Bewegung in der ISS-Versorgung

Vor ein paar Jahren hätte der Vorschlag der neu gegründeten Firma „Space Transportation Services“ (STS) wohl eine Eingangsbestätigung der NASA bekommen und dann nach einigen Wochen eine höffliche Ablehnung. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Budget ist nach dem Haushaltsrestriktionsgesetz auf Jahre festgeschrieben, sinkt also inflationskorrigiert, gleichzeitig sollen neue teure Programme wie die SLS finanziert werden. Zum zweiten Mal hintereinander hat die NASA nur etwas mehr als Hälfte des beantragten CCDev Budgets bekommen, was den bemannten Jungfernflug erneut weiter in die Zukunft verschiebt.

So sah man sich das Angebot von STS doch genauer an. Früher hätte man nicht mal das getan. Die Firma will wenn die Verträge des CRS auslaufen, die weitere Versorgung des US-Anteils der ISS übernehmen, wahrscheinlich auch den europäischen Abteil, das die ESA ja lieber ein Servicemodul für das MPCV entwickelt. Das geht natürlich nur wenn man preiswerter ist – und das ist STS mit Sicherheit.

Die Firma setzt auf einen komplett neuen Ansatz: Ein Transporter der nur 1-3 Monate an der ISS angekoppelt ist, muss weder weltraumtägliche Komponenten enthalten, die für jahrelangen Einsatz qualifiziert sind, noch druckdicht über Jahrzehnte sein. Die Firma will einen Transporter konstruieren der kompatibel zu mehreren Trägerraketen ist, bei leistungsfähigeren soll die Nutzlast ansteigen. Sie fertigt nur den Transporter, anders als die beiden bisherigen Versorger bucht sie für den Start bei den verfügbaren Launch Service Providern.

Ein Punkt war es die beförderte Fracht zu maximieren, so besteht der Frachtzylinder aus Teilen vergleichbar den  Space Shuttles ET. Die Firma hat von Boeing die Fertigungswerkzeuge gekauft und will daraus einen Zylinder von 4,19 m Durchmesser, das ist genau 50% des ET-Durchmessers und 7 m Länge fertigen. Vorne wird dieser durch einen Standard Berthering Mechanismus abgeschlossen, hinten durch einen halbkugelförmigen Tankdom. Wie beim Shuttletank ist er mit einer Isolierung besprüht, diesmal um ein zu starkes Auskühlen und Aufheizen zu verhindern. Der Shuttle-ET ist für einen Druckunterschied von 4 bar qualifiziert, das reicht aus. Sollte ein Mikrometeorit die Hülle durchschlagen, was während der kurzen Missionsdauer unwahrscheinlich ist, so wird ein automatisches System die Tür zur ISS verschließen. So wiegt der Behälter nur rund 1900 kg, während das in den Abmessungen vergleichbare MPLM etwa zweieinhalb mal schwerer ist.

Innen hat die Firma auf Racks verzichtet und die Verpackungsbeutel auch. Beides macht bei bisherigen Transportern etwa ein Drittel der beförderten Bruttomasse aus. Stattdessen wird der Behälter voll bepackt und Hohlraum mit Polystyrolkugeln gefüllt. Das Material ist leicht (1,04 kg/m³) und man bräuchte davon nur 100 kg davon, um den ganzen Behälter zu füllen. Das ist jedoch nicht geplant, die letzte Schicht wird durch ein Netz gesichert. James Livermoore, Präsident der Firma erklärt „This is proven Technology, with Styropor nearly everything is shipped. If NASA wants, we can cut the material in every shape, but we prefer small balls, coated with a Glue“. Der Kleber von dem die Rede ist, soll verhindern dass die Kugeln in der Schwerlosigkeit überall herumfliegen. Es ist der gleiche Kleber wie auf den Post-It zetteln – stark genug um die leichten Kugeln aneinander zu binden, aber trotzdem leicht ablösbar. So kann die Nutzlast maximiert werden.

