ging über die volle Distanz. Von den 22 Teststarts in Baikonur, die bis zum 28.10.1961 erfolgten waren nur zehn erfolgreich. Zusammen mit den Testabschüssen um die Mannschaften mit der R-16 vertraut zu machen gab es bis 1966 insgesamt 95 Starts.

Die Indienststellung wurde beschleunigt. Schon am 20.10.1961 wurde die R-16 vorläufig von den Raketenstreitkräften akzeptiert. Das war der Startschuss zur Serienproduktion parallel liefen die Teststarts aber weiter. Der letzte Teststart fand am 15.7.1963 statt, schon vorher am 5.2.1963 war das erste Regiment einsatzbereit. Ein Regiment bestand aus drei Abschussrampen, einer Kommandozentrale, einem Komplex zum Zusammenbauen und Warten der Rakete, einer Treibstofffabrik/Lagertanks. Die angeschlossene Werkstatt war nötig damit wenn eine R-16 einmal betankt war aber nicht gestartet wurde die notwendigen Reparatur- und Wartungsarbeiten vor Ort erfolgen konnten und nicht die ganze Rakete nach Omsk oder Dnipro transportiert werden musste,

Frei stehende Raketen sind nicht die Lösung, die die Raketenstreitkräfte suchten, so wurde schon am 14. Juni 1960 beschlossen eine Version zu bauen die in Silos stationiert werden konnte. Die genauen Unterschiede sind unbekannt, es gab aber eigene Stufen und Triebwerke mit dem Suffix "U", zudem war diese Version etwa 1 m länger. Diese Version R-16U war am 15.7.1964 einsatzbereit. Silos wurden in Dreiergruppen gebaut, jede Gruppe von der anderen zur Sicherheit 8 bis 10 km entfernt. Ein Kommandozentrum kontrollierte mehrere Gruppen. Auch das Bündeln von drei Silos war keine gute Lösung. Ein US-Schlag hätte so drei Silos mit einem Sprengkopf zerstören können, aber weil die Raketen nicht dauerhaft betankt sein konnten musste es eine gemeinsame Betankungsanlage / Wartungsanlage geben und die gab es eben nicht pro Silo, sondern nur eine pro Gruppe.

Die Fertigung begann 1961 in der Fabrik des OKB-586 in Dnipro und der Fabrik des OKB-166 in Omsk. Mindestens 202 Serienexemplare wurden gebaut, diese Zahl wurde in der Spitze 1965 stationiert. Davon waren nur 69 vom Typ R-16U, der silotauglichen Version.

Bis 1974 wurden je nach Quelle 186 bis 202 R-16 stationiert, danach wurde sie durch neuere verbesserte Typen, wie die R-36 ersetzt. Die letzte R-16 wurde 1976 außer Dienst gestellt. Eine Verwendung als Trägerrakete wurde erwogen, aber nie umgesetzt. Die Nutzlast wäre gemessen an der Startmasse mit 700 kg in einen 1.000 km hohen polaren Orbit nicht sehr hoch gewesen. Das lag an den schlechten Designparametern der Rakete.

Die kurze Einsatzzeit - ihr Gegenstück die Titan blieb zwanzig Jahre im Dienst - war der Salpetersäure als Oxidator zu verdanken. Salpetersäure ist viel aggressiver als Stickstofftetroxid, weil sie zum einen eine Säure ist (Stickstofftetroxid wirkt nur oxidierend) und zum anderen Wasser enthält. Die Reaktionsprodukte der Salpetersäure mit dem Metall der Tanks sind Nitrate wie Aluminiumnitrat oder Magnesiumnitrat, sind aber allesamt wasserlöslich. Damit zersetzt die Säure alles was was aus Metall ist. Die Raketen konnten nur einige Tage lang befüllt sein, danach mussten sie zurück in die bei jedem Silo befindliche Fabrik, um sie zu reparieren oder Teile auszutauschen. Normalerweise lagerten sie horizontal in Hangars. Vor einem Start wurden sie herausgefahren und betankt. Das alleine dauerte drei Stunden. Selbst startbereit war ein Start erst nach 20 bis 30 Minuten möglich, so lange dauerte es die Kreiselplattform auszurichten und in Rotation zu versetzen.

