IRC: Noch ne Raketenfirma

Bei all dem Trubel um SpassX ist einiges bei der letzten AIAA Tagung im September untergegangen, unter anderem auch die Präsentation vom George Ford. Seines Zeichen CEO der Industrial Rocket Company (IRC). Wie man am Namen schon erraten kann – wieder eine Firma die Raketen bauen will. Allerdings mit einem komplett anderen Ansatz als SpassX oder Blaue Ursprünge. Während die immer größere Träger entwickeln, fängt die Firma klein an. Sie will zuerst den Markt kleinerer bis mittlerer Nutzlasten adressieren. Zumindest was den US-Markt angeht, ist das nicht so doof, denn da fehlt ein Träger. Zumindest ein zuverlässiger und finanzierbarer Träger.

Alles was es gibt, ist entweder teuer wie die Minotaur 4-6 oder unzuverlässig wie die Taurus, inzwischen in Minotaur C umbenannt. So bucht inzwischen die NASA für 1 t schwere Satelliten die Falcon 9 wie für Jason-3 oder Tess. International ist die Situation anders. Rockot, PSLV und Vega konkurrieren in dem Segment von 1-2 t Nutzlast. Nur bei rund 4 t Nutzlast gibt es auch international eine Lücke (die Dnepr, die es da gibt, lässt Russland auslaufen).

Die Firma entwickelt als erstes nur eine Stufe. Es gibt nur wenige Daten von dem (wie bei Musk nur mündlich und per Projektor vorgetragenen Präsentation). Sie soll 1,524 m Durchmesser (5 Fuß) haben, 16 m hoch sein , Lox und Kerosin einsetzen. Ein Triebwerk mit 445 kN Schub (1000 lbf) treibt sie an. Sie wiegt rund 27 t.

Noch ist sie nur in der Planung. Derzeit laufen nur Komponententests des Triebwerks. Doch der Entwicklungsplan sieht so aus: Nach der erfolgreichen Triebwerkszertifikation wird die Stufe isoliert getestet. In dieser Phase wird IRC suborbitale Starts anbieten, allerdings nicht für Menschen, sondern wissenschaftliche Nutzlasten, also als Höhenforschungsrakete.

Danach folgt die erste Rakete, noch ohne Bezeichnung. Bei ihr umgeben sechs der Stufen eine siebte Stufe in einem Kreisring. Die äußeren sechs Stufen bidlen zusammen eine erste Stufe, die in der Mitte befindliche Stufe die zweite. Die rund 190 t schwere Rakete soll dann eine Nutzlast von 2,3 t (4000 lbs) haben. Jede Stufe hat einen eigenen Triebwerkskontroller, der das Triebwerk steuert und überwacht. Gemeinsam für die sechs äußeren Stufen ist ein über dem äußeren Ring angebrachter Druckgastank. Die zweite Stufe hat einen zweiten, daneben angebrachten. Beide Stufen gemeinsam haben dann noch eine Nutzlastverkleidung und gemeinsame Steuerung.

Die Abkürzung Industrial Rocket Company ist nämlich Programm: auch diese Firma will die Startkosten senken, aber mit einem komplett anderen Ansatz. Im Vortrag wird verweisen auf Oneweb, die ihre Satelliten für 500.000 bis 700.000 Dollar bauen wollen. Der Schlüssel dazu ist eine hohe Stückzahl. In der Raumfahrt lohnt sich aufgrund der kleinen Stückzahlen keine Automatisation. Man muss ja spezialisierte Werkzeuge und Roboter entwickeln. Es dominiert ein Zwischenschritt: montiert wird vorwiegend von Hand. Es gibt dafür zahlreiche spezialisierte Kleinwerkzeuge, um das zu erleichtern. IRC will auch Raketenstufen in Serie fertigen. Danach werden diese Module zu größeren Raketen gekoppelt.

