Galileo und die Oberstufenfrage

Das Buch von Heppenheimer über das Space Shuttle beschäftigt sich auch mit Oberstufen und schnitt hier auch Galileo an. Das erinnert mich an etwas das mir schon bei der Recherche zu Galileo auffiel: wie sollte die Raumsonde zu Jupiter kommen?

Eine Transferbahn zu Jupiter erfordert relativ zur Erdoberfläche eine Geschwindigkeit von mindestens 14,2 km/s. Relativ zum Erdorbit eines Space Shuttles sind es noch 6,4 km/s. Das ist eine ganze Menge. Galileo wurde als Projekt am 14.4.1977 genehmigt, 6 Monate später gab es am 14.10.1977 die Planung der Mission. Sie sollte im Januar 1982 starten, mit einem Marsvorbeiflug Energie sparen und auf einer dreistufigen IUS gestartet werden. Galileo sollte 1.958 kg schwer sein.

Nun die IUS gab es noch nicht und die zweistufige Version war nicht leistungsfähig genug. Diese konnte 2270 kg in den GEO befördern – die Nutzlastmasse entspricht Galileo, doch für den GEO Orbit benötigt man nur 4,2 anstatt 6,4 km/s. Boeing bot als Lösung eine dreistufige IUS an. Die erste Stufe wäre dabei zweimal eingesetzt worden. Ich konnte das nicht glauben. Also habe ich nachgerechnet. Eine dreistufige IUS hätte die Sonde auf 5652 m/s beschleunigt. Die Startmasse hätte 27.550 kg ohne Befestigung betragen. Trotzdem war dies nicht ausreichend, so war auch ein Vorbeiflug an Mars geplant, der 1 km/s addiert hätte, aber auch die Mission um ein Jahr verlängert. Die IUS befand sich seit 1976 in der Entwicklung.

Das war riskant. Die Sonde war so in zweierlei Weise an zwei Schwachpunkte gebunden. Die IUS in dieser Kombination war an der maximalen Nutzlastgrenze des Shuttles. Da dieses noch schwerer wurde, war bald klar, dass nur die beiden leichtesten Orbiter Atlantis und Discovery die Sonde starten konnten und das auch nur mit 109% Startschub und einem Leichtgewichttank, der 3 t leichter als der normale war. Das zweite war, das wenn man das Startfenster 1982 verpasste, der Mars nicht mehr als Swing-By nutzbar wurde. Man verpasste auch das Startfenster und so war die nächste Planung die, dass man die Atmosphärensonde und den Orbiter separat startete. Die Kapsel wog schlussendlich 339 kg. Zieht man diese Masse ab, so wäre die dreistufige IUS aber auch nicht ausreichend gewesen. Ich erhalte 5920 m/s als Endgeschwindigkeit. Deutlich unterhalb der 6400 m/s ie man braucht.

Damit es klappt hätte Galileo um 416 kg leichter werden müssen, oder die Oberstufe. Fast so viel brächte übrigens eine Kombination IUS+PAM D obwohl sie um 8 t leichter ist, weil die IUS Zweitstufe eine hohe Leermasse aufweist.

Was die USA damals hatten, war die Titan 3E. Die Titan 3E war eigentlich nur eine Titan 3C mit einer zusätzlichen Centaur Oberstufe, die man weitgehend ohne Veränderungen von der Atlas übernommen hatte. Ab 1982 stand auch die Titan 34D zur Verfügung mit verlängerten Stufen. Hätte man sie um die aktuelle Centaur D der Atlas ergänzt, Basierend auf der LEO Nutzlast der Titan 34 hätte diese Galileo zu Jupiter transportieren können. Ich errechne über 2200 kg Nutzlast, das lässt sogar noch etwas Spielraum für den Nutzlastadapter. Nur kurz hat man diese Lösung als Backup zum Shuttle erwogen.

Stattdessen entwickelte man eine eigene Centaur Oberstufe für das Shuttle, die Centaur G. Es waren zwei Stufen geplant: Eine kleinere Version für die Air Force (die nur den GEO Orbit erreichen wollte, dafür aber größere Nutzlasten transportieren wollte und eine größere für die NASA, obwohl diese nur zwei Nutzlasten hatte: die ISPM Sonde (später Ulysses genannt) und Galileo. Die Centaur G Prime hätte Galileo um 7218 m/s beschleunigen können. Die Centaur G Prime hätte Galileo sogar im späteren Fluggewicht (das noch auf 2.380 kg mit Adapter stieg) transportieren können.

