Wenn Ingenieure Produkte entwerfen…

Hat jemand von euch mal den Song „Mama will ins Netz“ Annett Louisan gehört? Er beschreibt recht gut die Erfahrungen die völlige Computerneulinge mit angeblich „idiotensicheren“ Produkten machen „sie hat das Starterpaket ohne Rumfummelei so richtig für Doofe und so„. Ich könnte andere Erfahrungen mit meinem Bruder beisteuern und selbst meine Nichte muss bei Situationen die neu sind das Handtuch schmeißen.

Das ist ein typisches Beispiel unserer Zeit, was passiert wenn Ingenieure Produkte machen und ein völlig anderes Vorwissen bei den Usern voraussetzen. Selbst für Technikerfahrene gibt es da Tücken. So habe ich kürzlich die Sender beim neuen LED-TV neu anordnen müssen. Einfach nur bei einem Sender im Menü die neue Nummer eintippen – geht nicht. Erst den alten auf eine unbelegte Nummer schieben (9999 z.B.), dann den Sender auf die nun freiwerdende Nummer und trotzdem funktioniert es nicht so wie gewünscht. So funktioniert nur das Anwählen mit Pfeil hoch/runter aber nicht mit direkter Nummerwahl – da scheint irgendwo noch die alte Nummer wo gespeichert zu sein. Hilfe kann man bei Toshiba nicht erwarten. Es gab keine Bedienungsanleitung zum Fernseher mehr. Das Menü soll es richten.

Oder diese Handys. Rumfummeln mit den Fingern auf kleinen Tasten, vollgestopft mit Funktionen, die mit einem Telefon nichts zu tun haben. Leute wisst ihr noch wie mal das Telefon gedacht war? Da nahm man einen Hörer ab, sagte einem Fräulein vom Amt, wenn man wünschte und wurde vermittelt. Erst später kamen die Tasten die schon alles komplizierter gemacht haben, denn nun musste man sich Nummern merken.

Das Verrückte: Mit dem heutigen Stand der Technik ist das wieder möglich. Sprache kann analysiert werden und wenn der Sprachschatz klein ist wie eigentlich bei dem Wünschen eines Gesprächsteilnehmers vorgegeben, dann müsste man nur ins Telefon sagen wenn man will. Notfalls bei komplizierten Wörtern buchstabieren. Dann sucht das Telefon in einer Datenbank nach dem Teilnehmer und fragt eventuell andere Infos ab, z.B. aus welcher Stadt (selbst den Bernd Leitenberger gibt es viermal in Deutschland). Stattdessen stopft man ein Telefon voll mit einer Kamera die verwaschene Fotos macht, einem MP3 Player oder einem Organizer der natürlich bei 10 Tasten und einem 4 Zoll Display richtig gut bedienbar ist.

Das ist der Fall wenn Ingenieure Produkte entwickeln. Nun sie sollen Produkte entwickeln, aber nicht alleine. Potentielle User sollten beteiligt sein oder kreative Köpfe die mit dem Produkt gar nichts zu tun haben. Sie bringen neue Ideen herein. Sicher ist es aufwendiger ein sprachgesteuertes Handy zu entwickeln. Aber es ist dann auch erst mal das einzige auf dem Markt! Nun sind natürlich Ingenieure nicht an allem Schuld. Genauso viel Schuld tragen auch Marketingfachleute. Sie haben manchmal bessere Ideen, aber meist ergänzen sie bestehende Produkte nur um einzelne Funktionen um sie von der Konkurrenz abzuheben oder peppen das Design auf. Sie haben selten Ideen für revolutionäre Änderungen und wenn diese Ideen die Ingenieure haben, so blockieren sie eher weil sie ein Kostenrisiko darstellen – was wenn es schiefgeht.

Das man damit Erfolg haben kann zeigt Apple. Die Produkte sind anders. Vielleicht in vielem besser, vielleicht auch nicht. Manche finde ich absolut überflüssig, wie das iPhone oder iPad. Aber sie sind schnucklig, leicht zu bedienen und sie sind trendy. Sie sind zumindest anders als der Rest bis der die Ideen geklaut und in eigene Produkte umgesetzt hat. Und Apple ist damit groß geworden. Sie stand bevor Jobs zurückkehrte kurz vor dem Ruin und hat nun im Gewinn Microsoft überholt. Vielleicht mal ein Gedanke an den einen oder anderen Entscheider….

