Dragon

Stellen Sie sich mal vor, sie gehen in ein Geschäft und wollen ein Fahrrad kaufen. Sie brauchen es, um ihr Auto in Rente zu schicken und wollen damit alle Einkäufe transportieren. Also sagen Sie zum Verkäufer „Ich brauche ein City Rad, bei dem man schnell aufsteigen kann und das vor allem viel Gepäck transportieren kann, mit einem stabilen Gepäckträger und vorne mit einem Einkaufskorb.“

Der Verkäufer sagt: „So was haben wir nicht. Aber hier haben wir ein Cross-Terrain Bike. Da können sie einen kleinen, nicht zu schweren Korb auf dem Gepäckträger festschnallen. Aber sie kommen mit dem überall hin und können nicht nur in der Stadt fahren und notfalls können auf dem Bananensattel auch zwei fahren“.

Was machen Sie kaufen sie das Ding? Nun sie sehen in welcher Lage die NASA derzeit ist`, wenn sie die Dragon als Frachter bucht. Aber vielleicht fange ich mal an, mit dem was die Dragon für die NASA leisten muss (wichtig für die NASA und nicht für SpaceX). Die NASA weiß seit 2005, dass sie die Space Shuttle ausmustern muss und hat sich darauf vorbereitet. Die Shuttles hätten viermal pro Jahr eine neue Besatzung zur ISS gebracht und jeder Flug hätte auch noch bis zu 15 t Nutzlast mitführen können. Selbst wenn man diese nicht vollständig ausnutzt, ist klar, dass hier eine riesige Lücke klafft. So optimierte die NASA zusammen mit den Partnern den Verbrauch. Die ISS bekam ein neues Lebenserhaltungssystem, dass 90% anstatt 63% des Wassers rückgewinnt und aus Wasser und Kohlendioxid wird nun Sauerstoff gewonnen. ATV-02, „Johannes Kepler“ wird die ISS um 40 km anheben – solange die Space Shuttles sie anflogen, war dies nicht sinnvoll, da die Nutzlast bei 40 km Höhenunterschied um rund 2 t absinkt. All diese Maßnahmen senken den Bedarf an Wasser, Sauerstoff und Treibstoff – Johannes Kepler führt zum Beispiel gar kein Wasser zur ISS. Damit können Progress und ATV mehr Fracht im Druckmodul zur ISS bringen.

Der Shuttle hätte vor allem Fracht in einem MPLM transportiert, also unter Druck. Das sind Lebensmittel, Gerätschaften, Ersatzteile für den Innenteil der Station, Bekleidung, Experimente, in Grenzen auch Wasser in Kanistern. Dazu kam die Fähigkeit mittels Paletten sogenannte ORU’s (Orbital Replacement Units) an der Außenseite der Station zu platzieren. Das sind sperrige Ersatzteile für die Außenmontage. Der Bedarf an diesen ist jedoch deutlich kleiner, das zeigte sich schon bei den bisherigen Versorgungsflügen.

Nun gibt es aber ein kleines Problem – es zeigte sich, dass diese Fracht recht voluminös ist. Sie kennen das vielleicht vom Einkauf. Wenn sie nicht gerade nur Getränke kaufen und mal das Volumen der Einkaufstüte im Verhältnis zum Gewicht setzen, dann stellt sich raus, dass das Volumen viel größer ist als der Inhalt, die Dichte also gering.

Die ESA berichtet im ESA Bulletin 143 darüber, das die Dichte von Fracht im Druckmodul nur bei 250 kg/m³ liegt, anstatt 500 kg/m³ wie bei den Planungen und den Bemühungen nun mehr Fracht mitzuführen indem man z.B. an der hinten Wand und dem konusförmigen Vorderteil weitere Frachtbehälter anzubringen. Das ATV ist besonders betroffen, weil es nach den ursprünglichen Planungen rund 5,5 t Treibstoff und 800 kg Wasser pro Flug transportieren musste und nun der Bedarf an diesen Gütern stark gesunken ist, aber in den Frachtbehälter ohne Änderung gar nicht so viel Fracht rein passen würde, wie man transportieren könnte. Auch das zweite HTV wurde angepasst um die Frachtmenge zu erhöhen.