Die Entscheidung für die Entwicklung von Galileo fiel, als 1981 klar war das die Sonde nicht vor 1985 starten würden könnte. Mit der IUS wäre selbst bei zwei Starts ein Swing-By an Venus und erde nötig (VEGA), das die Mission um 3 Jahre verlängern würde und 200 Millionen an Missionskosten addieren würde. Zusammen mit den teuren IUS Oberstufen schien da die Centaur G Entwicklung nicht so viel teurer zu sein und man hätte auch eine Alternative für zukünftige Raumsonden. Die Risikobewertung fiel zugunsten der Centaur aus. In allen Kriterien wurde ihr ein geringes Risiko beschieden.

Im Nachhinein muss aber selbst ich als Verfechter von kryogenen Antrieben sagen, das dies doch sehr blauäugig war. Sicher es gab niemals Probleme mit der Centaur wie Explosionen im Orbit. Die Probleme waren meist vorzeitige Triebwerksabschaltungen oder ähnliches. Davon wäre das Shuttle dann nicht betroffen, da dann die Stufe schon ausgesetzt war.

Aber eine Stufe mit 21 t schwappendem Triebstoff im Frachtraum? Zudem musste sie innerhalb von wenigen Stunden nach dem Start ausgesetzt werden, weil selbst mit Isolation der Treibstoff sich schnell erwärmt. Auch der Start musste pünktlich erfolgen, sonst wäre es problematisch den Treibstoff am Verdampfen zu hindern und bei einer Notlandung war vorgesehen, dass man den verdampfenden Wasserstoff an einer Seite des Orbiters entließ und den Sauerstoff an der anderen um eine Knallgasexplosion zu verhindern – nicht gerade professionell. Zudem wäre die Stufe bei einer Notlandung zu schwer gewesen. Das Shuttle sollte mit maximal 14,5 t Nutzlast landen. So musste man einen Teil des Treibstoff durch die Leitungen die zu den Haupttriebwerken führen ablassen müssen. Das alles ist doch sehr mit der heißen Nadel gestrickt.

Wie wir wissen wurde die Centaur gestrichen als man nach der Challenger Katastrophe die Sicherheitsrisiken überall im Shuttle Programm nicht mehr so nachlässig einschätzte wie vor diesem Ereignis. Als Folge konnte man nun Galileo nur noch mit der IUS starten – und zwar mit der zweistufigen Version. Das machte nun nicht nur einen Vorbeiflug an Erde oder Venus nötig um Jupiter zu erreichen, sondern sogar drei. Die Mission verlängerte sich um über 4 Jahre und wurde um 487 Millionen Dollar teurer.

Mit 2380 kg Startgewicht war Galileo zwar nun zu schwer für eine Titan 34E. Auch die neue Titan 4 wäre keine Alternative gewesen, da ihre Centaur ein um 1 t höhere Trockengewicht hatte. So gab es realistischer Weise keine Alternative zur VEEGA Bahn mit ihren Kosten und Risiken. Der Antennenausfall hatte übrigens nichts damit zu tun, der entstand durch den mehrmaligen Transport der Sonde per Truck durch die ganzen USA von Florida (Startort) nach Kalifornien (Bauort).

2 thoughts on “Galileo und die Oberstufenfrage

  1. kurios
    als ich in den NTSF (vor Auszeit und Selbstzensur in 2013)
    nach Centaur G-Prime für Shuttle suche.
    fand ich keine technische Daten, nur presse berichte

  2. Man fragt sich ja schon, warum 4 Jahre zusätzliche Flugzeit dann auch gleich 400 Mio. US-$ zusätzliche Kosten bedeuten. Es ist ja sicher nicht so, dass während des Flugs 200 top-Ingenieure mit 2000 US-$ Tagessatz ununterbrochen an allen Werktagen im Auftrag der NASA für die Sonde arbeiten müssen.

    Kai

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