Wer hat Angst vor dem bösen Lebensmittel-Erpresser?

Gestern ging durch die Presse, das jemand Discounter und andere große Ketten erpresst. Er würde vergiftete Nahrungsmittel ins Sortiment geben. Ein Polizeisprecher sprach von großer krimineller Energie und das verwendete Gift könne tödlich wirken. Wie immer wenn ich so was höre, gehe ich im Geiste, durch was der Mensch wohl verwendet haben könnte. Klar Gifte gibt es viele. Doch so einfach ist die Sache nicht. Das Lebensmittel soll ja auch gegessen werden. Es sollte also nicht geschmacklich auffällig sein. Das engt die Auswahl ein. Viele pflanzliche Gifte, die man einfach selbst aus Auszügen produzieren kann, wie z.B. aus dem blauen Eisenhut schmecken ziemlich bitter. Andere Gifte, die in kleiner Dosierung Medikamente sind, werden heute extra ekelig schmeckende Dinge zugemischt oder Tabletten in knalligen Farben eingefärbt, damit man sie nicht aus Versehen nimmt. Zumischen wird dann schwierig. Beim Nachdenken hat sich bei mir die Auswahl auf Insektizide und andere Gifte eingeengt die man sonst verwendet um „Schädlinge“ loszuwerden, mit dem Favorit Rattengift, denn das darf nicht auffällig sein, schließlich sollen es die Ratten ja fressen.

Große Enttäuschung als dann gestern im Radio kam, das es Ethylenglykol ist. Die AFD-ler und andere Anhänger von Verschwörungstheorien, die es auch zum letzten Blog verschlagen hat. (Vielen Dank übrigens das ihr als die Kategorie des Blogs überlesen habt) reden ja gerne von der Lügenpresse. Ich würde es eher als „Aus einer Mücke einen Elefanten machen“ Presse nennen. Ethlyenglykol gäääääähn. Schon wieder. Oder immer noch? Vom Ethylenglykolskandal habe ich schon gehört, da war ich noch nicht mal Lebensmittelchemiestudent. Das ist jetzt sicher 30 Jahre her. Damals hat ein österreichischer Weinbauer das Zeug kanisterweise unter den Wein gekippt. Kanisterweise, weil das eine relativ billige Zutat ist, die süß schmeckt und die Viskosität erhöht. Alles Dinge um aus einem durchschnittlichen Wein eine Edelbeerenauslese zu machen. In Reinform gibt es das als Flüssigkeit für Scheibenwischanlagen oder Zusatz zum Kühler, damit das Wasser nicht gefriert. Schon die Menge sollte auch dem Laien klar machen das Ethylenglykol nicht so giftig sein kann.

Ethylenglykol ist ein Stoffwechselzwischenprodukt und damit nicht giftiger oder ungiftiger als andere Stoffwechselzwischenprodukte wie Zitronensäure oder Oxalsäure. Die „Giftwirkung“ beruht darauf, dass er zu letzterer abgebaut wird und die ist schwer löslich. Bei zu viel Oxalsäure im Blut kann sie in den Nierenkanälchen auskristallisieren und sie dauerhaft verstopfen. Die Folge ist eine Niereninsuffizienz.

Nach Paracelsus macht nur die Dosis, ob etwas ein Gift ist oder nicht. Und das gilt auch beim Ethylenglykol. Nach Wikipedia beträgt die letale Dosis je nach Tierart, wo man testete, 4,7 bis 10,1 g pro Kilogramm Körpergewicht. (Ratte/Kaninchen).

Okay, Babys wiegen wenig und mögen empfindlicher sein. Aber der kleinere Wert, das sind bei einem 5 kg schweren 25 g Ethylenglykol. Ehrlich gesagt ich glaube nicht das man diese Menge in einem Fläschchen unterbringen kann ohne das das auffällt. Die Substanz ist weniger giftig als Salz. Würden sie 350 bis 700 g Salz auf einmal zu sich nehmen sie wären auch tot, und zwar ziemlich schnell. Das geht wegen einem Schutzreflex nicht, weshalb man auch Salz als Brechmittel nimmt.

Oder nehmen wir Alkohol. Bei 4,7 g/kg Körpergewicht sind das bei 4,7 g/kg * 75 kg= 352 g bei einem 75 kg schweren Mann. 352 g reiner Alkohol stecken in 440 ml. Das wären bei 40% Schnaps 1,1 l die man auf einmal trinken muss. Man hätte dann 7,3 Promille und die sind auch tödlich. Nach der Wikipedia liegt der LD50 von Alkohol bei 7,05 g/kg Körpergewicht und damit ist er genauso toxisch wie Ethylenglykol. Der Erpresser hätte also auch stinknormalen Alkohol in der gleichen Menge zusetzen können, der wäre dann genauso giftig. Nur hätten dann die Medien wohl nicht so viel Theater gemacht.

