Vom LEO in den GEO – der Vergleich

Inzwischen habe ich begonnen für mich selbst die Daten aktueller verfügbarer und in der Entwicklung befindlicher Ionentriebwerke zusammenzutragen. Dabei stieß ich in einem Dokument über das RITA 15/150 System über die Aufstellung eines kompletten Antriebssystems:

RITA 15 RITA 150
4 Triebwerke 7,2 kg 24,0 kg
4 Flußkontroleinheiten 8,0 kg 8,0 kg
2 Stromverarbeitungseinheiten 21,0 kg 27,6 kg
Leitungen 2,0 kg 4,0 kg
Verschiedenes 1,0 kg 2,0 kg
Ionensystemstrukturmasse 39,2 kg 65,6 kg
Tank 17 kg 17 kg
Xenon 71 kg 71 kg
Gesamt Ionentriebwerksubsystem 127,2 kg 153,6 kg

Dieses System ist für die Erhaltung der Position eines geostationären Nachrichtensatelliten über 15 Jahre konzipiert. Unterschiedliche lokale Gravitationskräfte machen es nötig diese laufend zu korrigieren. Die Wikipedia nennt für dieses „Station Keeping“ in zwei Artikeln einmal 45 m/s und einmal 50-55 m/s. Hier geht es über 15 Jahre also insgesamt 675 bis 825 m/s. Das ΔV hier liegt mit 728 m/s so ziemlich in der Mitte zwischen beiden Werten.

Es sind vier Triebwerke, je zwei pro Raumachse. Für eine Verschiebung im Raum arbeiten maximal zwei gleichzeitig. Die Angabe ist nicht dahingehend zu verstehen das beide Systeme eingesetzt werden, sondern eines der beiden. Das RIT-15 hat nur ein Achtel des Schubs des RITA-150 muss also länger betrieben werden. Man kann leicht überschlagen das es etwa 60% der Gesamtzeit in Betrieb ist. Dafür benötigt es viel weniger Strom.

Aufgrund dieser Daten hat man nun die Masse eines Subsystems. Dieses kann man nun die Hochrechnung für ein größeres System nehmen, das auch geeignet ist als Antrieb zu fungieren. Dazu würde man vier Triebwerke addieren, die nun nicht den Satelliten verschieben, sondern beschleunigen und daher in der Z-Achse angebracht sind (wenn die bisherigen Triebwerke jeweils in die +/- X- und Y-Achse zeigen). Vier deswegen, weil das RIT-2X für das es etwas mehr Daten, als für das noch zu entwickelnde RITA 150 gibt, das aber in etwa die gleichen Leistungen hat, einen Strombedarf von 4685 Watt hat. Schon der kleinere Satellit im letzten Beispiel wog im GTO-Transferorbit 3540 kg und hatte 9,5 kW Leistung. Das System oben ist für einen im GEO 4100 kg schweren Satelliten, das entspricht >6600 kg im GTO, also doppelt so schwer. Dann kann man auch die doppelte Leistung der Solarpaneele annehmen. Ohne aktive Transponder kann man den größten Teil der elektrischen Leistung für die Ionentriebwerke nutzen. Wahrscheinlich ist die Leistung etwas größer ist, als später benötigt, aber dann hat man zum einen Extraleistung für die dann ab und an nötigen Bahnkorrekturen und kann auch ein Absinken beim Passieren des Van Allen Gürtels hinnehmen. Das ΔV vom 400 km LEO ist aus der letzten Simulation bekannt /4605 m/s) und so erhalte ich folgende Basisdaten für einen Vergleich:

Parameter Ionentriebwerkslösung Wert
Statio-Keeping Subsystem (ohne Tanks) 65,6 kg
Antriebssystem (ohne Tanks) 65,6 kg
Treibstoff Station Keeping 71 kg
Treibstoff Transfer LEO in GEO 592 kg
Tanks 159 kg
Zusatzgewicht Solargenerator für 9,27 kW bei 45 W/kg 208 kg

Für das chemisch angetriebene System kann man eine ähnliche Bilanz aufstellen. Ich gehe hier von dem gleichen ΔV (728 m/s) aus und 10% Trockenmasse der Antriebssystems, ohne zwischen Tank und Triebwerken zu differenzieren (der Wert ist vom Antriebssystem von Rosetta übernommen). Ich nehme weiterhin an, das die Ionentriebwerke zusätzlichen Strom einsetzen, der beim chemischen Antrieb fehlt, sonst wäre der Vergleich unfair.

