Die Lösung für ein überflüssiges Problem: Bringt der Mars etwas für eine Jupitersonde?

Auch heute wieder ein Blog, in dem ich ein himmelsmechanisches Problem untersuche. Es geht um die Raumsonde Galileo im Speziellen und eine Möglichkeit im Speziellen.

Ursprünglich sollte Galileo schon 1982 starten. In diesem Startjahr wäre es möglich gewesen, die Raumsonde an Mars vorbeifliegen zu lassen. Dies sollte einen Kilometer pro Sekunde bei der Startgeschwindigkeit einsparen. Ich fand das übertrieben und habe mich des Problems mal angenommen.

Zuerst mal zu den Umständen:

Mars liegt zwischen Erde und Jupiter. Das prädestiniert ihn eigentlich als Sprungbrett, wo man nochmals Schwung holen kann. Die Sonde verliert ja wenn sie sich von der Sonne entfernt Geschwindigkeit. Eine Jupitersonde startet z.B. mit etwa 38,6 km/s relativ zur Sonne. Bei Jupiter angekommen ist die Geschwindigkeit auf 7,4 km/s gesunken. In Marsentfernung (zwischen 206 und 249 Mill. km) sind es dann 31,6 – 29,9 km/s. Jeder Planet kann aufgrund seiner Masse nur ein bestimmtes „Maximal-ΔV“ auf die Raumsonde übertragen. Einer (nicht durch Rechnungen bestätigt, sondern empirisch gefundene) Regel liegt das Maximal-ΔV in etwa bei der Differenz zwischen lokaler Fluchtgeschwindigkeit und Kreisbahngeschwindigkeit. Beim Mars sind dass in 200 km Höhe rund 1,4 km/s. Der Kilometer pro Sekunde Geschwindigkeitsgewinn ist also wahrscheinlich.

Doch dieser solare Geschwindigkeitsgewinn muss nicht unbedingt mit dem Gewinn bei der Startgeschwindigkeit korrelieren. Würde er z.B. schon beim Start eintreten, so würde er die Startgeschwindigkeit nur um 600 m/s reduzieren, weil durch den hyperbolischen Exzess man durch die Geschwindigkeitsänderung im Erdgravitationsfeld etwas gewinnt. Je weiter man vom Perihel entfernt ist, desto weniger ändert ein gegebenes ΔV die Bahn. Daher habe ich es mal untersucht.

Der Plan von Galileo

Über das Fly-By an Mars habe ich wenig gefunden. Nach dieser Quelle soll er in 200 km Abstand von der Oberfläche erfolgen. Nach dieser Quelle 275 km und die Grafik bestätigt auch die 1 km/s Geschwindigkeitsgewinn ebenso die Passage nach 100 Tagen. Diese führt Bruno Stanek im Planetenlexikon zusammen mit dem Start im Januar 1982 an. Demnach müsste die Sonde den Mars im April 1982 passieren, je nachdem wann sie im Januar startete.

Eine weitere interessante Information ist das dann eine Standard-IUS reichen würde, allerdings benötigten die Fähren Triebwerke mit 109% Schub. Diese kamen nie (die Triebwerke wurden für dieses Level getestet, doch nach dem Verlust der Challenger wurde kein Triebwerk mehr mit diesem Performancelevel im Flug eingesetzt. Nach Ruppe würde Fähre 2 (Challenger) 29,7 t Nutzlast mit 109% Triebwerken erreichen. 29,48 t werden benötigt, um eine 2019 kg schwere Galileosonde mit einer IUS zu starten.

Im ersten Schritt habe ich mal berechnet, welche Geschwindigkeit eine Standard-IUS mit 2.019 kg Nutzlast und 156 kg für den Adapter erreicht. Ich komme auf eine Geschwindigkeit von 4471 m/s. Addiert man dies zu den 7802 m/s die ein Shuttle in einer niedrigen Umlaufbahn hat, so kommt man auf eine Endgeschwindigkeit von 12.273 m/s. Das sind fast 2 km/s weniger als man braucht, um direkt zum Jupiter zu gelangen. Zwar würde das Space Shuttle die IUS mit etwas größerer Geschwindigkeit starten. Doch die Möglichkeiten waren begrenzt. Die Reserven von etwa 15 t nicht genutzter Nutzlast würden bei einem Gewicht von mehr als 100 t für Shuttle und IUS nur eine leicht elliptische Bahn ergeben. Beim Design des Shuttles sollte er 18 in eine SSO-Bahn mit einer Neigung von 90 Grad transportieren können. Die 18 t entspricht fast der Masse der IUS-Galileo Kombination von 17 t. Für die 61,5 Grad mehr als zur energetisch günstigen Bahn, braucht man nur 220 m/s mehr. In etwa dies hätte man noch zusätzlich an Schwung mitgeben können. Das bedeutet eine Startgeschwindigkeit von 12.493 m/s. Dies entspricht einer solaren Startgeschwindigkeit von 35.648 m/s. Dies ist eine Bahn von 149,6 x 377 Millionen km.

