Kleinvieh macht auch Mist

Ihr wisst ja, ich bin ein Ionentriebwerk-Fan. Ich denke pragmatisch und sie sind verfügbar, haben das Potential viel Treibstoff einzusparen und sie teilen etwas mit Unix/Linux: Sie sind die Triebwerke/das Betriebssystem der Zukunft – und das schon seit 40 Jahren ….

Also Zeit sie behutsam einzuführen. Da fiel mir wieder etwas ein. Heutige Planetensonden haben eine sehr großzügige Stromversorgung. Sie muss dem Rechnung tragen, dass alle Systeme zur Stromversorgung im Laufe der Zeit weniger Leistung liefern und vor allem alle Fälle abgedeckt werden müssen, also z.B. der Betrieb mehrerer Instrumente zur gleichen Zeit und eine Dehnung des Körpers. Während des Flugs zum Planeten ist eine Raumsonde aber weitgehend inaktiv und die Instrumente abgeschaltet und es gibt kaum Kommunikation mit der Erde – die nicht benötigte Leistung liegt brach.

Warum nicht diese für ein Ionentriebwerk nutzen? Sicher ist es nicht viel für diese stromhungrigen Triebwerke, aber die Reisezeiten können Jahre betragen. Über Jahre hinweg macht ein kleiner Schub auch einen großen Impuls. Warum nicht diese überschüssige Leistung nutzen. Also mal einen Fall durchspielen.

New Horizons benötigt 9,5 Jahre um von der erde zu Pluto zu kommen. Die Startgeschwindigkeit von der Erde betrug sensationelle 16,9 km/s, was schon ohne die Passage von Jupiter über der Fluchtgeschwindigkeit des Sonnensystems liegt. Dafür wiegt die Sonde aber auch weniger als 500 kg. Die Atlas 551 hätte über 20 t in eine LEO Bahn befördern können.

Hier nun ein Plan für „Ionentriebwerke im Kleinen“. Die Idee ist ganz einfach: Ein Ionentriebwerk wird dauernd betrieben. Aber nur mit dem Strom, der während der Reise zur Verfügung steht. New Horizons startet mit einer Anfangsleistung von 245,7 Watt die bis Pluto auf 202 Watt sinkt. Im Mittel stehen also 224 Watt zur Verfügung. Sie benötigt während der Cruise Phase rund 155 Watt. Rechnen wir 159 Watt, da diese auch ab und an von Kommunikationssessions unterbrochen ist. So werden 65 Watt an Leistung zur Verfügung stehen. Das ist nicht viel. Es ist weitaus weniger als die kleinsten Ionentriebwerke benötigen. Doch man kann auf Basis eines existierenden Triebwerks ein neues konstruieren:

Bezeiechnung RIT-10 (existent) RIT-4 (hypothetisch)
Gewicht: 1,2 kg 0,5 kg
Leistungsaufnahme 275 Watt <65 Watt
Schub: 0,01 N <0,0023 N
Ausströmgeschwindigkeit 38.500 m/s 38.500 m/s
Treibstoffverbrauch: 0,32 mg/s 0,075 mg/s

 

Dieses Triebwerk wird wenn es neun Jahre lang betrieben wird nur rund 21,2 kg Treibstoff verbrauchen. Sehr wenig. Doch wenn man für das ganze System (mit Treibstofftanks, Spannungskonverter etc.) 30 kg rechnet und so von einer beim Start 508 kg schweren Raumsonde ausgeht, so sind dies einer Geschwindigkeitssteigerung um 1.600 m/s. Das bedeutet, dass man entweder eine kleinere Trägerrakete benötigt (die kleinste Version der Atlas V (401) hätte ausgereicht), oder man die Reisedauer bedeutend absenken kann.

Warum macht man es nicht? Nun neben der der Raumfahrt inhärenten Beharrlichkeit und des konservativen Denkens, ist es auch nicht ohne Risiko. Beim chemischen Antrieb ist es relativ einfach. Nach wenigen Stunden steht die Bahn fest. Sie kann vorausberechnet werden und Abweichungen können durch kleine Korrekturen vorgenommen werden. Dagegen verändert ein Ionentriebwerk dauernd den Kurs. Wenn es kurzzeitig ausfällt oder pausieren muss, so muss man dies kompensieren. Ansonsten ist der Pluto wenn seine Bahn kreuzt wird nicht dort wo er sein sollte. Doch auch dafür gibt es Lösungen. Man setzt eben einfach nur einen Teil der Zeit die zur Verfügung steht für den Betrieb an, also z.B. nur 7 von 8 Jahren. Wenn alles erfolgreich lief, so verzichtet man einfach auf ein Jahr Betriebszeit. Ansonsten nutzt man das letzte Jahr. Natürlich ist dies sehr vereinfachend dargestellt, da in der Praxis sich laufend Geschwindigkeit und Ort ändern und man so den Kurs laufend neu berechnen muss, doch genauso ist man auch bei Dawn verfahren. Als die Raumsonde startete gab man als Ankunftsdatum bei Vesta den August 2011 an. Tatsächlich erreichte die Raumsonde schon am 15.7.2011 den Planetoiden. Das Triebwerk konnte also den Ankunftszeitraum verschieben und erlaubt so auch ein späteres Verlassen von Vesta (Juli 2012 anstatt Mai 2012).

