Der hyperbolische Exzess

In meiner kleinen Rubrik: „Grundlagen einfach erklärt“ will ich mich mal mit einem Phänomen beschäftigen das eigentlich ganz einfach ist, aber doch von manchen nicht verstanden wird. Unter der Bezeichnung „Hyperbolischer Exzess“. versteht man die Restgeschwindigkeit die übrig bleibt, wenn eine Raumsonde die Erde verlässt (übertragen natürlich auch bei anderen Planeten). Exzess deswegen weil es ein Überschuss ist, und hyperbolisch weil die Flugbahn dafür eine hyperbolische sein muss (Startgeschwindigkeit liegt über der Fluchtgeschwindigkeit).

Ein Beispiel: Eine Raumsonde verlässt die Erde mit 12 km/s aus einer niedrigen Erdumlaufbahn bei der die Fluchtgeschwindigkeit 11 km/s beträgt. Welche Geschwindigkeit hat sie nach Verlassen des Erdgravitationsfeldes?

Sie meinen 1 km/s? Dann lesen Sie weiter. Wenn sie 4.8 km/s meinen, dann können sie nun aufhören zu lesen, denn das ist richtig.

Warum sind es nicht 1 km/s (12-11=1)? Weil wir mit Energien rechnen. Hat ein Körper die doppelte Geschwindigkeit so hat er nach E = ½ mv². die vierfache Energie. Das kennen sie vielleicht auch aus dem Straßenverkehr: Der Bremsweg nimmt quadratisch mit der Geschwindigkeit zu und jemand, der mit 30 km/h in einem Auto sitzt, hat angesichts Gurt, Airbag und Knautschzone gute Chancen mit wenigen Blessuren wegzukommen, während er einen Aufprall mit 60 km/h wahrscheinlich nicht überlebt (doppelte Geschwindigkeit = vierfache Aufprallenergie)

So erklärt sich auch das Paradoxon: Es isst nämlich:

v3 = √ (v1² – v2²)

v1: Geschwindigkeit beim Start

v2: Fluchtgeschwindigkeit an diesem Punkt

v2: Resultierende Endgeschwindigkeit nach Verlassen des Himmelskörpers.

wer Geometrie mag: Es ist auch derselbe Zusammenhang wie bei einem rechtwinkligen Dreieck, bei dem v3 und v2 die Katheten bilden und v1 die Hypotenuse. So reichen um zu Venus und Mars zu fliegen (relativ zur Erde etwa 3-4 km/s) eine Startgeschwindigkeit von 11.4-11.7 km/s also nur 0.4 bis 0.7 km/s mehr als die Fluchtgeschwindigkeit. Bei höheren Geschwindigkeiten wird der Vorteil geringer. Um zu Jupiter zu gelangen (v3=8.7 km muss man mit rund 14.2 km/s starten und um das Sonnensystem zu verlassen (v3=12.3 km/s) braucht man rund 16.7 km/s von der Erde aus.

Neben der Berechnung der Geschwindigkeit bei Verlassen von Himmelskörpern gibt es aber noch einen zweiten Nutzen für dieses Prinzip. Was passiert, wenn ich z.B.. eine Raumsonde zu Jupiter starte und bei passieren des planetennächsten Punktes ein Triebwerk zünde? Dann addiert sich diese Geschwindigkeit zu der der erreichten Geschwindigkeit an diesem Punkt und diese neue Geschwindigkeit ergibt einen viel höheren hyperbolischen Exzess.

Ein Beispiel: Eine Raumsonde nähert sich mit 7 km/s Jupiter (v3=7 km/s) und fliegt bis auf 5000 km an die Wolkenobergrenze heran. Dort beträgt v2 =57.6 km/s. So resultiert eine Geschwindigkeit von 58.0 km/s. v1=√ (57.6²+7²). Nun zünden wir einen Raketenantrieb und beschleunigen um 1 km/s. Welche Geschwindigkeit hat die Raumsonde jetzt? Nun sie beträgt an diesem Punkt 58.0+1.0 = 59 km/s. Nicht verwunderlich. Aber nach der Formel wird im Unendlichen daraus viel mehr:

v3 = √ (v1² – v2²)

v3 = √ (59² – 57.6²) = 12.8 km/s.

