Lohnt sich das Wiederbefüllen von Satelliten?

Die NASA hat ja kürzlich das erfolgreiche Befüllen als Experiment auf der ISS groß als Nachricht herausgebracht. Nun ich fand das nicht so neu. Das Befüllen durch Progress Raumschiffe wurde schon seit Jahren praktiziert. Ich denke mindestens seit der Mir, aber vielleicht auch schon bei Saljut 6+7. Was bei dem ISS Experiment neu ist, ist das es nicht von einer Auslegung für das Wiederbefüllen ausgeht wie dies bei der ISS der Fall ist, sondern einem Satelliten bei dem die Anschlüsse vor dem Start versiegelt wurden. Dazu wurde die „Hand“ Dextre eingesetzt, zusammen mit einigen Werkzeugen wie Drahtschneidern.

Betrachten wir dies mal von einer anderen Seite aus – dem Betreiber eines Satelliten. Versuchen wir eine Kosten/Nutzenrechnung aufzustellen. Der Treibstoff ist heute die limitierende Ressource für die Lebensdauer. Früher war auch die Leistung der Solargeneratoren ein Punkt, doch mittlerweile hat man UV-beständigere Zellen im Einsatz, deren Verlustleistung so deutlich niedriger ist. Typisch ist heute eine Lebensdauer von 12-16 Jahren. Diese Lebensdauer bedeutet, dass heute Satelliten beim Start teilweise  zu zwei Dritteln aus Treibstoff bestehen.

Nehmen wir mal 12 Jahre an, das war vor einigen Jahren noch ein typischer Wert für die Lebensdauer. Nach Wikipedia braucht man im GTO 50-55 m/s für das „Station Keeping“, dazu kommen noch je 2-6 m/s für die Lagekontrolle und das Entsättigen von Drallrädern. Nehmen wir als Durchschnitt so 60 m/s pro Jahr an, so braucht der Satellit 720 m/s während dieser 12 Jahre.

Bei einer Masse von 2000 kg ohne Lageregelungssysteme und einem Faktor von 1/8 für Druckgastanks und Druckgas inklusive Druckgasflaschen beträgt dann die Startmasse zu Beginn des Betriebs 2.700 kg, wenn man von einem spezifischen Impuls von 2800 m/s ausgeht (die kleinen Lagereglungsdüsen sind nicht so leistungsfähig wie die größeren Systeme). Dazu kommt dann noch der Treibstoff für das Erreichen des GEO-Orbits und das Triebwerk, sowie die ganzen Verniertriebwerke, diese sollen ein typisches Voll/Leermasseverhältnis von 1/7 aufweisen. Je nach Startort (Cape Canaveral/Kourou) kommt man so auf eine Startmasse von 4.888 kg (Kourou) bzw. 5.554 kg (Cape Canaveral).

Welche Auswirkung hat es nun, wenn man den Betrieb um drei Jahre auf 15 Jahre erweitern will? Zuerst einmal möchte man denken nicht viel. Das sind 180 m/s mehr bei einem Gesamtgeschwindigkeitsbedarf von 2220 m/s bzw. 2520 m/s. Also 8,1 bzw. 7.1% im linearen Fall. Es ist aber nicht ganz so einfach. Solange bis dieser Treibstoff benötigt wird, ist er tote Masse, der bei allen anderen Kurskorrekturen und Bahnänderungen vorher als Ballast mitbewegt wird. In der Realität würde die Startmasse auf 5.281 kg (Kourou) bzw. 6.001 kg (Cape Canaveral). 216 kg mehr Treibstoff für diese drei Jahre führen zum Anstieg der Startmasse um 393 kg bzw. 447 kg.

Wann könnte nun für einen Betreiber eines Satelliten das Auftanken attraktiv sein. Bei einer langfristigen Planung wird man einen Satelliten vor Erschöpfen des Treibstoffs durch eines neues (meist leistungsstärkeres) Exemplar ersetzen. Es kann individuelle Gründe geben eine Befüllung in Betracht zu ziehen, z. B. wenn der Nachfolger bei einem Fehlstart verloren ging oder sich die Fertigung verzögert. Für das Groß der Satelliten ist es jedoch eine einfache Abwägung: Wenn das Befüllen billiger ist als ein neuer Satellit so lohnt es sich. Für einen mittelgroßen Satelliten der 5 t Klasse muss man heute mit Investitionskosten von 400-450 Millionen Dollar inklusive Stzart und Versicherung rechnen. Verteilt auf 12-15 Jahre Betriebsdauer kommt man so auf rund 30-35 Millionen Dollar pro Jahr.

