Explodiert, bevor es losging

Es ist Zeit mal wieder für einen Blog. Ich habe mich ja in der letzten Zeit etwas rar gemacht. Bis Anfang der Woche war ich jeden Tag bei einem Kunden programmieren und da war keine Zeit für den Blog. Vor allem aber bin ich, wenn ich schon was geschrieben habe am Manuskript des Buchs über das Mercuryprogramm gesessen. Es sind mittlerweile 350 Seiten, damit ist es jetzt schon das umfangreichste Buch von mir über bemannte Raumfahrt. Das fiel leicht, weil es über Mercury noch wirklich Bücher mit viel Information gibt, und zwar über die wesentlichen Teile des Programms während man heute zwar zum aktuellen Gegenstück, der ISS rein formal mehr Dokumente findet, aber sie nur Details wie einzelne Experimente betreffen. Umfassende technische Informationen zu finden, ist dagegen schwer. Das Buch wird noch länger werden, denn anders als früher habe ich keine Bilder in den Text eingefügt, lediglich bei den Missionen sind die schon da, so denke ich wird es gegen 400 Seiten gehen.

Ich habe mich drangehalten, weil ich mir selbst als Ziel gesetzt habe, dass es bis zum 60-sten Geburtstag des Programms erscheint. Das wäre am 26.11.2018. Ich hoffe das klappt.

Der heutige Blog entstand aus der Recherche. Bei Mercury wurde einmal absichtlich (und zweimal unabsichtlich) der Rettungsturm von Meereshöhe aus gestartet. Damals waren Explosionen auf der Startrampe noch sehr häufig und daher fand dieser Test statt. Ich habe deswegen im Buch zwei Atlasexplosionen auf der Startrampe erwähnt und das ist heute auch das Thema des Blogs.

Ich muss sagen, ich habe den Umfang sträflich unterschätzt. Mir fielen spontan vier Ereignisse aus den letzten zwei Jahrzehnten ein: Der Explosion einer Sealaunch 2006, einer VLS 2002 und die beiden neueren von Antares 2014 und SpaceX 2016. Bei der Recherche kam ich bald auf Dutzende von Fehlstarts und Explosionen auf der Startrampe. Den Blog gibt es daher auch Artikel in der Website und ich musste ihn in zwei Teile aufteilen, da er sonst zu lange gewesen wäre.

Explosion auf de Startrampe <> Explosion über der Startrampe

Auch wenn der Schaden meist gleich hoch ist, muss man zwischen der Explosion auf der Startrampe also noch vor dem Abheben und darüber unterscheiden. In den Fünfzigern und frühen Sechziger war die Zuverlässigkeit von Raketentriebwerken noch sehr niedrig. Besonders häufig gab es Verbrennungsinstabilitäten, die im Extremfall zu einer Triebwerksexplosion führen konnten, aber meistens eher dazu, dass das Sicherheitssystem einschritt und das Triebwerk abschaltete. Das ging auch damals ohne Computer relativ einfach. Es gab einen Druckmesser, der aktiv wurde, sobald die Rakete abhob und schwankte der Brennkammerdruck so sank die Spannung, die aus dem Druck generiert wurde, ab und erfolgte dies so schaltet ein Relais die Treibstoffzufuhr ab. Wenn das wenige Meter über der Startrampe erfolgt, dann fällt sie durch den zu kleinen Schub auf die Startrampe zurück und explodiert. Auch ohne Abschaltung entwickeln Raketen mit Verbrennungsinstabilität meist zu wenig Schub und fallen dann auf die Startrampe zurück.

Dagegen ging man schon damals davon aus, dass eine Rakete auch bei einem Probecountdown nicht einfach so explodiert oder vor einem Start explodiert. Das war auch damals schon bemerkenswert. Daher habe ich meine Liste in zwei Teile unterteilt: Explosionen, bevor die Rakete abgehoben hat und Explosionen, nachdem sie abhob. Auf der anderen Seite muss man natürlich noch unterscheiden, wann man eine Explosion nicht mehr zu dieser frühen Phase zählt. Rein formal kann man die Passage des Startturms als Kriterium nehmen. Ich habe es etwas weiter genommen: ich zähle auch Starts dazu die in der frühen Phase scheiterten, wenn es Schäden an der Startbasis gab.

