Russland ist kein Vorbild

Heute bin ich mal in der Laune, mich wieder bei einigen unbeliebt zu machen. Rühri kann mich schon mal überall als Gegner der russischen Raumfahrt verunglimpfen. Ich bekomme ja immer wieder Mails und auch Kommentare hier im Blog, man möge doch diese oder jene russische Trägerrakete verwenden oder dieses russische Triebwerk und überhaupt hätten es die Russen raus wie man alles preiswert produzieren könnte und die ESA/EADS/Arianespace wären viel zu teuer.

Ich halte das für völligen Blödsinn

Warum? Nun weil verkannt wird, was die Preistreiber bei einer Rakete sind und wie sie produziert wird. Das teure an einer Rakete ist die Arbeit. Es werden so wenige hergestellt, das vieles nicht automatisierbar ist und selbst wenn, dann machen Kontrollen einen großen Kostenfaktor aus. Bei der Saturn V entfielen nur 6 % der Herstellungskosten auf die Materialen, 28 % auf die Fertigung und 66 % auf die Qualitätskontrolle. Eine Rakete ist vereinfacht gesagt so teuer, weil sie noch viele Leute von Hand daran arbeiten und vor allem viel kontrollieren und prüfen. Das machen in der Regel qualifizierte Techniker, die dafür gut bezahlt werden. Die Fertigung ist damit eher mit Einzelanfertigungen vergleichbar. Schon der Vergleich mit Großraumflugzeugen hinkt, weil dort schon mehr automatisiert wird und die Produktionsserien größer sind. Verglichen mit einem Flugzeugbau ist das wie der Vergleich der Fertigung der S-Klasse mit einem Maybach.

Warum sind nun russische und chinesische Träger preiswerter? Ganz einfach, weil bei einem Produkt mit hohem Anteil an menschlicher Arbeit die Lohnkosten die Produktionskosten bestimmen. Das gleiche gilt ja auch für Bekleidung, die vernäht werden muss und daher gibt es in Deutschland gerade noch ein Unternehmen welches Kleider näht. Der Rest konnte mit Billiglohnländern nicht mithalten. Ich wage zu prognostizieren, dass wenn Russland und China westliches Lohnniveau erreicht haben, ihre Raketen teurer sein werden als Ariane 5, die schon auf niedrige Produktionskosten ausgelegt wurde. Wenn ich also das als Basis für Entscheidungen nehme, dann kann ich auch gleich sagen „Sparen wir uns das Geld für CSG und Ariane, wir können eh nicht mithalten“.

Das zweite ist dass immer gerne betont wird, dass russische Raketen sich über Jahrzehnte nicht verändert haben und dadurch preisgünstig und zuverlässig sind. Das ist völliger Quatsch und auch nicht generell richtig. So ist die Zuverlässigkeit nicht bei allen Typen hoch. Proton und Molnija haben trotz vier Einsatzjahrzehnten eine schlechtere Zuverlässigkeit als Ariane 5 und Delta. Dabei sind von diesen Trägern schon über 200 gestartet. Wie die meisten wissen, gibt es die Kinderkrankheiten immer bei den ersten Flügen. Von sieben Fehlstarts von Ariane 1-4 fanden vier bei den ersten 18 Starts statt und die letzten 78 gelangen in Folge. So gesehen verwundert es eher, dass die Molnija so unzuverlässig ist und die Sojus ohne vierte Stufe erheblich zuverlässiger.

Vor allem aber ist das Modell nicht übertragbar. Man kann im Westen nicht eine Rakete über Jahrzehnte unverändert produzieren und wenn man es tut wird sie teurer anstatt billiger. Das ist kein Feature, es ist ein Bug des kommunistischen Systems: Es gab keine privaten Initiativen, keine privaten Investitionen und deswegen wurde auch nichts verändert. Doch das ist doch kein Vorteil sondern ein Nachteil. Auch der Trabant wurde 1957 zum ersten mal produziert, auch er wurde über 30 Jahre unverändert produziert – warum will ihn den heute keiner mehr haben?

