Noch eine Berechnung: Sonnensegel vs. Ionenantrieb ins äußere Sonnensystem

Nachdem ich mich letztes Mal mit dem Vergleich ins innere Sonnensystem beschäftigt hat heute ein Vergleich der beiden Systeme beim Flug ins äußere Sonnensystem. Ziel soll es sein 2000 kg auf eine Fluchtbahn aus dem Sonnensystem zu befördern. Startmasse ist wie beim letzten Mal 5.500 kg, die Nutzlast einer Ariane 5 ECA auf eine Fluchtbahn (theoretisch noch höher, doch ich lasse etwas Luft, warum, das zeigt sich noch).

Weitere Nebenbedingungen: Die Fluchtgeschwindigkeit ist lokal zu berechnen – In der Erdumlaufbahn sind es 42,1 km/s (12,3 km/s über der Geschwindigkeit der Erde) aber sie nimmt ab, wenn man nach außen geht, und nimmt zu, wenn man weiter innen im Sonnensystem ist.

  • Für Sonnensegel soll wieder gelten: Flächenmasse Segel 10 g/m², Strebenmasse: 70 g/m. 90 % Segelanteil an der Gesamtmasse (Rest Behälter und entfaltmechnaismus).
  • Bei Ionentriebwerken soll gelten: Tankmasse 20% des Inhalts, Solargenerator mit 85 W/kg Leistungsdichte (konservative Annahme – Werte von Dawn). Bei den Triebwerken probiere ich vorhandene aus. Die Strukturmasse soll 340 kg betragen – die gleiche wie beim Sonnensegel.

Sonnensegel

Die erste Überraschung: Mit den Daten erreicht man keine Fluchtbahn, zumindest nicht in brauchbarer Zeit – nach zehn Jahren befindet sich das Sonnensegel auf einer 586 x 1224 Millionen km Bahn. Schon die Bahn zeigt das Problem an – das Segel entfernt sich von der Sonne und so wird es immer langsamer beschleunigt. Man kann dies optimieren, indem man das Sonnensegel nur bis zu einer bestimmten Distanz betreibt. Wenn man es bei 250 Millionen km Entfernung senkrecht zur Sonne stellt, so erreicht man in 10 Jahren eine 193 x 8430 Mill. Km Bahn, aber eben keine Fluchtgeschwindigkeit.

Anstatt nun das Sonnensegel zu „tunen“, was unfair wäre, da ich beim Ionentriebwerke ja auch konservative Werte annahm, habe ich einen Trick angewandt. Die 5.500 kg sind ein konservativer Wert für die Nutzlast. Ariane 5 hat schon 6000 kg auf eine Fluchtbahn gebracht (Herschel und Planck) und das war 2009, als die Nutzlast noch um die 10 t in den GTO betrug. Inzwischen ist sie bei 10,9 t angekommen. Ariane 5 müsste 5,5 t auf eine Bahn mit einem Perihel in Venusentfernung bringen können. Das bedeutet: zuerst einmal ist das Segel einige Monate näher an der Sonne und kann so Geschwindigkeit – beim Durchlaufen des Perihels hat es die doppelte Beschleunigung – aufnehmen. Mit einem Perihel in 104 Millionen km Entfernung und einer Begrenzung der Arbeit bis in 190 Millionen km Entfernung schafft es das Sonnensegel dann tatsächlich in 9 Jahren 195 Tagen die Fluchtbahn zu erreichen.

Ionenantriebe

Bei den Ionentriebwerken ist die Berechnung deutlich schwieriger. Das Grundproblem ist eigentlich das gleiche – man sollte die Fluchtgeschwindigkeit möglichst schnell erreichen, ohne eine spiralförmige Bahn zu erreichen. Wenn das der Fall ist, dann sind Freiflugphasen einzuscheiben.

