Vor 45 Jahren: Strato-Jump III

Aus aktuellem Anlass ruht heute meine kleine Ballonserie und ich schreibe über ein Projekt, welches heute fast vergessen ist: Project Strato-Jump. Es waren die drei letzten Ballonfahrten, bei denen ein Mensch in die Stratosphäre gelangt ist, und gleichzeitig das erste Mal, dass kein Militärpilot oder Wissenschaftler diese Reise angetreten hat. Es war der aus New Jersey stammende LKW-Fahrer und leidenschaftliche Fallschirmspringer Nick Piantanida. Die dritte Fahrt jährt sich heute zum 45. Mal.

Die Anfänge

Der wohl bekannteste Stratosphärenfahrer ist Joe Kittinger. Der USAF-Pilot stieg 1959 und 1960 insgesamt drei Mal im Rahmen des Projekts Excelsior mit einem Ballon auf, um zweimal aus 22 km und beim dritten Mal aus 30 km Höhe abzuspringen. Dabei sollte ein neuartiger, mehrstufiger Fallschirm getestet werden, der von Piloten benutzt werden könnte, wenn sie ihr Flugzeug in großer Höhe verlassen müssten. Dabei würde zunächst bei Erreichen der Endgeschwindigkeit, ein paar Sekunden nach dem Ausstieg, ein kleiner Stabilisierungsschirm geöffnet werden. Damit würde die Person mit den Füßen nach unten zur Erde absteigen. In einer Höhe von 2.000 Metern wurde dann der Hauptfallschirm geöffnet. Kittinger war trotz einer gefährlichen Situation bei Excelsior I und eines defekten Handschuhs seines Druckanzuges bei Excelsior III erfolgreich. Bei letzterem Aufstieg am 16. August 1960 sprang er aus 31.333 Metern Höhe ab. Aufgrund des Stabilisierungsschirms wurde der Sprung aber nicht als Weltrekord für den höchsten Fallschirmabsprung gewertet, denn dafür hätte Kittinger frei fallen müssen. Die USAF war aber der Meinung, dass sich eine Person ohne einen solchen Schirm schnell drehen würde, was schlussendlich zum Tod führen würde.

Piantanida wollte beweisen, dass man mit Hilfe von Skydiving diese Rotation überleben könnte. Als er hörte, dass auf einem sowjetischen Ballon namens Volga die Piloten Andreyew und Dolgov am 1. November 1962 aus 25,5 km und 28,6 km Höhe absprangen, und Andreyew damit den Weltrekord für den längsten freien Fall holte (24.250 m), nahm Piantanida sich vor, den Rekord zurück in die USA zu holen. Volga war übrigens dafür konzipiert worden, die Fallschirme und den Schleudersitz für Wostok zu testen. Andreyew wurde in einer mechanischen Version des Schleudersitzes aus der Kapsel katapultiert, während Dolgov versuchen sollte, seinen Fallschirm möglichst hoch zu öffnen, um einen langen Abstieg zu erreichen. Er landete nach 37 Minuten, aber er starb während des Abstiegs, da sein Druckanzug versagte.

Vorbereitungen und Strato-Jump I: Frustrations End

Piantanida schaffte es nach langem Wirren, Geld und Ausrüstung für sein Projekt zusammenzubekommen. Das schwierigste Teil war dabei der Raumanzug, denn Mitte der 60er Jahre wurden Raumanzüge nur für das Militär, bzw. die NASA gefertigt. Die NASA selbst interessierte sich nicht für Strato-Jump und Joe Kittinger wollte sich nicht an dem Projekt beteiligen, weil er es nur für unnötig gefährlich hielt. Schließlich hatte er alle Teile zusammen und erhielt eine Lektion in der Benutzung seines Anzuges in einer Unterdruckkammer. Bei diesem Training sollte er auch, einmal in 12 und dann wieder in 15 km Höhe, seinen Helm kurz öffnen, um die Effekte der Hypoxia zu erfahren, damit er diese bei seinem Flug kennen würde.

Donald Piccard (der Onkel 2. Grades des bekannten Bertrand Piccard, der gerade versucht, ein Solarflugzeug zu bauen), half Piantanida bei der Auswahl eines Ballons. Weil die Firma Schjeldahl für einen verstärkten Mylarballon mehr Geld haben wollte als Litton Industries für einen Ballon aus PE, entschied sich Piantanida für Litton. Piccard versuchte ihn dazu zu bringen, den Ballon von Schjeldahl zu nehmen, aber Piantanida nahm lieber das günstigere Angebot. Litton war dann auch für die Vorbereitung und Füllung des Ballons zuständig.