Man habe viele Konzepte geprüft. Relativ schnell war klar, dass man als Treibstoffe LOX/Kerosin einsetzen würde. Die Kombination liefert eine hohe Energieausbeute und ist am besten erforscht. Der einzige Nachteil von LOX-Kerosin ist das LOX dauernd vor dem Start nachgefüllt werden muss. Das ist bei sehr vielen Stufen sehr aufwendig. Im Vortrag erläutere Ford, das dieser Umstand die Parameter der Rakete am stärksten beeinflusst hat. Geplant waren ursprünglich kleinere Stufen von 11 t Masse. Damit hätte man im Businessmodell eine Produktionszahl von 1.000 Stufen pro Jahr erreicht, eine magische Zahl, ab der sich Vollautomatisierung lohnt. Doch größere Raketen für heutige GTO-Satelliten hätten dann aus 150 Stufen bestanden und da war das Nachfüllen von LOX einfach nicht mehr möglich. Die größeren Stufen sind so konstruiert, das der LOX-Tank 10 % mehr Volumen hat, als er braucht. Der erste wird zwei Stunden vor dem Start ganz voll gefüllt, der nächste nicht mehr ganz so voll, bis 30 Minuten vor dem Start der letzte Tank gefüllt ist. Man lässt dann Sauerstoff verdampfen. Trotzdem verbleibt ein Überschuss, um Verzögerungen abzufangen, der wird dann nach dem Start verbrannt – in den ersten 30 s arbeitet das Triebwerk mit einer sauerstoffreichen Mischung, was auch den Schub erhöht. Wegen der Verdampfungsverluste sei deswegen auch Methan und Wasserstoff ausgeschieden. Zudem hätte sich dann ein explosives Gasgemisch bilden können.

Schwerer fiel die Entscheidung, für einen gemeinsamen Druckgastank. Geplant war zusammen mit der Betankung jeden Tank unter Druck zu setzen und dafür nur ein Teilvolumen zu nutzen. Die Triebwerke wären dann rein druckgefördert gewesen. Der Vorteil wäre, das die Technik sehr robust und wenig fehleranfällig ist. Der Nachteil war eine um 40 % höhere Trockenmasse und ein um 10 s niedriger spezifischer Impuls. Schlussendlich überwogen die Nachteile. Die separaten Druckgastanks beeinträchtigen den Raum, den die Nutzlast einnehmen kann. Allerdings ist dieser sowieso relativ groß. Bei der ersten Version hat die Rakete einen Durchmesser von 5,2 m bei einer Höhe von nur 23 m.

Das schwierigste war das Sicherheitskonzept. Schlussendlich kann jedes Triebwerk ausfallen. Eine Rakete für GTO-Missionen kann 16 bis 50 Triebwerke haben, je nach Satellitengröße. Besonders problematisch: Fällt bei einer anderen Rakete ein Triebwerk aus, so kann dies, wenn sie genügend Triebwerke hat, sogar aufgefangen werden, zumindest einige Zeit nach dem Start. Bei dem Konzept von IRC können die Treibstoffe eines Triebwerks aber nicht von anderen genutzt werden. Man habe Cross-Feeding untersucht, aber befunden, das es für den Mehrnutzen, den es bietet, zu komplex und damit teuer ist. Stattdessen werden die Stufen nicht direkt verbunden, sondern an drei Seiten mit je zwei Verbindungen die einen Zwischenraum von etwa 18 cm (6 inch) lassen. Die Kopplungselemente verbinden zwei Module eines Rings miteinander (links und rechts) und mit dem inneren Ring (hinten). Das besondere ist das die Elemente auf Zug auskoppeln. So muss man nur ein Triebwerk abschalten und die Kopplungen öffnen sich, weil dann die Stufe mit ihrem Eigengewicht zieht. Sie fällt nach unten weg. Der Zwischenraum soll vermeiden, dass sie dabei mit den Nachbarmodulen kollidieren kann. So erfolgt auch die Stufentrennung. Dazu werden alle Module einer Stufe simultan abgeschaltet und lösen sich dann durch Zug von der nächsten Stufe. Auf eine Nachfrage hin, bestätigte Ford, dass sie nicht ausbrennen dürfen, sonst könnte wegen leicht unterschiedlicher Brennzeiten ein asynchroner Schub entstehen. Die Stufe hat dann den Aufbau einer Zwiebel: ein äußerer Ring umgibt einen inneren und der wiederum eine einzelne Stufe. Der äußere Ring kann auch aus zwei Ringen bestehen und der ganz äußerste muss nicht geschlossen sein. Innen können bei großen Raketen auch Ringe fehlen. Man kann die Rakete nach IRC-angaben skalieren in vielfachen von 400 kg EO-Nutzlast. Die kleinste Konfiguration aus 5 Modulen hat 1,5 t Nutzlast.

