Sabotage!

Wie schon in den letzten Wochen ergibt sich mein heutiges Thema als Abfallprodukt der Recherche für das neue Buch (oder besser gesagt: Bücher). Ich habe mich mit den Ursachen der Fehlstarts der Ariane 5 beschäftigt. Wie vielleicht dem einen oder anderen bekannt gab es bei Ariane 1-4 insgesamt 7 Fehlstarts aufgrund folgender Ursachen (Kurzform, mehr im Buch):

  • L02: Verbrennungsinstabilität in einem Viking Triebwerk führt zum Durchbrennen und Kontrollverlust.
  • L05: erhöhte Reibung an der Turbopumpe der dritten Stufe führt zu Schubverlust
  • V15: Zündung der dritten Stufe misslingt
  • V18: Zündung der dritten Stufe misslingt
  • V35:Schubverlust in einem Viking Triebwerk der ersten Stufe und Feuer in einem PAL
  • V63: Unzureichende Leistung der Turbopumpe der dritten Stufe
  • V70: Unzureichende Leistung der Turbopumpe der dritten Stufe

Es gibt da eine Auffälligkeit: Das erste ist das Fehlerursachen mehrfach vorkommen. Die Zündung der dritten Stufe misslang zweimal und dreimal hatte die LOX Turbopumpe zu geringe Leistung. Allesamt wegen erhöhter Reibung. Das zweite ist, dass diese Fehlschläge immer in einem engen zeitlichen Fenster stattfanden. Zwischen V15 und V18 lag kein Jahr und V63 und V70 fanden ebenfalls im gleichen Jahr statt.

Doch am auffälligsten war V36. Die Rakete wurde nach 104 Sekunden durch Selbstzerstörung zerstört und 380 Teile, darunter das Triebwerk, das versagte konnten geborgen werden. Was fand man dort? In einer Leitung fand sich ein 30 cm langes zweifach verknotetes Tuch. Es verstopfte Die Leitung und das Triebwerk D fiel dadurch aus. Ein "P.M. Magazin" brachte 1990 einen Beitrag über Sabotage und an den erinnerte ich mich. Nun ist das "P.M. Magazin" nicht unbedingt die zuverlässigste Quelle, aber P.M. zitierte Le Monde und das ist schon eine etwas andere Quelle. Le Monde führte folgende Indizien für Sabotage an:

  • Die Stufe war über Weihnachten mehrere Wochen unbewacht in einer Montagehalle in Kourou. Das betreffende Leitungsstück kann in 10 Minuten demontiert und erneut montiert werden → Es gab die Gelegenheit
  • Das Tuch wird nicht in der Fertigung verwendet. Dort werden Wischtücher aus Papier und nicht als Stoff eingesetzt → Es ist ein Fremdkörper der nicht bei der Reinigung vergessen worden sein kann.
  • Es war zweimal verknotet → Macht man so was mit Reinigungstüchern oder wenn man sicher gehen will, das es die Wasserleitung blockiert?

Ich würde es noch um etwas weiteres ergänzen: Zur gleichen Zeit gab es auch ein Leck und ein Feuer im PAL Booster 3. Dieser wurde von MBB/ERNO und nicht von Aerospatiale gefertigt. Ein Versagen von zwei Triebwerken bei unterschiedlichen Systemintegrationen zur gleichen Zeit? Etwas Statistik. Es gab 814 Einsätze der Viking V Triebwerke. Davon hatten 3 Defekte. Zwei dieser 3 kamen bei einem Einsatz vor. Das ist bei den 8 Triebwerken der Ariane 44L statistisch unwahrscheinlich: Die Chance dafür besteht bei 1:9200. Also bei 9200 Flügen hätte es statistisch einmal vorkommen sollen, das zwei Triebwerke bei einer Rakete defekt sind. Wenn jemand aber auf Nummer sicher gehen will, dann würde er wohl genau dies machen.

Offiziell war es keine Sabotage. Aber ist das verwunderlich? Für Raumfahrtbegeisterte zählt vielleicht, dass die Rakete selbst "unschuldig" ist. Für Arianespace und einen Kunden sieht es anders aus: Fehler kann man aufspüren und beheben. Gegen Sabotage kann man sich nur unzureichend schützen. Wer garantiert, dass nicht noch einmal ein Sabotageakt durchgeführt wird, wenn man den Attentäter nicht gefunden hat?

Auf jeden Fall hat man danach einiges geändert: Die Sicherheit in Kourou wurde drastisch gehört. Seitdem ist das CSG mit Stacheldraht eingezäunt und die Fremdenlegion bewacht das Gelände. Alle Leitungen wurden eine Zeitlang sogar mit Video untersucht, bis zu Produktionsende wurde getestet ob nicht Fremdkörper darin sind (später allerdings meist mit Golf / Tischtennis und Tennisbällen).

Frage: War Sabotage auch Ursache der anderen Fehlstarts? Nun L02 war ein klassischer Fehlstart. Danach wurde der Einspritzkopf geändert und seitdem vor Einbau geprüft. L05 führte zu einer Änderung der Konstruktion der Turbopumpe, aber eventuell nicht ausreichend, denn ein ähnliches Problem ergab sich ja bei V63 und V70. L05 war auch noch so früh nach dem Erststart, dass der kommerzielle Erfolg noch nicht sicher war, vor dem ersten kommerziellen Flug überhaupt.

Bei V16 und V18 galt dies schon nicht mehr. Aber die Zündung wurde danach überarbeitet und das Triebwerk, welches die Gase zündete verstärkt und die Zündflammengeometrie geändert. Das lässt auf einen Designfehler schließen.

V63 und V70 haben dieselbe Ursache ein "unbekannter Fremdkörper eine erhöhte Reibung bei der LOX Sauerstoffpumpe" verursachte. Als wichtigste Maßnahme wurden auch hier Filter eingebaut. Die Frage ist nun: Sabotage oder Nachlässigkeit in der Produktion? Schwer zu beantworten. Bei der dritten Stufe ist eine Bergung nicht möglich. Es gibt nur die Telemetriedaten. Aber Fremdkörper – wie sollen die in die dritte Stufe kommen? Und warum scheitern 2 Starts in einem Jahr an derselben Ursache?

One thought on “Sabotage!

  1. Wie sieht es denn mit „administrativer“ Sabotage aus?

    Warum nähern sich die USA an das Fusionsreaktor Projekt
    immer dann an wenn die anderen Parteien sich ausnahmsweise
    einmal einig sind und warum geht der Streit dann wieder los?

    Warum wurde z.B. beim A400M ein zu Bush Freund Aznar Zeiten
    angefangenes europäisches Projekt unter spanischer Führung so „erfolgreich“
    gegen die Wand gefahren ( und jedes Controlling seitens der Airbus Mutter
    abgebogen ).

    uwe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.