Das bedeutet: 1 km/s in der Nähe von Jupiter bedeutet eine Beschleunigung um 5.8 km/s (relativ zu den 7 km/s die man ja schon hat). Innerhalb des Sonnensystems ist natürlich die Sonne der massereichste Körper und daher wäre dasselbe Manöver hier am effizientesten. Die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem beträgt z. B. in 1.5 Millionen km Entfernung 347.5 km/s. Addiert man dann nur einen weiteren km/s, so hat man einen Überschuss von 26.8 km/s erreicht! bei 2 km/s sind es rund 37.5 km/s. Das wäre von Nutzen wenn man eine Raumsonde entwerfen will, die möglichst schnell unser Sonnensystem verlässt.

Wie kommt man aber so nah an die Sonne? Nicht von der erde aus, dazu müsste man nahezu die gesamte Kreisbahngeschwindigkeit von rund 29.8 km/s vernichten. Dazu nutzt man Jupiter: Er hat das Gravitationspotential eine Raumsonde in die sonne stürzen zu lassen (eine derartige Sonde „Solar Probe“ mit einem Hitzeschutzschild war Ende der neunziger Jahre einmal projektiert. Sie sollte Messungen in der Korona vornehmen. Technisch scheint es also umsetzbar.

Bislang sollte der hyperbolische Exzess durch eine Triebwerkszündung nur einmal erprobt werden: Für Galileo war auch eine Trajektorie in Gespräch, bei der die Zündung des Triebwerks bei Passage von Io erfolgen sollte. In diesem Falle hätte man das Graviatationspotential von Io ausgenutzt. Das hätte einige Hundert Meter/s gebracht vergleichen mit einer Zündung in der derselben Distanz. Den gleichen Treibstoffverbrauch erhält man aber auch wenn man noch etwas näher an Jupiter dieses Manöver durchführt und diese Bahn wurde dann genommen.

Auf der anderen Seite: Das Raumsonden nur wenige Hundert Meter/s bis etwas über 1 km/s brauchen um in einen Orbit einzuschwenken – das liegt auch am hyperbolischen Exzess. Für praktische Beispiele der Anwendung und einige Berechnungen lesen sie diesen neueren Artikel.

7 thoughts on “Der hyperbolische Exzess

  1. Muesste sich mit einem einzigen (etwas komplizierteren) SQL-Befehl beheben lassen 😉 Nehme an, dass die alte SQL-Datenbank / das alte WordPress in ISO-8859-1 war und die aktuelle in UTF-8…

  2. Moin,

    und unabhängig von den Umlauten steht wirklich E=mc^2 im Text, wo E=mv^2 hingehört.

    „Hat ein Körper die doppelte Geschwindigkeit so hat er nach E = � mc�. die vierfache Energie.“

    ciao,Michael

  3. Der primäre Grund ist das das C neben dem v auf der Tastatur liegt. Ich kann aber alte Aufsätze nicht mehr editieren ohne alle Umlaute die nun auch als Sonderzeichen enthalten sind nicht nochmals eingeben zu müssen.

    Aber gut das ihr das nach 3 Jahren gemerkt habt….

  4. Das faszinierende an Sonden und Flugbahnen ist für mich, wie sie berechnet werden und daß man das so gut vorausplanen kann und Jahre später die Sonde ankommt wo sie soll. Bei Missionen, die mehrere Swing-by-Manöver beinhalten und verschiedene Planeten und Monde besuchen und über Jahre fliegen, ergibt sich eine unglaublich komplexe Bahnberechnung. Daß man das Jahre voraus berechnen kann und trotzdem auf die Sekunde zum richtigen Zeitpunkt irgendwo Manöver geflogen werden müssen und das paßt, ist für den Laien schwer vorstellbar, auch wenn man weiß, das sich Planetenbahnen recht gut berechnen lassen. Man könnte ja von der Erde aus Befehle senden, wann für wie lange Triebwerke laufen sollen, aber die Kommandos brauchen auch Zeit bis zur Ankunft. Sonden haben ja teilweise Positionssensoren (Fixsterne als Referenz) und können sich im Raum ausrichten. Eventuell können sie dann auch selbsttätig die Bahnkorrekturen berechnen, aber der Bordcomputer müßte dann auch die komplette Bahnberechnung der Planeten durchführen können…
    Das man das im vorhinein planen kann, eine Sonde fliegt zum Jupiter und holt bei Mars & Venus per swing-by Schwung, um dann einen Jupitermond zu umkreisen o.ä. und das nur über Startzeitpunkt und -geschwindigkeit zu wählen, ist krass…

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