Der Ballon hatte als Besonderheit kein Ventil in seinem Scheitelpunkt. Es erscheint auch unnötig, sollen doch Pilot und Kapsel an ihren eigenen Fallschirmen zurück zur Erde kommen. Aber ein zu schneller Aufstieg kann den Ballon auch beschädigen oder sogar zerstören. Als die Techniker am 22. Oktober 1965 den Strato-Jump I vorbereiteten, kam es auch dazu, dass zu viel Helium in den Ballon gefüllt wurde. Da der Ballon nach dem Start zu schnell stieg als geplant und auch kein Ballast abgeworfen wurde, konnte dies nur an einer Überfüllung liegen. Als der Ballon (der, wegen der langen und harten Vorbereitung auf den Namen Frustrations End getauft wurde) sich der Tropopause näherte, kam er in die schnellen Winde des Jetstreams. Dort wurde der obere Teil des Ballons den Scherkräften ausgesetzt, die von diesen Winden verursacht wurden, was dazu führte, dass der Ballon aufriss. Piantanida fiel aus einer Höhe von 7.000 Metern wieder zur Erde zurück, stieg bei etwa 3.000 Metern aus der Kapsel aus und landete sicher auf einer Mülldeponie in der Nähe von St. Paul, Minnesota.

Strato-Jump II: Second Chance

In den nächsten Monaten und nach viel Streit mit Litton Industries war ein neuer Ballon, gebaut von Raven Industries, fertig. Am 2. Februar 1966 hob Strato-Jump II ab (dieses Mal vom Joe Foss Field bei Sioux Falls in South Dakota). Der Aufstieg verlief ohne Schwierigkeiten und Piantanida stieg bis auf eine Höhe von 37.490 Metern. Die höchste Ballonfahrt war bisher der Aufstieg von Malcolm Ross und Victor Prather im Ballon Strato-Lab V gewesen: Sie stiegen am 4. Mai 1961 auf 34.668 Meter Höhe.

Nun sollte Piantanida aus der Kapsel Second Chance springen. Dies ging aber nicht, weil ein spezielles Ventil in der Sauerstoffleitung zur Kapsel sich nicht lösen lassen wollte. Man hielt es für zu gefährlich, die Leitung einfach durchzuschneiden oder abzureißen, sodass Piantanida in der Kapsel zur Erde zurückkehrte. Er landete weniger als eine Stunde später in einem Erdbeerfeld, wo er dem Besitzer aufgrund seines Auftretens einen Herzinfarkt bescherte.

Strato-Jump III: JADODIDE

Piantanida bekam noch einen weiteren Ballon von Raven. Er plante auch schon voraus, welche Möglichkeiten er hätte, nachdem Strato-Jump Erfolg gehabt hätte. Er plante zum Beispiel einen ähnlichen Sprung bei Nacht. Am 1. Mai 1966 war es dann soweit: Strato-Jump III wurde mit Helium gefüllt und Piantanida nahm in der Kapsel JADODIDE Platz (dies waren die Anfangbuchstaben der Namen seiner Frau und seiner drei Töchter). Der Ballon stieg normal auf, bis in einer Höhe 17.374 Metern von Piantanida folgender Funkspruch kam: „Emergen…„. Danach brach der Sprechfunkkontakt ab. Die Techniker am Boden trennten sofort Kapsel und Ballon, aber wegen des großen Kapselfallschirms brauchte die Kapsel 26 Minuten bis zur Landung. Am Landeplatz wurde Piantanida sofort per Hubschrauber aufgenommen und in ein Krankenhaus gebracht. Am selben Tag wurde Joe Kittinger dann übrigens die Nachricht überbracht, dass die Führung der USAF ihm danke, dass er sie aus diesem Vorfall herausgehalten hatte, indem er es seinerzeit ablehnte, mit Piantanida zu kooperieren!

