Wie kommt man zu Chiron?

Wahrscheinlich werden sich 99% der Blogleser nicht vorstellen können, um was es bei „Chiron“ geht. Chiron ist ein Planetoid, genauer gesagt (2060) Chiron, so benannt nach einem Zentauren. Schon als ich zum ersten mal von ihm hörte, 1980 als ich mir das „Planetenlexikon“ kaufte, fiel er mir auf. Er war damals der fernste bekannte Asteroid, er zieht seine Umlaufbahn zwischen 1369 und 2820 Millionen km Entfernung seine Kreise, der Perihel ist innerhalb der Saturnbahn, das Aphel außerhalb des Perihels von Uranus, aber noch unterhalb der mittleren Uranusentfernung. Derzeit ist er in 2735 Millionen km Entfernung also nahe des Aphels.

Das war schon damals etwas besonderes und ist es heute noch. Heute kennen wir weitere Planetoiden jenseits des Hauptasteroidengürtels, doch befinden sich fast alle jenseits der Neptunbahn. Daneben gibt es noch den Asteroidengürtel und einige Familien von Asteroiden, die sich innerhalb der Umlaufbahn von Mars befinden wie die Apollo- und Amurasteroiden. Die äußersten der innersten Planetoiden sind die Trojaner die sich in der Entfernung von Jupiter befinden, aber 60 grad vor und nach dem Planeten, dort befinden sich stabile Lagrangepunkte.

Bis heute sind weniger als 10 Asteroiden bekannt, die zwischen Saturn und Uranus ihre Kreise ziehen. Chiron ist mit 218 km Größe der größte dieser Zentauren. Inzwischen hat man bei ihm eine Koma entdeckt, seitdem gilt er auch als der größte bekannte Komet, der wegen seiner großen Entfernung jedoch nie einen Schweif ausbilden wird. Er ist also ein durchaus interessantes Objekt und weitaus leichter erreichbar als die Transneptunobjekte.

Ich habe mich daher damit beschäftigt wie man zu Chiron kommt. Meine Hauptüberlegung gilt der Minimierung der Reisezeit und der Geschwindigkeitsänderungen im äußeren Sonnensystem.

Fall 1: Start zu Chiron + Bahnanpassung

In diesem einfachsten Fall startet man von der Erde aus in eine Ellipse mit einem Perihel in Erdentfernung (150 Millionen km) und einem Aphel in Chirons Entfernung (2820 Millionen km Entfernung).

Dieser Fall ist einfach berechenbar. Die Startgeschwindigkeit von der Erde (relativ zur Erdoberfläche ohne Berücksichtigung der Erdrotation) aus beträgt dann 15.566 m/s. Die Reisezeit  15 Jahre 234 Tage. In Chirons Entfernung angekommen, muss man das Perihel dann von 150 auf 1259 Millionen km Höhe anpassen. Das kostet weitere 3211 m/s. Eine Atlas 551 mit einer Star 48 Stufe, als leistungsfähigste momentan verfügbare Trägerrakete, kann nur 988 kg auf diese Geschwindigkeit befördern. Davon bleibt dann noch 356 kg übrig, wenn man die Geschwindigkeit erhöht. Von dem gewicht muss man dann noch die Trockenmasse des Antriebssystems abziehen, doch da dieses bei allen anderen Sonden auch eingeschlossen ist habe ich dies unterlassen. Das ist also sowohl von dem Geschwindigkeitsaufwand wie auch der Reisedauer nicht so attraktiv. Aber es hat den Vorteil, dass man jederzeit starten kann. Man kann so sogar Chiron früher erreichen wenn er nicht im Aphel ist. Allerdings ist dann der Geschwindigkeitsaufwand höher um die Bahn anzugleichen. Chiron hat eine Umlaufszeit etwas über 50 Jahren. Das heißt in 25 Jahren ist er nahe des Perihels und kann so wesentlich schneller in weniger als 3 Jahren erreicht werden.

Fall 2: Ionentriebwerke im Perihel + Bahnanpassung

Diese Betrachtung unterscheidet sich von der ersten darin, dass man in der Sonnenumlaufbahn einen Ionenantrieb einsetzt so wies dies Dawn tat. Ich habe, da alle Missionen mit Ionentriebwerk die durchgeführt oder geplant sind, erst chemisch auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt werden, habe ich dies auch in der Simulation vorgesehen. Eine Atlas 551 beschleunigt die Sonde auf 11,2 km/s das ist eine Bahn mit einem Aphel von 191,4 Millionen km Entfernung. Die Nutzlast beträgt dann noch 6300 kg. Ich fand bei gegebener Leistung des Solargenerators von 100 KW (1170 kg Masse bei den Leistungsdaten von Dawn) den optimalen spezifischen Impuls bei 23500  m/s. Bei Ionentriebwerken sind viele Parameter miteinander verquickt, so Schub, Impuls, Reisedauer und Höhe des Perihels voneinander abhängen. Je höher das Perihel liegt, dieses liegt desto besser ist dies, da man dann weniger chemischen Treibstoff braucht um die Bahn anzuheben. In diesem Falle wird das Perihel auf 171 Millionen km Höhe angehoben. das reduziert den Verbrauch an chemischem Treibstoff da nun die Differenz Geschwindigkeit nur noch 3072 m/s beträgt.