Bei mir fangen Gifte da an, wo man weniger als 1 g für eine letale Dosis benötigt. Das läuft dann auf ungefähr 10 mg/Kilogramm Körpergewicht raus. In der Kategorie sind dann Substanzen wie Arsen oder Blausäure. Die meisten „richtigen“ Gifte liegen weit drunter. Je spezifischer eine Substanz wirkt, desto weniger baucht man. Substanzen, die die Nervenweiterleitung blockieren wirken im Mikrogrammbereich. Dazu gehören Substanzen wie Cuare oder E605. Trotzdem gibt es Leute, die sich solche Ultragifte Botulinus-Toxin in Gesichtsmuskeln spritzen lassen …

Was bleibt ist ein Rauschen im Blätterwald.

6 thoughts on “Wer hat Angst vor dem bösen Lebensmittel-Erpresser?

  1. Verschwörungstheorie an:
    Vielleicht hat der Weinbauer aus Österreich noch ein paar Kanister….?
    Verschwörungstheorie aus.

    Ich seh gerade Columbo, wo der Täter mit Digitalis als Medizin einen Menschen mit 9 Tabletten getötet hat.
    Ist das bei medizinischen Digitalis-Tabeltten möglich?

  2. Also nach Wikipedia enthalten Tabletten bis zu 0,1 mg Digitoxin und ampullen bis 0,25 mg. (https://de.wikibooks.org/wiki/Innere_Medizin_kk:_Digitoxin)
    Die LD-50 beim Kaninchen beträgt 0,45 kg, sodass man selbst bei einer „leichten“ Frau mit 50 kg Körpergewicht auf 22,5 mg kommt, das wären 225 Tabletten oder 90 Ampullen.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Herzglykoside
    Ich rate lieber zum blauen Eisenhut. Findet man in vielen Vorgärten, 2 g der Wurzel können tödlich sein. Wer Grundkenntnisse der Chemie hat kann das Alkaloid leicht anreichern, dann wird es nochmal um den faktor 100 potenter.

  3. Da inzwischen der Erpresser mit einem Spezial-Einsatzkommando und dem Einsatz von Hubschraubern festgenommen wurde (wohlgemerkt es gab keinerlei Hinweise das er in irgendeiner Weise bewaffnet war) nur weil er Babybrei mit einer Substanz versetzt hat die so gefährlich wie Alkohol ist sollten mal alle Papas die den Schnuller ins Bierglas stecken damit der Kleine Ruhe gibt vorher aus dem Fenster schauen. Da kommt dann ja auch bestimmt gleich das SEK.

  4. Ob das Vorgehen mit so einer Mannschaftsstärke und so einem Aufwand gerechtfertigt ist, keine Ahnung. Auf der anderen Seite hat sich bei anderen Aktionen die polizei auch schon ziemlich blamiert, dass Verdächtige viel zu einfach entkommen konnten. dem wollte man wohl zuvorkommen.
    Er war unbewaffnet – ein Glück, aber weiß man das vorher? Eigensicherung geht auch bei Einsatzkräften vor.

    Das „Gift“ ist erst ab großen Dosen schädlich, also eigentlich harmlos: na das erklär mal ein Verantwortlicher der Bevölkerung, am Besten vor der laufenden Kamera. Der Kerl könnte sofort seinen hut nehmen. Das wird sich also auch keiner antun.

    Dann zum Täter selber: ich finds gut, dass man ihn aus dem Verkehr gezogen hat. der Tatbestand der versuchten Erpressung ist gegeben. Dass es mit dem verwendeten Gift kaum Schäden gegeben hätte – ein Glück, aber wer weiß, ob er nicht irgendwann auf was anderes umgestiegen wäre, wenn keine schwerwiegenden Schäden entstanden wären?
    Auch dass er Babynahrung ins Visier genommen hat und nicht etwas, was von Erwachsenen konsumiert wird, wie z.B. Schnaps, spricht für sich. Damit will er grad bei Eltern Angst um ihre Kinder erzeugen. Diese werden dann wohl kaum rationell abwägen, wie gefährlich das verwendete Gift nun wirklich ist.
    Es reicht schon, Angst zu erzeugen.

    Wieviele Minen braucht man für ein effektives Minenfeld (effektiv in der Bedeutung von Abschreckung)?
    Keine einzige, nur ein glaubhaft gestaltetes Schild „Vorsicht Minenfeld, Lebensgefahr!“ und evtl. noch eine Absperrung. Wer wills wirklich ausprobieren, ob da wirklich welche liegen?

  5. Der Typ hat angedroht, Menschen zu vergiften, wenn man ihn nicht auszahlt. Dieses Verbrechen hier zu relativieren und als Medienhype abzutun, nur weil bei der „Kostprobe“ eine wenig letale Substanz verwendet wurde und sich IM NACHHINEIN nach derzeitigem Kenntnisstand herauszustellen scheint, dass er nichts giftigeres hatte, ist ungeheuerlich. Jeder der so denkt sollte sich schämen!

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