Die USA und das SI-System

Oder : eine unendliche Geschichte. Man kann es sich nicht vorstellen – vor knapp 200 Jahren gab es überall in Europa unterschiedliche Maße und Gewichte. Nicht nur in Deutschland wo es zig eigenständige Monarchen gab, sondern auch im zentralistischen Frankreich. Das hemmte Handel und beschwor Streit gerade zu heraus. Daher war eine der Dinge, die uns die französische Revolution brachte und die bis heute nachwirken, die Schaffung eines Systems das alle Maße und Gewichte ablösen sollte. Ursprünglich nur gedacht für die Masse und Länge gibt es mittlerweile einige weitere Basisgrößen.

Und obwohl man im restlichen Europa nicht viel von der französischen Revolution hielt, hat man die neuen Maße schnell übernommen – der Vorteil war offensichtlich. Nach und nach hat es sich so auch in der ganzen Welt durchgesetzt, bis auf drei Staaten: Liberia, Myanmar und … die USA.

Die USA haben sich zwar 1866 dazu bereit erklärt das System einzuführen, aber es bisher noch nicht umgesetzt. Bisher scheiterten alle Versuche am Widerstand der Bevölkerung. Das ist ein Unikum, vor allem in der heutigen Zeit. Schließlich haben wir weltweiten Handel, der lebt davon, dass alle mit denselben Maßen arbeiten. Man stelle sich mal vor man kauft ein hoch präzise geschliffenes Teil in Zoll und es ist dann nicht 100 cm lang sondern 100,078 cm und passt nicht ….

Nun können sich die USA auch nicht von der Welt abkoppeln, auch wenn sie meinen sie könnten dem Rest der Welt alles vorschreiben. In der Wissenschaft und ich denke das gilt auch für die universitäre Ausbildung, ist das SI System weltweit verbreitet. Das gilt auch für uns. Es gibt ja eine SI Einheit die wir im täglichen Leben nicht verwenden – Kelvin für die Temperatur. Während meines Studiums habe ich nur mit Kelvin gearbeitet, nie mit Grad Celsius. Alle Angaben waren in Kelvin. Ich habe auch keine Aufsätze von US-Autoren gesehen die keine SI-Einheiten benutzen.

Das Problem in den USA scheint die Mittelschicht zu sein, das was zwischen Volk und Universität liegt – also bei der Ausbildung zum Beispiel die Ingenieurwissenschaften. Oder eben Firmen. Es ist kein Geheimnis, das um mal den Teil zu nehmen, mit dem der Raumfahrtanhänger es zu tun hat, das in den größeren US-Luft und Raumfahrtfirmen das US-System genutzt wird und bei dem Militär (USAF) ebenfalls.

Nun wer sich mit der Raumfahrt auskennt weis ja welche Folgen das hat – 1998 ging die Raumsonde Mars Climate Orbiter verloren, weil zur Kompensation von Störmomenten die Software des JPL mit Newton rechnete, Tabellen welche die Daten von Störkräften des Raumfahrzeugs enthielten und die von Lockheed Martin stammten, aber in der US-Einheit lbf waren, die und 4,5 mal höhere Kräfte zur Folge hatten. Die Raumsonde kam zu stark vom Kurs ab, trat in die Marsatmosphäre ein und verglühte.

Die Häme im Rest der Welt war unüberhörbar. Das schlimme – 13 Jahre später ist es immer noch so. Es gibt immer noch NASA Websites die nur in US-Einheiten sind. Ein Großteil ist gemischt, Das liegt auch daran, dass die NASA nur das CMS zur Verfügung steht, die Gestaltung des Inhalts der Webseiten aber durch die verantwortlichen PI und ihre Institute erfolgt.

Wer in der Historie nachschaut wird sehen, dass dies schon immer so war. In den Apollo Presskits sind die Daten der Saturn V, die vom MSFC in metrischen Einheiten, mit den US-Einheiten als Klammern und die der Raumfahrzeuge nur in US-Einheiten.

Das schlimme ist, dass diese US-Anomalie Folgen hat. Man könnte ja meinen: „Okay diese drolligen Amerikaner braten wie auch in anderen Dingen eine Extrawurst, was geht uns das an?“ Nun die Folgen sind die, das heute Firmen, Technologie und Wissenschaft so verflochten sind, dass US-Einheiten auch hierhin ausstrahlen, nun zumindest eine Einheit. Als ich mich zum ersten Mal mit Raumfahrt beschäftigte waren alle Bücher mit SI-Einheiten insbesondere bei der des spezifischen Impulses. Vielleicht eine folge des Debakels bei der Europa-Rakete. Eines der Probleme dort waren neben verschiedenen Sprachen bei der Dokumentation auch die Verwendung von englischen und SI-Einheiten. Vielleicht aber auch eine Folge dessen, dass die erste Generation von Lehrenden an unseren Universitäten aus dem Umfeld von von Braun stammten – und der setzte dort wo er es konnte SI-Einheiten durch.