Man muss nun den spezifischen Impuls variieren – ich tue dies indem ich verschiedene Triebwerke, die existieren durchrechnen, doch das hat Einflüsse auf andere Systeme. Der spezifische Impuls legt die Treibstoffemnge fest und die wiederum geht von der Gesamtmasse ab, der Rest bleibt dann für Triebwerke und Struktur (kleinster Teil) und Solargenerator (größerer Teil). Zudem ist der Treibstoffverbrauch auch von der Bahn abhängig, je schneller man die Fluchtgeschwindigkeit erreicht wird, desto kleiner ist er. Alles hängt also voneinander ab. Ich habe mich daher entschlossen, vorhandene Triebwerke auszuprobieren:

  • PPS-1350G (spezifischer Impuls : 1650 s)
  • XIPS-8 (spezifischer Impuls: 2350)
  • Nstar (spezifischer Impuls: 3150)
  • Rit 2X (spezifischer Impuls: 4140)
  • HIPEP (spezifischer Impuls: 5970+)

Dies ergibt:

  • PPS-1360G – kann wegen des nierigen spezifischen Impulses keine Fluchtgeschwindigkeit erreichen. Alleine der Treibstoff wiegt mehr als man an Sondenmasse zur Verfügung hat.
  • XIPS-8: genauso, zumindest nicht im Simulationszeitraum von 10 Jahren.
  • Auch beim NSTAR klappt es nicht. Hier ist der primäre Grund das der Treibstoff alleine schon die 2600 kg wiegt, es bleibt damit zu wenig Masse, für die restlichen System, wenige Hundert Kilogramm mehr und es klappt.
  • Beim Rit-2X klappt es. Allerdings auch nicht ohne Tricks. Ohne gezielt eingeschobene Freiflugphasen erreicht man keine Fluchtbahn. In unter 9 Jahren kann man es schaffen wenn man, wie beim Sonnensegel zuerst in eine sonnennähere Bahn einschwenkt. Mit 27 Triebwerken, 61,5 kW Anfangsleistung schafft man es in 8 Jahren 35 Tagen.

Der HIPEP-Antrieb hat eine andere Herausforderung: er braucht sehr viel Strom, 39,3 kW. Damit kann man selbst mit großen Solarzellen nur wenige Triebwerke betrieben. Nimmt man 8 Triebwerke, 155 kW Leistung und fliegt zuerst bis in Venusentfernung, so ist man auch hier in 9 Jahren 8 Tagen auf Fluchtgeschwindigkeit. Das ist also langsamer als beim RIT-2X.

Idealer Antrieb

Die Annahmen sind insofern trotz realer Antriebe nicht wirklichkeitsgetreu, weil ich immer „ganze“ Triebwerke nehme, also wenn man z.B. 100 kW Leistung hat und ein Triebwerk braucht 5,5 kW so errechnen sich 18,18 Triebwerke, die ich auf 18 abrunde. Daher fällt ab einer Distanz von der Sonne und abnehmender Leistung erst ein Triebwerk weg, dann zwei etc. In der Realität sind diese aber regelbar, wenn auch meistens unter Effizienzverlust. In der Praxis wird man daher eines oder mehrere Triebwerke herunterregeln. Damit kann man schneller die Fluchtbahn erreichen.

Zwischenbilanz

Beide Antriebe schaffen die Fluchtgeschwindigkeit, aber nur mit aufwendiger Missionsplanung. Die Reserven sind beim Ionenantrieb höher, vor allem wenn man bedenkt, dass ich beim letzten HIPEP über 100 kW benötigte elektrische Leistung auf der Basis der kleinen Flügel von Dawn und nicht modernen entfaltbaren Arrays modelliert habe. Das grundsätzliche Problem beider Antriebe ist, dass sie rasch in eine Entfernung gelangen, in denen die abnehmende Sonneneinstrahlung die Beschleunigung herabsetzt. So resultieren immer weitere Ellipsen mit immer höherer Umlaufzeit – die Mission dauert dann extrem lange. Bei Ionenantrieben kommt hinzu, dass man für die mindestens 12,3 km/s Geschwindigkeitsänderung für eine Fluchtbahn (in der Realität durch Anhebung der Bahn noch mehr) bei niedrigem spezifischen Impuls viel Treibstoff braucht, der dann wieder wenig Masse für die Solarzellen und Triebwerke übrig lässt. Bei hohem spezifischen Impuls ist der Treibstoffbedarf geringer, aber auch der Schub und diese Antriebe brauchen daher sehr lange um die Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen.

Nur bis Jupiter.

Man wird in der Realität daher wie bisher Jupiter als Sprungbrett nutzen. Es gibt bei direkten Flügen alle 13 Monate ein Startfenster zu Jupiter, das ist viel günstiger als zu Venus oder Mars. Ähnliche Intervalle sind auch bei Ionenantrieben zu erwarten.

