Bringschuld

Ich habe gerade nach einem aktuellen Buch über Planetologie gesucht. Die welche ich habe sind vom Ende der Achtziger Jahre, als zum einen die Pioneer-Venus, Viking und Voyagersonden viel neue Erkenntnisse brachten, zum anderen keine neuen Sonden in Sicht waren. Seitdem ist es mau geworden. Dabei gab es seitdem enorm viele Missionen – nicht nur zum Mars. heute umkreisen Raumsonden auch noch Venus, Merkur und Saturn. Weitere zu Pluto und Jupiter sind unterwegs. Dazu kommen Mondsatelliten und Missionen zu Kometen und Planetoiden. Ich vermute das Problem liegt gerade in diesen vielen Sonden. Niemand will ein Buch schreiben, dass in wenigen Jahren durch neue Ergebnisse veraltet ist. Auf der anderen Seite wird sich daran auch nichts ändern, solange es neue Missionen gibt.

Doch es geht ja nicht nur um die Ergebnisse. Viele große Wissenschaftler haben früher auch Bücher für die Allgemeinheit geschrieben: Einstein, Heisenberg, Bohr, Feyneman sind solche Beispiele. Nun hat dies sicher auch mit der potentiellen Nachfrage zu tun – heute sind so bekannte Wissenschaftler selten, vielleicht gibt es noch Stephen Hawking als Ausnahme. Wer aber die Bücher liest, der bemerkt auch einen anderen Aspekt: Sie sind von dem begeistert was sie tun und wollen dies einer größeren Öffentlichkeit vermitteln. Dagegen haben viele Wissenschaftler heute nur noch die Reputation in der Fachwelt im Sinn.

Dann habe ich mich an die Recherche zu meinen beiden vorletzten Büchern über das ATV und die ISS erinnert. Beides sind ja Prestigeprojekte für die beiden Raumfahrtnationen. Doch wer meint, nun auf einen Fundus an Informationen zurückgreifen zu können irrt. Es gilt sich durch zahlreiche Webseiten zu lesen, zig Broschüren mit 90% identischem Inhalt aber 10% neuen Informationen und bei der ISS besonders schlimm: die Informationen über Module findet man nicht auf den Seiten über die ISS sondern muss sich etwa 30 Shuttle-Launchmanifests durchlesen.

Ja die Öffentlichkeitsarbeit von Raumfahrtagenturen aber auch Firmen ist miserabel. Ich ziehe gerade die aktuelle Berichterstattung zur Mission von Johannes Kepler nach. Deutschland ist mit rund 40% größter Beitragszahler am ATV und die Projektleitung liegt in Bremen. Was meint ihr findet man auf den Seiten des DLR? Neuester Eintrag: 24.2, Start des ATV. Bei EADS sieht es genauso aus. Die Frage die sich mir stellt – muss das so sein? Der Steuerzahler bezahlt für Raumfahrtprojekte dreistellige Millionenbeträge, sogar Milliarden. Und die Gegenleistungen an Öffentlichkeitsarbeit besteht aus Hochglanzbroschüren in denen selbst komplexe Projekte auf einigen Seiten abgehandelt werden ohne ins Detail zu gehen.

Man sollte meinen, die Raumfahrtbehörden und Firmen wären dann wenigstens hilfreich Fremdautoren zu unterstützen, die genau das leisten was sie nicht tun wollen oder können. Doch ich kann aus eigener Erfahrung sagen: dem ist nicht so. Zumindest nicht in Europa. In den USA ist es bei aktuellen Raumfahrtprojekten zwar genauso mau, aber zu den vergangenen gibt es zum einen die History Division die Bücher über Geschichte in Auftrag gibt und es gibt den Technical Reports Server in dem man in den veröffentlichten Fachaufsätzen recherchieren kann. Dagegen gibt es in Europa die Raumfahrt-Amnesie bei allen Projekten die mal waren. Man versuche nur mal auf den ESA -Seiten die Gesamtinformationen über Ariane 1-4 zusammenzutragen und diese zusammenzufassen und man weiß was ich meine.

Die Frage die ich mir stelle: warum eigentlich? Die Frage ist aus Sicht der Raumfahrtunternehmen recht einfach zu beantworten: Man wird bezahlt für die Fertigung von Hardware oder deren Entwicklung, dazu noch für technische Dokumentation, aber nicht für Bücher die sich an Laien oder Raumfahrtinteressierte mit Vorbildung richten. Und bei den Raumfahrtbehörden ist die Kompetenz recht klein, weil sie selbst das Projekt nur überwachen, aber die Durchführung an die Industrie abgegeben haben. Zumindest ist das mein Resümee bei den bisherigen Kontakten die ich hatte.