Naturgemäß entfallen die meisten Katastrophen auf die USA. Sie traten in der Frühphase der Raumfahrt viel häufiger als später auf. Von russischen Katastrophen weis man nur wenig, zumal die meisten russischen Starts militärischer Natur sind. Erfreulich: kein europäischer Start ist in dieser Liste.

Explosionen vor dem Abheben

3.5.1954: Die dritte Redstone steht auf dem Pad LC-4 am Cape, als sie beim Start explodiert. Die Auswertung der Telemetrie zeigt, dass Schlamperei bei der Fertigung die Ursache war. Wernher von Braun führt ein rigides Qualitätsmanagement ein, das er in Folge bei allen Raketen beibehält, auch wenn es Widerstände gegen einige Maßnahmen gab (beim Mercuryprogramm lies er z.B. Alle Redstones von Chrysler nach Huntsville transportieren und testete sie dort auf Herz und Nieren, bevor sie an die NASA ausgeliefert wurden, das hielt man bei Space Task Group für überflüssig).

22.5.1957: Die dritte Thor Mittelstreckenrakete, Nr. 103 stand bei einem Vorbereitungstest auf der Rampe 17B (die schon vier Monate vorher durch einen Start beschädigt wurde) als ein Ventil für die Entlüftung des Sauerstofftanks stecken blieb. Dadurch wurde der Überdruck nicht abgelassen und der Sauerstofftank explodierte durch den Überdruck. Pad 17B im Cape war bis September 1957 nicht verfügbar.

25.9.1959: Eine Atlas 9C hatte eine 24 s lang dauernden statischen Test auf der Startrampe LC12. Sie sollte wenige Tage später die erste Raumsonde des Atlas Able Programms starten. Das Zünden der Triebwerke verlief zwar ohne Problem, aber eine Treibstoffleitung brach und der heraustretende Treibstoff entzündete sich. Die Atlas 9C explodierte und die Startbasis 12 musste acht Monate lang wieder instand gesetzt werden.

12.12.1959: Eine Titan I C-3 stand auf dem Pad 16 vor dem Start. Bevor sie abhob, aber nach Zünden der Triebwerke lösten die Vibrationen das Relay aus, das die Selbstzerstörung initiierte und die Titan explodierte auf der Startrampe. Die gezielte Sprengung verursachte weniger Schaden, da dabei die Treibstoffe kontrolliert verbrennen, anstatt sich zuerst zu durchmischen und dann ein explosives Gemisch zu bilden, als eine unkontrollierte Explosion, denn der nächste Start fand schon zwei Monate später statt.

5.3.1960: Bei einer Befüllungsübung explodierte auf der Vandenberg Air Force Base die Atlas 19D auf der Rampe 576-A1 als ein Feuer ausbrach.

8.4.1960: Weniger als vier Wochen nach der Explosion von Atlas 51D später zerstörte die Atlas 48D die Nachbarrampe LC11 am Cape. Sie hob diesmal nicht ab. Es gab eine Explosion in der Antriebssektion. Der Antrieb wurde daher abgeschaltet und brannte 60 s lang vor sich hin, bis auch die Treibstofftanks explodierten. Der Schaden war etwas kleiner als bei der Atlas 51D. Die Startrampe LC11 war schon drei Monate später wieder bereit für den nächsten Start.

