Die Agena – eine unterschätzte Oberstufe

Wenn man an die Agena denkt, fallen einem einige Dinge ein. Agena Oberstufen dienten als Kopplungsziel für Gemini-Raumschiffe und brachten Gemini 11 und 12 in Rekordhöhen, die seitdem bei Orbitmissionen nicht mehr erreicht wurden. Agena Oberstufen waren fest in die Satelliten des Keyholeprogramms und Gambit eingebaut. Agena Oberstufen flog auf Delta, Atlas und Titan – als einzige der drei Stufen auf allen Trägern und sie waren lange Zeit die am meisten eingesetzte Oberstufe.

Die Agena entstand, als Lockheed den Auftrag für die Satelliten des Corona-Systems bekam. Es gab noch keine Oberstufe für die Thor und so integrierte er kurzerhand ein Antriebssystem, das für den B-58 Bomber entwickelt wurde in den Satelliten. Bei der B-58 sollte dieses die Wasserstoffbombe auf Distanz bringen. Das ermöglichte zum einen eine sichere Zündung der Bombe, ohne den Bomber zu gefährden. Zum anderen vermied man so die Zone mit besonders guter Luftabwehr.

Aus dieser wurde eine eigene Stufe. Die Agena B hatte die doppelte Treibstoffzuladung. Sie war wie die Agena A nur kurz im Einsatz. Die Agena D war modular aufgebaut mit Optimierungen für die Massenproduktion, sodass sie sowohl auf der Thor wie auch Atlas und Titan eingesetzt werden konnte und fähig für kurze Missionen mit direktem Einschuss bis zu Langzeitmissionen wie z.B. beim Erreichen des GEO. Trotzdem endete der Einsatz der Agena auf der Thor 1972, die Atlas folgte 1978 und 1987 die Titan. Bis dahin war die Agena die am meisten eingesetzte Oberstufe: Es gab 362 Starts, davon 3217 erfolgreich – wobei die Erfolsgquote sich auf den gesamten Träger bezieht. Für eine Space Shuttle Version gab Lockheed die Zuverlässigkeit mit 97,4 % an.

Seit ich Träger nicht nur mit der Raketenformel durchrechne habe ich die Agena Oberstufe schätzen gelernt. Ihr größter Vorteil ist der relativ hohe Schub. Er begrenzt bei manchen Trägern die Nutzlast, weil die Rakete zu lange braucht, um einen Orbit zu erreichen das gilt besonders bei LEOs. Daneben ist sie turbopumpengefördert was ihre Leermasse deutlich reduziert. Man kommt bei einem Vergleich natürlich auf die Stufen mit dem AJ-10, das dieselbe Treibstoffmischung einsetzt, aber druckgefördert ist. Hier die Daten der Agena D und der Delta und Transtage zum selben Zeitpunkt (1967)

Name Agena D Delta E Transtage
Schub 71,2 kN 35,2 kN 71 kN
Vollmasse: 6.821 kg 6.009 kg 12.563 kg
Leermasse: 673 kg 785 kg 1.817 kg
Spezifischer Impuls: 2943 m/s 2727 m/s 2.952 m/s
Brennzeit: 265 s 400 s 440 s

Bei gleicher Startmasse wie eine Delta ist die Brennzeit um ein Drittel kürzen und die Leermasse um über 100 kg leichter. Sie hat den gleichen Schub wie eine Transtage, das würde eine erhöhte Treibstoffzuladung zulassen, wenn erforderlich. Es war auch eine Agena C gedacht mit doppelt so großen Tanks und einer Startmasse von etwa 14 t.

Die Agena war auch unter den Vorschlägen für eine Shuttle-Oberstufe. Sei wäre dort mit Zusatztanks ausgestattet gewesen und modernisiert wie dies auch bei der Delta erfolgte. So die Mischung auf die energiereichere Kombination NTO/UDMH anstatt Salpetersäure/UDMH umgestellt und eine längere Düse. Das hätte den spezifischen Impuls auf 3180 m/s gesteigert, ein Wert, den das AJ-10 nie erreichte.

