Buchkritik: W.P. Mischin: „Sowjetische Mondprojekte“

Das relativ dünne Buch (127 Seiten) habe ich mir im August gekauft. Doch ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich es ganz durchgelesen habe. Erst vor Weihnachten bin ich fertig geworden. Warum, das denke ich wird noch in der Rezension deutlich.

Zuerst einmal ist der Autor hochkarätig: Wassili Pawlowitsch Mischin war nach dem Tode von Korlojow der Leiter des OKB-1, des wichtigsten Kombinates in der russischen Raumfahrt. Er war damit für das Mondprojekt N-1 verantwortlich. 1974 wurde er vom zuständigen Minister angesetzt und das OKB-1 mit Gluschkos OKB zu „Energija“ fusioniert und Gluschko bekam die Leitung. Er stellte dann das Programm rasch ein. Schon das findet man aber nicht im Buch. Damit wäre Mischin, der wohl Beste der dieses Mondprojekte beschrieben könnte. Inzwischen gibt es auch die Memoiren von Boris Tschertok, die man am besten auf der NASA kostenlos herunterlädt „Rockets and People“. Die bei Amazon verfügbare deutsche Übersetzung scheint wohl maschinell mit Hilfe eines Programms erfolgt zu sein, wenn ich denn Kommentaren folge.

Der Inhalt

Das Buch beginnt vor den ersten Mondprojekten, als Mischin nach Deutschland reist, um dort die V-2 Fertigung zu untersuchen. Es spannt sich ein Bogen über den Nachbau der V-2 als R-1, über die verbesserte Version R-2 bis zur N-1. Die meisten Raketen werden nur gestreift. Etwas mehr Würdigung erhält nur die R-1 und die damit verbundenen Projekte Sputnik, Luna und Wostok und eben die N-1. Klar ist das bei 127 Seiten hier jedes Projekt nicht detailliert beleuchtet wird. Zudem ist von dem Inhalt etwas mehr als ein Drittel in Form von Fotos, Grafiken und einigen Tabellen.

Was das Lesen enorm schwer macht, ist die Sprache von Mischin. Wahrscheinlich hat er diese in Sowjetzeiten verinnerlicht. Es ist eine Sprache mit zahlreichen Spezialbezeichnungen, langen Sätzen und unemotionaler Ausdrucksweise und einem Politbüro-Jargon. Ich fühlte mich irgendwie an die Nachrichtenmeldungen in der „Aktuellen Kamera“ der DDR erinnert, wo die Sprecher auch so einen komischen Stil hatten. Beispiel: „Die Staatliche Komission überprüfte nach ihrem Eintreffen in Nordhausen den Arbeitsplan der zwischenbehördlichen Organisation des ZK des WKM(b) zum Studium der deutschen Raketentechnik“. Der Übersetzer hätte den Lesern die Arbeit wenigsten etwas erleichtern können, indem er die zahlreichen Abkürzungen wie NKW (Volkskommissariat für Bewaffnung) oder auch FRTW (Flüssigkeitsraketentriebwerk) ausgeschrieben hätte. Mischin wendet dieses Vokabular auch auf das Ausland an wie das der „Vollautomatischen kosmischen Raketenkomplexen“ (gemeint ist ein Launchpad). Auch hier hätte ich erwartet, dass der Übersetzer eingreift und hier die in den USA übliche Bezeichnung für die entsprechenden Startbasen (Launchpad oder Launchcomplex) verwendet. Deutlich wird das auch am Anfang in Deutschland wo Mischin einfach jeder Gruppe, die er irgendwo findet, ein „Institut“ zuordnet. So gab es aber in Bleicherrohde kein Institut, das war nur ein Ort, wo man nach der Evakuierung von Peenemünde die Mitarbeiter von Peenemünde verlagerte.

Doch zum Inhalt. Der ist erstaunlich kompakt. Mischin schreibt viel über Organisation: wer wo beteiligt war. Dazu noch einiges über Geschichte, aber wenig über die Technik. Ich persönlich habe nichts gefunden, was ich nicht vorher schon aus anderen Quellen wusste. Es gibt einige Seitenhiebe auf Gluschko, der sich selbst ja als den Gott des russischen Triebwerksbaus sieht. So hatte er 1942 schlüssig nachgewiesen, dass man keine Brennkammer für flüssige Treibstoffe bauen könne, die einen höheren Schub als 300 kg hatte. Drei Jahre später konnte ein deutsches Raketentriebwerk in Aktion sehen, das 25 t Schub hatte … (Später, das steht bei Tschertok, wies er noch nach das man mit Wasserstoff die Nutzlast nicht steigern kann…).

