Positive und negative Redundanz

Als sie Space Task Group (STG) gegründet wurde, um das Mercury Programm zu imitieren war auch klar, dass man eine Trägerrakete brauchte. Für die orbitalen Flüge gab es nicht viel Auswahl, die einzige Trägerrakete die dafür geeignet war, war die Atlas, die 1958, als die Planung begann, selbst noch in der Erprobung war. Die Atlas war die neueste Interkontinentalrakete der US-Air Force und damit waren auch die Zuständigkeiten geklärt. Die USAF würde die Atlas stellen und auch starten. Sie wehrte sich dagegen, dass man ihren Träger modifizierte. Im Prinzip bekam die Atlas nur ein neues Lenksystem, das das autonome, aber fehleranfällige ersetzte. Dazu kam ein System zum Erkennen von Abweichungen, das bei Mercury aber noch nicht den Fluchtturm auslöste, sondern nur einen Fehler signalisierte. Man befürchtete, dass dieses System selbst nicht zuverlässig genug sei und wollte die volle Kontrolle haben. Erst als sich bei den Flügen zeigte, dass die Atlas durchaus nicht die zuverlässige Rakete war, welche die Air Force versprach, wurde nachgebessert. Intern rechnete man nur einer Zuverlässigkeit von 0,75 Mitte 1961 und 86% ein Jahr später. Trotzdem waren Änderungen nur nach Fehlstarts durchsetzbar.  So scheiterte Mercury Atlas 1, als die obere Struktur nahe des Punktes der maximalen aerodynamischen Belastung kollabierte. Die folgenden erhielten zuerst eine Verstärkung im oberen Teil (belly Band), später wurde die Struktur aller Atlas auch für unbemannte Programme verstärkt. MA-3 wurde gesprengt, weil sie ihr Rollprogramm nicht ausführte. Der Fehler lag im Autopilot. Die genaue Fehlerursache wurde nie gefunden, aber erst jetzt wurde der Autopilot durch einen zweiten ergänzt um Redundanz zu haben.

MR-3Während die Space Task Group bei der Air Force keinerlei Befugnisse hatte, was zu ändern war, war das Verhältnis zur Army Ballasitic Missle Agency (ABMA) eine andere. Diese war schon durch den Start von Explorer 1 und die ersten Mondsonden mit dem Weltraumprogramm verbunden. Während das Mercuryprogramm begann wurde beschlossen sie in die NASA zu integrieren, was am 21.10.1959  auch abgeschlossen wurde. Damit war das nun in Marshall Space Flight Centre umbenannte Zentrum für Raketen- und Antriebentwicklung ein NASA-Zentrum bei dem die STG ihre Wünsche durchsetzen konnte. Zuerst war geplant zwei Träger einzusetzen, die Redstone und die Jupiter. Die Redstone sollte das Wiedereintrittssystem erproben und die Jupiter den Hitzeschutzschild, der bei der Redstone nur geringen Belastungen ausgesetzt wurde. Aus Budgetgründen wurden die lediglich zwei geplanten Flüge mit der Jupiter gestrichen. Blieb noch die Redstone. Damit diese auch die Jupitermissionen mit durchführte wurde sie substanziell geändert. Was kam war nun eine Debatte, die bis heute anhält.

Die Position Wernher von Brauns und anderer Experten des ABMA war die: Wir haben die Redstone die seit 1952 entwickelt wurde, Sie hatte die meisten Flüge aller Trägerraketen absolviert (60 bis Ende 1959, gegenüber 30 bei der Atlas) und befand sich in der Produktion, während die Atlas noch in der Entwicklung war. Wir nehmen diese zuverlässige Trägerrakete und erhöhen die Zuverlässigkeit dadurch dass wir mehr Redundanzen einbauen, wo es nur geht. Das ist möglich bei der Elektronik, Kabelbäumen, Ventilen etc.. Diese Position erhielt später den Titel: „positive Redundanz“.

Die Space Task Group hatte eine andere, die geprägt war, von den Erfahrungen beim Kapselbau. Dort war es so, dass aufgrund der vielen Fehlermöglichkeiten bei diesem völlig neuen Raumschiff man versuchte die Fehler zu eliminieren indem man überflüssiges wegließ. Als Beispiel wurde vorgeschlagen eine LED zu installieren die rot, orange und grün leuchten konnte. Rot für Systemausfall, gelb, für abnormales Verhalten, aber noch kein Versagen, und Grün für normale Funktion. Als man das diskutierte stellte sich heraus, dass der orange Zustand dem Piloten nichts brachte, er hätte nichts machen können, wäre nur beunruhigt. So entschied man sich für eine LED die nur rot leuchten konnte wenn es einen Fehler gab. Die Maxime war die: alles aus der Redstone, das nicht für Mercury benötigt wurde sollte raus. Was nicht da ist kann nicht ausfallen. Oder es sollte durch etwas ersetzt wenden, dass einfacher und zuverlässiger ist. Diese Position wurde später „negative Redundanz“ genannt. Als Folge wurde neben den benötigten Änderungen für die Performance (siehe unten) noch zahlreiche Subsysteme verändert, und es gab in der Summe über 800 Änderungen.