16 thoughts on “Wenn Ingenieure Produkte entwerfen…

  1. Dirk: Ich weiss nicht, wie das bei Android ist, aber bei meinem Nokia 6120 ist die Sprachsteuerung fuer’n Arsch.

    Man muss 2 Sekunden lang eine Taste festhalten, dann das Wort sprechen, und dann nach weiteren 2 Sekunden Verzoegerung waehlt er dann die entsprechende Nummer ausm Telefonbuch. Wenn alles klappt.

    Da hab ich wesentlich schneller einfach den Telefonbucheintrag ausgewaehlt (wobei ich zugeben muss, dass bei meinem Sony CM-DX1000 von 1996 mit etwa einem Tausendstel der Rechenleistung das Telefonbuch wesentlich schneller war).

  2. Das ist endlich mal ein Stück Science-Fiction, das realistisch ist: die Unterhaltungen mit dem Computer der Enterprise. Bis es so gut funktioniert, wird es aber noch ein paar Jahre dauern.

  3. Ich habe 1998 IBM’s Naturaly Speaking auf einem 486-100 eingesetzt. das ging. Berücksichtigt man dass moderne Hardware viel schneller ist und der Sprachschatz ja begrenzt müsste es gehen. Bei vielen Voice-Selekt Systemen gibt es ja schon funktionierende Systeme. Der Kernpunkt ist, dass nicht Sprache per se beherrscht werden muss sondern ein kleiner Wortschatz von vielleicht 100 Worten zu Steuerung und dem Buchstabieren.

  4. Ich gehe auch davon aus, dass das laengst technisch moeglich waere.

    Allerdings glaube ich, dass es einfach nicht gewuenscht wird. Es wird ja auch heute freiwillig, fuer wesentlich hoehere Kosten und einen Bruchteil der Expressivitaet per SMS statt per „Sprache“ kommuniziert.

    Eigentlich braucht ein Handy gar kein Mikrophon mehr.

  5. Ach Handybenutzer sind eh komische Leute. Es stört sie nicht, das jeder ihre Gespräche mithört oder noch schlimmer, sie für Volltrottel hält die Selbstgespräche führen (Wenn ein Headset eingesetzt wird). Wundert mich nicht, dass die auch diese winzigen, nicht ergonomischen Tastaturen benutzen anstatt damit zu telefonieren.

  6. Das mit den SMS ist sowieso ein interessantes Phaenomen.

    Ich muss zugeben, selbst ich habe frueher (so von 18-28) oft SMS geschrieben und teilweise ganze „Gespraeche“ darueber gefuehrt. Und ich will mich jetzt arroganterweise mal als nicht extrem geistig minderbemittelt einstufen 😉

    Keine Ahnung, was den Reiz daran ausmacht, absichtlich ein minderwertiges Kommunikationsmedium auszuwaehlen.

    Gibt es bestimmt wissenschaftliche Abhandlungen drueber 😉

  7. Hab mir den Text unter dem link gerade mal angesehen… – stimmt, der beschreibt einiges wirklich ganz gut. Aber um nur mal bei narrensicherer Software zu bleiben: Jeder, der das schon mal versucht hat, weis wie schwierig das ist, weil es den Code für die Interaktion mit dem Benutzer noch mal um ein Dutzend Sicherheitsabfragen aufbläht. Oder, wie mal jemand sinngemäss in einem Programmierforum schrieb: „Idiotensichere Programme zu schreiben ist deshalb so schwierig, weil die Idioten so unglaublich kreativ darin sind, Dinge zu finden, die man noch falsch machen kann.“

    Und das Ingenieure oftmals ein anderes Wissen bei den Benutzern erwarten, liegt wahrscheinlich auch in der Art der Ausbildung begründet. Man lernt zwar jede Menge über die Technik, und wie sie funktioniert, aber eher weniger darüber, wie man sie einem potentiellen Anwender erklärt. Für das schreiben der Bedienungsanleitung werden dann entweder technisch interessierte/gebildete Germanisten (oder sonstige Sprachwissenschaftler) eingestellt, oder man schaft gleich einen eigenen Studiengang dafür. – Ich weis zwar gerade nicht wie der heisst, aber den gibt es wirklich.

    Irgendwie beschreibt dieser Artikel einen Ausschnitt aus dem grundsätzlichen Problem zwischen Generalisten und Spezialisten. Im Fall der Ingenieure und Manager ist das Problem, das beides Spezialisten sind. Aber eben auf unterschiedlichen Gebieten. Sie haben nur begrenzt miteinander zu tun und deshalb kommen sie nicht wirklich miteinander klar. Oftmals verstehen sie sich auch nicht, weil sie Begriffe unterschiedlich deuten, Aussagen unterschiedlich bewerten und deshalb zu widersprüchlichen Einschätzungen kommen. Da fehlt es an den Generalisten, die vermittelnd eingreifen können, weil sie von beidem etwas verstehen. (Im Konfliktfall Manager-Ingenieur hat man dazu ja den Wirtschaftsingenieur kreirt. Aber ob das der Weisheit letzter Schluss ist, wage ich zu bezweifeln.)

