Eine mehr bauen?

Ich habe vor einigen Tagen den Artikel über Chang‘e-4 fertiggestellt – den allerletzten Artikel über Raumsonden überhaupt (auch wenn noch Solar Orbiter folgt, aber nur deswegen weil es auch eine interplanetare Sonde ist, wenn auch keine Raumsonde im eigentlichen Sinne). Chang‘e 4 ist das Backupexemplar von Chang‘e-3, bei der einige Experimente ausgetauscht wurden – übrigens ausschließlich gegen Experimente von internationalen Partnern aus Deutschland, Schweden und den Niederlanden. China behält zumindest beim Mondprogramm die Philosophie von zwei baugleichen Sonden bei. Ich habe das Thema „Eine oder mehrere baugleiche Raumsonden?“ sicher schon mal bearbeitet, aber wenn ich es selbst vergessen habe, dann wohl auch die meisten Leser auch, also ein guter Grund es neu zu beackern.

Historie

Die ersten Raumsonden wurden immer aus Paar gebaut, teilweise waren es sogar ganze Kleinserien. In den USA kann man die Ausnahmen bis Ende der Siebziger Jahre an einer Hand abzählen:

  • Pioneer 5: Eine übrig gebliebene Sonde des Pionier P Programms, nachdem dieses eingestellt wurde, wurde sie auf eine Sonnenumlaufbahn gebracht.
  • Mariner 5: Reserveexemplar von Mariner 3+4, zur Venus gestartet
  • Mariner 10: Die erste bewusst als Einzelmission gebaute Sonde, das war 1973
  • Die letzte Doppelmission war für lange Zeit Voyager 1+2, gestartet 1977, bis 2003 die beiden MER Rover folgten. Sie waren die bislang letzte Doppelmission.

Bei Russland ist es noch extremer. Wenn man von einigen frühen Zonds absieht, deren Zweck nie so ganz genau geklärt werden konnte war die erste Einzelmission Mars 96. Es gab mit Phobos Grunt auch nur zwei Einzelsonden – die übrigens in russischer Tradition scheiterten, wie es wohl bei Doppelmissionen gewesen wäre?

Die anderen Raumfahrtnationen, die ab Mitte der Achtziger Jahre ihre ersten Raumsonden starteten, taten dies dagegen fast ausschließlich als Einzelmissionen – die einzige Ausnahme sind Sakigake und Susei, die ersten Raumsonden Japans.

Ursachen

Die Ursachen für Doppelstarts sind schnell umrissen und anhand der Statistik der frühen Missionen auch wohlbegründet: man war sich nicht sicher, ob die Missionen auch durchhalten würden. Das betraf vor allem russische Sonden, die oft auf dem Weg zum Ziel ausfielen. Der zweite Grund war die in den Sechzigern noch niedrige Zuverlässigkeit der Trägerraketen. Die Grafik hier zeigt die Zuverlässigkeit der Atlas als Standardträgerrakete für Raumsonden bis 1979, man auf dem Bild sieht, wie diese bis Anfang der Siebziger Jahre viele Fehlstarts aufwies. Es gingen von den vier Doppelpaaren des Marinerprogramms auch bis auf Mariner 6+7 jeweils eine Sonde verloren.

Bei Russland mit einer noch schlechteren Zuverlässigkeit der Raketen und auch niedriger Zuverlässigkeit der Raumsonden, gab es die gleiche Überlegung. Dort wurden teilweise auch mehr als zwei Sonden einer Serie auf den Weg gebracht.

Ein weiterer Vorteil ist, dass man so die Missionsziele aufteilen konnte. Die Voyagers flogen jeweils bei anderen Monden vorbei, man erhielt zudem eine doppelt so lange Beobachtung von Jupiter und Saturn. Mariner 8 und 9 hatten untereinander die Aufgaben globale Kartierung und hochauflösende Aufnahmen aufgeteilt. Mariner 6 und 7 lichteten beim Vorbeiflug jeweils andere Gebiete ab.