In diesem Falle beträgt die Flugdauer 13 Jahre 208 Tage,  das Restgewicht nach Verbrauch des Treibstoffs noch 4005 kg, wovon man aber 1700 kg für Solargenerator und Ionentriebwerke/Tanks abziehen muss. Nach Anpassung der Umlaufbahn lässt dies noch 869 kg für die Sonde übrig. Das ist dreimal als beim chemischen Antrieb alleine bei niedriger Reisedauer. Erstrebe ich zum Vergleich die gleiche Reisedauer von 5709 Tagen an, so erhöht sich die Masse leicht auf 4160 kg oder 996 kg nach dem Verbrauch des chemischen Treibstoffs. (weniger da dann das Perihel schon 201 Millionen km Entfernung liegt.

Fall 3: Ionentriebwerke im Perihel + Aphel + Bahnanpassung

Solar-elektrisch betriebene Ionentriebwerke machen nur Sinn, solange wie man genügend Strom hat. Er sinkt wenn sich die Sonde von der Sonne entfernt und irgendwann kann der antrieb nicht mehr betrieben werden. So ergaben meine Simulationen z.B. das oberhalb eines spezifischen Impulses von 30.000 die Sonden in einer Umlaufbahn die Geschwindigkeit im ersten Umlauf um die Sonne nicht schaffen und eine Extrarunde drehen müssen, was Zeit kostet. Doch man kann die Ionentriebwerke auch mit dem Strom aus den RTG betreiben. Das ist nicht viel, aber er steht immer zur Verfügung und wir reden hier von Reisezeiten über einem Jahrzehnt. Im folgenden bin ich von 300 Watt Leistung ausgegangen. Dieser Strom braucht die Sonde später für Instrumente und Sender. Schaltet man die Ionentriebwerke die mit dem Solargenerator angetrieben werden etwas früher ab, sodass nur eine Bahn von 2600 Millionen km Aphel erreicht wird und trennt dann Ionentriebwerke, Solarzellen und Tanks ab so kann die Sonde – nun nur noch 2328 kg schwer – einen zweiten, viel kleineren Antrieb der nur auf 300 W Leistung ausgelegt ist aktvieren.

Die Sonde erreicht dann nur mit den Ionentriebwerken die Bahn von Chiron. Eine Bahnanpassung ist nicht mehr nötig.  Ich errechne wenn das Modul bei 2016 Millionen km Entfernung aktiviert wird eine Bahn von 1244,3 x 2838 Millionen km. Bei Optimierung der Bahnparameter dürfte man so Chirons Bahn erreichen. Die Sonde verbraucht weitere 275 kg Treibstoff. Von der Bruttomasse von 2053 kg dürften etwa 100 kg für die Sonden-Systeme abgehen, sodass 1950 kg zu Chiron gelangen können. Der Wehmutstropfen: Es dauert so 19 Jahre 141 Tage Chiron zu erreichen.

Fall 3: Swing-By an Jupiter + Bahnanpassung

Die klassische Vorgehensweise ist eine Anpassung der Bahn über ein Swing-By Manöver. Es kommen prinzipiell drei Planeten dafür in Frage : Jupiter, Saturn und Uranus. Jupiters Bahn wird zwar nicht von Chiron gekreuzt, er kann jedoch die Bahn soweit anheben, dass man das Aphel von Chiron erreicht. Auch hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Variation, ich habe eine Optimierung auf ein Aphel von 2820 Millionen km laufen lassen. Startet man mit 14.110 m/s von der Erde aus (Minimalgeschwindigkeit zu Jupiter), passiert Jupiter in 1,54 Millionen km Entfernung so erreicht man eine Bahn von 656,5 x 2820 Millionen km Entfernung. Es dauert 23 Jahre bis man das Aphel erreicht und dann muss man nur um 1177 m/s die Geschwindigkeit erhöhen. Von den 1871 kg die eine Atlas V 551 zu Jupiter entsendet bleiben dann noch 1.280 kg übrig.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass Jupiter auch die Bahnebene um 6,9 Grad drehen kann, das ist die Inklination von Chiron und es pro synodischer Periode von Chiron und Jupiter eine Start Möglichkeit gibt, das ist alle 15 Jahre 4 Monate der Fall.