Die Simulation

Mit dieser Bahn habe ich die Simulationen begonnen und dabei drei Fälle unterschieden:

  • Passage des Mars in 200-300 km Entfernung am Perihel (206 Millionen km Entfernung)
  • Passage des Mars in 200-300 km Entfernung am Aphel (249 Millionen km Entfernung)
  • Passage des Mars in 200-300 km Entfernung in 243 Millionen km Entfernung

Die letzte Angabe ist die wahre Sonnenentfernung, die der Mars im Mittel im April 1982 hatte.

Marsentfernung Vorbeiflugdistanz Endbahn
206 Mill. Km 227 km 166,1 x 492,2 Mill. km
243 Mill. Km 216 km 175,3 x 472,2 Mill. km
249 Mill. Km 225 km 177 x 477 Mill. km

Problem Startgeschwindigkeit

Kurzum: Es reicht nicht. Damit Jupiter die Sonde einfängt, muss die Bahn zwar nicht Jupiters Umlaufbahn erreichen, aber doch fast. Auf der Abbildung schneidet sie sogar. Nimmt man 800 Millionen km als Aphel an (Jupiter ist im Mittel 778,34 Mill. Km von der Sonne entfernt) so müsste die Raumsonde nach dem Marsvorbeiflug noch die Bahn anpassen. Selbst im optimistischsten Fall wären dazu rund 1820 m/s nötig, eine Geschwindigkeitskorrektur, die die Sonde nicht gehabt hätte. Das deutsche Antriebsmodul konnte die Geschwindigkeit um maximal 1600 m/s ändern.

Die offensichtlichste Lösung wäre, das man die IUS „ausgeweidet“. Die Oberstufe ist ausgelegt für lange Freiflugperioden. Dafür hat sie ein eigenes System mit Hydrazin für Lagekorrekturen an Bord, dazu brauchen die Computer weitere Batterien. Dies ist auch dran schuld, dass die zweite Stufe eine Trockenmasse von 870 kg bei nur 3919 kg maximaler Startmasse hat. Lässt man das Hydrazin weg, so steigt die Nutzlast schon um 110 kg. Weitere Einsparungen sind möglich. Damit könnte man die Startgeschwindigkeit steigern.

In einem zweiten Ansatz habe ich nun untersucht, welche minimale Startgeschwindigkeit man haben muss, damit man eine Bahn mit einem Perihel von 800 Mill. Km Entfernung bei einer Marspassage in 243 Mill. Km Entfernung erreicht.

Ich kam auf eine minimale Startgeschwindigkeit (solar) von 37.750 m/s. Bei einem Vorbeiflug in Höhe von 201 km kommt man dann auf eine Bahn von 165,5 x 797 Mill. km. Jupiter wird dann nach 2 Jahren 140 Tagen erreicht. Die Grafik von Galileo zeigt einen noch schnelleren Kurs mit etwa 540 Tagen Reisedauer also 2 Jahren 120 Tagen die Jupiterbahn kreuzt. Auch das spricht für einen schnelleren Abflug. Auch Mars wird erst nach 105 Tagen passiert. Eine weitere Simulation zeigt, dass die kurze Reisezeit erst bei einer Startgeschwindigkeit von 38.200 m/s erreicht wird, dann aber spart man kaum an Startgeschwindigkeit ein. Ich komme auf 13.873 m/s. Das sind rund 300 m/s weniger als ohne einen Marsvorbeiflug. In jedem Falle liegt diese Startgeschwindigkeit weit über dem, was eine IUS leisten kann, selbst wenn die Fähren ihr Sollgewicht erreicht hätten und man die 109%-Triebwerke gehabt hätte. Das gilt auch für die Minimalstartgeschwindigkeit von 37.750 m/s solar (13.606 m/s aus einer 186 km hohen Kreisbahn).