Das teuerste an einem Transporter ist aber der Bus, im Normalfall ein Satellitenbus der den Frachtbehälter zur ISS bringt. Hier bricht STS radikal mit der Vergangenheit. „The Servicemodule uses Commercial-Off-The-Shelf Technology.- It will be active for about one Week, probably much less, we think we can dock in 3 days and undock in one day. We don’t see the need for expensive Space-qualified Technology“. So verwendet sie normale Embedded Rechner mit Atom-CPU, normalen Speicher. Anstatt Hydrazin nutzt er Wasserstoffperoxid und Kerosin als Treibstoff – beides ist hypergol, die Selbstzersetzung des Wasserstoffperoxids sorgt zudem für den ausreichenden Tankdruck in diesem Tank, beim Kerosinrank wird eine Stickstoffdruckgasflasche eingesetzt. Die Mischung wird durch einen Platindraht in der Brennkammer entzündet, der als Katalysator wirkt. Das Solarpanel setzt normale Siliziumzellen ein, keine weltraumqualifizierten Galliumarsenidzellen. Es verliert nach 3 Monaten stark an Leistung doch eine Mission wird wahrscheinlich maximal einen Monat dauern. So will STS das ganze Servicemodul recht preiswert fertigen. Es soll 2 bis 2,5 t wiegen je nach Höhe der Umlaufbahn in der die Rakete den Frachter aussetzt. Das lässt bei einer Startmasse von 12 t noch rekordverdächtige 7,5 bis 8 t für die Fracht übrig.

Eine aktive Steuerung wird es nicht geben. Der gesamte Transporter wird durch einen Funkkanal von der Bodenstation aus gesteuert und später von der Besatzung. Er verfügt einen Radarverfolgungssender und GPS-Empfänger/Sender im Avionikteil und Lichter (Blinklichter und feste Leuchten) am Vorderteil, dazu noch eine Videokamera über der Kopplungsstelle. Die Bodenkontrolle steuert den Transporter nach GPS-Angaben und Radarverfolgung bis in den Nahbereich der ISS. In 3,5 km Entfernung übernimmt die Besatzung, nachdem ein Link aufgebaut wird und die GPS-Differenzdaten ausgetauscht werden. Das Signal der Kamera wird zur ISS übertragen und selbst bei Nacht ist der Transporter durch die Lampen sichtbar. Er wird so von der Besatzung mit einem Joystick bis auf 10 m an die ISS herandirigiert, dann vom Canadaram gepackt und angekoppelt.

Vor allem aber ist der Transport billig. Die Firma rechnet mit Startkosten von 260 Millionen Dollar bei einem Start mit einer Atlas 400er Serie, 200 Millionen Dollar bei einer Proton oder Zenit und 140 Millionen beim Start mit einer Falcon 9. In allen drei Fällen können mindestens 7,5 t Fracht transportiert werden. Bei einer Rakete mit 20 t Nutzlast wie der Atlas 551 oder Proton kann man den Behälter um 3 m verlängern und die Zahl der Tanks im Servicemodul erhöhen. Dann könnten 14 t Fracht befördert werden. Das würde mit der Atlas 551 rund 320 Millionen Dollar kosten und mit der Proton 210 Millionen Dollar.

Die Firma rechnet vor, das im ungünstigsten Fall 6 Flüge die 40 t transportieren könnten, über die die NASA derzeit Verträge mit OSC und SpaceX abgeschlossen hat, dafür aber im ungünstigsten Fall nur 1560 Millionen Dollar zu berappen sind, anstatt 3500 die die NASA derzeit zahlt. Im günstigsten Fall (drei Starts zu je 14 t mit der Proton) wären es nur 630 Millionen Dollar. In beiden Fällen kämen noch 200 Millionen Dollar Entwicklungskosten dazu.

Die NASA hat das Konzept geprüft und für das nächste Haushaltsjahr eine Startfinanzierung angekündigt. Der Grund ist leicht einzusehen – der Vorschlag spart viel Geld, das man braucht um das CCDev vorwärts zu bringen. Es gilt als ausgemachte Sache, dass die weiteren Transportaufträge teurer werden. Beide Firmen sind nun etabliert und werden ihre Preise anheben.