Es ist also Stand der Technik. Einsetzbar wäre es bei allen Missionen bei denen sehr lange Reisezeiten vorliegen wie ins äußere Sonnensystem oder zu Merkur. Auch für Messenger wäre es eine Option gewesen, ja dort angesichts der nahe der Sonne schnell zunehmenden Leistung der Solarzellen sogar noch effektiver. Wegen des nur geringen Geschgwindigkeitsbedarfs für Venus und Mars ist es dort sinnlos, aber man kann ein Ionentriebwerk nutzen um den sonnennächsten Punkt anzuheben (Mars) oder den sonnenfernsten Punt abzusenken (Venus), während man zum Planeten fliegt. Der Nutzen liegt dann darin, dass die Differenzgeschwindigkeit um in einen Orbit einzuschwenken dann kleiner ist.

5 thoughts on “Kleinvieh macht auch Mist

  1. Das Problem liegt aber halt auch darin, dass wenn man bei NewHorizons ein Ionentriebwerk angehängt hätte, man damit zwar die Reisezeit verkürzt hätte – aber damit eben auch die Zeit, die beim Flyby bei Pluto zur Verfügung steht. Natürlich könnte man beschleunigen und wieder bremsen, aber dann muss man sich irgendwann schon fragen, welchen Zusatznutzen denn eine etwas kürzere Reisezeit überhaupt hat, um die höheren Kosten zu rechtfertigen…

  2. Die Passage von Pluto geschieht hja schon mit hoher Geschwindigkeit. Wenn diese dann um 20% höher ist macht das nicht mehr viel aus. Es stehen dem aber ziemliche Einsparungen entgegen, so rund 90Millionen Dollar für eine kleinere Trägerrakete, die trotzdem 560 kg auf den Kurs bringen könnte, also 50 kg mehr als benötigt. Dieses Gewicht kann man dann z.B. in größere Optiken stecken, die eine Beobachtung aus größerer Distanz zulassen – in der Summe erhält man dann sogar noch deutlich mehr Ergebnisse, oder weitere Instrumente. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Instrumentierung von New Horizons nur etwa 30 kg wiegt – das entspricht also einer Verdoppelung.

  3. Unix/Linux ist bereits das Betriebssystem der Gegenwart, nur nicht im Desktopbereich, da läuft es nur auf den wenigen ‚garantiert‘ bundestrojanerfreien Rechnern…

  4. Man sollte auch die Entwicklungszyklen in der Raumfahrt nicht unterschätzen. Smart-1 erreichte Ende 2004 erfolgreich die Mondumlaufbahn. Vor diesem erfolgreichen Test machte es wenig Sinn, neue Satelliten mit der neuen Technologie zu designen.

    Also ist Venus Express 2005 noch herkömmlich gestartet. Bei Planck und Herschel (beide 2009) wäre der Ionenantrieb definitiv kontraproduktiv gewesen, denn er hätte die Zeit bis zum Erreichen des Observationspunkts (L2) verlängert und damit die dort verfügbaren Helium-Vorräte reduziert. Zudem kann man bei einem Flug zu L2 mit dem Ionenantrieb nicht so wahnsinnig viel sparen. Startet man ins LEO und schraubt sich mit dem Ionenantrieb hoch, ist man zudem lange im Van-Allen-Gürtel, was die wissenschaftliche Nutzlast gefährdet.

    Die Frage zum Missionsdesign, die ich mir bei Planck und Herschel stelle, ist daher viel mehr, warum man nicht zusätzlich eine aktive Kühlung installiert hat. Möglicherweise, weil diese mit Pumpen und damit mit Vibration verbunden wäre, was man bei astrophysikalischen Beobachtungen natürlich nicht will…

    Aktuell sind bei der ESA in Entwicklung:
    * Bepi-Columbo (mit Ionenantrieb zum Merkur)
    * Gaia (wiederum nur zum L2, allerdings könnte man mit
    Ionenantrieb und Start in den LEO wohl von der Sojus
    auf die VEGA wechseln und so viel Startkosten sparen.
    Ob 50 Mio. bei einer 500-Mio-Euro-Mission aber das
    Risiko wert sind, ist fraglich)
    * James-Webb Space-Telescop: (L2, siehe Gaia)
    * Lisa Pathfinder (Ionenantrieb als Mikro-Antrieb zum
    Ausgleich von Restkräften an L1; der Satellit ist
    schon leicht genug für VEGA, so dass ein chemischer
    Antrieb für den Transfer zum L1 wahrscheinlich
    günstiger ist als ein Ionenantrieb)

    Von den bei der ESA derzeit projektierten Satelliten würden die meisten in einem Orbit um L2 geschossen werden. Da gilt das vorgenannte. Einige haben gar LEO oder einen elliptischen Erdorbit zum Ziel, da lohnt sich der Ionenantrieb noch weniger.

    Eine Ausnahme hiervon ist der Jupiter Ganymede Orbiter (JGO), der Teil eines ESA-NASA-Projekts (EJSM Laplace) werden könnte. Hier könnte ein solar-elektrischer Antrieb die Flugzeit verkürzen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieser am Jupiter noch stark genug ist, um weitere „Erkundungstripps“ im Jupiter-System zu ermöglichen. Ein nuklear-elektrischer Antrieb könnte das natürlich, aber JGO soll mit großen Solarzellen fliegen, nicht mit RTGs.

    Am meisten würde wahrscheinlich der „Solar Orbiter“ von einem Ionenantrieb profitieren, da er diesen zusammen mit Gravity Assists nutzen könnte, um sein Orbit häufiger zu ändern. Je erfolgreicher Bepi Columbo ist, desto wahrscheinlicher, dass der „Solar Orbiter“, der sich ja noch in einer frühen Projektierungsphase befindet, auf Ionenantrieb umprojektiert wird.

    Kai

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