Der Big Dumb Booster

Eine Idee, die regelmäßig, mindestens einmal pro Jahrzehnt durch die US-Raumfahrtindustrie geistert ist die des „Big Dumb Boosters“. Die Idee ist ganz einfach: die bisherigen Raketen sind zu teuer und zu komplex. eine einfache „dumme“ Booster macht alles billiger. Ich kann mich noch an eine Newsweek-Ausgabe aus den Achtzigern erinnern, als man da eine unförmige Rakete mit einem Triebwerk neben einem Space Shuttle sah und die Ausgabe vorrechnete, das eine komplette Sojus so viel kostet wie nur ein Shuttle Haupttriebwerk. Das wäre dann noch einen eigenen Blogbeitrag zum Thema Vergleiche wert.

Es ist eigentlich immer das gleiche: Die USA (nirgendwo sonst gibt es die Ideen) produzieren zu komplizierte Raketen. Sie sind nicht nur teuer, sie sind auch zu fehleranfällig. Ein einfacheres Konzept wäre besser. Einfacher bedeutet immer Verzicht auf Wasserstoff, wenn von flüssigen Wasserstoffen die Rede ist, dann meist LOX/Kerosin. Natürlich auch keine Hochdrucktriebwerke sondern Gasgeneratorförderung. Manchmal wird auch Pumpenförderung vorgeschlagen. In jedem Falle sollen mehr „normale“ Werkstoffe wie Edelstahl anstatt spezieller Aluminiumlegierungen und normale Verfahrensweise z.B. bei den Schweißverfahren eingesetzt werden. Auch die Triebwerke sollten möglichst einfach aufgebaut sein, z.B. bei Düsen ablative Kühlung anstatt regenerative Kühlung verwenden.

Fast immer gibt es dann den Hinweis auf Russland, wo als die USA schon immer weniger Raketen produzierten, die Startzahlen unverändert hoch blieben um in den frühen Achtzigern über 30 Sojus Starts pro Jahr zu erreichen. Immer postuliert wurde, dass Russland gerade das tut – Big Dumb Booster zu bauen. Dazu passte dass sie keine einzige Stufe mit Wasserstoff hatten. Was man damals nicht wusste, war das Russland schon Mitte der sechziger Jahre die ersten Triebwerke mit geschlossenem Kreislauf einführte und diese seitdem alle russischen Träger antreiben. Nur das ist nicht „low Tech“.

Interessanterweise kommen in diesem Big Dumb Booster meistens nicht Feststofftriebwerke vor, obwohl sie vom Aufbau doch am ehesten in das Konzept passen. Die einfachsten, wie die Castor, haben nicht mal schwenkbare Düsen, ihr Gehäuse besteht aus Stahl und ist unsegmentiert. Auch findet man selten das Konzept der Clusterung, also der Serienfertigung vieler identischer Module und zusammenfassen derer um je nach geforderter Nutzlast die richtige Rakete zu haben, anstatt eine kleine, mittelgroße und große Raketen

Ich wurde an das Konzept erinnert, als ich für die Ergänzung meines Programms nach Daten von größeren druckgeförderten Triebwerken suchte. Das leistungsstärkste jemals eingesetzte ist meines Wissen nach das AJ10-138, oder für nicht ganz so Raumfahrtkundige, das Triebwerk des Apollo Servicemoduls mit 91 kN Schub. Ansonsten haben die meisten Triebwerke mit Druckförderung weniger als 40 kN Schub. Das hat einige Gründe:

Bei kleinen Triebwerken addiert eine Turbopumpe viel Masse zum System. Da sie typischerweise nur im Vakuum arbeiten kann man den geringeren spezifischen Impuls partiell durch eine größere Expansionsdüse ausgleichen und bei Oberstufen (wo man sie oft findet) zählt oft die Fähigkeit zur Wiederzündung, die einfach zu bewerkstelligen ist, da man nicht erst einen Gasgenerator anwerfen muss. Es reicht die Ventile zu öffnen und wenn die Treibstoffe sich nicht selbst entzünden noch einen Zündfunken zu erzeugen. Dazu kommt dass jedes Triebwerk intensiv getestet muss um alle Fehlermöglichkeiten auszuschließen. Das schließt sowohl Komponententests wie auch ganze Triebwerke ein. Ohne Turbopumpe fallen die meisten beweglichen Teile weg. Es gibt keinen Gasgenerator, keine Turbine, keine Pumpe. Damit sind auch die Entwicklungskoten geringer. Das Triebstoffförderungssystem ist das in der Entwicklung aufwendigste und mit den Verbrennungsinstabilitäten Quelle der meisten Probleme. Die Geräte zur Treibstoffförderung des Shuttles (Vorbrenner, Turbine, Turbopumpe) ist 1,20 m lang und 60 x 60 cm groß. Die Leistung der Turbine übertrifft die aller Maschinen der Titanic und die Turbopumpe läuft beim Start in 0,1 s von 0 auf eine Drehzahl nahe der Zerstörung der Turbinenblätter. Klar ist, dass so die Komponenten gezielt nacheinander gestartet werden müssen. Beim Space Shuttle startete z.B. der Sauerstoffvorbrenner genau 0,1 s nach dem Wasserstoffvorbrenner und gleichzeitig zündete das Triebwerk. Etwas später und sie hätte sich zerlegt weil die Drehzahl ohne den Gegendruck der Verbrennungskammer über die nominelle Drehzahl von 37.000 U/Min angestiegen wäre. Schon an diesen wenigen Zahlen sieht man, dass der Wegfall dieses Systems eine Fehlerquelle und einen Kostenfaktor eliminiert.