Die Sache ist die: Es wird ja nicht nur die Rakete selbst zusammengebaut, das kann vielleicht über Jahrzehnte nicht verändert werden, aber sie besteht ja aus zig Teilen die wiederum von zig Subunternehmern geliefert werden. Und deren Produktpalette ändert sich im Laufe der Zeit. Verfahren und Werkstoffe ändern sich. Manchmal werden komplette Technologien obsolet. So waren 1957 elektromechanische Steuerungen „State of the Art“ und heute sind es GPS, Laserringkreisel und Bordcomputer. Will man von allen Zulieferern ein Bauteil trotz dieser Änderungen über Jahrzehnte beziehen, so muss man sie teuer bezahlen, nämlich dafür dass sie etwas künstlich am Leben halten was sie sonst längst ausgemustert hätten. Das ist ein Grund warum z.B. das Space Shuttle nicht nochmal kommen wird, obwohl es „die Gap“ gibt: Die Verträge mit Zulieferern sind gekündigt und vieles was benötigt wird an Ersatz- und Verschleißteilen ist nun nicht mehr zu bekommen. Die NASA hat dafür auch dreistellige Millionenbeträge jedes Jahr ausgegeben, dass Betriebe Teile noch liefern können, die sie in den 70 er Jahren entwickelt haben.

Es wird also im Westen nicht billiger und dass sich Russland und China schwer tun, nach ein paar Jahrzehnten nur mal Anschubfinanzierungen für neue Trägerraketen zu erbringen sieht man ja an dem langsamen Fortschritt bei Angara und CZ-5.Dieses System ist nicht auf Europa oder Amerika übertragbar.

So das wars. Das Thema drängte sich mir gerade auf, weil ich gerade beim zweiten Korrekturlesen des Bandes 2 des Raketenlexikons bin. Ich bin ganz zufrieden damit. Ich denke es ist ein tolles Buch geworden in dem ich noch oft nachschlagen werde. (Ich schreibe eigentlich die Bücher für mich selbst. Momentan liegt auch Band 1 neben dem Computer, weil ich vieles wieder vergesse). Aber es wird wohl das vorletzte zu dem Thema sein. Es ist viel Arbeit Bücher über unbemannte Raumfahrt zu schreiben. Das Publikum ist kritisch, informiert und dann ist die Nachfrage gering. Für Fans der bemannten Raumfahrt braucht man weitaus weniger Fakten zusammen tragen, kann mehr Geschichten erzählen und sie sind auch dankbar für Seiten die nur mit Bildern gefüllt sind und damit noch weniger Arbeit machen. Kurzum: Weniger Arbeit, höhere Auflage.

13 thoughts on “Russland ist kein Vorbild

  1. Es geht meines Erachtens nicht unbedingt um Vorbild oder nicht. Wenn man die Entwicklungskosten einer Rakete oder eines Triebwerks betrachtet, und dann berücksichtigt, auf wie wenige zu produzierende Exemplare diese umgelegt werden müssen, dann stellt sich oft die Frage, ob es nicht günstiger wäre, eine Rakete oder ein Triebwerk einer anderen Nation zu verwenden (Kauf oder Lizenzfertigung), statt eine Neuentwicklung anzustoßen.

    Bei den Kosten geht es wie auch schon Herr Leitenberger dargestellt hat hauptsächlich um Stückzahlen, und Automatisierungsgrad. Dazu einfach ein Vorschlag. Statt Forschungssatelliten mit Sojus und Rockot zu starten erst einmal untersuchen, ob nicht eine Startmöglichkeit als sekundär oder Tertiär Nutzlast auf einer Ariane besteht. Dann braucht sich zum Beispiel keiner mehr Gedanken darum zu machen, ob 12 t GTO mit der neuen ESC-B für Standardkommunikationssatelliten gebraucht werden, da dann einfach zusätzliche Forschungssatelliten mitgestartet würden. Warum nicht 12 Starts einer Ariane5 pro Jahr? Dann reduziert sich auch die Entwicklung eines Vulcain3 Triebwerks!

  2. Es ist nicht nötig ein neues Triebwerk zu entwickeln, man kann auch einfach zwei existierende anstatt einem einsetzen. Der Vorschlag mit den Forschungssatelliten klappt aber nur wenn sie in einen 7 Grad Orbit gelangen sollen. Soweit ich weis gab es in 35 Jahren ESA nur einen Forschungssatelliten der mit diesem Orbit kompatibel gewesen wäre. Allerdings wäre bei einem der seltenen SSO Einsätze der Ariane 5 die Gelegenheit gegeben. so startete kürzlich SMOS auf einer Rockot und bald soll Cryosat 2 folgen – beide hätten locker noch vond er Ariane 5 als Sekundärnutzlast neben Helios 2B beim nächsten Start im Dezember mitgeführt werden können.