Nun die Gegenrechung. Was kann man in den GEO-Orbit bringen und was kostet das? Wir brauchen natürlich Treibstoff, nicht nur zum Auffüllen, sondern auch um vom GTO in den GEO zu kommen und zu manövrieren. Dann braucht man einen Satellitenbus mit Stromversorgung, Steuerung, Thermalhaushalt, Kommunikation, Annäherungssensoren und das Refüllsystem zusammen mit einem Greifer und Werkzeugen.

Die Abschätzung ist schwierig. Das ATV Busmodul als Beispiel für einen ISS-Versorger fasst 6.760 kg Treibstoff und wiegt 5.320 kg. Das entspricht einem Treibstoffanteil von 56%. Natürlich ist eine Optimierung möglich. anstatt automatisch anzukopppeln kann man durchaus den Tanker von dem Kontrollzentrum aus aufgrund der Daten von Videokameras steuern. Es kann also einfacher sein. Aber auf der anderen Seite wiegen natürlich Solargenerator, Computer, Steuerung etc. bei einem kleineren Modell weniger als bei einem großen, zumindest prozentual, man kann ja nicht die Stromversorgung soweit herunterskalieren. Dazu kommt das Refüllsystem und die Werkzeuge die im ATV Servicemodul nicht enthalten sind. Also könnte man auch von einem Treibstoffanteil von 56% auch bei unserem Gefährt ausgehen. Viel höher wird er nicht sein, alleine schon weil Tanks und Triebwerke ja schon für 14% der Gesamtmasse stehen. Das wären bei einem Falcon 9 Start mit Maximalnutzlast dann 1.520 kg von 2.713 kg im GEO Orbit. Das wären bei den obigen Beispiel (216 kg Treibstoff für drei Jahre) ausreichend für sieben Auffüllungen. Wenn also die Satellitenbetreiber tatsächlich einen guten Teil der Einsparungen an den Betreiber dieses Befüllservices abgeben würden, dann würde es sich lohnen. Wenn es nur 50% der obigen Summe wären (15-17,5 Millionen Dollar pro weiteres Betriebsjahr, so würde das Vehikel 315 – 367 Millionen Dollar in die Kasse spülen, natürlich abzüglich der Betriebskosten und Herstellung/Start.

Allerdings ist es nicht ganz so einfach: Seit es Kommunikationssatelliten gibt, werden sie immer leistungsfähiger, tragen immer mehr Transponder und senden mit höherer Leistung und höherer Datenrate. verglichen dazu sind die Investitionskosten nur moderat angestiegen. Ein neuer Satellit bringt mehr Gewinn ein als ein alter. Der alte blockiert aber den Slot von dem man aus senden darf.

Daneben sind auch noch viele Dinge ungeklärt. Wie soll z. B. dass Befüllen erfolgen, wenn tatsächlich mal ein Zugang geschaffen wurde und der Tankanschluss auch passend ist? In den Tanks herrscht ein Druck, der nötig ist um den Treibstoff in die Leitungen zu pressen. Gegen diesen Druck muss man den Treibstoff anpumpen, was bedeutet das das Gefährt einen höheren Tankdruck aufweisen muss, was schwere Tanks und mehr Druckgasflaschen bedeutet. Oder man verwendet eine turbopumpe die man wie bei einem Raketenantrieb über einen Gasgenerator antreibt. Dann braucht man einen Teil des Treibstoffs für die Pumpe und hat ein empfindliches mechanisches System an Bord.

Ist das Modell aber prinzipiell falsch? Nein, nur nicht in der Weise wie es betrieben wird. So mag es sich lohnen, aber der Aufwand ist doch relativ hoch, der Nutzen gering. Wenn man die Randbedingungen ändert, z. B. Satelliten auf die Wiederbefüllung ausgelegt sind (einfacher Zugang, kein Werkzeug nötig, standardisiert, Entlüftung der Tanks vor dem Befüllen möglich) und die Versorgung ändert dann kann es lukrativ sein. Obiger Satellit würde z.B. wenn er nur Treibstoff für ein Jahr Betrieb hat beim Start 3600 kg anstatt 4888 kg beim Start von Kourou aus wiegen. Den gesamten Lageregelungstreibstoff könnte dann ein Versorgungstransporter bringen. Platz genug gäbe es, denn den meisten Treibstoff braucht er ja um erst in den GEO Orbit zu bringen. Würde man die Tanks voll füllen, so könnte der Satellit ganze 25 Jahre lang betrieben werden.