Parameter chemische Lösung Wert
Statio-Keeping Subsystem (ohne Tanks) (spezifischer Impuls: 2900 m/s, ΔV=728 m/s) 91 kg
Antriebssystem (ohne Tanks) (spezifischer Impuls: 3100 m/s, ΔV = 1500 m/s) 255 kg
Treibstoff Station Keeping 910 kg
Treibstoff Transfer LEO in GEO 2.551 kg
Tanks 0 kg
Zusatzgewicht Solargenerator für 9,27 kW bei 45 W/kg 0 kg

Damit man korrekt vergleichen kann, braucht man einen Fixpunkt der bei beiden Systemen gleich ist. Das ist in diesem Falle die Masse bei Erreichen des GEO: 4100 kg. Zu ihm muss man dann noch den Treibstoff für den Transfer GTO->GEO bzw. LEO-GEO hinzuaddieren und für den reinen Satelliten ohne irgendwelche Antriebssysteme den Treibstoff für Station-Keeping und die Trockenmasse der Antriebssystem subtragieren.  Man bekommt dann folgende Übersicht:

Ionenantrieb chemischer Antrieb
Masse bei Abtrennung Rakete 4.692 kg 6.651 kg
in einem 400 km LEO 250 x 35.887 x 5° GTO
ΔV zu GEO 4.600 m/s 1.500 m/s
Masse im GEO, Betriebsjahr 0 4.100 kg 4.100 kg
Masse im GEO Betriebsjahr 15 4.029 kg 3.190 kg
Masse in GEO ohne Antriebssystem und Subsysteme 3.530 kg 2.844 kg

Die Masse ist also vergleichbar, würde man den Strom komplett mit den normalen (für den Betrieb der Sender) vorhandenen Strom decken können, wäre der Ionenantrieb etwa 250 kg besser als der chemische Antrieb, doch mir ist die Vergleichbarkeit sehr recht, denn so kann man eine bessere Kosten/Nutzenabwägung treffen. Schon jetzt ist der Satellit um 400 kg besser. Um den im GTO 6.651 kg schweren Satelliten zu starten braucht man rund 60% der Nutzlast einer Ariane 5. Die Ariane 5 könnte etwa 21 t in einen 400 km hohen Orbit starten. In diesen Orbit muss sie nur 4,7 t absetzen also weniger als 25% der Nutzlast. So ist der Vorteil eigentlich offensichtlich.

Bleibt noch die Simulation. Bei dieser Startmasse, 18,74 kW Leistung um vier Ionentriebwerke zu betrieben braucht man ziemlich genau 1 Jahr um sich hochzuspiralen. Das ist relativ lange, auch weil der spezifische Impuls der RIT-Triebwerke sehr hoch ist. Ein niedrigerer Impuls würde die Betriebsdauer reduzieren und die Masse nur unwesentlich erhöhen.

Nun starten nicht alle Satelliten vom CSG aus (erkennbar an dem ΔV von 1500 m/s). Wie sieht es beim Cape oder Baikonur aus? Auf den ersten Blick schlechter, denn man kann nicht die Kombination von Apogäumsmanöver und Inklinationsabbau nutzen. Das ΔV aus einem Standard-GTO mit 28 Grad und 51 Grad Neigung in einen 0-Grad-GEO beträgt 1816 und 2405 m/s. Beim Ionenantrieb wird man die Inklination erst abbauen, wenn man den GEO erreicht hat. Hier sind es 1442 bzw. 2386 m/s zusätzlich (chemisch 350 und 939 m/s zusätzlich). Die folgende Tabelle enthält die Massen für verschiedene Bahnneigungen beim Start, auch hier auf 4.100 kg im GEO normiert:

Ionenantrieb chemischer Antrieb
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 0 Grad 4.692 kg 6.579 kg
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 28 Grad 4.906 kg 7.269 kg
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 51 Grad 5.044 kg 8.907 kg
Masse im GEO, 0 Grad Startinklination 4.100 kg 2.851 kg
Masse im GEO, 28 Grad Startinklination 3.488 kg 2.781 kg
Masse im GEO, 51 Grad Startinklination 3.461 kg 2.618 kg