Als die USA und die UdSSR ihren ersten Abrüstungsvertrag SALT-I unterzeichneten war die Anzahl der stationierten Raketen für beide Supermächte begrenzt. Russland demontierte daher von 1974 bis 1977 alle R-16 damit sie neuere Modelle in Dienst stellen konnten.

Die R-16 war der Prototyp einer ICBM mit lagerfähigen Treibstoffen. Aber sie war immer noch viel zu verwundbar. Daher arbeitete die UdSSR mit hoher Priorität an Nachfolgern. Jangels OKB-586 nahm zuerst die R-26 in Angriff, eine kleinere Rakete, ebenfalls mit lagerfähigen Treibstoffen, von nur 80 t Startmasse. Die Führung entschloss sich aber für das Konkurrenzmodell der UR100, die dann in sehr großen Stückzahlen (über 1.000 stationierte Raketen) gebaut wurde. Die UR100 war anders als die R-16 jahrelang aufgetankt und startbereit in Silos stationiert. Um die USA zu täuschen präsentierte man bei der Parade zur Oktoberrevolution 1964 trotzdem ein Mockup der R-26, welches denn auch die Bezeichnung SS-8 Sasin bekam, bis man den Irrtum bemerkte und die Bezeichnung neu für Koroljows R-9 vergab die zwar auch nicht der große Wurf war aber zumindest in kleinen Stückzahlen stationiert wurde.

Jangel wurde mit dem Entwurf einer Rakete, noch größer als die R-16 betraut, das war die R-36 die 182 t wog. Auch sie konnte jahrelang aufgetankt in Silos stationiert werden weil man auf Stickstofftetroxid als Oxidator auswich. Die R-36 übernahm die Rolle der R-16, sie trug wie diese einen sehr schweren Einzelsprengkopf. Die R-36 wurde über drei Jahrzehnte als Zyklon Trägerrakete eingesetzt. Später wurde die R-36 noch modernisiert zur R-36M, indem der Durchmesser der zweiten Stufe an den der ersten angepasst wurde und sie leistungsfähigere Triebwerke einsetzte. Diese Version ist 2023 noch stationiert, sie ist die größte und schwerste je gebaute ICBM mit einer Startmasse von rund 210 t. Auch die R-36M wurde als "Dnepr" Trägerrakete genutzt. Seit 2017 entwickelt Russland sogar eine erneut modernisierte Version der R-36M, die als RS-28 "Sarmat" im Jahr 2023 vor der Einführung steht. Der Hintergrund ist das ehemalige Kombinat OKB-586 nun die Staatsfirma KB Juschmasch ist und der Firmensitz von Juschmasch ist Dnipro in der Ukraine. Es dürfte nach der Annektion der Krim und dem Einmarsch in die Ukraine eher unwahrscheinlich sein, dass Russland Ersatzteile für die R-36M von Juschmasch bekommt. Da die Triebwerke aber von Russland (Energomasch) stammen, baut Russland die Rakete nun einfach neu. Die USA sehen in dem Nachbau einer Rakete die 1975 zum ersten Mal stationiert wurde - zu dem Zeitpunkt entwickelten die USA schon seit zehn Jahren nur noch Feststoffraketen die in der Handhabung noch unkomplizierter als Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen sind - eher eine Schwäche Russlands als eine neue Bedrohung.

