Das Murphy-Spacecraft

Ich hoffe ich muss in diesem Kreis nicht das Murphysche Gesetz vorstellen. Ich habe zum ersten Mal davon gehört als ich meine erste Woche an der Uni hatte, doch wie ich dem Astronautenbuch entnehme war es schon 1963 in den USA verbreitet. Nach dem Murphyschen Gesetz, zu dem es sogar einige Bücher mit verwandten Gesetzen gibt, geht alles schief was schiefgehen kann. Und ein Murphy-Spacecraft ist dann in meinen Augen eines, bei dem schiefgeht, was nur schiefgehen kann.

Auf dies kam ich als ich mein Buch über das Mercuryprogramm schrieb, denn da gab es einiges was schief ging und das chronisch.

Aber damit wir alle mal auf demselben Wissensstand sind. Hier eine kleine Geschichte der Flüge im Mercuryprogramm. Es gab drei Trägerraketen und vier Arten von Flügen:

Die Little Joe Flüge setzen ein Bündel von Feststoffraketen ein um den Fluchtturm zu qualifizieren. Dabei wurden in der Regel nur Modelle der Kapseln ohne Innenausstattung eingesetzt. Da konnte man kaum Probleme der Kapsel beobachten. Dafür war die Flugdauer zu kurz. Es gab acht Little Joe Flüge. Es waren nur vier geplant, doch vier scheiterten und mussten wiederholt werden. Beim ersten Flug löste der Fluchtturm sogar aus, bevor die Rakete überhaupt abgehoben hatte.

Auch beim Big Joe Flug wurde nur ein Modell der Kapsel eingesetzt. Dieser Flug auf einer Atlas qualifizierte den Hitzeschutzschild.

Richtig ernst wurde es erst bei den Mercury-Redstone (MR) Flügen. Zuerst sollte in zwei Flügen die Redstone qualifiziert werden, dann sollten sechs bemannte Flüge folgen. Bei Mercury Redstone 1 löst wieder der Fluchtturm auf dem Pad aus. Der Flug musste als MR-1A wiederholt werden. Bei Mercury Redstone 2 löste der Fluchtturm nach Brennschluss aus und die Kapsel flog zu weit. Von Braun setzte auch hier eine Wiederholung durch, die von der Space Task Group nicht begrüßt wurde, so kam es zu der seltsamen Bezeichnungen Mercury Redstone BD. BD für Booster Development. Die sechs bemannten Flüge wurden, nachdem Gagarin schon vor dem ersten bemannten Mercury-Redstone Flug die Erde umrundet hatte, auf zwei reduziert.

Auch die Atlas musste erst qualifiziert werden. Aufgrund Fehlstarts der Atlas gingen zwei unbemannte Missionen verloren. Nach drei weiteren unbemannten Missionen ging man an die bemannten Missionen.

Mercury Redstone 1A verlief noch weitestgehend problemlos, wenn man davon absieht das man in den Filmaufnahmen zahllose schwebende Gegenstände in der Kapsel sehen konnte wie Reinigungstücher und Kugelschreiber, was schon einen Vorgeschmack lieferte, wie gründlich man bei McDonnell arbeitete.

Bei Mercury Redstone 2 mit dem Schimpansen Ham entwich gleich nach dem Start die Atmosphäre weil ein Ventil sich nicht schloss. Schon vorher hielt ein überhitzter Konverter den Start vier Stunden lang auf. Lösen konnte man das Problem nicht, man hielt nur den Countdown solange an, bis er sich soweit abgekühlt hatte, das man den kurzen Flug durchführen konnte. Der Fluchtturm löste nach zu frühem Brennschluss (wegen zu hohem Schub) aus und Ham landete 200 km vom Zielgebiet entfernt und wurde extrem hohen Beschleunigungen ausgesetzt. Der Flug MR-BD war ohne Kapsel, nur mit einem Massenmodell. Schiefgehen konnte daher nichts.

Bei den Flügen MR-3 und MR-4 die bemannt waren, ging alles glatt, wenn man davon absieht das bei MR-4 die Seitenluke sich vorzeitig löste. Gus Grissom stritt ab sie ausgelöst zu haben, aber bei Versuchen konnte man sie nicht durch Erschütterungen oder andere mechanische Vorgänge auslösen. Die Kapsel versank im Atlantik.

Die Mercury Atlas (MA) Flüge MA-1 und MA-3 scheiterten schon beim Start als die Atlas versagten. Bei Mercury Atlas 2 war der Flug mit 24 Minuten so kurz, dass es keine großen Probleme gab. Bei MA-4, einer 1-Orbit Mission verbrauchte das automatische Korrektursystem schon bei der ersten Drehung die doppelte Treibstoffmenge. Erneut schloss sich ein Ventil zur Kabinenentlüftung erst in 8,3 km Höhe. Auch in der Folge war der Sauerstoffverlust hoch. Nach einem Orbit war der primäre Sauerstoffvorrat auf 30 % abgesunken – bei dem Verbrauch wäre nicht mal eine Zweiorbitmission möglich.

Bei der letzten unbemannten Mission MA-5 überhitzte wieder ein Konverter von Gleich- in Wechselstrom. Gravierender war das die Temperatur in der Kapsel auf 38 Grad anstieg und in der Box, in der der Schimpanse Enos war von 18 auf 27 Grad. Auch seine Körpertemperatur stieg an. Das automatische Steuerungssystem funktionierte während des ersten Umlaufs besser als bei MA-4, doch während des zweiten Umlaufs steig der Treibstoffverbrauch rapide an, sodass man die Kapsel zum Ende des zweiten Umlaufs zurückholte und es keine drei Umläufe gab.