Inzwischen lehren bei uns Professoren die mal Astronauten waren und ihre Raumfahrtausbildung in den USA bekamen und Firmen haben ebenfalls die US-Einheit für den spezifischen Impuls übernommen, weil alle US-Firmen sie so angeben – komischerweise nicht die offiziellen Programme der NASA zur Berechnung dieser Größe. Der Verfall der Bildung bei uns, zeigt sich auch in dem Wikipedia Eintrag über den spezifischen Impuls. Ich habe inzwischen aufgegeben da noch was am Artikel selbst zu korrigieren. Schlussendlich wird die falsche Aussage dann ja wieder zurückkorrigiert. Das fängt schon mit der Einleitung an:

„Daraus ergibt sich für den massenspezifischen Impuls die – physikalisch korrekte und SI-konforme – Einheit   \textstyle (\frac m s). Hierbei handelt es sich um die ursprüngliche, aber mittlerweile veraltete Formulierung. Durch Verwendung der Einheit \textstyle (\frac m s) ergeben sich Probleme bzgl. der Vergleichbarkeit von Daten mit Ländern, die andere Längeneinheiten als [m] verwenden.“

Die Einheit ist nicht veraltet, sie wurde nur durch eine in einem anderen Land übliche verdrängt. Veraltet wäre vielleicht die Einheit Torr für den Druck. Und es gibt nicht Probleme mit Ländern die andere Längeneinheiten verwenden. Es gibt in der Luft- und Raumfahrt (von dort stammt ja die Größe) ja nur die USA. Also sollte man das so hinschreiben und nicht so tun als gäbe es 100 Länder die andere Längeneinheiten einsetzen.

Würden wir nicht von einer Einheit reden, die es nur in der Luft & Raumfahrt gibt, sondern die anderen Größen die man auch gerne in den Lehrbüchern findet (die ja auch aus den USA kommen), wie ft/s oder lbf oder inch, dann würde keiner eine Diskussion darüber anfangen. So müssen wir wahrscheinlich noch warten bis nochmal ein Satellit oder eine Raumsonde verloren geht oder ein US-Transporter die ISS rammt, weil die Geschwindigkeitsangaben in m/s als ft/s interpretiert werden…..

Mich würde mal interessieren ob es eine Übersicht gibt was die USA dieses separate Einheitensystem noch so kostet – an Verwaltungsaufwand, an fehlerhaften Teilen aus em Ausland, an Unglücken wie obigen wenn mit zwei Einheitensystemen gerechnet wird.

7 thoughts on “Die USA und das SI-System

  1. Das Problem gibt es in der Elektronik aber auch: Da werden Längenangaben sehr gerne noch in Zoll, bzw. inch gemacht. So ist der Abstand zwischen den Beinen eines integrieten Schaltkreises in der Regel ein zehntel Zoll also 0,254mm. Bei kleineren, sogenannten SMD Bauteilen auch ein zwanzigstel Zoll oder eben 0,127mm. – In Datenblättern wird zum Glück beides angegeben.
    Und was die Temperaturen angeht so werden die doch auch heute in vielen englischsprachigen Ländern immer noch in Grad Fahrenheit angegben. Somit liegen die Temperaturen eines heissen Sommers dort nicht um 30° bis 35° sondern bei 86° bis 95°, eben nach Fahrenheit. – Und das Wasser kocht dann auch erst bei 212°. (Okay, wenn man es genau nimmt, ist dabei auch noch der Luftdruck zu berücksichtigen, aber das ist beim kochen nicht nötig.)
    Ach ja, und während der Ausbildung und im Studium der Elektrotechnik hab ich auch in Kelvin rechnen dürfen. Allerdings gestaltet sich das umrechen dabei wesentlich einfacher, wenn man sonst in °C rechnet. Aber das wissen hier vermutlich eh alle Leser… 😉

  2. Es ist noch viel schlimmer, wenn man damit leben muss… Was nämlich hinzu kommt: Die meisten können hier gar nicht mal im eigenen Einheitensystem umrechnen. Fragt man beispielsweise, wieviele Füsse eine (statute) Meile ergeben, sieht man lauter lange Gesichter (5280 ft = 1 mi). Die Leute auf der Strasse haben zudem keinen blassen Schimmer, wie man in SI-Einheiten umrechnet. Sie nennen das SI-System „metric“, um anzudeuten, dass es eines unter vielen ist. Fragt man nach, dann heisst es: „Na ja, das verwendet man glaub in einigen europäischen Ländern oder so.“

    Für wissenschaftliche Publikationen sind in der Tat SI-Einheiten vorgeschrieben. Trotzdem gibt es damit ständig Probleme, beispielsweise weil in der englischen Sprache Einheiten einen Plural kennen. So sind es dann eben „110 volts“ oder „2 gals“. Wehe dem, der das Plural-s als Sekunde interpretiert. Grossschreibung ist Zufall, „kva“ oder „KVA“ sieht man ungefähr gleich oft — richtig wäre allerdings „kVA“. Sowieso ist Kreativität bei SI-Einheiten gefragt, ein paar Müsterchen gefällig? 5 K = 5 km oder 5 gr = 5 g oder 5 secs = 5 s oder 5 mt = 5000 kg oder 20 C = 20°C (C wäre Coulomb).

