Die rätselhaften Fehlerursachen der Proton

Wie sicher jeder mitbekommen hat, hatte die Proton (mal wieder) einen Fehlstart. Außergewöhnlich war, dass anders als bei allen letzten Fehlschlägen diesmal die erste Stufe versagte. Noch ungewöhnlicher ist aber die Ursache. Zuerst hieß es eines der Triebwerke wäre ausgefallen. Das klingt für mich noch einigermaßen plausibel. Bei einem Ausfall gibt es eine Schubasymmetrie die wenn der Träger nicht ausgelegt ist sie abzufangen relativ zwanglos diesen Looping erklären kann. allerdings hätte sie auch langsamer werden müssen, denn die Rakete startet mit 14 m/s. Bei einem Verlust müsste der Schub auf 11,7 m/s absinken. Berücksichtigt man die Erdbeschleunigung g, so ist das eine Steiggeschwindigkeit von 4,2 und 1,9 m/s.

Nun hat man als Ursache aber ein zu schnelles Abheben ausgemacht. Der Träger sei eine halbe Sekunde zu früh abgehoben. Nun kann eine halbe Sekunde bei einem Hochdrucktriebwerk viel sein. Ich habe also mal nachgeschaut was ich über die Triebwerke weis und stieß auf folgendes; „Die Triebwerke werden 3,1 Sekunden vor dem Start gezündet, 1,6 Sekunden vor dem Start auf 40 % Schub und schließlich 0,15 Sekunden vor dem Abheben auf 107% Schub hochgefahren.“. Das galt für die alte Generation, die neue ist etwas leistungsfähiger, doch denke ich das Zeitverhalten wird ähnlich sein. Sicher kann es sein, dass bei einem Abheben 0,5 s zu früh sie noch nicht den vollen Schub haben. doch zwei Dinge sind dann merkwürdig. Mit weniger Schub müsste die Rakete langsamer abheben, davon bemerkt man nichts. Stattdessen sieht der Start zuerst normal aus und dann kippt sie.

Noch seltsamer ist die Begründung was dann passierte. Das Steuersystem hätte das erkannt und die Rakete von der Startplattform wegbewegt. Also wenn ich ein Problem habe dann sprenge ich entweder die Rakete, oder wenn ich befürchte das es Beschädigungen der Startplattform durch eine bodennahe Explosion gibt, dann würde ich die Triebwerke so lange sie möglich betreiben um möglichst viel Triebstoff zu verbrauchen und sie möglichst weit weg vom Startplatz zu bringen, aber nicht in einem Bogen nahe der Startgelände aufschlagen lassen.

Vor allem ist die Begründung nicht nachvollziehbar. Wenn die Rakete trotz zu geringem Schub abhebt, dann hat sie spätestens nach 0,5 s den nominalen Schub, nur ist sie nun eben 1-2 m von der Startplattform entfernt, aber die Ausgangslage ist praktisch die gleiche, die Mission hätte also durchgeführt werden können.

Das ganze macht als Erklärung keinen Sinn, weder technisch noch logisch. Es ist nicht die erste dieser Art, so fiel ja ein Start aus, weil man zu viel Treibstoff in die Oberstufe geladen hatte. Die Frage ist natürlich erstens wie das möglich ist und zweitens warum man eine Stufe so konstruiert, dass sie zu viel Treibstoff aufnehmen kann. Vor allem ist das ja bei einem Block-DM passiert, der mehrere Zündungen durchführen kann und normalerweise direkt nach der dritten Stufe zum ersten Mal gezündet wird.

Andere spekulieren (anders als die obigen beiden Erklärungen keine offizielle Version) das die Schubvektorsteuerung versagte. Zumindest ein Triebwerk sei in einer extremen Stellung gewesen. Das wäre eine Erklärungsmöglichkeit. allerdings müsste man das mit fünf Triebwerken kompensieren können.

Was wohl die wahre Ursache ist: Die Proton war schon immer die Rakete mit der schlechtesten Zuverlässigkeit. Beim Fehlstart von Phobos Grunt wurde bekannt, dass die russische Raumfahrtindustrie stark ausgeblutet ist. Die geringen Mittel führten zum Abwandern der Jungen in den Westen, die Alten gingen nach und nach in Pension. Es fehlt schlicht und einfach an erfahrenem Personal. Hier mal eine Statistik mit dem Stand 7.5.2013, also ohne den letzten Fehlstart, von je 39 Starts wurden die Statistik erstellt:

Jahre Erfolge Misserfolge
1965-1973 23 16
1973-1980 34 5
1980-1984 37 2
1984-1987 36 3
1988-1991 36 3
1991-1995 38 1
1996-2000 36 3
2000-2005 38 1
2005-2010 36 3
2010-2013 29 4

Sehr deutlich wird, das die Proton nach sehr vielen Fehlstarts immer zuverlässiger wurde. Nach dem Zusammenbruch der SU stiegen die Fehlstarts an, um danach wieder das niedrige Niveau einzunehmen. Erst mit der Einführung der Breeze wurde es wieder schlimmer. Die Block DM-2 ff Serie hat eine Zuverlässigkeit von 93,7%, die Breeze-M Serie dagegen eine von 89,7%.