Bei John Glenns Flug MA-6 wiederholten sich die schon bekannten Probleme: Die Wechselrichter überhitzten. Nun machte man aber nichts mehr, sondern nahm an das sie bei 92 bis 105 Grad Celsius immer noch funktionieren würden. Erneut wurde Sauerstoff verloren – die sekundäre Flasche hatte nach drei Umläufen nur noch 65 Prozent Füllstand. Das automatische Kontrollsystem verbrauchte wieder zu viel Treibstoff, sodass Glenn schon befürchtete man würde ihn nach zwei Orbits herunterholen und er schaltete es zeitweise ab. Im Bodenzentrum hatte man andere Probleme wegen eines fehlerhaften Sensors und achtete nicht auf den Treibstoff, so kam Glenn mit weniger als 10 % Resttriebstoff zurück zur Erde.

Dramatisch wurde die MA-7 Mission von Carpenter. Erneut versagte die Kabinentemperaturregelung wodurch die Temperatur auf 38 Grad anstieg. Problematischer war das er auch die Anzugregelung nicht in den Griff bekam und so seine Körpertemperatur auf 38,8 Grad anstieg. Im Anzug betrug die Temperatur 27 Grad. Richtig dramatisch wurde die Mission weil zum einen Carpenter bei seinen Experimenten (Glenn hatte noch keine auf dem Programm) für Drehungen viel Treibstoff verbrauchte und das automatische System wieder versagte. Es verbrauchte auch Treibstoff und schlimmer noch, es hielt nicht das Raumschiff in der richtigen Lage. Carpenter musste so die Retroraketen selbst auslösen weil seine Kapsel um 25 Grad fehl ausgerichtet war und er sie nicht rechtzeitig in die korrekte Lage brachte und das automatische System sie so nicht zündete und landete mit einem leeren Tank über 400 km von der Sollposition entfernt.

Auch bei Schirras MA-8 Mission war die Temperatur in der Kabine zu hoch, allerdings in einem noch akzeptablen Bereich. Dagegen war sie im Anzug zu hoch. Das konnte Schirra schließlich über die Regelung lösen, die aber erst nach dem zweiten Umlauf ansprach. Das automatische Stabilisierungssystem schaltete er zeitweise komplett ab, weil es bisher noch nie zufriedenstellend funktioniert hatte. Er steuerte vorwiegend manuell und kam mit noch fast halb vollen Tanks nach sechs Umläufen zurück zur Erde.

Die Temperaturprobleme gab es auch bei der letzten Mission, MA-9. Erneut war es wieder zu heiß in der Kabine, zwischen 29,4 und 35 Grad Celsius. Immerhin funktionierte die Anzugkühlung, sie kühlte auf 15,6 bis 21 Grad ab. Das automatische Kontrollsystem wurde nun komplett abgeschaltet. Cooper arbeitete nur im manuellen Modus und ließ die Kapsel fast die Hälfte der Zeit nur driften. Zum Ende der Mission wurde es dramatisch. Es fielen in den letzten drei Umläufen zuerst die Lageregelungskreisel aus, dann der Gleichstromkonverter. Zuletzt das ganze automatische Lageregelungssystem und Sequenzsystem. Zum Schluss auch das Lebenserhaltungssystem, der Kohlendioxidgehalt stieg an. Cooper landete zwar erfolgreich nach der Solldauer von 22 Umläufen, aber viel länger hätte die Mission nicht dauern dürfen. Die Ursache war das der Urinsammelbehälter leckte und so nach und nach Systeme durch Kurzschluss ausfielen.

Kurzum: besonders zuverlässig war das Mercuryraumschiff nicht. Es gab wohl auch Probleme bei Wostok. Man weiß bis heute nicht so viel über das Programm wie über Mercury. Auch hier gab es Temperaturprobleme und zweimal rissen die Verbindungen zum Servicemodul beim Wiedereintritt erst durch das Plasma ab, aber die Raumschiffe blieben problemlos bis zu sechs Tagen im All, während es bei den Mercurymissionen schon bei wenigen Orbits massive Probleme gab und Cooper wirklich nahe an einer Havarie war (Carpenters Mission ist ein Sonderfall, sie wurde auch durch sein eigenes Verschulden so dramatisch).

Es gab auch beim nächsten Programm Gemini Probleme. So bei Gemini 5 ausgefallene Brennstoffzellen und zu hoher Verbrauch an Lageregelungstreibstoff (erneut übrigens eine Mission von Cooper) und bei Gemini 8 wurde es mit einer Notlandung wirklich dramatisch, aber die anderen 10 Missionen hatten relativ kleine Probleme mit dem Raumschiff. Die lagen dann auf einem anderen Gebiet der Ankopplung an eine Agena und EVA Arbeiten.

Bei Apollo gab es viele kleinere Probleme, aber wenn man Apollo 13 ausnimmt, nicht die dramatischen Probleme wie bei Mercury. Apollo 13 ist nicht nur wegen der Dramatik ein Sonderfall, sondern es war kein systematischer Fehler, wie die obigen, wie das nicht richtig funktionierende Steuersystem und die versagende Kabinentemperaturregelung. Stattdessen war es ein Fehler der vermeidbar war. Man hatte irgendwann die Spannungsversorgung am Bodenequipment verändert und vergessen bei einer Komponente diese auf die höhere Spannung anzupassen. Dadurch schmorte die Isolierung des Kabels durch und als Strom durchfloss, brachte es den Sauerstoff zum Explodieren.

Daher sehe ich die Mercurykapsel als Murphy-Spacecraft. Man muss gerechterweise sagen das es in 12 Monaten entwickelt wurde. An den aktuellen wie Starliner und Dragon 2 arbeitet man seit 9 Jahren und hat die Flüge schon um drei Jahre verschoben. Gut Ding will eben Weile haben.

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