Was ist besser? Ionenantrieb oder Sonnensegel?

Nun im Allgemeinen ist die Antwort klar: Ionenantriebe sind heute bei gleichen Anforderungen besser, sprich man kann mit derselben Startmasse eine bestimmte Nutzlast schneller zu einem Ziel bringen. Rein theoretisch ist die Tatsache das ein Ionenantrieb Treibstoff verbraucht, noch als Nachteil zu verbuchen. Allerdings benötigt man innerhalb des Sonnensystems bei den meisten Missionen nicht so viel Geschwindigkeit, das sich dies richtig als Nachteil herausstellt. Doch es gibt eine Ausnahme: eine Mission zu Merkur. Bei reinen Hohmanntransfers muss man über 17 km/s aufwenden, um eine Bahn parallel zu Merkur zu erreichen. BepColombo schafft dies nicht nur durch Ionenantrieb, sondern vor allem durch mindestens 7 Vorbeiflüge an Erde. Venus und Merkur. Auch sonst punkten Ionenantriebe: Es gab es in den letzten Jahrzehnten vor allem Fortschritte bei der Stromversorgung, die bei Ionenantrieben einen guten Teil des Gewichts ausmacht. Die Fortschritte bei der Fertigung leichter Gewebe, die man für Sonnensegel braucht, sind dagegen nicht so groß.

Zeit also mal zu vergleichen. Wie immer hängt der Vergleich davon ab, wie man die Bedingungen setzt. Wenn ich z.B. 50% Nutzlastmasse ansetze, so schneiden Sonnensegel viel besser ab, weil bei einer so hohen Geschwindigkeitsveränderung alleine der Treibstoff mehr als ein Drittel der Masse ausmacht. Da bleibt nicht mehr viel für Tanks, Stromversorgung und Triebwerke.

Ich habe mir vorgenommen, BepiColombo als Vorbild zu nehmen. Allerdings nicht die originale Mission. Die wiegt 4,1 t und davon gelangen noch 2,075 t in den Orbit. Bei 17 km/s Geschwindigkeitsänderung würde da der Treibstoff mehr wiegen als die knapp 2 t, die dann noch zur Verfügung stehen. Bepi-Colombo wird auch nur die Geschwindigkeit um 5,4 km/s ändern. Ich habe mich für das NEXIS-Ionentriebwerk entscheiden, weil dieses den höchsten spezifischen Impuls aller in der Entwicklung befindlichen Triebwerke hat. Zudem braucht man bei 25 kW Leistung nicht so viele Triebwerke.

Etwas spielen mit den Zahlen führt dazu, dass es bei geeigneter Stromversorgung möglich ist, fast ohne Freiflugphasen die Bahn zu erhalten. Ich komme auf Merkurs bahn in 200 Tagen, wenn die minimale Stromversorgung für Triebwerke 100 kW beträgt (jedes Triebwerk hat einen Verbrauch von 25 kW) und maximal 200 kW, also für maximal 8 Triebwerke reicht. Da sich Solarpaneele immer stärker erhitzen je mehr man sich der Sonne nähert und dann nicht nur weniger Strom liefern, sondern auch altern, werden ab der Entfernung der Venus (rund doppelte Sonneneinstrahlung) die Paneele gekippt, sodass sie nur noch schräg zur Sonne ausgerichtet sind. Bepicolombo hat zusätzlich noch verspiegelte Flächen zwischen den Zellen.

Für die Variante mit dem Ionentriebwerk sieht die Massebilanz so aus:

Parameter Wert Ionenantriieb
Startmasse: 5.500 kg
Davon Nutzlast 2.075 kg
Davon Treibstoff 1.838 kg
Davon Tanks 307 kg
Davon Triebwerke 240 kg
Davon Stromkonverter 240 kg
Davon Solargenerator 800 kg
Schub: 2,06 N @ 1 AE

Bei 101 kW Startleistung (1 kW für die Sonde selbst) kommt man so bei den Paneelen auf eine Leistungsdichte von 127 W/kg, in etwa in der Mitte zwischen konventionellen Solararrays (80-85 W/kg) und rollbaren Arrays (Ultraflex) von 170 W/kg. Das ist also umsetzbar.