Damit dieses Sicherheitskonzept funktioniert, muss es möglich sein, ein Triebwerk rechtzeitig vor Auftreten von Ereignissen, die es zerstören können, abzuschalten. IRC stehe derzeit in Verhandlungen mit der NASA, um die Software zu erhalten, die diese für das AHS entwickelt hat. Das war ein System, dass die Triebwerkskontroller der Shuttletriebwerke ersetzen sollte. Es wurde nach dem Verlust der Columbia eingestellt. Das AHS war ein System aus FPGA und Signalverarbeitungsprozessoren das mehrere tausend Mal das Schwingungsspektrum des Triebwerks analysiert. Dieses verändert sich schon einige Sekunden vor eine Havarie, die vor allem von der Turbopumpe ausgeht. Es hätte die Sicherheit der Triebwerke von 1:275 auf 1:2000 angehoben. Jedes Triebwerk erhält so einen Kontroller der den gesamten Betrieb überwacht und auch steuert. Bei einem sich anbahnenden Vorfall bringt er das Triebwerk zuerst in Neutralstellung, damit keine seitwärts gerichtete Schubkomponente eine Kollision verursacht. Zudem wird dies dem Bordcomputer gemeldet. Danach wird es auf okay des Bordcomputers abgeschaltet. Offen ist ob es wie beim AHS des Shuttles vorgesehen, die Triebwerke auch nur im Schub zu reduzieren. Sobald der Schub ein bestimmtes Niveau unterschreitet löst sich das Modul von alleine ab. Wie Ford eingestehen musste, ist das aber bisher nur ein Plan. Es seien aber Testflüge geplant bei dem man genau das erproben will.

Der springende Punkt ist, das man so aber viele Module am Fließband produzieren kann, das würde nicht nur die Kosten senken. Es bedeutet auch, dass man relativ kurzfristig einen Start anbieten kann. Man muss nur eine Rakete aus den Lagerbeständen zusammenbauen. Prinzipiell wäre der Größe keine Grenze gesetzt, die größte Rakete, die man anstrebe habe aber 128 Module, so viele Steuerkanäle soll der Bordcomputer aufweisen.

Preise wollte Ford nicht nennen, aber „in most cases better than our Competitors“. Ich vermute, daher das die Rakete dann billiger ist, wenn man bei einem Konkurenzmodell nicht die volle Nutzlast ausnutzt, z.b. hat SpaceX dieses Jahr einen 3,5 t schweren Satelliten in den GTO gebracht, aber auch einen 6,5 t schweren. Beide Kunden buchen aber dieselbe Rakete.

Nun meine Meinung: Das Konzept ist nicht neu. Man fühlt sich sofort an das OTRAG-Konzept erinnert. Anders als dieses basiert es aber nicht auf absoluter Low-Tech und dem Verwenden von Dingen aus anderen Bereichen wie Scheibenwischermotoren. Stattdessen scheint es normale Raketentechnik zu sein. Die Kostenreduktion kommt dann durch die Serienbauweise. Ob das Modultrennungskonzept funktioniert, wird sich zeigen. Verbindungen die sich auf Zug lösen, haben sich schon bewährt. So werden seit 60 Jahren die Außenbooster der R-7 abgetrennt. Allerdings haben die auch genügend Platz, wenn sie nach außen wegfallen. Ob 18 cm Zwischenraum reichen, das Module „durchfallen“? Man wird es erproben müssen. Ich bin da eher skeptisch.