Diese Erkenntnis hat sich noch nicht zu SpaceX herumgesprochen. Die Reklame für die Dragon ist beeindruckend. Sie kann auf dem Land landen, sie kann auch Fracht zur Erde zurückbringen. Sie soll bemannt eingesetzt werden können und wäre auch für die Landung auf anderen Himmelskörpern geeignet. Kurzum, die eierlegende Wollmilchssau.

Die hohe Frachtangabe von 6 t machte lange Zeit keinen Sinn, da die Falcon 9 bis zum April dieses Jahres anfangs 6,8 t Nutzlast transportieren sollte und später 9,8 t. Da die Dragon leer 4,9 t wiegt und dazu noch 1,23 t Treibstoff kommen, (Quelle) war sie zu schwer für die Falcon 9 bei 6 t Fracht. Daraus konnte man bei dem Block II Design von maximal 3,67 t Fracht ausgehen. Nun mit der Nutzlasterhöhung auf 16 t bei der Falcon 9 rücken die 6 t sogar in den Bereich des möglichen.

wer mich kennt was nun was jetzt kommt:

Aber…

Aber die Dragon entspricht nur bedingt dem, was der Kunde NASA wünscht. Die Dragon kann nach COTS Presskit 3.310 kg in der Kapsel und die gleiche Menge in einem Zylinder, dann ohne Druckausgleich, befördern. Der Bedarf für die letzte Fracht ist klein. Die meisten Space Shuttle Flüge die reine Versorgungstransporte waren, hatten Druckmodule an Bord. Von den 3.310 kg geht auf jeden Fall noch das Gewicht einer Palette ab, deren leichteste die Expresspalette 1.350 kg wiegt. Der Shuttle wird in den letzten Flügen sehr viele ORU’s zur Station bringen. Ich denke vielleicht 1-2 Transporte wird dann noch pro Jahr weitere ORU’s bringen. Schon wegen des Aufwands beim Ersetzen (Raumspaziergang) sind die meisten Systeme so konzipiert, dass sie möglichst wenige ORU’s brauchen. Für mechanische Verschleißteile geht es aber nicht ohne.

Bleibt also noch die Fracht im Druckmodul (wir sind schon auf 3.310 kg pro Flug gesunken). Hier schlägt das erwähnte Dichteproblem zu. Anbei mal die Volumina in den Frachträumen einiger anderer Transporter und die beförderte Fracht:

Transporter Gesamtes Innenvolumen maximale Frachtmenge Dichte
ATV 46,5 m³, 16 m³ für Fracht 5,5 t 0,118
HTV 14 m³ für Fracht 4,5 t 0,321
Shuttle MPLM 70 m³, 39 m² für Fracht 9,1 t 0,13
Cygnus 18,9 m³ 2,3 t 0,121
Dragon 6,8 m³ 3,31 t 0,486

Wenn ich mal von dem HTV absehe, von dem ich nur das Volumen für die Fracht habe (bei gleichen Verhältnissen wie beim ATV sollte das Gesamtvolumen bei ca. 40 m³ liegen, was dann auch einen Quotienten von 0,113 ergibt) liegen alle anderen Transporter bei 0,118 bis 0,13 kg/l. Logisch – denn die Fracht weist ja wie wir nun dank obiger ESA Quelle wissen, ein Volumen von 0,25 kg/l auf und es gibt ja noch etwas leervolumen zwischen den Racks, die Behälter sind zylinderförmig und selbst wenn man bis zur Mitte packen würde, (was etwas schwierig wird), kann man Racks schlecht in gekrümmte Wände einbauen.

Nur die Dragon liegt viermal höher. Da ich aber nicht glaube, dass die Dragon nun besondere Fracht transportieren wird, die eine besonders hohe Dichte hat, ist es auch nichts mit der hohen Nutzlast. Und es gibt auch zwei Dinge die dafür sprechen. Erstens: SpaceX muss 20 t in 12 Flügen transportieren, also rund 1.666 kg pro Flug und nicht 6.610 kg. Warum sollte die Firma darauf eingehen, wenn sie doch die gleiche Fracht in drei Flügen transportieren könnte?

Das zweite ist, dass ich für die Dragon auch ein Innenvolumen von 10 m³ bei SpaceX finde (obige Angabe ist von der NASA). Das lässt den Schluss zu dass 6,8 m³ das nutzbare Frachtvolumen und 10 m³ das Gesamtvolumen sind (immer noch zweimal kleiner als bei der Cygnus mit nur 2,3 t Fracht). Was erhalten sie aber, wenn sie 6,8 m³ mit der mittleren Frachtdichte von 240 kg/m³ multiplizieren – genau 1.700 kg, also die in den CRS Verträgen vereinbarte Menge.