Etwas schwerer ist es beim Sonnensegel. Ich habe versucht aktuelle Werte für große Segel zu bekommen, doch alle Forschungen beschränken sich auf kleine Segel, die in einen Cubesat passen. Die NEA Scout Mission soll einen 6U Cubesat einsetzen. Hier wird das Segel 85 m² groß sein bei einer Masse von < 3,5 kg. Das transferiert sich in ein Flächengewicht von 41,1 g/m². Demgegenüber wiegen extrem leichte Folien nur 10-12 g/m². Allerdings wiegen bei diesen kleinen Segeln die Streben unverhältnismäßig viel – ihre Länge steigt linear mit dem Durchmesser, die Fläche aber quadratisch.

Nimmt man die 70 g/m² für eine Strebe die, die DLR schon erreichte und 10 g/m² das ebenfalls die DLR als Flächenmasse ansetzte sowie 90 % der Masse für das Siegel (Rest Behälter und Entfaltmechanismus) so kommt man auf folgende Daten:

 

Parameter Wert Sonnensegelmission
Startmasse: 5.500 kg
Davon Nutzlast 2.075 kg
Davon Segel 3.082 kg
Davon Behälter + Entfaltmechanismus 343 kg
Größe des Segels 297.352 m²
Kantenlänge: 545,3 m
Schub (90 % Reflexionsgrad) 2,42 N @ 1 AE

Vergleichen wir nur den Schub, so sieht es für das Sonnensegel besser aus. Als weiterer Vorteil nimmt der Schub noch zu, wenn man sich mehr als 0,7 AE der Sonne nähert. Bei den Ionentriebwerken muss man spätestens bei doppelter Leistung der Paneele die Leistungsabgabe begrenzen. Allerdings wird man den Schub nicht voll ausnutzen können, man möchte ja abbremsen. Würde man das Siegel genau auf die Sonne ausrichten so würde es die Sonde dagegen beschleunigen. Man wird es im 45-Grad-Winkel ausrichten, dann reflektiert es die Photonen in oder gegen die Bahnrichtung. Nur sinkt dann durch den schrägen Einfall auch der Reflexionsgrad auf 64% ab. Bei einer Simulation mit diesen Daten erreicht man in 310 Tagen eine 46 x 63 Millionen km Bahn. Die ist schon zu eng. Die Lösung wäre eine Freiflugphase oder man vergrößert das Segel leicht, denn bei 321.000 m² bekommt man eine sehr gute Bahn mit einem Aphel von 65,4 Millionen km. (Erstaunlicherweise wird die Bahn sowohl kreisförmiger bei kleinen wie sehr großen Segeln. Nur bei einer bestimmten Größe hat man die gewünschte elliptische Bahn.

 

Parameter Ionentriebwerk Sonnensegel
Reisedauer: 200 Tage 292 Tage
Mit Freiflugphase 262 Tage 308 Tage
Umlaufbahn 46 x 69,03 Millionen km. 46 x 65,4 Millionen km
DV zu Merkur 133,6 m/s 776 m/s

Das dV habe ich nur als Anhaltspunkt angefügt. Natürlich wird man es gegen Null bringen, doch dann braucht man eine Freiflugphase, die ich hier nicht mitsimuliert habe. Trotzdem schneidet der Ionenantrieb besser ab als das Sonnensegel, obwohl ich die Fläche dessen um 10% erhöht habe, um die merkurähnliche Bahn zu erreichen. Warum? Nun berücksichtigt man die schräge Stellung, dann liegen die Sonnensegel schon anfangs im Schub hinten (1,83 zu 2,08 N). Das hat zwei Effekte: zum einen nähert sich das Sonnensegel langsamer der Sonne, nimmt also langsamer Fahrt auf. Zum anderen wird die Sonde mit Ionenantrieb laufend leichter, weshalb die Beschleunigung noch größer wird. Die Entfernung von 105,7 Millionen km, ab diesem Punkt muss man die Solarpaneele schräg stellen um die Energieaufnahme auf das doppelte bei Erdnähe zu begrenzen, erreicht die Sonde mit Ionenantrieb nach 127 Tagen, das Sonnensegel erst nach 164 Tagen. Ab hier steigt nun die Beschleunigung stärker an als beim Ionenantrieb, doch der hat schon 750 kg Masse verloren, was ihm noch einige Millionen km einen weiteren Vorteil gibt.

