ISS Chaos

Geplant war nach einem Abkommen zwischen NASA, Roskosmos, JAXA und ESA aus dem Jahre 2006 der Betrieb der ISS bis 2015. Nachdem Barack Obama im letzten Februar das Constellation Programm offiziell beerdigte, gilt nun 2020 als letztes Datum. Eventuell sogar noch länger. Das klingt eigentlich ganz positiv. Doch wie ich als Nebenprodukt bei dem Update des ATV Buch Manuskripts erfuhr, hat dies wohl die Raumfahrtagenturen kalt erwischt. Die einzigen die wohl zufrieden sind, sind die Russen: Sie produzieren einfach wie seit 40 Jahren ihre Sojus und Progress weiter. Probleme die man im Westen kennt, wie nach einigen Jahren nicht mehr lieferbare Bauteile, kennen die Russen nicht. Erst letztes Jahr haben sie ihren Argon-16 Computer durch einen neuen ausgetauscht – der Argon 16 Computer stammt aus dem Jahr 1974. Vorher gab es keine Probleme neue zu bekommen und wahrscheinlich würde es die noch in ein paar Jahren geben. Das wäre wie wenn die NASA heute noch einen originalen Intel 8080 Prozessor kaufen wöllte.

Die ESA hat es dagegen kalt erwischt. Zum einen hat sie nur fünf ATV bestellt – das waren bis 2015 mehr als genug. Vier braucht man für die Beteiligung an der Fracht, ein fünfter erlaubt einen weiteren Astronauten für ein halbes Jahr ins All zu schicken. Nun gibt es an zwei Fronten Probleme: Zum einen gibt es bestimmte besonders qualifizierte elektronische Bauteile nicht mehr. Die noch verfügbaren reichen für en Bau von zwei weitere ATV aus. Doch selbst diese Lösung (zusammen mit dem ATV-5 wären es ja immerhin drei für einen Fünfjahreszeitraum, was einem Start alle 20 Monate entspricht, etwa genauso viel wie für die Periode von 2008 bis 2015 mit der NASA vereinbart) hat einen Haken: Die NASA will nun nach Ausfall der Shuttles eine andere Frachtzusammensetzung. Die Fähigkeit Treibstoff und Flüssigkeiten zu befördern, wird nicht mehr so gebraucht werden, bzw. soll von den Russen abdeckt werden. Da der alte Vertrag nur bis 2015 gültig ist, wird nun also neu verhandelt. Das bedeutet Umbauten am ATV, was auf eine Neuqualifikation rausläuft.

Die JAXA hat nichts verlautbart, ob sie weitere HTV bauen will oder nicht. Wenn sie Pech hat, dann bekommt sie dieselben Probleme mit der Lieferbar elektronischer Bauteile unter denen eigentlich jedes Raumfahrtprojekt im Westen leidet, wenn es sich wie bei ATV/HTV über 15-20 Jahre erstreckt.

Die NASA steht vor einem völligen Neuanfang. Immerhin werden in 1-2 Jahren zwei Systeme für die Versorgung zur Verfügung stehen. Was fehlt ist ein Crewtransporter – nun ja eigentlich fehlt keiner, denn anders als die Versorgung der ISS ist der Crewtransport alleine von Russland durchführbar. Nur kratzt das natürlich am nationalen Selbstbewusstsein. Nur: wer sich auskennt weis, ein bemanntes System zu entwickeln ist weitaus aufwendiger als ein unbemanntes vor allem auch zeitaufwendiger. Nun sind 16 Monate seit dem Beschluss, dass es die privaten Services richten sollen, vergangen und es ist noch nicht mal ein Auftrag erteilt worden. Nehmen wir mal an, das findet noch diesen Jahr statt, rechnen wir noch 5 Jahre (optimistisch) für die Entwicklung dazu und wir sind beim Jahr 2017 – lohnt sich echt für 3-4 Jahre. Realistischerweise würde ich aber bei einem bemannten Projekt 7 Jahre ansetzen. Constellation ging als es 2004 gestartet wurde von einem Jungfernflug mit einer Besatzung 2013 aus und das war nicht zu halten.

Das heißt sowohl für ESA wie auch NASA würden sich neue Systeme nur lohnen, wenn die ISS wesentlich länger betrieben wird. Doch ist das möglich? Bislang gibt es keine Erfahrungswerte über einen Betrieb einer bemannten Raumstation über 16 Jahre hinaus. Das war Mir und da war am Schluss alles verpilzt und es musste dauernd repariert werden. Wobei (wir erinnern uns) man bei den Russen ja wenigstens noch Ersatzteile nach Jahrzehnten fertigt. Bei der ISS sind ja schon die Leuchtstoffröhren vor der Fertigstellung knapp geworden, weil der Hersteller sie nicht mehr produziert. Lustig wird das wenn dann mal elektronische Bauteile ausfallen. De Fakto wird man davon ausgehen müssen, komplette Module ersetzen zu müssen. Ohne das Space Shuttle werden die einen eigenen Antrieb brauchen und auch der Austausch wird aufwendiger werden. Aber sicher nicht unmöglich. Ob es dazu kommen wird, hängt natürlich auch von der Politik ab. Bisher war mal die Rede von ISS-Reduktion auf den Kern, dann ISS Fertigstellung ohne zwei Module und Betrieb bis 2015 und nun Betrieb bis 2020. Ob sich aber auch jemand findet der dann sagt „Neue Module mit neuen Kosten für einen Weiterbetrieb?“ Man wird sehen. wer ich mit der Geschichte der ISS beschäftigt, weiß, dass diese Raumstation mehrmals vor dem Aus stand. Es muss sich die politische Landschaft verändern, damit vor allem der US-Steuerzahler nun neue Ausgaben für einen Weiterbetrieb aufbringt, wenn alte Bauteile ersetzt werden müssen.