Der Knackpunkt ist es den Treibstoff nicht genauso energieaufwendig zu transportieren. Satellitenbetreiber wollen nicht ihre Satelliten vom LEO in den GEO herufspiralen lassen. Das dauert Monate (Verdienstausfall) ist aufwendig (zusätzliche Kosten für Missionsbetreuung) und es gibt das Risiko von Strahlenschäden durch zwei Strahlungsgürtel. Alle Einwände gelten nur begrenzt für einen Tanker. Er hat jede Zeit der Welt den Zielorbit zu erreichen. Es ist nur ein Tanker, der aber viele Satelliten versorgen kann (Kostenersparnis) und der Treibstoff kann rund um den zentralen Teil mit der Elektronik angeordnet werden (Strahlenschutz). Realistisch kann man so leicht 50% der Startmasse in den LEO (bei längerer Flugzeit auch deutlich mehr) in den GEO bringen. Bei einem Ariane 5 Start also rund 11 t. Bei 56% Treibstoffanteil würde dann ein Tanker mit 6.160 kg Treibstoff ausreichen um neun Satelliten der obigen 5 t Klasse mit Treibstoff für einen betrieb von je 12 Jahren auszurüsten. In der Summe ist es fast ein Nullsummenspiel: Das entspricht bei Ariane 5 ECA einer eingesparten LEO-Nutzlast von rund 25.740 kg, gegen die ein zusätzlicher Start eines 22 t schweren Tankers zu rechnen ist.

Bei anderen Trägern bei denen zwischen LEO und GTO größere Unterschiede Bestehen (Proton, Falcon 9) sieht es günstiger aus und dies ist ja nur der Anfang: Der Satellit muss nur einmal transportiert werden. Er kann dann nochmals nachgetankt werden und dann wird es interessant: Bei den zweiten 12 Jahren (sofern technisch möglich) spart man den Start von sieben Satelliten mit je 4,9 t Masse ein, und benötigt anstatt 3,5 Ariane 5 Starts nur einen für den Tanker.

2 thoughts on “Lohnt sich das Wiederbefüllen von Satelliten?

  1. Für das Umpumpen kann man auch einen Antrieb mit Elektromotor nehmen. Es stört ja nicht, wenn das Umpumpen einige Tage dauert, dafür sollte die Energie von Solarzellen reichen. Noch besser sieht es bei elektrischen Triebwerken aus: Die brauchen eine leistungsfähige Energieversorgung, sind aber nach dem Ankoppeln abgeschaltet. Die dann verfügbare Energie dürfte locker zum Umpumpen reichen.

    Es gibt aber auch eine Alternative zum Tanker. Antrieb und Lageregelung nicht direkt in den Satelliten bauen, sondern in ein angekoppeltes Modul. Wenn der Sprit alle ist, braucht man nur das Antriebsmodul zu ersetzen. Damit kann man sich den ganzen Aufwand für das Auftanken sparen. Und noch einen Vorteil hätte diese Methode: Drallräder neigen dazu, nach einiger Zeit auszufallen. Wenn die im Antriebsmodul sitzen, läßt sich auch dieses Problem lösen.

  2. Also LSP sind recht konservative Leute, die wollen auch immer drei Firmen haben die Satelliten starten können, nur zur Absicherung. Der Ansatz ist gut aber genauso wenig wie wegen dem Konservatismus wohl meine Überlegung umgesetzt wird, genauso wenig würde man wohl ein solches Modul einsetzen. Das dann übrigens auch nicht mit chemischem Treibstoff arbeiten müsste.

    Es gäbe natürlich noch offene Fragen z.B. wie angekoppelt wird und wie gesteuert (vom Satelliten aus – Problem der Datenverbindung) oder von einer Bodenstation aus (gleich zwei Kontrollzentren für einen Satelliten).

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