Die Sache ist also klar – selbst bei dieser Mission, die für Sonnensegel maßgeschneidert ist, schneidet der Ionenantrieb besser ab. Zudem ist der Sprung zu den realisierten Missionen enorm – okay hier wäre es auch ein Sprung in der Leitung um den Faktor 10 (Dawn hatte Arrays mit 11 kW Leistung, hier 100 kW), aber bei Sonnensegeln reden wir von heute unter 1000 m² Fläche. Da ist hier der Sprung um den Faktor 300!

Noch außer der Reihe mit einem Sonnensegel von rund 30.0000 m² Fläche wäre BepiColombo in rund 7 Jahren bei Merkur – genauso lange wie mit Flybys, nur wäre das eine fast kreisförmige Bahn in 58 Millionen km Entfernung also nicht die Zielbahn, da Merkurs Bahn sehr elliptisch ist (46 x 69,82 Millionen km zudem 7 grad zur Ekliptik geneigt).

Was bleibt? Nach wie vor sind Sonnensegel eine Nischenlösung. Zugegeben, man gibt sich auch nicht viel Mühe sie aus der Nische herauszubringen. Als aktuelles Projekt der NASA fand ich einen NEA-Scout – eine Cubesat-Mission (6U, die bei der SLS EM1 Mission mitstarten soll. Bei 14 kg Gewicht entfallen 3,6 kg auf das Sonnensegel mit 85 m² Größe. Der Erkenntnisgewinn dürfte klein sein, schon alleine wegen der beschränkten Nutzlast und auch Kommunikationsmöglichkeiten von so kleinen Sonden. Bei größeren Segeln stellt sich nicht nur die Frage der Entfaltung so großer Strukturen, sondern auch der Stabilisierung. Schließlich muss es in einem genauen Winkel zur Sonne gehalten werden. Der Strahlungsdruck wird es aber versuchen zu drehen. Dafür wurden dann wieder Ionenantriebe vorgeschlagen, sodass eine solche Mission auch nicht ohne auskommt. Würde es in einer Erdumlaufbahn entfaltet müsste man nicht nur sehr hoch gehen (siehe beim Blog dazu) sondern hätte dann auch noch die Erdatmosphäre als weitere Störgröße. Ich glaube kaum das man Sonnensegel in einer Erdumlaufbahn entfalten wird, bei Ionenantrieben wäre der Start von der Erdumlaufbahn aus zumindest denkbar.

3 thoughts on “Was ist besser? Ionenantrieb oder Sonnensegel?

  1. Hallo Bernd,
    vielleicht etwas offtopic hier, aber trotzdem:

    Nachdem ich hier länger mitgelesen habe, sehe ich, daß eine Reise von der Erdoberfläche
    bis zum Mond innerhalb einer Zeit vergleichbar mit einem Langstreckenflug (16h) wohl
    mit heutiger Technologie eher Science Fiction ist.

    Von einer Mars-Reise (Erde-Mars-Erde 1 Jahr) ganz zu schweigen.

    Oder liege ich falsch?

    Fragt sich Ralf mit Z

  2. Das erste ist licht zu beantworten: wenn man mit rund 12,6 km/s startet erreicht man den Mond nach 16 Stunden. New Horizons erreichte ihn bei fast 17 km/s schon nach 8 Stunden, doch dabei muss man noch den aufstieg/Parkbahn abziehen. Das Problem: beim Mond hat man dann eine Geschwindigkeit von 6,6 km/s, 5 km/s zu viel für eine Umlaufbahn.

    Beim Mars ist es unmöglich. Schon aus Himmelsmechanischen Gründen braucht man für die Bahn länger als für eine Erdumrundung, sie führt ja weiter hinaus. Direkte Oppositionsflüge mit sehr hohem Energieaufwand liegen bei 1,5 Jahren Gesamtzeit. Würde man eine Bahn einschlagen die genau 1 AE Halbachse hat, z.B. 72 x 226 Millionen km, dann hätte die auch 1 Jahr Umlaufzeit, da könnte man am Mars vorbeifliegen aber nicht landen sonst reicht die Zeit nicht. Doch dafür braucht man auch 8,6 km/s solare Geschwindigkeitsänderung was rund 14,2 km/s relativ zur Erdoberfläche sind.

  3. Eine Anmerkung: Um in die richtige elliptische Bahn um Merkur einzuschwenken, wird man nicht unbedingt Freiflugphasen benötigen. Es sollte reichen, den Schub während des Anflugs gezielt zu steuern, mal voll, mal etwas geringer. Die Schubsteuerung brim Sonnensegel erfolgt dabei durch die Änderung des Anstellwinkels.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.