Trotzdem wurde sie eingestellt. Auch wenn es zahlreiche Starts von Satelliten gab, darunter auch einigen NASA-Programmen wie bei Ranger, Mariner, OGO, Nimbus, so war die Stufe doch verheiratete mit Spionagesatelliten für die sie während ihrer Mission auch die Rollmanöver durchführte.

Dazu gibt es die in den USA lange Zeit fest betonierte Trennung von ziviler und militärischer Raumfahrt. Die NASA setzte die Agena nur ein, wenn sie keine andere Wahl hatte. Nach Einführung der Centaur Oberstufe kaum noch. Die Agena galt als militärische stufe. So lief die Stufe aus, als das Spionageprogramm, das sie einsetzte, auslief. Das war auf der Thor das Coronaprogramm 1972. Das Gambit wurde bis 1987 betrieben.

Ich habe mir mal die Mühe gemacht die Agena auf Trägern durchzurechnen, die sie nicht einsetzten. Für Atlas und Titan habe ich eine hypothetische Agena C genommen mit verdoppelten Tanks. Die Leermassen habe ich aus einem Proposal für die Agena für das Space Shuttle übernommen, den spezifischen Impuls des verbesserten Bell 8096B übernommen. (Vollmasse: 15.939 kg, Leermasse 1.161 kg) Hier die Ergebnisse:

Träger Agena Nutzlast
Delta 3920 Agena D +300 kg
Delta 3925 Agena D +170 kg
Delta 7925 Agena D +90 kg
Atlas D Agena D modernisiert +200 kg
Atlas SLV3A Agena C -100 kg
Titan 3B Agena C -300 kg

Es zeigt sich, warum die Agena C nie gebaut wurde – sie hat eine zu kleine Nutzlast durch massive Gravitationsverluste. Will man die Agena auf allen drei Trägern einsetzen, so ist man bei der bisherigen Agena D nahe am Optimum. Für die Titan könnte man noch die Masse um 6 t erhöhen. Für die Atlas um 2 t. Doch der Gewinn liegt bei extremen Bahnen (Apogäum in 36.000 bzw. 39.000 km Höhe) bei rund 100 bis 200 kg mehr. Allerdings auch Nutzlasten von nur 630 bzw. 1270 kg Masse.

Selbst heute wäre die Agena noch eine gute Oberstufe. Die USA haben ja eine Lücke bei mittelgroßen Nutzlasten. Eine Möglichkeit ist es dann die Centaur auf der Atlas wegzulassen und eine Agena einzusetzen. Sie war immer billiger als eine Centaur. Sie ist noch dazu kompakt. Eine normale Agena D würde bei der Atlas 501 (weil sie nur 1,52 m Durchmesser hat, muss sie die Nutzlastverkleidung mit umhüllen) eine Nutzlast von 4.300 kg aufweisen. Eine modernisierte Version 4.700 kg. Eine Agena C mit 15 t Startmasse käme auf 6.000 kg und wäre hier auch einsetzbar. Bei den Atlas Centaur Flügen, die noch unter NASA-Leitung erfolgten, war die Atlas immer billiger als die Centaur. Als beide Träger (Atlas-Agena und Atlas Centaur noch gemeinsam flogen war ein Atlas-Agena Start etwa ein Viertel billiger als ein Atlas Centaur Start. Nimmt man nur die Kosten für die Hardware, war der Unterschied noch höher, da die Integrations- und Startkosten nahezu gleich hoch waren. Sie wurde seit privatisiert wurde gesenkt, das heißt wahrscheinlich wäre heute ein Start deutlich preiswerter und man hätte einen Träger mit einer Nutzlast von etwa 4 bis 6 t. Sicher im Verhältnis zur Nutzlast teuer, aber immer noch billiger als eine Atlas V Centaur.