Galileo ist zu schwer

So verwundert es nicht, dass man schon 1980 die Planung auf die Centaur G umstellte. Es sollte nicht die erste Umstellung bleiben. Nach meiner Rechnung wäre eine IUS-Variante, die es zumindest in der Planung gab, aber fast ausreichend gewesen. Das war die IUS mit einer zusätzlichen ersten Stufe. Diese Kombination wiegt 27,8 t und wäre so noch transportierbar gewesen, Sie erreicht aus einer Standard-Umlaufbahn 13.333 m/s.

Schlussendlich brauchte Galileo über sechs Jahre zu Jupiter anstatt rund zweieinhalb Jahre wie über einen direkten Transfer oder auch den Umweg über Mars. Das dürfte auch der Grund sein, warum man den Mars nie genutzt hat. Den er hat doch einen Vorteil: Startfenster sind relativ häufig. Es gibt alle 26 Monate Startfenster zum Mars und es gibt alle 13 Monate eines zu Jupiter. Das bedeutet, jedes zweite Jahr wäre ein Weg über den Mars möglich – theoretisch. Es gibt aber noch eine Einschränkung. Auch die Inklination muss passen. Beide Bahnen sind zur Erdbahn geneigt, und wenn Jupiter eine (bei Ankunft) kleinere Z-Position als der Mars hat, so wird es problematisch, ebenso wie wenn Mars unterhalb der Ekliptik liegt und Jupiter oberhalb (oder umgekehrt). Mars hat zu wenig Masse um die Bahnneigung stark zu ändern und das dürfte die praktisch nutzbaren Startfenster doch stark einschränken. So gab es bisher nur zwei Vorbeiflüge an Mars: den von Rosetta und Dawn.

Zu Flora und Pallas

Nun ist aber Jupiter auch ein schon anspruchsvolles Ziel. Ich habe daher mal die Auswirkungen auf Asteroidenmissionen untersucht. Ein leicht erreichbares Ziel ist (8) Flora, Begründer der gleichnamigen Familie. Dies ist ein 135 km großer Asteroid am inneren Rand des Hauptgürtels. Und für den eigentlichen, äußeren Hauptgürtel habe ich (2) Pallas genommen, den zweitgrößten Asteroiden.

Nun kann man viel variieren. Ich habe mich auf folgende Randbedingungen festgelegt:

  • Entfernung des Mars: 227 Mill. km.
  • Distanz beim Vorbeiflug: 200-300 km
  • Zielbahn soll Aphel des Asteroiden erreichen.
  • Dort muss man dann noch das Perihel anpassen.

Man bekommt dann folgende ΔV Manöver:

Option Startgeschwindigkeit Startbahn Perihelanhegung Reisedauer Gesamt-ΔV
Erde → Flora 12.517 m/s 149,6 x 381 Mill. km 3112 m/s 1 Jahr 66 Tage 15.629 m/s
Erde → Mars → Flora 11.978 m/s 149,6 x 302 Mill. km 2210 m/s 1 Jahr 135 Tage 14.188 m/s
Erde → Pallas 13.207 m/s 149,6 x 510,6 Mill. Km 3286 m/s 1 Jahr 233 Tage 16.493 m/s
Erde → Mars → Pallas 12.627 m/s 149,6 x 399,2 Mill. km 2756 m/s 1 Jahr 355 Tage 15.383 m/s

Hier wird deutlich: Je näher das Ziel ist desto mehr bringt der Vorbeiflug am Mars, da Mars auch deutlich das Perihel auf rund 170 Millionen km Höhe anhebt und man so auch bei der Perihelanhebung Treibstoff spart. Zu Flora wird der von mir „empirisch“ gefundene, maximale, Geschwindigkeitsgewinn von 1400 m/s realisiert, doch auch bei Pallas sind es noch 1100 m/s.

In der heutigen Zeit wird man aber diese hohen Gesamt-ΔV mit Ionentriebwerken bewerkstelligen. Schon der Flug zu Flora hat ein Gesamt-ΔV wie die Galileomission beim direkten Flug zu Jupiter. Das entsprach 26 t im Erdorbit und noch 1 t im Jupiterorbit. Dawn änderte ihren Kurs um 11 km/s (plus 11 km/s die sie beim Start erhielt) und dies reduzierte die Sondenmasse nur um 50%.

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