Project Uranus: Eine neue Verwendung der HARP-Kanone (Teil 1)

von Kevin Glinka

1967 sollte der Traum von Gerald Bull endlich in Erfüllung gehen: Der kanadische Ingenieur hatte schon mehrere Jahre auf der Insel Barbados mit einer 40cm-Schiffskanone Projektile zu wissenschaftlichen Zwecken verschossen. Mit der Martlet 4 sollte eine dreistufige Feststoffrakete abgeschossen werden, die dann einen 25 kg schweren Satelliten in den Erdorbit einschießen sollte. Doch während die Martlet 4 fertiggestellt wurde, stellte die US Army ihre Finanzierung ein. Bull hatte später einige Verwicklungen in Südafrika und dem Irak und wurde am 22. März 1990 vor der Tür seiner Brüsseler Wohnung von einem Unbekannten erschossen. Die Kanonen auf Barbados sind seit langem verrostet.

Eine Neue Idee: Project Uranus

Als jemand für den gratis verfügbaren Weltraumsimuator Orbiter (www.orbithangar.com) ein HARP-Addon der Kanone und der Martlet 4 mit einem kleinen Satelliten programmiert hatte, habe ich damit etwas experimentiert, und bin nach einem erfolgreichen Satellitenstart auf eine neue Idee gekommen, die mich dazu brachte, darüber nachzudenken ob diese als Forschungsprojekt interessant sein könnte.

Die Kanone wurde von mir auf einen Abschusswinkel von 70 eingestellt und die Martlet 4 abgeschossen. Nach 20 Sekunden zündete ich die erste Stufe, bei T+100 Sekunden die zweite, bei T+200 Sekunden die dritte und schließlich bei T+300 Sekunden den Antrieb des kleinen Satelliten. Von da an veränderte ich nichts, und so erreichte der Satellit 24 Minuten nach dem Abschuss eine Höhe von ca. 3600 Kilometern. 42 Minuten nach dem Abschuss traf der Satellit mit einer Vertikalgeschwindigkeit von 6,1 km/s auf die Erdatmosphäre auf und wurde natürlich sofort zerstört.

Bei weiteren Testflügen mit einer höheren Abschussgeschwindigkeit und einem Winkel von 85 kam ich sogar bis auf 7000 km im Apogäum.

Wozu ist das gut?

Natürlich stellt sich gleich die Frage nach dem Sinn eines solchen Unterfangens. Aber die Vorteile des Konzeptes liegen auf der Hand: Schon damals waren die HARP-Starts sehr günstig (Ein Start einer Martlet 2 schlug mit ca. 3000$ zu Buche). Weiterhin wurden schon damals empfindliche Geräte (darunter sogar eine Langmuir-Sonde) in große Höhen gebracht, wo sie wertvolle Daten sammelten. Die zum Schutz der Elektronik vor der Beschleunigung verwende Methode, die Geräte in eine Mischung von Sand und Epoxydharz zu gießen, war sehr preiswert und auch effizient. Nun wird durch den Raketenantrieb die Höhe um ein vielfaches vergrößert (der höchste Flug einer Martlet 2 erreichte eine Höhe von 180 Kilometern). Die bei meinen Tests im Simulator erreichten Höhen übertreffen die obere Grenze des inneren Van-Allen-Strahlungsgürtels um 1000 km, d.h. auf einem solchen Flug kommt man zwei Mal durch den kompletten inneren Van-Allen-Gürtel. Weiterhin hat man beim Start die enorme Beschleunigung von 5000-10000 G, sowie während des Freifluges bis zu einer Stunde Schwerelosigkeit.

Im Artikel über HARP auf astronautix.com (http://www.astronautix.com/lvs/martlet.htm) wird gesagt, dass mit der Martlet 4 theroretisch bis zu sechs Satellitenstarts an einem Tag möglich gewesen wären. Wenn man die gleiche Startfrequenz erreichen könnte, hätte man ein günstiges und vielseitiges Messystem, mit dem man den erdnahen Weltraum mehrmals täglich (!) untersuchen könnte.

Kurze Beschreibung der Sonde

Die Sonde wäre idealerweise zylinderförmig und mit Solarzellen überzogen, da sie (wenn man die Martlet 4 genau nachbaut) spinstabilisiert ist. Damit wird eine konstante Energieversorgung während des Fluges gewährleistet. Die Kommunikation und Übermittlung von Messdaten kann mit einem Radiosender durchgeführt werden, der auch wie die sonstige Elektronik „beschleunigungsgesichert“ ist. Hier muss man je nach dem, welche Experimente an Bord sind einen eher stärkeren oder schwächeren Sender wählen (eine Übertragung von Live-Bildern z.B. würde natürlich einen Sender benötigen, der eine hohe Datenrate hat). Weil der Flug ca. eine Stunde dauert, und die Sonde konstant rotiert, sollte eine aktive Temperaturkontrolle des Innenraums nicht nötig sein.

Diese drei Elemente (Energieversorgung, Kommunikation und Thermokontrolle) bilden schon eine Art „Bus“, auf dem verschiedene Experimente montiert werden können. Welche Experimente das sein könnten, werde ich im zweiten Teil diskutieren. Ebenfalls im zweiten Teil wird enthalten sein: Eine Variation des eben beschriebenen Bus, die es möglich machen könnte, Experimente zurück zur Erde zu bringen.

5 thoughts on “Project Uranus: Eine neue Verwendung der HARP-Kanone (Teil 1)

  1. Hmmm, warum so umständlich? Drei Feststoffstufen sollten fastz ausreichen eine Satellitenbahn zu erreichen. Sie müssten nur am Gipfelpunkt der Bahn (180 km) kurz nacheinander gezündet werden, wobei zwei kleine feststofftiebwerke die kurz hintereinander am Ende und Spitze gezündet werden (mit gleichem Impuls) für eine 90 Grad Drehung sorgen.