24.10.1960: Diese Explosion hat sogar einen Namen, das Nedelin-Desaster. Eine R-16 ICBM wurde für einen Testflug vorbereitet, als es Probleme mit der Elektronik der Rakete gab. Anstatt die Rakete mit hypergolischen, giftigen Treibstoffen zu enttanken, befall der General Nedelin, Befehlshaber der Raketenstreitkräfte, dass man die Reparaturen an der betankten Rakete durchführte, und überwachte dies persönlich von einem Stuhl neben der Startrampe aus. Ein übermüdeter Techniker legte aus Versehen einen Schalter um und zündete damit die zweite Stufe, die sich wie ein Schneidbrenner durch die erste Stufe fraß und sie zur Explosion brachte. Bei dem Unglück wurden 90 Personen getötet, inklusive Nedelin, von dem man nur noch seinen Orden „Held der Sowjetunion“ fand. Offiziell kamen sie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die Rampe wurde nicht wieder aufgebaut und ist seit 1961 nationales Denkmal für die Opfer. Es ist unter allen Unglücken die Katastrophe mit der höchsten Zahl an Todesopfern.

3.12.1960: Die USAF baute das Titan Operational Suitability Test Facility (OSTF) als Prototyp für die späteren Silos. Am 3.12.1960 wurde eine Titan I, Nr. V-2 für Tests des Konzepts aufgetankt. Sie wurde dann mit den vollen Tanks mit dem Aufzug herausgefahren (der Start erfolgte bei der Titan I nicht aus dem Silo heraus), die Ventile geöffnet und der Druck abgebaut. Nun sollte sie mit dem Aufzug wieder in das Silo heruntergelassen werden, wo man den Treibstoff wieder abpumpte. Dabei versagte der Aufzug und die Titan fiel 48 m tief und explodierte in einem Feuerball. Das OSTF wurde nach der Katastrophe niemals fertiggestellt und es verblieb nur ein Loch im Boden.

25.7.1962: Eine Thor sollte mit einem Atomsprengkopf bei de Operation Fishbowl starten und diesen in der Stratosphäre zünden. Kurz nach dem Zünden versagte das Sauerstoffventil und das Kerosin entzündete sich in der heißen Brennkammer. Die Rakete wurde vom Sicherheitsoffizier auf der Startrampe gesprengt und mit ihr der der thermonukleare Sprengkopf. Die gesamte Area musste von dem Plutonium aufwendig gereinigt werden.

1.5.1963: Die letzte Titan I Entwicklungsrakete V-4 sollte vom Pad 395-A1 in Vandenberg abheben, doch die Triebwerke lieferten zu wenig Schub. Die Rakete kippte um und explodierte. Die Reparatur dauerte zwei Monate.

11.5.1963 eine Atlas D Agena sitzt bei einem Prelaunchcheck auf der Rampe. Auf ihr eine Agena D Oberstufe und ein GAMBIT Spionagesatellit. Da wird der obere Sauerstofftank entleert. Ohne Hereinpumpen von Helium (Leitung blockiert) sank der Druck im Tank und durch das Gewicht von Oberstufe und Nutzlast (zusammen rund 10 t) kollabierte er. Man sieht auf den Filmaufnahmen wie sich die Oberstufe mit Nutzlasthülle zuerst neigt dann zur Erde fällt. Es grenzt an ein Wunder, das der dabei beschädigte und noch volle Kerosintank keine Explosion auslöste, sondern nur 40 t Kerosin sich über die Rampe verteilten.

Das innendruckstabilisierte Konzept der Atlas erwies sich als sehr anfällig. Einige Atlas fielen zusammen, als die Innendruckstabilisierung ausfiel, darunter ein Exemplar in einem Museum. Daneben musste man beim Betanken und Enttanken genau auf den richtigen Druckunterschied achten, sonst konnte der gemeinsame Zwischentankboden in Richtung Sauerstoff oder Kerosin durchbrechen. Das passierte viermal bei den Atlas 5C, 7D, 5D, und 81D.

4.10.1963: Die Atlas 45F sollte von der Rampe 576G der Vandenberg Air Force Base abheben, doch bei einem der beiden Boostertriebwerke (B2) versagte die Treibstoffzufuhr. Ohne das Triebwerk fehlte der Schub zum Abheben und durch den asymmetrischen Schub kippte die Atlas nach rechts weg. Da sie so rechts des Silos explodierte, war die Startrampe nach 10 Wochen wieder startbereit.