Schlussendlich setzt sich auch bei der NASA die Erkenntnis durch, das ein Versorgungstransporter für die ISS nicht die Anforderung erfüllen muss, die jahrelang autonom arbeitende Satelliten erfüllen müssen. Nur die Sicherheit der Besatzung muss gewährleistet sein. Das scheint bei der Verwendung der Tankteilen gegeben zu sein, es gab ja schon mal die Idee aus dem ET eine Raumstation aufzubauen. Er muss sogar höhere Belastungen aushalten als ein ISS-Modul, da er beim Start mit fünfmal dichteren Sauerstoff gefüllt ist.

In einer ersten Stellungnahme führt die NASA weitere Vorteile an. „.. an unexpected Plus is the Payload capacity and the much lower workload for the Astronauts for Docking and Undocking Manoevers. We need only one Transport per Year instead of three to four. Also we can expand with the lower Costs and lower Launchfrequency the Crew up to to ten Persons.“. Man wird also die Möglichkeit ausnützen dass die bisherigen CCDev Vehikel für den Transport von sechs bis sieben Personen ausgelegt sind. Eventuell könnte dieser neue Anbieter zu einer Renaissance der ISS führen. Zum einen gibt es ja kein anderes bemanntes Raumfahrtprojekt am Horizont, zum anderen steht nun ein weiterer Dockingadapter zur Verfügung. Es gibt derzeit zwei, wovon einer als Ausweichplatz ausgelegt ist, (bisher aber noch nie genutzt weil bis zu drei Transporter im US-Teil andocken müssen. Hier könnte ein weiterer Verbindungsknoten mit Kopplungsdapter angebaut werden und neue Module. Zwei im Rohbau fertige gibt es ja schon, sie wurden nicht mehr gestartet um Kosten zu sparen.

5 thoughts on “Bewegung in der ISS-Versorgung

  1. Das hört sich ja mal super an!! Hoffentlich wird das umgesetzt damit die noch vorhandenen Gelder sinnvoller eingesetzt werden. SpaceX würde dieses Projekt vermutlich komplett den Hahn zudrehen?

  2. „SpaceX würde dieses Projekt vermutlich komplett den Hahn zudrehen?“
    Würde es, wenn es nicht Satire wäre. Noch eine Frage an Bernd: Wie stellst du dir das entpacken der Ladung vor? Die Idee ist ziemlich gut, aber hat man dann beim auspacken nicht viele frei herumfliegende Brösel bzw. kriegt man ein ausreichend festes Material überhaupt so einfach gelöst?
    Viele Grüße
    Niels

  3. Hast du mal auf die Kategorie gesehen?
    Die Grundidee ist ja noch nachvollziehbar, aber kubikmeterweise Styroporkugeln dürften trotz Kleber in der Schwerelosigkeit ein ziemliches Problem werden. Und nach dem Auspacken müßten die auch irgendwo zwischengelagert werden, samt Transport zum Zwischenlager und nach dem Auspacken wieder zurück zum Frachter.
    SpaceX hat jedenfalls einen Vorteil: Ihre Dragon-Kapsel ist in absehbarer Zeit das einzige Gerät, das nennenswerte Mengen Fracht zur Erde zurückbringen kann. In die Sojus paßt praktisch nur das Handgepäck, keine größeren Frachtmengen.

  4. Das Konzept läßt sich aber noch weiter entwickeln: Statt Styropur Popcorn als Verpackungsmaterial, und Honig als Kleber. Dann hätte man statt nutzlosen Verpackungsmüll eine Notverpflegung an Bord.
    Lem hat in seinen Sternentagebüchern schon vor Jahrzehnten vorgeschlagen, die Inneneinrichtung von Raumschiffen eßbar zu machen. Er hatte dafür sogar einen eigenen Namen erfunden: Raketenkannibalismus. So neu ist die Idee also nicht.

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