Wozu Feststoffbooster?

Heute mal wieder ein bisschen Raumfahrtgrundlagenwissen. Wozu verwendet man Feststoffbooster? Die Allgemeine Antwort ist: Sie sind viel billigere erste Stufen als Antriebe mit flüssigen Treibstoffen und die Rakete wird deswegen billiger. Das ist richtig, aber wie immer nicht automatisch immer gültig. Als erstes: Feststoffantriebe sind nicht automatisch billiger. Die IUS Oberstufe kostete schon in den 80 er Jahren rund 30 Millionen Dollar pro Exemplar, genauso viel wie damals eine Centaur Oberstufe. Die USRM der Titan 4B ließen der Preis auf fast das doppelte ansteigen und auch die Shuttle SRM kosten so viel wie eine Ariane 5 komplett. Auch reine Feststoffraketen wie die Pegasus oder Taurus sind nicht gerade preiswert.

Technisch gesehen spricht vieles gegen die Feststoffantriebe: Das Voll/Leermasseverhältnis ist bei vielen Typen schlechter als bei flüssigen Treibstoffen, die spezifischen Impuls sind schlechter als bei den meisten flüssigen Treibstoffen. Zumindest das erstere ist heute nicht unbedingt gegeben – siehe Vega. Das große Feststoffbooster so populär ist hat einen anderen Grund: Sie erlauben es die Zentralstufe viel preiswerter zu fertigen. Dazu ein konkretes Beispiel: Ariane 5

Die Ariane 5 wiegt ohne Booster rund 220 t. Ihr Haupttriebwerk hat auf Meereshöhe einen Schub von 960 kN und kostete in der Vulcain 1 Version 15 Millionen Euro. Davon hat die Ariane 5 ein Triebwerk. Doch ohne Booster könnte sie damit nicht abheben. Der Schub entspricht 96 t, bei 220 t Gewicht benötigt man also drei Stück davon – zack wäre die Rakete um 30 Millionen Euro teurer.

Die Feststoffbooster haben zwei positive Effekte:

  • Sie liefern den Schub beim Start und bauen schnell eine hohe Beschleunigung auf. Dadurch passiert die Rakete schnell die Atmosphäre und gewinnt rasch an Höhe – neben der Bahngeschwindigkeit (horizontale Komponente) muss die Rakete auch so viel Geschwindigkeit in der Vertikalen aufbauen, dass sie in der Höhe mindestens den Orbit erreicht.
  • Das Haupttriebwerk muss solange die Booster arbeiten nicht viel zum Schub beitragen. Das ist erst nötig, wenn die Booster abgetrennt werden. Solange verbraucht die Stufe aber schon Treibstoff und wird leichter. der Schub des Haupttriebwerks kann dadurch geringer sein als nötig wäre. Bei Ariane 5 ist dies extrem: Der Schub beträgt gerade einmal ein Drittel des nötigen. Nach Abtrennung der Booster wurden schon 43 t Treibstoff verbrannt und der Schub ist im Vakuum ebenfalls um ein drittel höher. Trotzdem geht bei Ariane 5 die Beschleunigung auf 7,6 m/s² herunter. Sie lebt tatsächlich noch weitere 130 s vom Schub der Booster.

Die derzeitige Ariane 5 würde in dieser Konstruktion ohne Booster nur noch 1.700 kg in den GTO Orbit befördern – allerdings nur die derzeitige Ariane 5. Denn nun kommen wir zu den Nachteilen von Feststofftriebwerken.

  • der wichtigste ist: Feststofftriebwerke induzieren sehr starke, niedrig frequente Schwingungen die das Treibstoffschwappen forcieren. Das ist um so ärgerlicher weil der Effekt besonders stark ist wenn die Tanks recht groß sind – also just gerade bei der Kombination Wasserstoff/Sauerstoff. Das wirkt sich auch auf die Ariane 5 auf. Bei der ESC-A Oberstufe ist das recht deutlich zu sehen. Selbst wenn der Stufenadapter abgezogen wird weist die Stufe noch eine Trockenmasse von 3.300 kg auf. die H10, aus der die Stufe entstand hatte bei einem Drittel weniger Treibstoff noch eine Trockenmasse von 1.360 kg. Verglichen mit der H10 ist die stufe also doppelt so schwer, der größte Teil davon entfällt auf den Wasserstofftank der über 2 t wiegt.
  • Zudem kostet die „Untermotorisierung“ auch etwas: Die Geschwindigkeit die erreicht werden muss ist wegen des starken Rückgang des Schubs höher. Ariane 4 benötigte für eine GTO Bahn noch eine Geschwindigkeit von 11.700 m/s. Ariane 5 dagegen eine von 12.600 m/s.

Bei der Ares I erwog die NASA ein aktives Vibrationsdämpfungssystem in den Stufenadapter einzubauen um den Effekt zu minimieren. Bei einer Rakete ohne Booster wäre dies nicht nötig. Eine Ariane 5 mit einer H10 Oberstufe und einer leichteren VEB (auch diese muss verstärkt sein) mit den Verlusten der Ariane 4 würde so etwa 5.300 kg Nutzlast in den GTO Orbit transportieren.