[Edit]

Ich habe mir die Mühe gemacht zu überlegen, wie eine gemeinsame Oberstufe auf Basis der Agena mit zwei Triebwerken aussehen könnte. Sie sollte wie die Agena auf Delta, Atlas und Titan einsetzbar sein. Bei der Titan 3C auch die Transtage ersetzen.

Eine Überlegung ist, wie groß sie sein kann. Das hängt von der Trägerrakete ab. Titan 3C und Atlas konnten die Centaur tragen die rund 16 t wiegt. Dazu kommt das die Centaur einen etwas kleineren Schub, als die Agena mit zwei Triebwerken hat und den Treibstoff langsamer verbraucht. Unter der Berücksichtigung müsste die Stufe 20 t oder weniger wiegen. Bei der Delta geht das bei der letzten Version auch, wie die Delta III mit einer 19 t schweren DCSS beweist. Doch wenn sie schon bei der LTAT-Thor mit nur drei Castor II Boostern eingesetzt werden soll, sieht es anders aus.

Die maximale Größe ist aber nicht immer die sinnvollste. Bei Raketen mit in etwa gleichem spezifischen Impuls, wie hier gegeben, kann man folgende Faustregel aufstellen:

Vollmasse Erste Stufe / Vollmasse Zweite Stufe ~ Vollmasse Zweite Stufe / Nutzlast

Wobei als Nutzlast die typische Nutzlast für die meisten Missionen gemeint ist, sie ist ja von dem Orbit abhängig. Relativ einfach ist das noch bei der Titan. Nach Verlängerung der Stufen wögen erste Stufe 139 t, die zweite 35 t. Das ist ein Quotient von 4. Die dritte Stufe sollte dann 9 t wiegen und die Nutzlast optimalerweise 2,2 t. Das wäre etwas größer als eine Agena. Da die Titan 3C vor allem Nutzlasten in den GEO brachte (mit Transtage rund 1,6 t) wäre dies auch eine realistische Größe.

Bei Delta und Atlas ist es schwieriger. Sie haben in den Unterstufen eine eineinhalbstufige Bauweise. Bei der Atlas SLV3A betragen die Massen zu Brennschluss der Booster 107 und 42 t, das ist ein Quotient von 2,5. Die dritte Stufe wäre, wenn dieser Quotient angewandt wird, 16 t schwer und die Nutzlast 6,5 t. Auf diese Nutzlast wird die Stufe aber nie kommen. Nehmen wir realistische 4,5 t an so wäre eine Quotient von 3 angesagt was zu einer 14 t schweren Stufe führen würde.

Noch komplizierter ist es bei der Delta. Wir haben, wenn ich mit dem Einsatz auf der LTAT beginne, drei verschiedene Booster (Castor II, Castor IV, GEM-40) und drei Thor-Stufen (LTT, ELT, XLT). Zusammengezählt sind das Massen von 84 t bis 219 t. Wenn ich Booster und Thor als eine Stufe ansehe und dann von Nutzlasten von 1.140 bis 5.648 kg in den LEO habe, liege ich bei der Stufe in einem Bereich von 10 t bis 35 t.

Das heißt ich habe eine Stufe, die zwischen 9 und 35 t liegen kann. Mit den Einschränkungen beim Schub zwischen 9 und 20 t. Ich habe mich für die Mitte von 14,5 t also für die Atlas-Variante entschieden.

Es bietet sich an, die Agena auf den Durchmesser der Thor zu vergrößern. Sie wird dann trotz vergrößerter Treibstoffzuladung kürzer. Bei der Thor kann nun die Nutzlastverkledudng nun direkt auf der Agena angebracht werden und bei Atlas und Titan gibt es daneben die Möglichkeit sie von einer 10 Fuß Umkleidung mit zu umhüllen, wobei sie dann etwa 5,5 m der Nutzlast wegnimmt. Alternativ hätte man das Konzept der Delta III schon früher einsetzen können und den Durchmesser auf den von Atlas und Titan auslegen, also 3,05 m, das würde die Tanklänge halbieren.