Datenblatt R-16

Einsatzzeitraum:

Stückzahl:

Abmessungen:

Startgewicht:

Maximale Nutzlast:

Reichweite:

1963 bis 1976

mindestens 202

3,00 m Durchmesser
30,44 / 31 m Höhe mit 5-6 MT Sprengkopf (32,4 m für die R-16U)
34,3 m Höhe mit 3 MT Sprengkopf

140.600 - 141.200 kg je nach Sprengkopf

2.200 kg als ICBM
700 kg in einen 1.000 km hohen Orbit mit Kickstufe

10.500 - 13.000 km je nach Sprengkopf


Stufe 1:8S81 / 8S81U

Stufe 2: 8S82 / 8S82U

Länge:

14,50 m / 16,80 m mit Stufenadapter

10,80 m

Durchmesser:

3,00 m

2,40 m

Startgewicht:

~101.000 kg

~39.000 kg

Leergewicht mit Flüssigkeiten und Gasen

~6.000 kg

~4.000 kg

Schub Meereshöhe:

2.221 kN + 380 kN

-

Schub Vakuum:

2.610 kN + 380 kN

882 + 49,2 kN

Triebwerke:

1 × RD‑218 (3 × RD-215)
+ 1 × RD-68

1 × RD‑219
+ 1 × RD-69

Spezifischer Impuls (Meereshöhe):

2413 m/s

-

Spezifischer Impuls (Vakuum):

2835 m/s

2874 m/s

Brenndauer:

90-91 s

125 s

Treibstoff:

Salpetersäure / UDMH

Salpetersäure / UDMH

Aufbau eines R-16 SilosDas Datenblatt ist rekonstruiert aus den Angaben über Brenndauer, Schub und spezifischem Impuls. Es wird eine Treibstoffmenge von 124 bis 130 t angegeben, das entspricht aber nicht den Daten (135 t Treibstoff bei dem angegebenen, Schub, Brennzeit und spezifischem Impuls, eventuell liegt dies daran dass von den vier Brennkammern der Steuertriebwerke nur jeweils eine aktiv ist.

Vergleich Titan II - R16

Hier noch ein kleiner Vergleich dieser nahezu zeitgleich entwickelten Raketen mit derselben Zielsetzung


R-16

Titan II

Genehmigung

13.5.1959

Juni 1960

Stationierung:

5.2.1963

15. April 1963

Anzahl stationierte Exemplare:

202

54

Abschüsse:

95

81

Höhe:

30,5 - 34,3 m

31,4 m

Durchmesser:

3,00 m

3,05 m

Startgewicht:

141 t

150 t

Sprengkopf:

8,5 MT

3-6 MT

Gewicht Sprengkopf:

1.475 - 2.200 kg

4.010 kg

Reichweite:

10.500 - 13.000 km

18.100 km

CEP:

2,38 - 2,7 km

1,6 km

Nutzlast als Trägerrakete:

700 kg in einen 1.000 km SSO

3.800 kg LEO

2.885 kg in einen 800 km SSO

Quellen / Referenzen:

http://www.astronautix.com/r/r-16.html

https://www.russianspaceweb.com/r16.html

Das Protokoll einer Katastrophe Inferno Baikonur (Video)

https://nuke.fas.org/guide/russia/icbm/r-16.htm

Liste der Energomasch Triebwerke

Artikel verfasst am 12.8.2023


Bücher des Autors über Trägerraketen

Wie man an dem Umfang der Website sieht, sind Trägerraketen eines meiner Hauptinteressen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Büchern von mir, auch weil ich in den letzten Jahren aufgrund neuer Träger oder weiterer Informationen über alte Projekte die Bücher neu aufgelegt habe. Sie finden eine Gesamtübersicht aller Bücher von mir bei Amazon und hier beim Verlag.

Ich beschränke mich in diesem Abschnitt auf die aktuellen Werke. Für die in Europa entwickelten Trägerraketen gibt es von mir zwei Werke:

Europäische Trägerraketen 1 behandelt die Vergangenheit (also bei Drucklegung): Das sind die nationalen Raketen Diamant, OTRAG und Black Arrow und die europäischen Träger Ariane 1 bis 4 und Europarakete.