Beim Nachdenken komme ich auf andere Knackpunkte. So werden ja alle Raketen gleich hoch sein (16 m ohne Nutzlastverkleidung) aber unterschiedlich breit. Will man dann zig verschiedene Nutzlastverkleidungen anfertigen? Wohl kaum. Ich vermute, es wird einige Modelle geben, jeweils kreisförmig im Durchmesser um jeweils eine Stufendurchmesser ansteigend.

Eine andere Sache ist die Startplattform. Man braucht dort zum einen ein System das so flexibel ist das man 5 Stufen aber auch bis zu 128 Stufen betanken kann. Beim Kerosin geht das noch sequentiell lange vor dem Start, aber bei LOX selbst mit dem Verdampfungskonzept wohl nicht sequentiell. Wie will man sonst 128 Module bei einem Zeitfenster von 2 Stunden befüllen?

Ebenfalls ungelöst wie die Rakete festgehalten werden soll. Normale Raketen werden vor dem Start von Klammern festgehalten, bis der Bordcomputer den Start frei gibt. Reine Feststoffraketen werden nicht festgehalten, da sie ihren Schub innerhalb von Millisekunden entwickeln. Doch hier sind es Triebwerke mit flüssigen Treibstoffen bei denen der Schub langsam ansteigt und ob alle Triebwerke simultan zünden und genau den gleichen Schubanstieg habe, dass man darauf verzichten könnte? Ich glaube, dass ist doch sehr unwahrscheinlich.

Der für mich logische Schritt wären mehrere Startrampen oder zumindest mehrere Starttische, z.b. für 2-Ringe, 3-Ringe, 4-Ringe etc… Für maximal 128 Module bräuchte man 7 Ringe. Mithin sechs verschiedene Plattformen und Nutzlastverkleidungen.

Offen ist auch das Konzept, ob das Abschalten einzelner Triebwerke so funktioniert. Vor allem muss man dann auch Reserven vorsehen. Man verliert ja einen Teil der Raketenmasse. Ob es diese Reserven gibt, wurde nicht gesagt. SpaceX hatte die ja mal nicht vorgesehen. Nach dem ersten Triebwerksausfall kürzte man dann die Nutzlast von 5,5 auf 4,5 t GTO. Jetzt nach rund 30 Starts ohne weiteren Ausfall steigt sie laufend an, wahrscheinlich, weil man nun keine Reserven mehr vorsieht.

Also ich bin skeptisch. Derzeit drängen ja viele neue Firmen auf den Markt. Am unteren Rand die Elektron, am oberen die New Glenn. Während hinter Blue Origin immerhin ein Milliardär steht, weiß man nicht mal über wie viele Finanzmittel IRC verfügt. Nicht zuletzt wird ja bald mit der BFR eine Rakete zur Verfügung stehen, die zehnmal billiger als eine Falcon 9 ist, bei der zehnfachen Nutzlast. Ob damit IRC mithalten kann?

One thought on “IRC: Noch ne Raketenfirma

  1. Hallo Bernd,
    Nach dem ersten Absatz dachte ich an eine „aufgemotzte A4 oder Redstone“
    Nach dem zweiten Absatz an OTRAG

    Und am Schluß des Textes an die N1… Bummm!
    Viel zu viele Flüssigkeitstriebwerke, viel zu komplex für einen Anfang…
    Selbst die Raketen der Sojus haben zwar zwanzig Triebwerke, aber nur eine Treibstoffpumpe
    für je vier Triebwerke… (wenn ich es richtig verstanden habe).

    Lassen wir uns überraschen ob es ein Erfolg oder nur eine Sylvester-Rakete wird!
    Meint Ralm mit Z

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