Zeit mal eine Gegenrechnung aufzumachen: Ich rechne für ein neues Buchprojekt mit etwa drei Monaten Vollzeitarbeit. Da in Firmen nur 8 Stunden am Tag gearbeitet wird, dazu nicht am Wochenende, dort man sich mehr Mühe gibt und anders als bei mir auch noch die Arbeit der Lektoren bezahlt werden muss rechnen wir mal 1 Mannjahr für ein Buch. Bei einem Stundensatz von 100 Euro, 150 Stunden/Monat und 12 Monaten sind das rund 180.000 Euro. Das klingt nach viel, macht bei einem nur kleinen Satelliten aber gerade mal ein Promille der Projektsumme aus. Bei so etwas wie dem ATV geht es sogar in Richtung 0,1 Promille. Dabei haben diese Projekte sehr oft die Tendenz ihren Kostenrahmen in weitaus größerem Maße zu überschreiten. Die Frage die ich mir stelle ist daher, warum man die Firmen nicht verdonnert ein wirkliches, ausführliches Buch über das Projekt zu schreiben, das deutlich tiefer geht als das was sie sonst so produzieren. Bei wissenschaftlichen Satelliten sollte zudem noch eines über die Ergebnisse nach Ende der Primärmission folgen. Diese könnte man dann kostenlos zum Download anbieten. Sicher ist das Publikum kleiner als bei den Hochglanzbroschüren. Doch eines dürfte unstrittig sein: diese Leser, die „Raumfahrtfans“ sind Multiplikatoren. Sie engagieren sich für ihr Hobby in der Öffentlichkeit, betreiben Webseiten, nehmen an Diskussionsgruppen teil oder sie sprechen nur in ihrem Freundeskreis über ihr Hobby. Sie mit Information zu füttern ist also insgesamt für die politische Unterstützung der Raumfahrt enorm wichtig. Aber solange das Geld auch ohne politische Unterstützung fliest braucht man ja keine Unterstützung …


5 thoughts on “Bringschuld

  1. „Man sollte meinen, die Raumfahrtbehörden und Firmen wären dann wenigstens hilfreich Fremdautoren zu unterstützen, die genau das leisten was sie nicht tun wollen oder können. Doch ich kann aus eigener Erfahrung sagen: dem ist nicht so. Zumindest nicht in Europa.“

    Das spiegelt auch zu 100% meine Erfahrungen wieder. Wende dich mal mit einer themenspezifischen Frage an LM (Lockheed Martin) und dann an EADS/Astrium. LM wird dir sehr wahrscheinlich antworten, Astrium ganz sicher nicht. Traurig aber wahr.

  2. Ja und wenn das Buch dann draussen ist bekommst Du negative Kritik von DLR Mitarbeitern die meinen es stände nur das drinnen was „öffentlich zugänglich ist“ aber selber keinerlei darüber hinausgehende Auskunft leisten wollen.

  3. Ich weiß das Kritik immer schwer zu verdauen ist, denn es liegt nun mal in der menschlichen Psyche gelobt werden zu wollen. Insbesondere nach monate- oder jahrelanger harter Arbeit (Vollzeit würde ich für ein Buch min. 6-8 Monate ansetzen). Aber auf die Kritik des Pressesprechers des DLR (wie in deinem Fall über das Raketenlexikon) würde ich nicht allzu viel geben.

  4. Oh ich habe auch Rückmeldung vom ATV Projektleiter bekommen (auf den ich mich mit der Bemerkung bezog) – hilfreich war er nicht )eher hat er falsch informiert), aber im Kommentar bemängelte er dass nichts „unbekanntes“ im Buch drin war. Astrium macht es natürlich noch besser – null antwort.

  5. Hm… – Wenn ich mir parallel dazu die Forderungen der Industrie nach Verschärfungen des Patentrechts oder die Bildungspolitik (in Deutschland) ansehe, dann komm ich zu dem Schluss, das es hier neben Prestige hauptsächlich um Macht geht, nämlich der Macht, anderen etwas vorenthalten zu können, das diese gern hätten. Und um Elitendenken, d.h. man will eine Elite sein, die andere bewusst ausschliesst und auch ausschliessen muss, weil sie sonst ihren Elitestatus verliert.
    In den USA klappt das nicht so ganz, weil es da ein Gesetz gibt, wonach alle aus Steuermitteln finanzierte Forschung auch öffentlich zu machen ist, sofern sie keinen militärischen Beschränkungen unterliegt oder die Sicherheit des Staates gefährdet. So ein Gesetz fehlt in Deutschland.

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