Eine ist das buch nicht: eine neutrale Darstellung der Geschichte. Es ist eine einseitige Darstellung in der Koroljow zum Übervater erhoben wird. Komplett totgeschwiegen werden Misserfolge. Nach der Raumsonde Luna 3 kommt gleich die Luna 9. warum? Luna 4-8 und noch etliche schon beim Start verlorene Sonden sollten wie Luna 9 weich auf dem Mond landen und scheiterten. Auf die Kopplung von Kosmos 238 und 247 als Vorbereitung für Sojus folgt die Mission von Sojus 2 und 3. Sojus 1 mit dem Tod Kamarows scheint es nie gegeben zu haben. Eine Auseinandersetzung mit Fehlschlägen gibt es nur bei der N-1, wo er auch nicht drum herum kommt. Doch auch dort nur rudimentär. Vieles über die Hintergründe, wie die Kämpfe um die Mittel oder die Konkurrenz der Konstrukteure erfährt man auch nicht. Dabei hätte gerade hier Mischin einiges beitragen können. Mischin ist schlau genug über seine Verdienste wenig zu schreiben. Schon das Vorwort von Akademiemitglieds Frolow liest sich nach einer Aufzählung seiner Verdienste und Orden, nicht aber nach einem Kommentar zum Buch. Woanders steht in einem Vorwort eher so was „Schließt xyz eine Lücke“ oder „Bringt xyz dem Leser die Zeit nochmals nahe“. Hier steht über das Buch im Vorwort gar nichts drin. Nach dem was ich von anderen über Mischin gelesen oder gehört habe, scheint er oft auf Konfrontationskurs gegangen zu sein und war nicht sehr beliebt. Vielleicht auch ein Grund, warum er das Buch selbst geschrieben hat, er hätte jemanden dazu nehmen sollen, der es redigiert und vor allem Vorschläge macht, was den Leser wirklich interessieren könnte.

In der Mitte und hinten gibt es zwei Blöcke mit Skizzen, Grafiken und Tabellen. Die Grafiken und Fotos sind extrem grob aufgelöst und in reinem Schwarz-Weiß als hätte jemand alte Zeitungen eingescannt. Die Qualität ist daher nur mangelhaft zu nennen. In den Tabellen findet man einige Daten zu den Raketen, aber auch nur unvollständig und in einer ungewöhnlichen Weise so erfährt man nicht, was die erste Stufe wiegt, aber wie viel die Rakete beim Start und beim Ausbrennen der ersten Stufe und Start der Zweiten wiegt. Aus den Daten muss man dann Stufenvoll- und Leermasse errechnen.

Das sind auch fast die einzigen technischen Angaben. Wer die sucht, wird enttäuscht sein. Das liegt aber an der Funktion von Mischin. Zwar bekamen die Leiter der OKB in der Sowjetunion die Bezeichnung „Chefkonstrukteure“ und oftmals wurde der Name als Verantwortlicher für ein ganzes Produkt genannt (z.B. „Kuznevows Triebwerke“ für die N-1 – natürlich hat Kusnezov nicht alle Triebwerke selbst und alleine gebaut). In Wirklichkeit haben diese Chefkonstrukteure mit der Technik gar nichts zu tun. Sie waren das was wir als Manager bezeichnen würden – verantwortliche für Zeitpläne, die Beschaffung von Ressourcen und Gelder. Tschertok schreibt in seinen Memoiren, dass er es nicht glauben wollte, das Wernher von Braun großen technischen Sachverstand hatte und sich auch mit der Technik seiner Saturn selbst befasste. Er hielt das für einen Mythos, der verbreitet wurde. Nachdem Zeitzeugen ihm bei einem Besuch bei der NASA versicherten, dass dem aber so war, hielt er das für typisch deutsch in einer Mischung von 150%-Einarbeitung und keine Verantwortung abgeben.

Mein Resümee

Ich würde mir das Buch nicht nochmals kaufen. Man erfährt nichts Neues, man bekommt eine geschönte Version der Geschichte erzählt, nicht die komplette Wahrheit und es fehlen für mich wichtige technische Details. Dafür ist es wirklich sehr schwer und holprig zu lesen. Wer englisch lesen kann, sollte Tschertoks Memoiren lesen. Sie sind ehrlicher, gut übersetzt und flüssig zu lesen. Allerdings sind es auch vier Bände, die ein Vielfaches dieses kleinen Büchleins umfassen.

2 thoughts on “Buchkritik: W.P. Mischin: „Sowjetische Mondprojekte“

  1. Vielen Dank für den Link zu Chertoks Memoiren. Mischin hatte als Nachfolger Koroljowas grosse Fussstapfen zu füllen, und ist daran gescheitert. Steht irgend etwas Neues über diese Konflikte in dem Buch?

  2. Eigentlich nichts. Nur die grundlegende aussage, das das Militär an dem Projekt nicht interessiert war und es dauernd Besprechungen mit Ratschlägen „von Oben“ gab, die aber mangels Vertrautheit mit den Details nicht hilfreich waren in der aber die meisten sich für die „guten Ratschläge“ bedankten.

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