Das sind aber trotzdem nur 55 % der Ariane 5 Nutzlast bei mindestens 30 Millionen Euro mehr für zwei Vulcain 2 Triebwerke. Solange die beiden Feststofftriebwerke also nicht extrem teuer sind bleibt ein echtes Netto-Plus

Trotzdem meine ich dass man sich bei der ESC-A nicht damit abfinden muss. Die Zentralstufe weist schließlich auch nicht dieses hohe Leergewicht auf und es gibt auch Beispiele auf anderen Trägern wie die Centaur auf der Titan, bei der dieser Effekt nicht so ausgeprägt ist.

Zum einen ist natürlich die Zentralstufe neben den Boostern angebracht, die Oberstufe darüber, die Position ist ungünstiger. Vor allem ist das Vibrieren um so stärker je geringer das Verhältnis von Höhe und Breite einer Stufe ist. (Balancieren sie mal mit einem gefüllten Teller und einem gefüllten Glas, dann verstehen sie den Effekt). Eine nicht so kompakte Stufe sieht also besser aus. So gesehen sollte man eigentlich für eine noch größere Oberstufe bei der Ariane 5 plädieren.

Bei der ESC-A wird dem Effekt begegnet indem die Stufe sehr steif gebaut wird und das kostet Gewicht. Nun gibt es aber auch noch die Möglichkeit der Druckstabilisierung, wie der Vergleich von ESC-A und der Centaur-G auf der Titan zeigt:

ESC-A Centaur G
Startgewicht: 17.900 kg 23.923 kg
Treibstoff: 14.900 kg 21.148 kg
Schub: 65 kN 146 kN
Trockengewicht: 3.300 kg 2.775 kg
Länge 4,57 m 8,94 m
Durchmesser: 5,40 m 4,23 m

Nur ist eben die Centaur G1 trotz mehr Treibstoff länger und nicht so kompakt und sie verwendet innendruckstabilisierte Tanks. Die ESC-A könnte bei gleicher technischer Auslegung rund 1.300 kg leichter sein – entsprechend würde die Nutzlast um 1.300 kg ansteigen. Das ist immerhin 15 % der GTO Nutzlast. Bei Mondmissionen wären es dann schon 19 %.

Nun ja die ESC-A gibt es, da wird nichts zu machen sein. Doch die ESC-B wird noch entwickelt. Da nun die ESA erst mal über 150 Millionen Euro nur für Studien ausgeben will wäre es vielleicht an der Zeit bei der einiges besser zu machen und mal an druckstabilisierte Tanks, eine Form die geringeres Schwappen aufweist oder ein Vibrationsdämpfungssystem zu denken (es muss ja kein aktives sein).

2 thoughts on “Wozu Feststoffbooster?

  1. Feststoffbooster haben nur ein Vorteil
    Hohes Massenverhältnis von Leermasse zu Startmasse.

    Ein weiter Nachteil ist Giftigkeit der verwende Treibstoffe
    Ammoniumperchlorat zu Chlorverbindung und Aluoxid verbrennt.
    die auch Ozonschicht angreift

    zu neue Generation von Feststoffbooster der Vega
    Innovativ ja, aber ob Verbundwerkstoff diese billiger macht.
    muss noch beantwortet werden !

    zur ESC-A
    Ich hab lange gerätselt warum diese so aus gelegt ist.
    wenn eine einfache Druckstabilisierung (wie Centaur) die bessere Lösung ist.
    hatten Ingenieure angst vor:
    Das ein Kaputtes Ventil den leeren Tank kollabieren last (auf der startrampe)
    oder das Die Drucktanks durch Treibstoffschwappen reißen ?

    kann man alternativ, Schwingung Dämpfer zwischen EAP und EPC ein bauen ?
    oder wurden das mehr wiegen wie jetzige ESC-A Losung ?

  2. Feststoffbooster sind eine Fortentwicklung der Interkontinentalraketen. Hier spielen sie ihre Vorteile aus (allzeit bereit, schneller Start) wobei die Nachteile wie niedrigere Strahlgeschwindigkeit und damit erreichbaren Orbits keine Rolle spielen. Deshalb sind sie ausgiebig untersucht und weiterentwickelt worden.
    Zur Zeit steht kein entsprechendes Geld für die Entwicklung vergleichbar starker Flüssigtreibstoff Triebwerke zur Verfügung.
    Interessant wäre die Verwendung von Flüssigtreibstoff Triebwerken in LFFB, da der durch höhere Komplexität höhere Preis durch mehrfache verwendung reduziert werden kann. Als Beispiel nenne ich die Booster für die Energija auf Basis des RD-170, die für ca 10 Einsätze geplant waren, und in der Leistung über der Leistung der Booster der Ariane lagen. Solche Booster könnten sowohl die Umweltbelastung senken als auch die Startkosten reduzieren.
    Für einen sinnvollen Einsatz braucht es aber Ziele, die eine größere Startzahl bedingen. Die Satellitentransporte können mit Leichtigkeit von den jetzigen Raketen durchgeführt werden. Erst bei stärkerer Nutzung von Raumstationen (wozu auch immer) oder einem ernsthaften Mond und Marsprogramm ist so eine Verwendung vorteilhafter.
    Ich bin der Meinung man sollte ernsthaft die Möglichkeit von LFFB untersuchen, besonders vor einer Neuentwicklung der Booster auf Basis der Vega

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