Die Sache mit den Visionen

Einstein wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Wer Visionen hat soll zum Arzt gehen“. Da praktisch immer, wenn ich über bemannte Raumfahrt schreibe, von Visionen die Rede ist wie Marskolonisierung, wird’s mal Zeit was darüber zu schreiben. Fangen wir mal an eine Definition für eine Vision zu suchen. Für mich persönlich ist es die: „Eine Vision ist eine Vorstellung die nicht unmöglich ist, aber in der derzeitigen Welt nicht vorliegt und auch nicht in absehbarer Zeit erreicht werden kann“. Eine Vision ist z.B. Marin Luthers Ansprache „I have a dream“, denn bis heute sind Schwarze in den USA nicht gleichberechtigt, wie man an dem Fall des Jugendlichen sah, der nur erschossen wurde weil er schwarz war und Kapuzenträger. Vorurteile sind eben durch Gesetze nicht auszurotten. Andere Visionen wären es dass man das Überbevölkerungsproblem in den Griff kriegt oder im Einklang mit der Natur lebt und nicht von erschöpflichen Ressourcen.

Übertragen auf die Raumfahrt bedeutet dass: Etwas was ich in absehbarer Zeit trotz hohem Finanzeinsatz und unter Zuhilfenahme der neuesten Technik nicht erreichen kann ist visionär. Das wäre z.B. der für jeden bezahlbare Passagiertransport in den Erdorbit oder eine Marsexpedition die sich selbst versorgt oder gar eine Marskolonisation. Eine normale Marsexpedition wäre es nicht, denn wie wäre jetzt ohne Problem möglich, würde man sie finanzieren.

Gerne werden dann in der Raumfahrt auch Leute zu den Visionären gezählt, so hört man oft von Wernher von braun oder Sergej Koroljow. Doch waren sie es? Wernher von Braun arbeitete schon als an der A-4 war an Plänen für eine Rakete die den Erdorbit erreichen kann. Sie war damals machbar, nur eben wegen der massiven Bauweise der A-4 recht groß. 15 Jahre später existierten diese Raketen, Das gleiche gilt für die Mondlandung oder den Teil der Wernher von Braun davon oblag – die Raketen. Sie mussten zehnmal größer als die bisherigen sein, das machte sie teuer und neue Entwicklungen notwendig, aber es gab keinen Grund warum dies nicht möglich sein sollte, wenn man es angeht. Ähnliches kann man von Koroljow sagen. Er hatte sogar noch mehr praktische Lösungen – wenn ich nicht Triebwerke so groß bauen kann, wie ich sie brauche, dann bündele ich sei einfach oder verteile den Schub auf 20 Brennkammern wie bei der Sojus.

Nun ein ganz harter Schwenk, denn wie ich feststelle die meisten Blogleser nicht mitmachen – von den Visionen ins jetzt und hier. Bemannte wir unbemannte Raumfahrt sind in allen westlichen Staaten Bestandteil des Forschungsbudgets. Meiner Meinung nach geben wir zu wenig für Forschung und Wissenschaft aus, denn unsere Gesellschaft hängt davon ab dass wir neue Dinge entdecken, von denen sicher nur ein Teil in Produkte umgesetzt werden kann und das meiste Grundlagenforschung ist (davon auch ein Großteil der Raumfahrt), aber von dem Rest lebt unsere Gesellschaft, denn daraus entstehen Produkte, Firmen und Arbeitsplätze. Das mag stinklangweilig sein, dann aber vor allem weil selbst für die einfachsten Erkenntnisse der Wissenschaft man sich Vorwissen aneignen muss. Das ist unbequem, fordernd und es erschließt sich einem nicht ohne weiteres wie ien Bild. Aber so ist das Leben. Schokolade schmeckt auch besser als Möhren, trotzdem isst man besser letztere. Und eine gute Wissenschaftssendung im Fernsehen ist auch teurer und anspruchsvoller als die Krawall-Talkshows, aber dafür verblödete man nicht.

Ich meine man sollte mit diesem Geld verantwortlich umgehen, in der bemannten wie unbemannten Raumfahrt. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit und es ist keine „Gegen die Raumfahrt“-Position. Ich kenne auch die Forschung wie sie betrieben wird an Universitätsinstituten, wo die Mitarbeiter nach BAT bezahlt werden zwei Doktoranten sich eine Stelle teilen, aber Vollzeit arbeiten. Auch diese Forschung wird aus demselben Topf bezahlt. Daher gehört dazu, dass man den Sinn von Projekten hinterfragt. Also z.B. brauchen wir wirklich die Ariane 6? Oder man versucht den maximalen Nutzen zu ziehen indem man z.B. nicht jeden Satelliten neu entwickelt sondern einen Standardtyp, den man modular ergänzt. Genauso kann man Instrumente auf mehreren Missionen einsetzen. Das alles ist nicht neu und wird schon gemacht. Instrumente die auf mehreren Missionen flogen sieht man bei Venus- und Mars Express. Kommunikationssatelliten haben einen gemeinsamen Bus und eine variable kommunikationstechnische Nutzlast etc. Mir wird das noch viel zu wenig in Projekten umgesetzt.