  3. weitere Gedanken zum Thema:
    Zuviel „Kauf“ und „Lizenzfertigung“ führen zu mangelndem Wettbewerb, was hohe Preise zur Folge hat.

    Umgekehrt führen zuviele Wettbewerber natürlich zu ungenügenden Stückzahlen, was sich auch wieder bei den Preisen auswirkt.

    ==> Eine gesunde Anzahl an echten Wettbewerbern ist ideal. Dies ist in Europa mit nur 1 Monopol-Anbieter nicht erfüllt. Mit der Aufnahme der Ukraine in die ESA könnte im Binnenmarkt ein Konkurrent zu EADS aufgebaut werden. (Ich denke z.B. an die Taurus 2 Erststufe und die Zenit, welche ja beide von dort kommen.)

    Was ich echt nicht begreife, ist aber Folgendes:
    Wieso werden westliche Raketen im Laufe der Zeit immer teurer (z.B. Ariane 4), und zwar nicht nur ein bisschen, sondern massiv ? Aufgrund der Lerneffekte, Abschreibungen usw. müsste doch das Gegenteil der Fall sein !

    Weiss jemand darüber Bescheid ?

  4. Werden Sie teurer? Zahlen her bitte! Die Startpreise sind bei Ariane seit Ariane 1 deutlich gesunken. Bei allen Zahlen muss natürlich der Wert zur jeweiligen Zeit berücksichtigt werden. Eine DM von 1982 hatte eine höhere Kaufkraft wie ein Euro von 2009…

  5. 🙂 🙂 🙂

    Ich muss vorübergehend passen, da ich bis Samstag nicht zuhause bin, wo sich meine Unterlagen befinden.

    ==> Ich nehm’s auf meine Pendenzenliste fürs Wochenende ! 😉

  6. Was soll ich sagen, Herr Leitenberger? Vielleicht dies: „Ich habe diese Welt nicht gemacht, ich lebe nur in ihr.“

    Es mag Sie überraschen, aber ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen. Lassen Sie mich aber folgendes anmerken: Die Startkosten sind betriebwirtschaftlich zu verstehen, d.h. sie ergeben sich als Antwort auf die Frage, wieviel man ausgeben muss, um eine bestimmte Mission durchführen zu können. Für den Betreiber eines Kommunikations- oder Fernsehsatelliten ist die Sache damit weitestgehend erledigt, auch wenn einige weichere Faktoren (Stichwort: Service und Zuverlässigkeit) von Bedeutung sein könnten.

    Für staatlich organisierte Weltraummissionen stellt sich die Sache schon gleich ganz anders dar, da Staaten die Angelegenheit auch volkswirtschaftlich betrachten müssen. Personalkosten verbleiben im Land und damit in der Volkswirtschaft. Das sind natürlich in gewisser Weise subventionierte Arbeitsplätze, aber auch dieses kann sich für einen Staat lohnen.

    Was nun die russische Raumfahrt angeht, so sind deren Erfolge unbestreitbar, ebenso aber auch deren Misserfolge (Stichwort: Zuverlässigkeit der Trägersysteme). Natürlich muss man davon ausgehen, dass vom Innenleben der ersten Sojus-Kapseln oder gar der legendären R7-Rakete in ihren heutigen Inkarnationen nicht viel übrig geblieben ist. Man könnte den russischen Weg vielleicht als „Evolution statt Revolution“ bezeichnen. Als Beispiel mag der gerade stattfindende Evolutionsschritt in der Steuerung von Progress und Sojus dienen. Da wurde zwischen den aktuell verwendeten Progress-Typen der erste neue M-M getestet, dann der zweite. Nachdem diese Flüge erfolgreich absolviert wurden, scheint nun die Ablösung vollzogen zu sein. In Kürze wird dieser Schritt für die Sojus auf die gleiche Weise nachgezogen. Die Hersteller der alten Steuerungsbauteile können ihre (vermutlich längst veralteten) Produkte nun einstellen.

    So wie ich das sehe, liegt darin eine Lektion – eine Lektion allerdings, die niemand zu lernen bereit ist, nicht einmal die Russen selber. Deren Liste geplanter und begonnener Weltraumprojekte, die letztlich gescheitert sind, ist mindestens so groß wie die der Amerikaner. Der russische Weg rührt meines Erachtens nur aus dem Widerspruch aus Geltungsbewusstsein („Wollen“) und unzureichender Mittel („Können“) her. Hätte die russische Raumfahrt genügend Geld zur Verfügung, würde sie ebenfalls den amerikanischen Hauruck-Stil pflegen und eingeführte Systeme durch etwas völlig neues ersetzen, bloß weil es vermeintlich sicherer, günstiger oder irgendwie besser wäre.