3.4.1964: Einmal ist keinmal: Von derselben Rampe, 576G startete diesmal die Atlas 3F. Einziger Unterschied: diesmal zündete Triebwerk B1 nicht, sodass die Rakete nach links anstatt rechts wegkippte. Diesmal dauerte die Reparatur von 576G sechs Monate.

14.11.1966: Teststart des Sojus Raumschiffes. Vor dem Abheben entdeckte das Überwachungssystem Probleme mit dem B+W Außenblöcken und brach den Start ab. Als die Bodenmannschaften die Rakete enttanken wollten, löste der Fluchtturm nach 27 Minuten aus und ein Feuer brach im Oberteil der Sojus aus. Die Rakete war zwar deaktiviert, doch die Gyroskope rotierten weiter und verloren langsam die räumliche Orientierung. Als die Abweichung vom Vorgabewinkel 7 Grad betrug, löste der Rettungsturm SAS aus. Die 32 Sprengbolzen zerstörten eine Leitung mit entzündlicher Kühlflüssigkeit, welche das Feuer auslöste. Es gab keine große Explosion aber mehrere kleinere und der Brand wütete über 2 Minuten. Es gab mehrere Verletzte aber keine Toten bei der Katastrophe.

18.3.1980: Eine Wostok mit einem Tselina-O Satelliten explodiert, als die Rakete aufgetankt wird. Schaden an der Rampe 43/4 in Plessezk.

22.3.2002: Bei Arbeiten an der VLS, drei Tage vor dem dritten Start explodiert ein Feststoffmotor. Nicht nur das Pad wird zerstört, sondern auch 21 Arbeiter getötet. Ein Jahr später wird das Programm eingestellt.

1.9.2016: Falcon 9: Eine Falcon 9 „Full Thrust“ wurde auf Pad LC40 am Cape für einen Hotfire Test vorbereitet, als von der Oberstufe ein Flammenball ausging. Später sieht man Satellit und Nutzlasthülle herunterfallen, während aus dem Flammenball eine Explosion wird. Die Zündung des Triebwerks stand noch aus und sollte in 5 Minuten erfolgen. Der israelische Kommunikationssatellit Amos 6 war schon auf die Rakete montiert und ging verloren. Eine eingehende Untersuchung zeigte, dass eine Heliumflasche aus einem Kern aus Aluminium und einem Überzug aus Kohlefaserverbundwerkstoffen die Ursache war. Es soll sich Sauerstoff zwischen den beiden Schichten angesammelt und entzündet haben. Die Fertigung der Flaschen wurde danach überarbeitet und das Helium wärmer eingefüllt um den Sauerstoff, wenn es ihn noch gibt zu verdampfen. Die Firma setzte ihre Starts für fünf Monate aus und das Pad 40 wurde sogar erst nach 17 Monaten erneut genutzt.

Soviel in Teil 1. Teil 2 mit den Katastrophen nach dem Abheben kommt morgen. Immerhin für alle Freunde von SpaceX hier eine gute Nachricht. Die Falcon 9 ist in dieser Liste die bei Weitem größte Rakete und die erste Katastrophe auf einer Startrampe vor dem Abheben der USA seit 52 Jahren. Wem noch Starts einfallen, die hier fehlen, bitte als Kommentar hier herein. Wartet zur Sicherheit aber bis morgen, da kommen noch mehr Fehlschläge…

3 thoughts on “Explodiert, bevor es losging

  1. Am 5. August 1981 ist eine Percheron der amerikanischen Privatfirma SSI (Space Services Inc.) während eines statischen Brennversuch auf ihrer Startrampe in Matagorda Island in US-Staat Texas explodiert. Der Träger sollte der erste Schritt zu einem privaten Satellitenprogramm sein und am 12. August einen Testflug absovieren.

    1. Ich habe mich bewusst auf echte Starts von Trägern beschränkt. Nimmt man auch noch die ganzen Tests an Prüfständen hinzu und die fallen ja für jede Stufe an, so wird die Zahl enorm groß, zumal diese ja noch Stufen beinhalten die in der Entwicklung sind, also riskanter.

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