Die Nutzlast nimmt also trotz geringerem ΔV beim chemischen Antrieb stärker ab. Von 8,9 t von Baikonur in einen Standard GTO gestartet bleiben nach 15 Betriebsjahren (ohne Antriebssystem) noch 2,6 t übrig. Beim Ionenantrieb sind es noch 3,4 t von 5,0 t Anfangsmasse, also erheblich günstiger. Das erklärt auch warum Proton und Ariane so unterschiedliche GTO-Nutzlasten haben: Obwohl die Proton etwa 23 t in eine 400 km Bahn befördern könnte bringt sie nur 6,3 t in den Standard-GTO. Um diesen „energieäquivalenten“ Orbit zu erreichen muss sie die Inklination abbauen und das Perigäum anheben, beim letzten Start vor wenigen Tagen z.B. auf 3.500 km. Das kostet Nutzlast. So sind Ionentriebwerke um so lohnender, je schlechter der Startplatz ist: konkret könnte Russland mit einer Sojus die etwa 7-8 t in einen Leo transportiert mit Ionentriebwerken die gleiche Nutzlast wie eine Ariane 5 transportieren, also mehr als die dreimal nutzlaststärkere Proton und die Angara. Aber in Russland entwickelt man wohl derzeit lieber neue chemische Triebwerke anstatt welche die den geographischen Nachteil egalisieren. Dabei könnte man mit Ionentriebwerken sogar von Plessezk aus starten ohne einen neuen Weltraumbahnhof aufzubauen.

Die letzte Tabelle ist nun normiert auf die Endmasse. Ich bin davon ausgegangen, das ohne Antriebssystem, Treibstoff und assoziierte System 2.500 kg für den Kommunikationssatelliten übrig blieben müssen. Um 2.500 kg „reiner Kommunikationssatellit“ zu starten muss man folgende Massen im Startorbit aussetzen:

Ionenantrieb chemischer Antrieb
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 0 Grad 3.294 kg 5.633 kg
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 28 Grad 3.417 kg 6.400 kg
Masse bei Abtrennung Rakete GTO 51 Grad 3.497 kg 8.082 kg

Hier ist der Vorteil noch deutlicher sichtbar. Während um die Inklination abzubauen die Startmasse beim chemischen Antrieb um über 40% ansteigt, so sind es beim Ionenantrieb nur 6,2%. So verwundet es nicht wenn die bisherigen „All Electric“ Satelliten vom Cape aus starteten. Der Preis ist allerdings eine noch längere Betriebszeit, hier würden nochmals 4 bzw. 6 Monate zusätzlich hinzukommen. Für die Praxis bei der man nicht so lange warten will, würde man für den Betrieb von mehr Triebwerken den Solargenerator vergrößern. Mit 12 Triebwerken wäre man in 4-6 Monaten im 0-Grad GEO, abhängig von der Startinklination. Das würde aber die Nutzlast von 3.530 auf 2.566 kg erniedrigen, etwas unterhalb des Werts beim chemischen Antrieb. Bei gleicher Masse (2.844 kg ohne Antriebssysteme nach 15 Jahren im GEO) könnte man 9 Triebwerke betrieben und wäre beim Start vom CSG aus in 162 Tagen im Orbit angekommen.

3 thoughts on “Vom LEO in den GEO – der Vergleich

  1. Mal als raumfahrtmechanischer Laie gedacht:

    Ich weiß, daß lt. Ziolkovski-Gleichung das Verhältnis Leermasse und Startmasse für die
    erreichbare Geschwinigkeit entscheidend ist. Deshalb ja auch die Stufentrennung.
    Bei chemischen Antrieben ist das für eine Umlaufbahn bzw. Fluchtbahn ja Voraussetzung.

    Bei einem Ionenantrieb ist das Verhältnis „schlechter“ weil die Treibstoffmasse für den gleichen Impuls weniger ist.

    Trotzdem könnte man eine Startstufe zum Verlassen der Erdumlaufbahn in eine passende hochelliptische Bahn oder sogar Fluchtbahn mit entsprechend vielen Triebwerken, viel Treibstoff und einer großen Solarfläche verwenden. Und dann nach erreichung der gewünschten Bahn wieder zur Erde zurückkehren lassen. (Sog. Spacetug).

    Ist dies möglich/sinnvoll?

    Fragt sich Ralf mit Z

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