  8. @Hans
    Stimmt, da bin ich genau deiner Meinung. Aber wie Bernd schon geschrieben hat, für mehr Ergonomie braucht man Leute die sich damit befassen. Die Entwicklung dauert länger und das Produkt wird damit teurer. Siehe Apfel-Produkte. Es gibt für alles Alternativen!
    Trotzdem gibt es auch Leute denen die Funktion wichtiger ist als die Bedienung. Ich z.B. möchte ein System (egal ob TV oder Computer oder Handy) so einrichten könne wie ich es am Besten finde. Dabei ist mir relativ egal ob die Konfiguration schwierig ist. Ich mache das einmal und gut. Wie oft stellt man z.B. beim TV die Sender neu ein?
    @Bernd
    Ich weiß dass du kein Handyfan bist. Das solltest du aber nicht unbedingt auf andere übertragen. Ich hab mein Handy auch 24/7 an. Aber nicht um unbedingt erreichbar zu sein. Es klingelt auch nicht ständig. Ein Handy ist für mich (neben Kommunikationsmittel) Uhr, Wecker, Kalender, Notizblock (entweder mal schnell ein paar Worte getippt oder das zu Merkende abgeknipst), Adressbuch, Taschenrechner, Einheitenumrechner, PSE, uvm. Wie bereits geschrieben habe ich alles einmal so eingerichtet wie es mir am besten gefällt. Ein kleines Gerät, stört nicht und ist immer dabei. Da ich manche Funktionen (meist die java-Programme) wenig benutze ist die Ergonomie hier weniger wichtig. Wie gesagt, das wichtigste ist dabei die freie Konfigurierbarkeit. Es ist übrigens kein Smartphone sondern nen „stinknormales“ K750i.

  9. Meine Erfahrungen sind natürlich nicht repräsentativ, aber in 3 von den 4 Firmen, in denen ich bisher gearbeitet habe, gab es Produktmanager, die sowohl etwas techischen als auch wirtschaftlichen Hintergrund hatten, vor allem aber die Produkte aus Kundensicht designt haben. Die Ingenieure konnten sich zwar einbringen, hatten aber nie die letzte Entscheidung.
    Gerade bei Computern ist es aber leider so, dass die Bedienkonzepte sich im Laufe der Jahrzehnte aus den technischen Grundlagen ergeben haben und selbst die meisten Produktmanager eigentlich schon zu gut damit umgehen können. Beispiel Dateisystem: das ist etwas, was aus technischer Sicht gebraucht wird, und es ist durch den Explorer ein zentrales Element in Windows. Der unbedarfte Anwender sollte aber eigentlich überhaupt nicht damit belästigt werden. Das hat Apple in seinem Luxusprodukt iPad auch einigermassen umgesetzt (und dafür Kritik geerntet): man sieht keine Dateien, jedes Programm verwaltet seine Dokumente selbst, man kann mitten in der Arbeit ausschalten und alles ist automatisch gesichert. Ich frage mich, ob sowas für PCs je kommen wird.

  10. @Arne: Das Beispiel mit dem Dateisystem ist interessant, und wohl auch irgendwie gut. Da ist meine Erfahrung, das ich mich bei Windows 95 und später überhaupt nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, Unterverzeichnisse als Ordner zu betrachten. Da ist wohl meine technisch orientierte Arbeitsweise zu tief eingeprägt, als das sich daran noch viel ändern liesse, schätze ich. Andrerseits gibt’s da aber auch noch ein paar technische Krücken auf Seiten der Anwendungssoftware. So bin ich z.B. der Ansicht, das jede Anwendung die Daten, die die Nutzer damit produzieren in einem eigenen Pfad unterzubringen hat, wo nur diese Anwendung etwas hinein schreibt, und sonst niemand. Und diese Daten sind von Status- und Konfigurationsdaten der Anwendung getrennt zu halten, und haben ebenfalls nichts zwischen Programmdateien irgendwelcher Art zu suchen. Das finde ich allerdings nicht immer so umgesetzt. Auch diese Windowsmasche, das alles unter „Dokumente und Einstellungen“ unterzubringen, kommt dem nur begrenzt nahe. Unter den Dokumenten haben die Einstellungen nichts zu suchen, und umgekehrt. – Ich stelle gerade fest, das wäre ein Thema für sich…