Schwer wird es wenn es um Großprojekte geht. Curiosity ist eine „Flagship“ Mission. So was leistet sich die NASA nicht oft. Nach Wikipedia zählen bisher dazu Voyager, Galileo und Cassini. Wobei ich nur von Cassini gehört habe, dass es auch eine Flagship Mission sei. Der Mitteleinsatz lohnt sich, wenn ich sicher bin, dass ich in absehbarer Zeit nicht durch den technischen Fortschritt nicht dasselbe viel billiger erreichen kann. Wir wissen ja wie schnell manche Technologien sich ändern. Man muss nur mal vergleichen was der MRO an Daten (Menge, Qualität) liefert und was nur 15 Jahre früher der MO mit in etwa gleichem Budget leistete. Bei Cassini bin ich mir sicher ist das Geld gut investiert: Würden wir dieselben Instrumente in besserer Form heute auf den Weg schicken, so bräuchten wir auch eine so große Sonde oder eben 3-4 kleine und wären beim selben Preisschild. An der Tatsache, das die NASA sich nur ein Flagshipmission pro Jahrzehnt leistet sieht man dass dort verantwortlich mit dem Geld umgegangen wird.

Zurück zu den Visionen. Was gibt es an Visionären heute? Wenig, die die oft genannt werden finde ich zutiefst unsympathisch. Da ist Elon Musk der dauernd von Marskolonisation und Senkung der Transportpreise redet, dessen Raketen aber nicht mal die versprochene Startrate erbringen, und dessen Firma inzwischen (nach der nächsten Finanzspitze) zu über 80% von der NASA finanziert wird. Und da ist Zubrin, dessen menschenverachtende Gesinnung inzwischen in Plänen gipfelt den Mars mit einer Dragon zu erreichen (10 m³ für 300 Tage und 2 Personen) ohne Rückflugticket. Das wird wohl kommen, wenn die Astronauten erst mal auf dem Mars gestrandet sind und man dann ein Rettungsprogramm ins Leben ruft.

Ich habe ja schon mal vorgeschlagen: ich nehme durchaus die Argumentation ernst, dass man bemannte Raumfahrt betreibt, weil dies die Leute erfreut, sie sich identifizieren können etc. Das ist dann so wie bei Olympia oder Weltmeisterschaften. Also einfach in dieses Ressort eingliedern. (Innenministerium anstatt Forschungsministerium). Dann wird man sofort feststellen wie groß noch der Forscherandrang ist – bei der deutschen Beteiligung zur ISS war es so, dass die MPI Direktoren ins Wissenschaftsministerium zitiert wurden und eine Ansprache bekamen in der Form „Wie haben nun diesen ISS Forschungsetat, sucht nach Möglichkeiten damit was zu machen“ – also erst das Geld, dann sucht man nach sinnvollen Verwendungsmöglichkeiten. So läuft es nur bei der bemannten Raumfahrt,  Vor allem wäre die Forschung dann frei von den Unwägbarkeiten der bemannten Raumfahrt. Wird diese teurer so geht es ihr nämlich an den Kragen. Das sieht man auch in den USA: Der NASA Haushalt sinkt, gespart wird aber nur an der Forschung. Die bemannten Projekte (ISS, SLS, MPCV, CCDev) bekommen zusammen mehr Geld als vorher.

Ich befürchte nur, dass auch bei diesem Ressort man an der bemannten Raumfahrt herumkritisieren wird. Der Bund, das wurde ja zu Olympia bekannt, fördert den gesamten Sport mit 132 Millionen Euro. Der deutsche Anteil an der bemannten Raumfahrt der ESA beträgt rund 240 Millionen Euro. Also das doppelte. Dafür gibt es dann alle 5-6 Jahre einen deutschen Astronauten an Bord der ISS. Ich glaube den meisten wären einige Goldmedaillen bei Olympia lieber.

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich halte es für falsch, wenn ich einen Blog bezogen auf reale Dinge schreibe und man anderer Ansicht ist, dann mit Visionen zu argumentieren, was sein könnte wenn. Das eine ist die Realität und das andere ist die Vision. Ich kann das eine nicht mit dem anderen rechtfertigen, vor allem wenn ich nicht an der Vision arbeite (ist bei der bemannten Raumfahrt ja nicht erkennbar, als würde man an etwas visionärem arbeiten). Ich gebe gerne zu, das ich als nüchterner Mensch für Visionen der falsche Autor bin, aber es gibt in diesem Blog ja immer die Möglichkeit einen Gastblog zu verfassen.

4 thoughts on “Die Sache mit den Visionen

  1. Die Sache mit den Visionen stammt nicht von Einstein, sondern von Helmut Schmidt aus dem Jahr 1980. Ungefähr seit dem ist Visionen (oder wenigstens langfristigen Plänen) in der Politik auch nichts mehr zu sehen.

  2. Moin,

    das ist doch mal die Idee: Wir lassen die bemannte Raumfahrt vom
    Propaganda-Ministerium (GEZ) finanzieren. Das wäre endlich mal eine
    Sinnvolle Verwendung 😉

    ciao,Michael

  3. Na das ist doch mal nett. Wenn ich zumindest mit Visionen komme, dann schliesse ich die aktuellen wissenschaftlichen Tätigkeien nie aus. Im Gegenteil enthält eine Vision für mich implizit die Forderung, das aktuell technisch machbare auch umzusetzen. Nicht zu Propagandazwecken, sondern um die Wissenschaft vorwärts zu bringen, d.h. um den Erkenntnisgewinn zu fördern.

    Natürlich muss auch über den Nutzen der einen oder anderen Entwicklung diskutiert werden. Aber wie kann eine breitere Diskussion stattfinden, wenn kaum jemand versteht, worum es eigentlich geht? Sollen wir alles irgendwelchen „Experten“ überlassen, die womöglich gar keine sind? – Ich denke, die Sache mit den Visionen hat auch eine gesellschaftliche Dimension, die man beachten sollte, die aber viel zu oft ausgeblendet wird.

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