    Langer Rede kurzer Sinn: Ja, man kann sich die Russen als Vorbild nehmen, aber eben nicht, indem man sich auf die Position eines bloßen Kunden zurück zieht. Hätten die in der ESA zusammen geschlossenen Länder die getan, hätte die Ariane-Familie niemals den Trägermarkt aufmischen können wie sie es getan hat. Die aus der Not geborenen Methoden der russischen Raumfahrt sind durchaus bedenkenswert, aber allzu abhängig machen sollten wir uns sicherlich nicht.

  7. „Natürlich muss man davon ausgehen, dass vom Innenleben der ersten Sojus-Kapseln oder gar der legendären R7-Rakete in ihren heutigen Inkarnationen nicht viel übrig geblieben ist.“

    Ich bin leider nicht „man“ und ich gehe auch nicht davon aus. de Fakto hat sich bis zur Sojus 2 praktisch nichts in den letzten 40 Jahren an der Sojus getan. Die Triebwerke wurden unverändert über Jahrzehnte produziert. Bei den Sojus Kapseln weiß ich es nicht, bei den Progress dagegen schon, weil ich diese auch im ATV Buch vorkommen: Die einzelnen Versionen unterscheiden sich primär in der Aufteilung des Frachtraums in Transport von Stückgut / Gasen / Flüssigkeit. Die neuesten transportieren mehr Treibstoff, weil die ISS laufend angehoben werden muss. Doch das wars dann auch. Auch diese werden seit Jahrzehnten weitgehend unmodifiziert produziert.

  8. Dass Problem mit der Sojus ist wohl, dass eine 40 Jahre alte Rakete aus Russland auf die Fertigungsmöglichkeiten Russlands vor 40 Jahren ausgelegt ist. Das heißt letztlich, dass man die Sojus, so wie sie heute ist, nur mit viel Handarbeit herstellen kann, weil sie nicht auf moderne Automatisierung ausgelegt ist. Fertigungsroboter gab es zu der Zeit in der Sowjetunion jedenfalls noch nicht. Man kann die Sojus also nur noch durch billigere Arbeitskräfte billiger herstellen. Alles andere würde mindestens eine Überarbeitung der gesamten Rakete in allen Teilen nach sich ziehen.

    Wenn man heute eine billigere Rakete haben will, dann ist die Sojus selbst wohl nicht die Lösung. (Auch wenn zu dem Thema schon ganz anderes gesagt habe – niemand hält mich davon ab, ab und an schlauer zu werden. 😉 )

    Eine Missgeburt wie die OTRAG ist auch nicht die Lösung. Wer beim Einsparen die Physik ignoriert, ist selber schuld. Perfektion darf trotzdem nicht das Ziel sein, wenn man die Herstellung billiger gestalten will.

    Das Problem mit der Sojus ist ja weniger deren relative Ineffizienz (man schaue sich nur die Booster an … auch wenn ich finde, dass sie gut aussehen 😉 ), sondern die Tatsache, dass man sie 1) in der heutigen Form nicht automatisiert herstellen kann und man 2) selbst wenn das möglich wäre, es nicht wagen würde, da zur Zeit nicht genug Abnehmer da wären um eine Fertigung am Fließband zu rechtfertigen (die *sehr* viel billiger zu machen ist als die heutige Handarbeit). Man müßte wohl wenigstens einige hundert Raketen pro Jahr herstellen um die Einsparungen zu realisieren. Das ist auf lange Sicht auch nicht illusorisch, aber wenn die Nachfrage zu lange hinter dem Angebot zurück bleibt, hätte man nichts von der ganzen Übung, außer etwa 20-30 Milliarden Euro Kosten für Entwicklung und Bau der Fertigungsanlagen und einen Einbruch der Startpreise unter die Herstellungskosten.