    Und das Produktmanager durchaus auch was von den Produkten verstehen, will ich gar nicht bestreiten. Ich hatte in dem letzten Beitrag auch das Topmanagement und den Vorstand gemeint. Denn das was ich da geschrieben habe, hab ich über diesen Teil einer Firma gelesen. Und es gilt auch hauptsächlich bei Konzernen. So stand auch mal irgendwo, das die Abteilungsleiter und unteren Managementebenen durchaus sowohl technischen Sachbverstand als auch BWL-Kenntnisse haben. Aber umso höher man in der Hierachie kommt, umso mehr wird der technische Sachverstand durch die BWL verdrängt, bis er im Topmanagement schliesslich nur noch in Spuren vorhanden ist.

    @overlord: Okay wenn Dir die Funktionalität wichtiger ist, als die Ergonomie, ist das Deine Sache. Aber man kann ja auch die Ergonomie an den High-End Geräten entwickeln und testen, und wenn sie sich bewährt hat, auf die kleineren Geräte übertragen. Das dabei ein Konfigurationsprogramm nicht ganz so ausgefeilt sein muss, wie eine Anwendung kann wohl sein. Aber wenn man ein Bedinkonzept schon mal entwickelt hat, sollte es sich auch auf das Konfigurationsprogramm übertragen lassen. Die eigentliche Frage ist doch bei einfacheren Geräten letztlich eher, welche Komponenten/Resourcen man weglässt, und wie sich das aufs restliche System auswirkt.

  11. @Arne: Eine Sache, bei der ich Dir 100%ig zustimmen muss, ist das mit der Notwendigkeit des „Speicherns“.

    Ich finde es eigenartig, dass es heutzutage ueberhaupt noch eine Funktion wie „Speichern“ gibt.

    Es sollte eigentlich klar sein, dass ein wie auch immer geartetes Projekt, an dem ich gerade arbeite, natuerlich nicht verlorengeht, wenn ich das Programm zumache, und dann auch nicht solche verwirrenden Fragen kommen wie „Moechte Sie die Datei SPEICHERN?“.

    Das ist natuerlich ein Relikt aus der Zeit, in der Massenspeicher langsam und klein waren und erst ins Laufwerk gelegt werden mussten, und man hat es einfach als gegeben hingenommen und nie drueber nachgedacht.

  12. Die Frage ob man speichern will ist aber recht sinnvoll, wenn man seine Daten versehentlich total durcheinandergebracht hat. Dann ist „nicht speichern“ die einzige Möglichkeit noch etwas zu retten.
    Daß Konfigurationsdaten von den Anwenderdaten getrennt werden sollen und eher ins Programmverzeichnis gehören sollte eigentlich sebstverständlich sein, ist es aber leider nicht.
    Genau so unsinnig ist aber auch, daß so ziemlich jedes Programm irgendwelchen Kram ins Windows-Verzeichnis packt, wo er absolut nichts zu suchen hat. Ist etwa so eine Schlamperei wie der Kamm auf der Butter. Geradezu kriminell wird das, wenn mehrere Programme im Prinzip die gleiche DLL benutzen wollen, aber jedes eine andere nicht kompatible Version. Würde jedes Programm seine DLLs im eigenen Verzeichnis installieren wäre das kein Problem. Im schlimmsten Fall müßte man dann ein Programm schließen, bevor man das andere starten kann. So wie es jetzt ist zerschießt man mit der Installation eines Programmes die anderen. Bleibt dann nur noch jedes Programm auf einem anderen Rechner zu installieren. Worüber sich zwar Hardware-Produzenten und Energieversorger freuen, die Anwender aber wohl kaum.

  13. Hi Bernd,

    Du solltest mal die Sprachsteuerung beim iPhone 4 ausprobieren — sie ist so gut das dieses tastenlose, extrem grafisch orientierte Telefon zu den beliebtesten Telefonen bei blinden Leuten zählt, gerade weil es so gut benutzbar ist.

    Das was du forderst, nämlich auch für technische Laien absolut problemlos zu bedienende Geräte — genau das macht ja Apple. Deswegen sind sie anders, leider deswegen auch etwas teurer (höherer Aufwand muß bezahlt werden), deswegen kann man auch nicht alles so machen wie man es von anderen Systemen gewohnt ist.

    Las dir mal ein iPhone geben und spiel damit rum. Es macht einfach Spaß. Und dat dat Dingens auch noch telefonierne kann ist echt nebensächlich 😉

    Lg

    Tilman

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