Die Frage ist, warum dehnt man das nicht auf größere Triebwerke aus? Natürlich gibt es Nachteile. Offensichtlich ist, dass die Strukturmasse höher ist. Die Tanks müssen anstatt 1-3 Druck 10-30 Bar aushalten. Dazu braucht man natürlich auch zehnmal mehr Druckgas und entsprechend große Druckgasflaschen. Je höher die mittlere Dichte des Treibstoffs ist, desto geringer ist das Mehrgewicht. Man kann noch etwas Gewicht sparen, wenn man in Kauf nimmt, dass der Tankdruck zum Ende der Brennzeit abnimmt. Nimmt man einen Tank der z.b. vom Start an mit 30 Bar beaufschlagt wird. Das Helium reicht aber nur um die Hälfte des Tanks auf diesen Druck zu setzen. Das ist anfangs kein Problem, weil der Tank fast voll mit Treibstoff ist, doch wenn er halb leer ist ist das Helium verbraucht und bis zum Brennschluss sinkt dann der Tankdruck und damit der Brennkammerdruck und der Schub auf die Hälfte ab. so vermeidet man aber auch unangenehme Spitzenbeschleunigungen vor allem bei den unteren Stufen. Denkbar und noch mehr Gewicht einsparen, ist es die Tanks schon am Boden unter Druck zu setzen und dann nur zum Teil zu befüllen und eine Druckabnahme in Kauf zu nehmen. Da bei einem Tankdruck von 30 Bar bei LOX/RP-1 die Druckgasflaschen schon 50% der Tankmasse ausmachen kann man ohne Problem die Tanks um 50% vergrößern und dann eben eine Halbierung des Brennkammerdrucks in Kauf nehmen. Genau dieses Konzept setzte übrigens die OTRAG Rakete in ihren Modulen ein.

Die Triebwerke sind auch größer. Ein doppelt so hoher Brennkammerdruck korrespondiert mit einer 41% kleineren Brennkammer. Umgekehrt sind dann druckgeförderte Triebwerke relativ groß, verglichen mit Triebwerken die mit hohen Brennkammerdrücken arbeiten. Entsprechend schwerer sind sie. Bei den ersten Stufen kann man durch Rechnung leicht nachweisen, ist durch den hohen Schub ein hoher Tankdruck nötig, sonst beschränkt sich das Expansionsverhältnis auf Werte um die 2. Ich habe mal die Rechnung mit der Titan II Erststufe durchgeführt. eine druckgeförderte Version mit einem Brennkammerdruck von 32 Bar (LR-87: 54 bar) würde 9100 kg wiegen, die Stufe wog mit Pumpenförderung nur 5050 kg, also erheblich weniger. Doch das ist bei den unteren Stufen nicht so von Bedeutung, da zu der Brennschlussmasse ja noch die Oberstufen und Nutzlast kommen, die bei der Titan bis zu 45 t wiegen konnten. Bei der zweiten Stufe mit geringeren Anforderungen an den Schub ist der Unterschied nicht so groß: 2750 zu 2.270 kg. In der Summe würde bei einer Titan II so die Nutzlast um etwa 30% absinken.

Lohnen würde sich dieses Konzept – und deswegen wurde es auch öfters vorgeschlagen – bei Schwerlastraketen. Sie haben zwei Nachteile. Durch ihre Größe ist die Entwicklung sehr teuer und sie werden nur wenig eingesetzt. Die ersten beiden SLS Starts finden zum Beispiel im Zweijahresabstand statt. Mit druckgeförderten Triebwerken würde man eine Menge Geld sparen können. Die projektierte Sea Dragon sollte bis 550 t Nutzlast zu einem Preis von 59 bis 200 Dollar pro Pfund starten können, also nur 40% der Startkosten einer Saturn V. Dafür wog sie 18000 t anstatt 2800 t, also mehr als sechsmal so viel obwohl die Nutzlast nur viermal höher war. Dieses Konzept wurde sogar von der NASA begutachtet und sie bestätigte zumindest, dass die Kosten korrekt berechnet waren.

4 thoughts on “Der Big Dumb Booster

  1. Darf ich anmerken, dass der „dumme“ booster der „dumb“ booster wäre und der „Müll“-booster der „dump“ booster?

    Netter Artikel ansonsten! 🙂

  2. Moin,

    einer meiner liebsten typos des letzten Jahres war:

    „w3dig – More then 10 years of web scrapping experience“

    ciao,Michael

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