Es bleibt wie bei der Falcon Heavy – toll wenn man so viel Fracht transportieren kann, dumm nur, dass das Volumen dafür nicht ausreicht. Auch die Falcon Heavy ist zu groß für alle bekannten Nutzlasten. Eben am Bedarf vorbeiogeplant.

Bleibt noch die Fähigkeit Fracht zurückzubringen. Die ist in der Tat einzigartig und auch vorteilhaft. Aber auch hier gibt es den Bedarf nicht. Die ESA rechnete bei der Konzeption ihres CRV (ATV mit Rückkehrkapsel) mit 1.000 bis 1.500 kg Fracht, die zur Erde gebracht werden muss – nicht pro Flug sondern pro Jahr. Bei 2.500 kg pro Dragon würde also eine einzige pro Jahr ausreichen.

Das Grundproblem ist, dass die Dragon wahrscheinlich schon entworfen wurde um sie später als bemannten Transporter anzudienen. Die älteste Referenz über die Dragon die ich fand ist vom 6.3.2006. Sie ist also älter als die Verträge mit der NASA. Anders ist die Kapselform und Landefähigkeit nicht zu erklären (eine Wiederverwendung scheint ja nicht geplant zu sein). Nur ist sie dafür wegen der Form und des bei einem Kegel sehr kleinen Innenvolumens (dreimal kleiner als bei einem gleich großen Zylinder) nicht geeignet. Aber wer weiß – vielleicht kann man ja im Dragonlab bald Blei in Gold umwandeln? Elon Musk wäre es zuzutrauen und dann stimmt auch die Dichte der Fracht wieder…

8 thoughts on “Dragon

  1. Mich erstaunt, dass ein Transportunternehmen (SpaceX) so derbe am Bedarf vorbei planen kann. Dass neben der Nutzlast natürlich auch das Volumen von Bedeutung ist, weiß jeder Spediteur und sollte das bei seinen Angeboten berücksichtigen. Nicht nur in der Luft- und Raumfahrt. Das muss doch auch in der Aufgabenstellung seitens der Nasa angegeben gewesen sein.
    Die USA transportieren ja sogar ihre Rüstungsgüter mit privaten Unternehmen bis ins Einsatzgebiet. Panzer und LKW wurden mit von Privatunternehmen betriebenen RoRo Schiffen in den Irak verbracht. Da funktioniert die Zusammenarbeit mit der Transportwirtschaft offensichtlich.

    Zu den einzelnen, vom Blogautor beschriebenen Daten und Fakten zu den Nutzlasten kann ich nicht viel sagen.
    Dass natürlich auch der atmosphärische Druck, unter der eine Ladung steht, berücksichtigt werden muss, ist mir erst im Laufe des Artikels als wichtiges Problem bewusst geworden. Welche atmosphärische Situation liegt in der ISS eigentlich vor?
    Hier mal ein paar Zahlen, die ich auf die Schnelle recherchieren konnte:
    Apollo-Sojus-Test-Projekt 1975:
    Apollo: Sauerstoffatmosphäre (0,34bar)
    in der Sojus: Sauerstoff-Stickstoff-Mischung (0,67bar)
    Russischer Solol Druckanzug 400 hPa über dem Umgebungsdruck, kann auf einen Druck von 270 hPa gesenkt werden um notfalls mehr Bewegungsfreiheit zu haben, dann aber Versorgung mit reinem Sauerstoff und dem Risiko der Dekompression für den Körper.
    Man kann ja in einem geschlossenen System wie der ISS den Druck und sicher auch den Sauerstoffgehalt nur in sehr engen Parametern anpassen. Wenn man schon Volumen und Nutzlasten so schlecht berücksichtigt, wie sieht es denn dann mit den anderen Parametern, wie z.B. dem Druck aus? Oder bekommt Space X versiegelte Behälter mit Druckschleuse gestellt und kann das Problem folglich ausklammern?