Ich stehe mit der Meinung ja nicht alleine. Ähnliche Aussagen stammen auch von Dordain. Nur ist es jetzt zu spät. Natürlich wäre schon als man die ISS plante ein gemeinsames westliches konzept wichtig gewesen, vor allem für die kleineren Juniorpartner ESA und JAXA die nur einen Transporter alle 1-2 Jahre starten. Ein gemeinsames Antriebsmodul das den Transporter zur ISS bringt mit jeweils eigenen Frachtkontainern, angepasst an die Möglichkeiten der Trägerraketen, das wäre optimal gewesen. Aber erinnern wir uns: Damals (1998) gab es noch das Shuttle. Immerhin ESA und JAXA hätten sich zusammentun können. Jetzt läuft es darauf hinaus, das die USA zwei Versorgungssysteme für Fracht haben (Cygnus und Dragon). Die ESA für 1,4 Milliarden Euro ein ATV 2.0 entwickelt und die NASA noch ein weiteres bemanntes System. Zusammen mit den russischen und japanischen Systemen gibt es also bald 5 verschiedene Transporter und zwei Mannschaftstransporter.

Meine persönliche Meinung: Angesichts Kosten von 3,8 Milliarden Euro nur für den ESA Anteil für die nächsten 10 Jahre, dazu noch 1,4 Milliarden für ein „ATV 2.0“ und wahrscheinlich weitere kosten für die Transporter selbst sollte sich Europa überlegen ob ein Astronaut alle zwei Jahre auf der ISS das wert ist. So viel kommt dabei ja nicht rüberm wobei ich nicht von Forschung rede sondern Publicity, darum geht es ja. An anderer Stelle fehlt ja das Geld so für die Weiterentwicklung der Ariane 5 oder Exomars.

 

One thought on “ISS Chaos

  1. Die Überschrift passt gut, auch was den Europäischen (Deutschen) Anteil angeht. Ausser viel Spesen ist da nicht viel gewesen.
    Ich denke es resultiert aus der Zielsetzung (Dabei sein ist alles, oder wir wollen zeigen, dass wir es können). Dabei kommt eventuell Prestige für die Staaten herum, nicht aber eine zielgerichtete Vorgehensweise für eine sinnvolle Nutzung des Weltalls.

    Wenn man über eine Fortführung der Raumstation nachdenkt, dann sollte man auch über die dort vorzunehmende Forschung und Entwicklung nachdenken, und darauf aufbauend eine langfristige Planung der dafür notwendigen Ressourcen machen.

    Gehen wir mal davon aus es gäbe genug interessante Forschungsvorhaben für eine längerfristige flexible Forschung im erdnahen Raum, dann ist unter anderem eine der zu klärenden Fragen, wie bekommt man mehr Forschungsstunden bei begrenzter Personalkapazität. Es sollte nach den Erfahrungen mit MIR und ISS eigentlich festzustellen sein, welche Aufgaben am meisten Zeit der Astronauten verbrauchen, und man sollte versuchen diese zu automatisieren, oder durch das Design der Station zu verringern.
    Eine weitere Frage ist, was kann für eine Modernisierung der ISS oder den Aufbau einer Raumstation an mit Versorgern sowiso in den Orbit transportierten Bauteilen wiederverwendet werden.
    Eine weitere Frage ist, wie über Roboterarme notwendige Bau- bzw Umbaumaßnamen erleichtert werden können. Was würde denn dagegen sprechen, eine neue Raumstation von der bestehenden aus mit Roboterarmen zusammenzusetzen? Was würde dagegen sprechen, intakte Bauteile von einer alten auf eine neue Raumstation zu übertragen, oder neue Module an die alte Raumstation anzudocken?

    Nur wenn es langfristige Ziele und Anforderungen gibt, dann kann man sinnvoll planen, und wirtschaftliche Lösungen finden. Z.B. ist eine Leistungssteigerung der Ariane 5 neben einer 3 Fach Startmöglichkeit auch bei einer grösseren Transportmasse für den LEO interessant (15-20 zusätzliche Schwerlastflüge in den LEO mit der Option auf weitere Flüge bei Mondprojekten).

    Ich denke bei dem ganzen kurzfristigen rumgeeiere seitens NASA und Europäischer Politik sind wir aber mit kurzfristigen Projekten ohne wesentlichen Neuentwicklungen besser bedient, da bei einem begrenzten Zeitrahmen die Chance besteht, dass die Projekte auch zuende geführt werden.

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