Dafür wird nun aber ein „Criminal case“ aufgerollt. Es muss ja jemand schuld sein. das hat ja in Russland Tradition. Mich würde nicht wundern, wenn es amerikanische Spione waren die dafür verantwortlich sind, vielleicht sogar von SpaceX angeheuerte Saboteure….

8 thoughts on “Die rätselhaften Fehlerursachen der Proton

  1. Typisch für die russische Raumfahrt ist, daß sie unter Geldmangel leidet. Also muß gespart werden. Am einfachsten geht das bei Sicherheit und Qualitätsmanagement. Solange alles bilderbuchmäßig abläuft klappt das auch. Aber wehe es geht auch nur eine Kleinigkeit schief.

    Die offiziellen Fehlerursachen wie zu viel oder zu warmer Treibstoff deuten darauf hin, daß es genau da klemmt. Um einen einfachen Meßwert abzulesen und einzuhalten, braucht man kein hochqualifiziertes Personal. Aber man braucht Jemanden, der kontrolliert ob diese Werte eingehalten wurden. Und wenn man den einspart, wird es richtig teuer.

    Könner suchen das Problem, Versager suchen einen Schuldigen. Wie schon das Sprichwort sagt: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken.

  2. Hmm, vielleicht irr ich mich ja, aber könnte es sein das die Proton eine geringere Fehlstartquote hat wenn man sich nur die Starts mit westlichen (gegen Devisen bezahlten) Nutzlasten anschaut, während die rein russischen Starts eher mal in die Hose gehen ? Qualitätskontrolle ist teuer, wenn man alles auf eigene Rechnung macht und keine wertvolle Devisenquelle versiegen lassen will ists ne Versuchung bei den Starts die einem keine Devisen bringen und einem keine wertvollen ausländischen Kunden verschrecken könnten eher mal was …sparsamer zu sein. Der nach dem Verlust von Phobos-Grunt hatte man ja auch eher so den Eindruck, als wäre die Wahre Ursache schlampige KOntrolle und Tests gewesen…dafür spricht auch die Harnebüchene offizielle Erklärung der Verlust hinge mit Störungen durch eien Amerikanische Radarstation zusammen und die angekündigte Suche nach Schuldigen (hat die eigentlich was gebracht) Klar das man lieber nen Südenbock sucht als sich die Peinlichkeit zu geben zuzugeben das eine umgerechnet über 160 Millionen Euro Teure Sonde durch Schlamperei verloren ging…

  3. es gibt zu wenige Starts um eine vernünftige Statistik hinzubekommen. Die meisten Fehlstarts entfallen in der Tat auf russische Satelliten, doch sind da auch welche betroffen die von ILS gestartet wurden (kommerzielle, nicht Regierungsnutzlasten. Aber auch so ist die Bilanz nicht besonders gut für die Proton.

  4. Moin,

    der Fehler/Schuldige scheint gefunden zu sein.

    Mehrere der Winkelgeschwindigkeitssensoren (angular velocity sensors, DUS) wurden verkehrt herum eingebaut. Diese haben einen Pfeil der nach oben zeigen sollte, aber bei mehreren Sensoren nach unten gezeigt hat.

    Als Resultat bekam der Flugcomputer völlig falsche Werte, und die Rakete flog in einem kurzen Kreis wieder zu Boden.

    Referenz: http://www.russianspaceweb.com/proton_glonass49.html

    ciao,Michael

  5. Nun ja, es gab laut finalem Bericht, der u.a. auf ilslaunch.com zitiert wird, zwei Fehler: Das zu frühe Trennen der Kabelverbindung Bodenstation Rakete und die falsch eingebauten Sensoren. Ersteres führte dann auch zu dem zu frühen Startsignal, war aber am Ende wohl ein nicht fataler Fehler, sondern einer dieser „mishaps“, von denen auch SpaceX immer wieder welche hat (von wegen Rollen der Rakete beim Start etc. pp.). Fatal waren die falsch herum eingebauten Winkelgeschwindigkeits-Sensoren, von denen Michael schreibt.

    Den anfänglichen vertikalen Aufstieg hat die Rakete noch geschafft. Sobald sie sich gemäß dem vorprogrammierten Flugprofil neigen sollte, vollzog sie aber vollkommen abstruse Manöver, da die Steuercomputer von den Signalen der falsch installierten Sensoren „verwirrt“ wurden.

    Mich wundert, dass in den Medien noch keiner etwas über „Sabotage“ schreibt, wie damals bei den „vergessenen“ Reinigungstüchern in der Ariane-Oberstufe. Immerhin musste man die Module mit Gewalt in das Gehäuse zwingen, das sie aufnimmt, wenn man sie falsch herum einbaut.

    Kai

  6. Mein letzter Satz hat sich bewahrheitet: es wurden Schuldige gesucht und gefunden. Hier die aktuelle Meldung:
    http://en.rian.ru/science/20130823/182932689/3-Senior-Managers-Fired-Over-Proton-M-Crash.html
    „Rogozin said Friday that the deputy general director of quality control and management at Khrunichev, Alexander Kobzar, the head of final assembly, Valery Grekov, and the chief of the technical control department, Mikhail Lebedev, had been dismissed for “inappropriate fulfillment of duties during the production and preparation of the Proton-M.”

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