Die Mercury Redstone würde sich signifikant von den bisherigen Exemplaren unterscheiden. Die Redstone hatte in den Einsatzversionen zwei Triebwerke A-6 und A-7. Die für Satellitenstarts genutzte Jupiter-C setzte andere Treibstoffe ein und hatte verlängerte Tanks. Man verwandte keine dieser Versionen. Die verlängerten Tanks wurden nun für die Mercury-Redstone übernommen, aber mit den alten, ungiftigen Treibstoffen (Kerosin und LOX) und als Triebwerk die letzte Einsatzversion des A-7, obwohl es noch nicht so ausgetestet wie das ältere A-6 war. Aber dieses war aus der Produktion. Teile wurden knapp. Die Übergangssektion wurde durch einen 5 m langen Adapter ersetzt, es gab zusätzliche Tanks für Druckgas und Wasserstoffperoxid. Durch das Drängen der STG gab es weitere Veränderungen wie ein vom Boden gesteuerter Autopilot anstatt einer Inertialplattform, die Entfernung der Trennung von Nase und Rumpf, gemäß dem Paradigma, was man nicht braucht, kann auch nicht ausfallen.

MR-1Als Folge musste man die Redstone praktisch neu qualifizieren. Der Zeitplan war nicht zu halten. Auch hier zeigten sich Unterschiede. Während die nun in Missionskontrolle umbenannte STG möglichst schnell eine Kapsel starten wollte, auch wenn der Träger vielleicht noch Fehler hatte, man könnte dann ja das Abtrennungsysstem testen, wollten „die Deutschen“ nur eine getestete und ausgereifte Rakete ausliefern. Zuverlässigkeit erreiche man durch harte Arbeit, Überprüfungen und Tests.

Schließlich musste man aber die Mercury-Redstone ausliefern. Es kam wie es nach 800 Änderungen kommen musste: es gab neue Fehler. MR-1 hob nur um 10 cm ab, und wurde später als MR-1A neu gestartet. Fehlerursache: Man hatte zwei Kabel für die Stromversorgung und Steuersignale durch neue ausgetauscht. Deren Länge war anders, wodurch die Abtrennreihenfolge umgekehrt wurde, was praktisch nach dem Abheben zur Triebwerksabschaltung führte. Ein neuer Beschleunigungsmesser lieferte falsche Signale, als Folge erreichte MR-1A eine um 80 m/s zu hohe Brennschlussgeschwindigkeit. Nun wurde ein zweiter, anderer Beschleunigungsmesser eingebaut und ein Timer der das Triebwerk nach 143 s abschaltete. MR-2 erreichte wieder eine zu hohe Geschwindigkeit, diesmal weil ein neues Ventil mehr Wasserdampf (aus Wasserstoffperoxid) für die Turbopumpe lieferte, die nun einen höheren Förderdruck erreichte, was mit einem höheren Schub einher ging. Anstatt nach 143 s war der Treibstoff schon nach 132 s erschöpft und durch die stärkere Beschleunigung landete die Kapsel 300 km vom Zielpunkt (684 km anstatt 370 km Weite) entfernt. Der STG war dies egal, der Hitzeschutzschild sollte ja einer Rückkehr aus dem Orbit wiederstehen und das Wiedereintrittsprogramm funktionierte ordnungsgemäß. Aber die Spitzenbeschleunigung erreichte über 12 g.  Daher wollten „die Deutschen“ noch eine Redstone starten. Die Missionskontrolle hatte kein Verständnis für diese in ihren Augen übergründliche und penible Vorgehensweise, schließlich wollte man vor den Russen im Weltall sein. So bekam der Start auch nicht die nächste Nummer sondern die Bezeichnung MR-BD – BD stand für „Booster Developmentt“. Robert Gillruth wählte diese Bezeichnung er war gegen eine neue Nummer, er wollte damit zeigen, dass er den Flug für überflüssig hielt. Er war reibungslos. Die einzige Änderung bei den folgenden bemannten Einsätzen war, dass nachdem man die Redstone verlängert hatte starke Vibrationen auftraten. Man brachte im Adapter 154 kg Blei unter um diese zu reduzieren. Die höhere Performance erlaubte dieses Mehrgewicht. Nach MR-3 kamen weitere 46 kg Blei hinzu um die Vibrationen noch weiter zu reduzieren, nachdem Shepard über deutliche Vibrationen berichtet hatte.

Die beiden bemannten Flüge, MR-3 und MR-4 verliefen dann auch reibungslos. Die Debatte um die Positionen „negative und positive Redundanz“ gibt es aber bis heute. Ein recht junges Beispiel ist die Firma SpaceX. Deren erste Philosophie war die der negativen Redundanz. Allerdings setzte diese Firma auf negative Redundanz nicht wegen der Zuverlässigkeit, sondern um Kosten zu sparen. Fehler bei den ersten drei Testflügen der Falcon 1 zeigten, dass diese Philosophie falsch war. Flug 2 scheiterte weil man es nicht für nötig hielt Prallbleche in die Treibstofftanks einzubauen. Flug 3, weil man darauf vertraute, dass es ausreichte durch Federn die Stufen zu trennen, anstatt dazu Raketen zu benutzen die die Stufen auf Distanz bringen. So kollidierten erste und zweite Stufe. Inzwischen versucht es die Firma mit positiver Redundanz, so soll die Falcon 9 die Engine-out capability besitzen.

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