Europäische Trägerraketen 2 behandelt die zur Drucklegung 2015 aktuellen Träger: Ariane 5, Vega und die damaligen Pläne für Vega C und Ariane 6.

Wer sich nur für einen der in den beiden besprochenen Träger interessiert, findet auch jeweils eine Monografie, die inhaltlich identisch mit dem Kapitel in den Sammelbänden ist, nur eben als Auskopplung.

Weiter gehend, alle Raketen die es weltweit gibt, behandelnd, gehen zwei Bände:

US-Trägerraketen

und

Internationale Trägerraketen (im Sinne von allen anderen Raketen weltweit)

Auch hier habe ich 2023 begonnen, die Bände aufzusplitten, einfach weil der Umfang für eine Aktualisierung sonst weder handelbar wäre bzw. an die Seitengrenze stößt, die der Verlag setzt. Ich habe auch bei den Einzelbänden nochmals recherchiert und den Umfang erweitert. Bisher sind erschienen:

US Trägerraketen 1 mit den frühen, kleinen Trägern (Vanguard, Juno, Scout)

US Trägerraketen 2 mit der Titan-Familie

2023 wird noch die erste Auskopplung aus den internationalen Raketen über russische Träger erscheinen. Nach und nach werden alle Raketen dann in einzelnen Monografien geordnet nach Trägerfamilien oder Nationen dann aktualisiert auf den aktuellen Stand, so besprochen.

Für die Saturns gibt es noch einen Sonderband, den ersten in der Reihe über das Apolloprogramm.

Alle bisherigen Bücher sind gerichtet an Leute, die wie ich sich nicht mit oberflächlichen Informationen oder Zusammenfassung der Wikipedia zufriedengeben. Wenn sie sich nicht für Technik interessieren, sondern nette Anekdoten hören wollen, dann sind die bisherigen Bücher nichts für Sie. Für dieses Publikum gibt es das Buch „Fotosafari durch den Raketenwald“ bei dem jeder Träger genau eine Doppelseite mit einem Foto und einer Beschreibung hat. (Also etwa ein Zehntel der Seitenzahl auf den ich ihn bei den beiden obigen Bänden abhandelte). Das Buch ist anders als die anderen Bände in Farbe. Ab und an macht BOD als Print on Demand Dienstleister Mist und verschickt es nur in Schwarz-Weiß, bitte reklamieren sie dann, ich als Autor kann dies nicht beeinflussen.

Als Autor würde ich mich freuen, wenn sie direkt beim Verlag bestellen, da ich da eine etwas größere Marge erhalte. Dank Buchpreisbindung und kostenlosem Versand ist das genauso teuer wie bei Amazon, Libri und iTunes oder im Buchhandel. Über eine ehrliche Kritik würde ich mich freuen.

Alle Bücher sind auch als E-Book erschienen, üblicherweise zu 2/3 des Preises der Printausgabe – ich würde sie gerne billiger anbieten, doch da der Gesetzgeber E-Books mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, Bücher aber mit nur 7 Prozent, geht das leider nicht. Ein Vorteil der E-Books - neben dem einfacher recherchierbaren Text ist, das alle Abbildungen, die im Originalmanuskript in Farbe, sind auch in Farbe sind, während ich sonst - um Druckkosten zu sparen - meist auf Farbe verzichte. Sie brauchen einen pdf-fähigen Reader um die Bücher zu lesen. Sofern der Verlag nicht weiter für bestimmte Geräte (Kindle) konvertiert ist das Standardformat der E-Books ein DRM-geschütztes PDF.

Mehr über meine Bücher finden sie auf der Website Raumfahrtbuecher.de und eine Liste aller Veröffentlichungen findet sich auch bei meinem Wikipediaeintrag.

 

© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.

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