    Und welcher Staat hat schon einen ausreichend langen Atem um so eine Industrie für vielleicht 10-15 Jahre künstlich am Leben zu halten, bis die Nachfrage am Markt mit dem Angebot gleichgezogen hat …

  9. Naja, Herr Leitenberger, man kann sich natürlich alles so drehen und wenden, wie man es mag. Falls Sie Ihren Ruf als deutscher Experte für die Geschichte der Raketen allerdings behalten wollen, sollten Sie da schon etwas exakter bleiben. Ich hatte bewusst von der „R-7“ gesprochen, weil natürlich viele Nachfolger unmittelbar darauf aufgesetzt haben und eine moderne Sojus rein äußerlich fast nicht von dieser zu unterscheiden ist. Ich bin jetzt einmal so gemein und verweise auf Ihre eigenen Artikel, also diese hier:

    http://bernd-leitenberger.de/semjorka.shtml
    http://bernd-leitenberger.de/sojus.shtml

    Nicht vergessen wollen wir natürlich:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sojus_(Rakete)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Sojus_(Raumschiff)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Progress

    In dem Wikipedia-Artikel über die Sojus-Rakete möchte ich besonders auf folgenden Satz hinweisen: „Mit der Sojus-U, die zum ersten Mal am 18. Mai 1973 flog, wurden die Modifizierungen der letzten acht Jahre in einer standardisierten Rakete zusammengefasst.“

    Es gab also immer wieder Modifikationen, wenngleich vieles natürlich gleich geblieben ist. Einige sind sicherlich auf den sich langsam ändernden industriellen Prozess zurück zu führen, der auch in der damaligen Sowjetunion nicht statisch unverändert geblieben sein dürfte.

    Insofern ist auch die Aussage meines Vorredners nicht ganz korrekt, dass „eine 40 Jahre alte Rakete aus Russland auf die Fertigungsmöglichkeiten Russlands vor 40 Jahren ausgelegt ist“. Die Sojus hat sich mit den Fertigungsmöglichkeiten entwickelt und hat natürlich auch fortdauernd deren Grundlagen gebildet. Für eine klassische Fließbandproduktion, die inzwischen ohnehin nicht mehr der letzte Stand der Technik ist, dürfte kein Trägersystem ausreichende Stückzahlen benötigen. Dem Druck nach Rationalisierung und Automatisierung kann sich aber auf Dauer vermutlich auch die russische Raumfahrtindustrie nicht entziehen.

    Die neuesten Progress-Transporter haben sich übrigens ihre neue Nummerierung dadurch „verdient“, dass neue digitale Flugsteuerungssysteme eingebaut wurden. Die Startreihenfolge war zuletzt M-65, M-01M, M-66, M-02M, M-67 und M-03M. Nachdem der nächste Start durch Progress M-04M durchgeführt werden wird, scheint die Ablösung vollzogen. Direkt damit vergleichbar ist die aktuelle Entwicklung bei den Sojus-Kapseln, bei denen in den nächsten Monaten die folgenden Starts anstehen: TMA-17, TMA-18, TMA-19, TMA-01M und TMA-20.

  10. Lieber Ruhri, wier scheinen völlig unterschiedliche Meinungen von dem zu haben was eine Modifikation und eine grundlegende Änderung der Technik ist. Für mich ist eine Modifikation eine Änderung an der Trägerrakete bei Beibehaltung der wesentlichen Technologie, wie des Triebwerks oder den Abmessungen der Stufen. Derartige Modifikationen gibt es laufend. So wird Ariane 5 z.B. in einem Jahr etwa 500 kg mehr Nutzlast aufweisen, weil an Systemen Gewicht gespart wurde, die Triebwerke leicht höheren Schub liefern und auch die Aufstiegsbahn modifiziert wurde. Das ist Bestandteil eines industriellen Lernprozesses. Bei der Sojus U wurden im wesentlichen die Anpassungen an unterschiedliche Oberstufen zusammengefasst um diese nicht einal für die Wostok und Sojus Version separat anpassen zu müssen. Etwas ähnliches finden Sie auch in den USA bei der Thor und Atlas. An den Leistungsdaten hat dies natürlich nichts geändert.

    Eine grundlegende Änderung der Fertigung ist z.B. der Ersatz des RD-110 in Block I durch das RD-124 bei der Sojus 2. Die anderen Triebwerke arbeiten aber noch mit der Technik von vor 40 Jahren, verwenden Wasserstoffperoxid mit Kalumpermanganat als Gaserzeuger, haben vier Brennkammern pro Triebwerk, die starr eingebaut sind und zwei bis vier Verniertriebwerke, alles aufwendige Lösungen die veraltet sind. Wenn sie im Raketenlexikon Teil 2 mal genauer nachlesen werden sie auf feststellen das gerade das Ersetzen dieser durch nur ein schwenkbares Triebwerk Dreh und Angelpunkt aller vorgeschlagenen Änderungen war.