Beim folgenden bin ich von der letzten mir bekannten Variante der Agena für das Space Shuttle ausgegangen, bei der ich zur Basisstufe nur das Zusatzgewicht der Treibstofftanks und ein zweites Triebwerk hinzuaddiert habe. Das führt zu folgender Stufe:

  • Startgewicht: 14.500 kg
  • Brennschlussgewicht mit Reserven: 1.344 kg
  • Schub: 2 x 71,9 kN
  • Spezifischer Impuls: 3197 m/s
  • Durchmesser: 2,44 m
  • Länge: 7,48 m (länger als eine Standard Agena durch die Düse mit einem hohen Flächenverhältnis)

Ich erhalte folgende Nutzlasten:

Rakete Nutzlast original Nutzlast mit Agena+ Orbit Gewinn in %
LTTAT Agena D 1.400 kg 1.600 kg 200 km LEO 14 %
Delta 2910 1.895 kg 2.650 kg 370 km LEO 43 %
Delta 2914 705 kg 1030 kg 200 x 35790 km GTO 46 %
Delta 2910 2800 kg 3850 kg 370 kg LEO 38 %
Delta 3920 3850 kg 4.800 kg 370 km LEO 25 %
Delta 3925 1.270 kg 1.800 kg 200 x 35.800 km GTO 42 %
Delta 7920 4.800 kg 5.280 kg 370 kg LEO 10 %
Delta 7925 1.819 kg 2.200 kg 200 x 35.800 km GTO 20,9 %
Atlas SLV-3A Agena 1.270 kg 1.360 kg 180 x 35.800 km GTO 7 %
Atlas SLV-3A Agena 3.600 kg 4.300 kg 200 km LEO 19 %
Titan 34B 4-150 kg 4.400 kg 200 km LEO 6 %
Titan 34B 630 kg 950 kg 300 x 39.000 km 50 %
Titan 3C 3.600 kg 4.800 kg 200 x 35.800 km GTO
Titan 3C 1.600 kg 2.900 kg GEO

Man sieht mehrerlei. Je größer die Delta-Zweitstufe wurde, desto geringer ist der Vorteil (bei der Delta-Linie). Er steigt zudem an, wenn höhere Geschwindigkeiten gefordert sind, also GTO-Bahnen oder Jumpseat-Orbits (Titan 34B). Dann ist auch die Nutzlast leichter was den Gewichtsnachteil der 8 t schweren Stufe ausgleicht.

Bei den größeren Trägern Atlas und Titan ist wegen der zweistufigen Ausführung mit zweiten Stufen um 40 t Gewicht der Vorteil klein, weil man nun schon eine, fast zu große zweite Stufe hat. Für LEO-Orbits ist er zu vernachlässigen. Bei der Titan 3C ersetzt die Stufe die fast gleich große Transtage jedoch mit einer 500 kg höheren Leermasse, kleinerem Schub und niedrigerem spezifischen Impuls. Hier ist der Gewinn wieder deutlich.

In der Summe erkennt man: die originale Agena, war schon ziemlich optimal. Bei frühen Trägern hätte diese Fantasie-Agena von mir noch deutlich mehr Nutzlast gebracht, doch in der Evolution der Träger immer weniger. Lediglich für die Titan 3C wäre sie eine gute Alternative gewesen. Man muss als Gegenrechnung auch anführen, das zwei Triebwerke die Stufe deutlich verteuern. Trotzdem bleibt unverständlich, warum man nicht einfach bei der Agena das Triebwerk auf NTO umgerüstet hat. Das wäre eine kleine Änderung gewesen und erfolgte so auch bei der Delta Stufe ab 1972. Der spezifische Impuls wäre um 130 m/s angestiegen, wenn man die Düse verlängert hätte, sogar um 240 m/s. Damit hätte auch eine normale Agena bei nur wenig Zusatzgewicht eine höhere Leistung gehabt.

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