Hauptvorteil ist des Umwegs über Jupiter ist, dass man nur 8,7 km/s erreichen muss. Daher braucht man weniger Treibstoff und Ionenantriebe mit niedrigem spezifischen Impuls können ihre Vorteile ausspielen. Nimmt man einen spezifischen Impuls von 35000 an, so kann man, wenn man wieder den Umweg über das innere Sonnensystem nimmt, in 1 Jahr 42 Tagen eine Bahn zu Jupiter erreicht haben. Eine Freiflugphase ist nicht nötig.

Auch das Sonnensegel schafft es unter gleichen Bedingungen in 8 Jahren 168 Tagen ohne „Freiflugphase“ (ohne Beschleunigung). Beschränkt man den Betrieb auf unter 137 Millionen Km Entfernung, so schafft man es in der halben Zeit – 4 Jahre 165 Tage.

Trotzdem: Das Sonnensegel ist deutlich unterlegen. Dies wird auch nicht besser werden, denn für eine Verbesserung des Ionenantriebs gibt es in der Entwicklung – leichte entrollbare oder kompakt gefaltete Solarzellen sind in der Erprobung. Die ATK Flex-Arrays sind heute schon verfügbar (werden z. B. Bei den Cygnus genutzt und Phoenix hatte auch welche) und bis 30 kW skalierbar. Triebwerke mit höherem spezifischen Impuls, aber auch höherem Wirkungsgrad absolvieren Testläufe. Bei Sonnensegeln ist schon der Sprung von bisher realisierten Flächen von 100 bis 400 m² zu den hier benötigten 20.000 m² enorm. Ich glaube da wird noch einiges an Entwicklungsarbeit zu tun sein. Die 10 g/m² Flächengewicht sind heute schon ein guter Wert, er ist nur wenig drückbar. 8 g/m² habe ich in Reporten gelesen. Richtig interessant wird es erst, wenn man dazu übergeht, das Trägermaterial (meist Mylar oder Kapton) wegzulassen. Auf der Erde wird das kaum möglich sein, weil die dünne Alumniumschicht, die man aufgedampft, dann nicht mehr stabil ist, doch im Orbit wäre das mit einem nicht UV-beständigen Kunststoff denkbar. Er würde zerfallen und damit die Masse drastisch absinken. In der Theorie denkbar, in der Praxis wird man wohl einige Tests machen müssen. „Verdampft“ das Trägermaterial nicht gleichmäßig, so wird das Sonnensegel steuerngstechnisch wohl kaum beherschbar, da die Masse der Reste die der reflektierenden Schicht weit übersteigt – ohne Trägermaterial würde das Flächengewicht von 10 auf 0,27 g/m² sinken, schon kleine Reste der ursprünglichen Folie erzeugen daher eine starke Unwicht. Würde man das allerdings erreichen – es wäre der ultimative Antrieb. Die Geschwindigkeit zu Jupiter wäre in 30 Tagen erreicht.

Allerdings ist das nur theoretisch. Zum einen wäre das Segel enorm groß (etwa 1,6 km²) und zum Anderen wiegt es ja nur so wenig, wenn die Trägerschicht weg ist, ohne wiegt es aber 40-mal mehr – 220 anstatt 5,5 t und damit nicht transportierbar den es muss mit Trägerschicht in den Orbit gelangen und entfaltet werden.

One thought on “Noch eine Berechnung: Sonnensegel vs. Ionenantrieb ins äußere Sonnensystem

  1. Die Sonnensegel-Mission mit Verlassen des Sonnensystems hat die ESA vor einem Jahrzehnt mal genauer analysiert. Hier sind die Links zu einer Übersichtsseite:
    http://sci.esa.int/trs/36022-the-interstellar-heliopause-probe/

    Zu einem Artikel bezüglich der wissenschaftlichen Nutzlast:
    http://www.astrophys-space-sci-trans.net/2/33/2006/astra-2-33-2006.pdf

    Dieser Artikel referenziert wiederum folgenden Artikel, wo diskutiert wird, wie sich mit einem Solarsegel die hohe Entfernung von 200 AU von der Sonne erreichen lässt:
    https://doi.org/10.1016/j.actaastro.2005.07.024

    Der wesentliche Trick besteht dabei in der Tat darin, zunächst das Perihel stark abzusenken, damit anschließend die deutlich höhere Strahlungsstärke in Sonnennähe zum Beschleunigen genutzt werden kann. Ab einer gewissen Entfernung zur Sonne wird das Sonnensegel dann abgeworfen, damit sich die Sonde „frei“ weiter im Raum bewegt.

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