    Ein neuer Bordcomputer macht kein neues Raumschiff. Wenn sie in ihr Auto einen MP3-Spieler anstatt einem Kassettenrecorder einbauen ist es ja auch kein neues Auto. Wenn ich so rechnen würde, könnte ich alleine bei der Ariane 5 EC-A etwa ein Halbes Dutzend neue Versionen anführen, weil es mindestens so viele Änderungen an Systemen gab (sie bekommt übrigens auch einen neuen Bordcomputer)

    Ach ja noch was: Wikipedia Links sind für mich wegen der vielen Fehler und Vereinfachungen die ich in dem Bereich in dem ich mich auskenne entdeckt habe nicht als Quellen aussagekräftig. Aussagekräftiger ist da eher dieser Link:
    http://www.raumfahrtbuecher.de/download/internationale-raketen-probekapitel.pdf

  11. Nun ja, das ist sicherlich Definitionssache! Eine Modifikation macht aber sicherlich noch keine neue Version aus, insbesonders wenn sich die Leistungsdaten nicht ändern.

    Mir war es aber um den Punkt gegangen, dass eben eine Sojus (Rakete wie auch Kapsel) mit Baujahr 2009 in den vielen kleinen Details kaum noch etwas zu tun hat mit einer aus dem Jahr 1966, geschweige denn mit der Original-R7 aus dem Jahr 1957. Das Design ist alt, und die Leistungsdaten mögen unverändert sein, aber eine 2009er Sojus ist eben das Produkt des Jahres 2009. Die russische Industrie hat folglich kein Problem, sie auch heute noch zu bauen, notfalls mit stärkerem Einsatz von Maschinen. Natürlich fällt schon mal das eine oder Bauteil oder gleich ein ganzer Zulieferer weg, aber dann kann man sich meistens rechtzeitig darauf einstellen und für Ersatz sorgen. Bei einem Auto könnte man sicherlich nicht mehr konkurrenzfähig sein, bei Raketen ist das anders, zum einen wegen der Kosten und zum anderen, weil die meisten Raumfahrtprogramme staatlicher Natur sind.

    Und das ist genau der Punkt, an dem die russische Raumfahrt eben doch ein Vorbild sein kann. Ihre Raketen sind nicht besser als die amerikanischen oder europäischen, aber preiswerter. Dies ist aber nicht allein wegen der niedrigen lohnkosten so, sondern weil die Hauptentwicklungsarbeit eben damals in den 50er und 60er Jahren geleistet worden ist.

    Die Schlussfolgerung ist klar: Auf einem dermaßen kostenintensiven Sektor wie der Weltraumfahrt muss man genau abwägen, ob eine Neuentwicklung ihre Kosten in einem vernünftigen Zeitraum hereinfliegen wird. Falls nein, sollte man lieber die Finger davon lassen. Für die ESA heißt das, bezüglich der Ariane 5 nicht nur über eine „Mid-Life Extension“, sondern über weitere lebensverlängernde Maßnahmen nachzudenken. Das kann eine ESC-B bedeuten, muss es aber nicht. Beneiden tue ich die Experten ob dieser schwierigen Entscheidungen nun wirklich nicht.

    Aber dazu eine Frage an Sie, Herr Leitenberger: Müssten die relativen Startkosten (inklusive Entwicklung) eines westlichen Trägers wie Delta, Atlas oder Ariane nicht von Start zu Start sinken? Selbstverständlich muss das unter Berücksichtigung der Inflation betrachtet werden.

  12. „Eine Modifikation macht aber sicherlich noch keine neue Version aus, insbesonders wenn sich die Leistungsdaten nicht ändern.“

    Ich wage das zu bezeifeln. Schlussendlich bezeichneten die Russen die gleiche Rakete auch als „Woschod“ nur weil sie andere Raumkapseln startete und mit einer stufe mehr heißt sie dan Molnija. Sie vergessen, dass die Namensgebung im kalten Krieg nicht unbedingt der Logik folgte. Das gilt heute übrigens noch für China.

    Zu den Startkosten: Tendenziell ja, aber monopolistische Absprachen führen auch zum Gegenteil siehe ULA und der Anstieg der Startkosten bei Delta und Atlas. Im Endeffekt hängt viel von der Stückzahl ab, die gerade im Bereich der geostationären Starts in den letzten 10 Jahren deutlich sank.

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