    Erreicht müssten je nach Startort nur 7,4 km/s für eine niedrige Satellitenbahn, verglichen mit rund 9.5 km/s beim Start vom Boden aus. Oder man schießt „schräg“ (optimal im 45 grad Winkel, dann reduzieren sich die Anforderungen sogar noch, da nun die Nutzlast schon einen Teil der Bahngeschwindigkeit hat. Mit etwas mehr Geschwindigkeit geht es dann in den Van Allen Gürtel.

    Soweit ich die Superkanone noch in Erinnerung hatte wollte damit auch Bull deutlich höhere Geschwindigkeiten erreichen, wodurch die Nutzlast nochmals höher gewesen wäre.

    Vielleicht eine gute Startmethode für Cubesats….

  2. Nun, das stimmt ja, dass man für den orbitalen Start so verfahren muss. Die Idee hier ist ja nicht, einen Orbit zu erreichen, sondern eine kleine Sonde möglichst hoch zu befördern. Wie ich in dem Text geschrieben habe, hatte ich diese Möglichkeit durch Zufall beim Arbeiten mit Orbiter gefunden und gedacht, dass sich so ein Gerät, welches günstig und vielseitig zugleich ist, sich gut dafür eignen würde, den erdnahen Weltraum zu erforschen. Mir fällt da gleich eine Analogie zu den Wetterballonen ein, die ja zwei mal täglich überall auf der Welt gestartet werden. So würde die „Uranus“ eben eine ähnliche Aufgabe für den erdnahen Weltraum übernehmen.

    Und der Tatsache, dass sich damit Cubesats sehr gut starten lassen würden, stimme ich uneingeschränkt zu! Die Elektronik zu schützen ist nicht kompliziert und wenn man wirklich für 3000$/Start hinkommt, wäre das ein tolles System.

  3. Nun ja. Der springende Punkt ist: Wenn man bei einem senkrechten Schuss 6000 km erreicht hat man fast Orbitalgeschwindigkeit erreicht. Diese Lösung ist viel attraktiver. Ein Start einer Höhenforschungsrakete ist normalerweise um den Faktor 100 preiswerter als der eines Satelliten, das bedeutet wenn ich eine Möglichkeit habe Satelliten preiswert zu starten werde ich dies tun und nicht nur eine Stune Messzeit anstreben. bei entsprechend kleiner Nutzlast wäre ja auch eine elliptische Umlaufbahn bis in 6000-7000 km Höhe möglich und dann durchläuft der Satellit jeden Tag mehrmals die Messzone. Abgesehen von dem Gewinn an Meßwerten müssten sonst für eine laufende Überwachung jeden Tag Sonden gestartet werden, was viel teurer kommt.

  4. Das stimmt auch wieder. Meine Idee war es eben vor allem zu zeigen, dass HARP damals diese Grundsteine gelegt hat. Wenn das nicht passiert wäre und ich trotzdem auf diese Idee gekommen wäre, dann würden hier wohl massenweise Comments zu dem Thema sein, dass man einen Satelliten einfach nicht aus einer Kanone schießen kann.

    Aber HARP hat es alles gezeigt: Beschleunigungsfeste Elektronik, Festtreibstoff der sich nicht unter der Beschleunigung zusammenpresst, ein Lageregelungsmodul das abgeschossen wurde und über 200 Schüsse auf bis zu 180 km Höhe (für eine Martlet 2 ohne Eigenantrieb!). Hätten die HARP-Leute etwas früher angefangen, die GLO-1A zu bauen (eine Minimalversion der Martlet 4, die kurz vor dem Projektende am 30.06.1967 zeigen sollte, dass man tatsächlich einen Satelliten mit der Kanone starten kann), wäre die GLO-1A geflogen, hätte bewiesen dass es geht und HARP wäre mit Sicherheit gerettet gewesen. Und ich sehe eben heute, wo es die ganzen Nanosats und Cubesats gibt, eine gute Einsatzmöglichkeit dafür.

    Der Autor des HARP-Artikels auf astronautix.com versucht wohl auch grad selbst, ein Kanonenstart-Projekt durchzuführen: http://www.columbiad.ca/industrial/index.html
    Er gibt dort einige Einsatzbeispiele an, bei manchen allerdings kann ich nicht ganz zustimmen, z.B. die Idee, Satelliten zusammendocken zu lassen (dafür muss doch der Bahneinschuss hinreichend genau sein) oder dass man Sonden zu Mond und Mars schicken könnte. Ich denke das könnte man nur erreichen, wenn man das Raketenprojektil massiv verändern würde (ich habe neulich erst davon gelesen, dass man die Martlet 4 wohl von den initial 25 auf 100 kg und dann bis auf 500-1000kg LEO-Nutzlast strecken wollte).
    Man bräuchte wohl eine größere und längere Kanone, den angedachten Flüssigantrieb der Martlet 4 (evtl. mit LH2/LF2? Das war auch geplant), und besseren Kanonentreibstoff.

  5. Kanone als Ersatz für Höhenforschungsrakete wahre ideal

    bevor jemand den Einwand auf bringt das Nutzlast nicht die 5000-10000 G aushält.
    Die US Army hat die Artilleriegeschoss „M982 Excalibur“ entwickelt
    Trefferquote des GPS gesteuerter geschoß 4 Meter von ziel, auf Distanz von 40 km !
    und das Raketentriebwerk im Heck, GPS und Steuerung Systeme sind auf
    15000 G Beschleunigung ausgelegt

    Leider unterliegt die M982 Details unterstrenge Geheimhaltung
    somit werden diese Technologie vorerst nicht bei NASA nutzen dürfen 🙁

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