  2. Die ISS setzt eine normale Atmosphäre ein wie auf der Erde, die Dragon und alle Transporter auch, doch wenn nicht so ist bei dem großen Volumen der ISS es wurst, der Druckabfall wäre gering. Die Dragon wurde von Anfang an so geplant, währenddessen wurde die Cygnus, das Konkurrenzprodukt von OSC verändert. Anfangs war auch da von einer Rückkehrkapsel die Rede, später wurde nur wie bei HTV und ATV ein Frachtzylinder eingesetzt, allerdings mit kleinerem Durchmesser.

    Vielleicht muss SpaceX auch das entwerfen, was Chief-Rocket Engineer Elon Musk wünscht. Anders kann ich mir nicht erklären, warum man so am Bedarf vorbeiplant. Wobei man sagen muss, das die Nutzlast bei der ersten Generation der Falcon 9 ja passte, nur plant nun SpaceX eine um 60% leistungsfähigere Rakete. Leider wächst die Kapsel aber nicht mit….

  3. Die können ja außen noch ein paar Aldi-Plastetüten ranbinden, und schon haben sie das nötige Volumen. Was davon unterwegs verlorengeht ist dann schon wieder ein anderes Problem. Aber sicher fällt Elon Musk auch da ein, wie er das als Vorteil verkaufen kann.

    Aber mal im Ernst: Mit einem zusätzlichen Behälter ähnlich der Orbitalsektin bei der Sojus könnte das Problem etwas entschärft werden. Wobei das Teil ja auch wieder was wiegt, und damit die Nutzlast verringert…
    Aber das wäre eben ein Orientieren am Bedarf, nicht an Visionen. (Um nicht spinnereien zu sagen.) Warum sollte man auch etwas bauen, was sich bei anderen seit Jahrzehnten bewährt hat? Sowas hat Elon Musk ja nicht nötig.

  4. hm… – das ganze erinnert mich an die Konsumgüterindustrie. Da hab ich auch manchmal den Eindruck, das Produkte entwickelt werden, für die es keinen Markt gibt. Damit man sie dennoch verkaufen kann, wird der Markt dafür hinterher geschaffen. Ich vermute mal, diese Strategie verfolgt SpaceX ebenfalls. Sie entwickeln etwas, das im Augenblick niemand braucht, aber wenn es dann mal da ist (und voraus gesetzt, es funktioniert), dann kann man anschliessend auch die Nutzungsmöglichkeiten dafür vorschlagen. Dann wird man sehen, ob sich jemand findet, der es tatsächlich brauchen kann…

  5. Hallo

    Ich hätte da mal als Ingeneurlaie eine Frage. Sicher ist die Dragon in ihrer jetzigen Form etwas klein geraten….aber wäre es teuer den Anhang auch noch mit druckmodulen auszustatten.
    Bzw. wie teuer und aufwändig wäre ihrer Meinung nach die Entwicklung einer größeren Kapsel auf Basis der Dragon? Ich meine mindestens die Größe des größeren Frachtschutzes dürften doch im bereich des möglichen liegen, ohne gleich die Falcon 9 ändern zu müssen. Gewichtsmäßig ist mit den neuen Merlin 1D sowieso noch etwas Luft nach oben.
    Kann ja durchaus sein, dass man die beschränkten Geldmittel erstmal so verwendet hat, dass man sich möglichst viel Verdienst durch breites Einsatzspektrum erhofft (sprich die Dragon als eierlegende Wollmilchsau)….aber das ist ja nur logisch für gewinnorientiertes Planen….aber eben dadurch dürfte man doch eigentlich ein breites Spektrum von Technologien entwickelt haben, um als nächstes deutlich einfacher spezialisierte, größere Kapseln zu konstruieren. Oder täusche ich mich da?

    Mit freundlichen Grüßen

  6. Die Dragon ist älter als die COTS Ausschreibung und die CRS Verträge und tauchte schon einige Monate vor der Ausschreibung der NASA auf der website auf. Daher ist es logisch dass sie dafür nicht optimal ist. Ob eine größere Kapsel möglich ist muss SpaceX beantworten. Die Dragon hat denselben Durchmesser wie die letzte Stufe. Da man schlecht Befestigungen zur letzten Stufe an dem Hitzeschutzschild anbringen kann. würde ich sagen, sie kann nicht größer werden, ohne dass Anpassungen nötig sind. Es gibt aber keine Indizien, dass SpaceX was größeres plant.

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