Das Ende

Die Frage, was passiert war, war für viele Jahre unbeantwortet. Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist folgende: Wenn das „Voratmen“ mit reinem Sauerstoff zu kurz ist, verbleibt Stickstoff im Blut. Sinkt der Außendruck, kann es dazu kommen, dass Arme und Gesicht zu kribbeln anfangen. Da Piantanida wusste, dass Hypoxia im Anfangsstadium das Befinden verbessert, könnte folgendes passiert sein: Ein am Boden gedrehter Film zeigt, dass Piantanida mit offenem Helm herumlief und auch so in der Kapsel Platz nahm. Ein paar Minuten später erfolgte der Start. Der Startplan hatte eigentlich vorgesehen, dass Piantanida 90 Minuten zuvor in der Kapsel sitzen und Sauerstoff atmen sollte. Weil dies nicht erfolgt war, könnte das Kribbeln aufgetreten sein. Piantanida könnte dann sein Visier geöffnet haben, um mit Hilfe der Hypoxia dies zu kompensieren. Als nächstes hätte er dann den Helm nicht mehr richtig schließen können. In Panik versuchte er, aus der Kapsel auszusteigen, und zog dabei das Kabel zum Funkgerät, weshalb sein letztes Wort abgeschnitten wurde. Der niedrige Druck übermannt ihn und er schafft den Absprung nicht.

Diese Theorie klingt plausibel, vor allem, weil der Druckanzug in einer späteren Untersuchung absolut dicht war. Eine andere Idee war gewesen, dass Piantanida vielleicht aus Versehen anstatt der Einstellung der Sonnenblende auf der linken Seite des Helmes die des Druckvisiers auf der rechten Seite betätigt haben könnte. Diese Idee wurde aber verworfen, weil man als Argument gab, dass Piantanida sicher nicht die Seiten des Helms verwechseln würde.

Was auch immer passiert war: Es hatte Piantanidas Gesundheit schwer beschädigt. Nick Piantanida starb am 29. August 1966 an den Folgen der Dekompression, die er in 17 Kilometern Höhe erfahren hatte.

2 thoughts on “Vor 45 Jahren: Strato-Jump III

  1. Zum Absprung von Kittinger ist mir ein Filmbeitrag bekannt. Mit abgeworfenen Dummys hatte man gemessen, dass sich ein menschlicher Körper mit ca. 200(?) Umdrehungen pro Minute um die eigene Achse drehen würde. Eine Stabilisierung, wie sie Fallschirmspringer bei dem Luftdruck in normalen Absprunghöhen durchführen, galt als unmöglich. Deshalb ja auch die Entwicklung des speziellen Schirmes. Ich war auch erstaunt über die Bedeutung des Luftdruckes. Wenn z.B. ein Jetpilot bei sehr hohen Geschwindigkeiten mit dem Schleudersitz aussteigen muss, kommt ihm der geringe Luftdruck wieder zugute. Er würde sonst vom Gegenwind wohl erschlagen. Auch die sehr hohen Windgeschwindigkeiten auf dem Mars sind durch den geringen atmosphärischen Druck für die Rover ohne Folge.

  2. Ja, dieses Projekt „High Dive“ mit den Dummys hatte schon einige interessante und wichtige Resultate erbracht, so wie das von dir genannte. Deswegen wollte Kittinger diesen mehrstufigen Fallschirm selbst testen. Ich hab es leider nicht in den Artikel geschrieben, aber bei Excelsior I ist folgendes passiert: Kittinger zog insgesamt drei Mal an der Auslösungsleine, bevor er absprang. Er meinte, dass sich erst beim dritten Versuch beide Pins, die an der Leine hingen gelöst hätten. Es war aber so, dass schon beim ersten Versuch der erste Pin gezogen wurde, und damit auch der Timer lief, der den ersten Fallschirm 16 Sekunden nach dem Sprung öffnen sollte. Der zweite Pin aktivierte dann den Aneroiden, der den Hauptfallschirm in 6 km Höhe öffnete.
    Durch die verlorene Zeit öffnete sich der 1. Schirm schon vier Sekunden nach dem Sprunke, als Kittinger noch viel zu langsam war: Der Schirm wickelte sich um seinen Hals und Kittinger drehte sich mit bis zu 120 Upm, weswegen er bewusstlos wurde. Der Hauptfallschirm verhedderte sich wegen der Drehbewegung dann auch noch. Der in 3 km Höhe automatisch ausgelöste Reserveschirm funktionierte dann und rettete Kittinger das Leben.

    Bei Andrejew scheint es ja keinen Stabilisierungsschirm gegeben zu haben (oder haben die Soviets ihn verschwiegen?). Michel Fournier wollte 2008 ja auch nur mit Skydiving aus 40 km Höhe springen, so wie jetzt auch Felix Baumgartner mit dem Red Bull-Ballon: http://www.redbullstratos.com/Challenge.aspx#Challenge

    (Aus irgendeinem Grund spricht man da aber Piantanida gar nicht an…)

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