    Bruchteile einer Einheit werden als gewöhnliche Binärbrüche dargestellt. Wer kommt denn auf so eine Schnapsidee? Die Bohrer sind also 1/32″, 1/16″, 3/32″, 1/8″, 5/32″, 3/16″… Meist wird gar in Nummern gesprochen, z.B. Kunststoffdübel „Gauge 5“ entspricht 5/16 in. Man lässt den Anwender bewusst im Unklaren, dass es sich hierbei um Sechzehntelzoll handelt.

    Und last but not least: Amerika ist das Land der Adapter. So gibt es bestimmt hundert verschiedene Gewindetypen. Zylindrisch und konisch, fein und grob, mit und ohne Dichtfunktion, von Firma A oder B… Für alles gibt es Adapter. Wahrscheinlich ist das „Big Business“…

  3. Moin,

    es gibt einige Ausnahmen, wo ich lieber doch nicht in metrischen Einheiten rechne.

    – Seemeilen und Knoten sind in der Navigation einfach praktischer als km
    – Inch ist fuer das Layout auf Papier praktischer als cm
    – Inch ist auch beim Jeans-Kauf praktischer als die Deutschen Kleidergroessen.

    ciao,Michael

  4. Es wäre vielleicht noch zu erwähnen, das Lukas derzeit in den USA arbeitet, also als Insider hier spricht.

    Die Sache, dass US-Einheiten in anderen Bereichen eine Bedeutung haben kennen wir natürlich alle, das ist historisch gewachsen und ich muss sagen, dass ich da auch ein ambivalentes Verhältnis habe.

    Im Computerbereich kenne wir alle die Zollangaben, die meisten wahrscheinlich von den Bildschirmdiagonalen. Vor so 10-15 Jahren schwappte ja die Abmahnwelle durch die Lande und seitdem steht dann überall drauf „8,89 cm / 3,5 Zoll Bildschirm“. Damals fand ich dass ziemlich blöd. Weil heute aber die Angaben auch keine echten Brüche mehr von US-Einheiten sind, so gibt es 18,5 Zoll und 15,6 Zoll Bildschirme, finde ich die kürzere Zahl an Stellen ist auch nicht mehr gegeben und dann orientiere ich mich eben nach 80, 94 oder 100 cm Diagonale bei Fernsehern.

    Ich weis nicht wie Michel drauf kommt, dass man in nautischen Meilen leichter Rechnen kann. Die Einheit ist ja auch eine in der US-Raumfahrt gängige, nachdem die Luftfahrt sie von der Schifffahrt übernommen hat und die Raumfahrt von der Luftfahrt. Doch im freien Weltraum ist sie ganz ohne Sinn. So kommt man nur zu komischen Zahlen. So ist der Referenzorbit der ISS on 407 km nicht so genau durch Simulationen bestimmt worden, sondern das sind einfach 220 nm.

  5. Wo wir gerade bei der Luftfahrt sind: die aus der Seefahrt übernommene Seemeile von 1852m wird dort ja auch noch immer verwendet sorgt auch gern mal für Verwirrung. Dieses krumme Mass ergibt sich ursprünglich als eine Bogenminute eines Erdmeridians oder des Äquators, d.h. einem Bogenwinkel von einer (winkel-)Minute des Erdumfangs, wenn man sich die Erde als Kugel denkt.

  6. Der bisherige Gipfel, was ich an durchgeknallten Einheiten gesehen habe:
    „32.6 mmscfd“ in einer Spezifikation eines Unternehmens in der Öl-und Gas Industrie, für das wir ein Spezialkabel anbieten sollten.
    Na, hat schon jemand spontan eine Ahnung, was „mmscfd“ bedeuten soll?

    Lösung:
    Erstes „m“ steht für Faktor „Tausend“, abgeleitet vom Römischen „M“, aber man schreibt ja lieber nur kleine Buchstaben…
    Zweites „m“ steht nochmal für Faktor „Tausend“. Insgesamt nun also Faktor „Million“.
    Das „s“ steht für „US-Standard“ (Vorsicht andere Bezugstemperatur und Druck als nach SI!)
    Die Buchstaben „cf“ stehen für „Cubic Feet“.
    Und als Krönung das „d“, das für „Daily“, also „Pro Tag“ steht.
    Das ganze ist also ein Volumenstrom an Gas! (==>m³/Tag)
    Ich wundere mich nur, dass nicht noch viel mehr schief geht.

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