Fall 4 : Swing-By an Saturn + Bahnanpassung

Chiron kreuzt Saturns Bahn. Er kann daher die Bahn relativ effizient anheben. Da man nur ein geringes Δv braucht um das Aphel von 2820 Millionen km zu erreichen, wenn Saturn schon 1427 Millionen km weit entfernt ist habe ich drei verschiedene Simulationen laufen lassen, alle gehen von einer Startgeschwindigkeit von 15133 m/s aus. Eine Atlas V 551 transportiert 1203 kg auf diese Geschwindigkeit. Bedingt durch die nahe Umlaufszeit von Saturn (knapp 30 Jahren) an der von Chiron wiederholt sich eine Startgelegenheit nur alle 72 Jahre.

  • Minimierung des Aphels: Abstand 1204.218 km von Saturn. Eine Bahn von 725,5 x 2820 wird erreicht. Nach 20 Jahren 90 Tagen wird Chiron erreicht. Das Δv zum Anheben des Perihels beträgt hier nur 1003 m/s.  874 kg bleiben nach der Bahnanpassung.
  • Maximierung der Perihels: Abstand 268.705 km von Saturn, eine Bahn von 1264 x -22155 Millionen km wird erreicht. Diese hyperbolische Bahn führt in 10 Jahren 289 Tagen zu Chiron. Leider hat man dort eine Geschwindigkeitsdifferenz von 6703 m/s – das ist nicht mehr korrigierbar.
  • Minimierung der Abweichung von Perihel und Aphel: Abstand 1.071.602 km – es ergibt sich eine Bahn von 760 x 2847 Millionen km Entfernung. Das Δv beträgt hier 932 m/s. In 15 Jahren 32 Tagen hat man Chiron erreicht. 894 kg bleiben nach Anpassung der Bahn.

Fall 5: Swing-By an Uranus

Uranus liegt je nach Abstand schon beim Aphel von Chiron, allerdings mit einer anderen Inklination. Er müsste nur das Perihel anheben. Es zeigte sich bei den Simulationen, das dies sehr heikel ist. Nur wenige Meter pro Sekunde mehr bei der Startgeschwindigkeit und man bekommt bei gegebenem Perihel ein Aphel das in 5000 oder 8000 Millionen km Entfernung liegt. Startet man mit 15.747 m/s von der Erde aus, so erreicht man eine Bahn von 1260 x 5560 Millionen km Entfernung nach einer Passage von Uranus in 150.845 km Entfernung. 1581 m/s müssen zum Abbau des Aphels kompensiert werden. Von den 909 kg die eine Atlas V 551 auf diese Geschwindigkeit transportiert, bleiben nur noch 550 kg übrig, dafür ist mit 14 Jahren 331 Tagen dies die zweitschnellste Bahn.

Uranus ist aber aus zwei anderen Gründen unattraktiv. Da er sich nahe des Aphels von Chiron befindet müsste, wenn man Chiron danach schnell erreichen will Chiron auch dort sein, da die Bahnen aber zueinander geneigt sind wird das nicht möglich sein. zudem ist dann nur ein Flug bei einer synodischen Periode von Chiron und Uranus möglich, das ist wegen der ähnlichen Umlaufszeiten nur alle 123 Jahre der Fall

Zusammenfassung

Hier alle durchgespielten Fälle als Tabelle:

Fall Startgewicht Sonde Trockengewicht (aber mit Treibstoffsubsystemen) Reisedauer Startgelegenheit
Elliptische Bahn 988 kg 356 kg 15 J 234 Tage Jedes Jahr
Ionentriebwerke im Perihel 6300 kg 869 kg 14 J 248 Tage Jedes Jahr
Ionentriebwerke im Perihel und Aphel 6300 kg 2053 kg 19 Jahre 141 Tage Jedes Jahr
Jupiterswingby 1871 kg 1280 kg ~23 Jahre Alle 15 Jahre
Saturnswingby (bester Fall) 1280 kg 894 kg 15 Jahre 32 Tage Alle 72 Jahre
Uranusswingby 909 kg 550 kg. 14 Jahre 331 Tage Alle 123 Jahre

Betrachtet man die Tabelle, so wird klar das es es einen offensichtlichen Sieger gibt: Die Nutzung eines kleinen Ionentriebwerks das den übrigen Strom der RTG nutzt um das Perihel anzuheben. Ein solches Triebwerk muss über 16 Jahre arbeiten, doch da die Sonde sowieso 19 Jahre unterwegs ist, hat man ja die Zeit.

Das für mich erstaunliche ist, ist dass man mit der heutigen Technik und Vorgehensweise, einer Atlas V, keiner SLS, man etwa 1950 kg netto zu Chiron bringen kann – das ist schon eine ordentliche Sonde, doppelt so schwer wie Voyager oder Galileo (ohne Treibstoffe). Die Mission wäre also durchführbar wenngleich wegen der langen Missionsdauer nicht so attraktiv.

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