Was spricht für einen Doppelstart

Selbst wenn man heute relativ sicher sein kann, dass eine Raumsonde nicht einem Fehlstart zum Opfer fällt und meist nicht nur die Primärmission, sondern erheblich länger durchhält, gibt es gute Gründe für einen Doppelstart.

Der erste Faktor sind die Kosten. Der Bau einer zweiten Sonde kostet typisch nur 30 bis 40 % der ersten. Das ist bedeutend weniger als man aufgrund der Erfahrungskurve annehmen würde (durch die Erfahrung beim Bau geht der Nachbau meistens schneller und kostengünstiger. Oft ist auch der Aufwand mehrere Teile, die eigens für eine Raumsonde gefertigt werden müssen, viel kleiner als der Aufwand erst einmal die Produktion dieser einzuleiten). Der Prozentsatz impliziert, dass die Entwicklungskosten beim ersten Exemplar etwa die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen. Die obigen 30 bis 40 % sind nur ein Erfahrungswert, bei normal komplexen Sonden. Betritt man bei einem Projekt oft technologisches Neuland, kann das leicht auf 10 bis 15 % sinken. So hätte eine weitere Vikingmission nur 150 Millionen Dollar gekostet, die ersten beiden zusammen 914,5 Millionen Dollar und in dieser Ziffer sind die gleich bleibenden Start- und Missionskosten schon enthalten.

Das bringt mich aber auch gleich zum Gegenargument. Die Startkosten sind weitestgehend unabhängig von der Zahl der gestarteten Sonden, also in dem Sinne, dass ein weiterer Start nicht weniger kostet als der Erste. Dasselbe gilt für die Fertigung von RTG. Etwas anders sieht es bei den Missionskosten aus. Diese gliedern sich in zahlreiche Unterbudgets. So die Kosten für die Missionskontrolle, also die Steuerung der Sonden. Hier ist es so, das wenn Mitarbeiter mit einer Sonde vertraut sind, sie auch leicht eine zweite baugleiche betreuen können. Meistens ist es ja nicht so, das nicht dauernd Arbeit anfällt. Die Missionskontrolle muss aber immer besetzt sein. Beim wissenschaftlichen Stab benötigt man natürlich bei mehr Daten von mehreren Sonden auch mehr Experten, allerdings verursacht dieser Stab auch relativ hohe Fixkosten: Die Wissenschaftler sind dieselben, die die Experimente entwickelten. Man kann sie nicht nach dem Start entlassen und wenn (Extremfall New Horizons) nach neun Jahren das entscheidende Ereignis ansteht, wieder einstellen. Bei doppelt so vielen Sonden braucht man aber nicht doppelt so viele Wissenschaftler, sondern kann wenn die Auswertungsphase ansteht, das Team verstärken. Auch hier spart man also Kosten ein.

Der letzte Punkt der Missionsüberwachung sind die Kosten der Kommunikation. Diese erfolgt über ein Netzwerk großer Antennen. Hier wird eine Rechnungseinheit verbucht, die den benutzten Ressourcen entspricht. Wenn man es aber genau nimmt, dann hat das System Fixkosten, die auf die Missionen umgelegt werden. Als in den Achtzigern die NASA genauso viele DSN-Antennen hatte. wie heute, aber nur drei aktive Missionen (Pioneer Venus Orbiter, Voyager 1+2) kostete eben die Missionsüberwachung von Voyager 30 Millionen Dollar. Heute nur noch einen Bruchteil dessen. So gesehen würde, solange es freie Kapazitäten gibt eine weitere Mission nicht unbedingt viel mehr kosten.

Vom Kostenaspekt denke ich kann man, wenn man alle Faktoren zusammenfasst, eine zweite Mission für etwa 50 bis 60 % der ersten durchführen. Mit jeder weiteren Mission sinkt das aber immer weniger stark ab. In dem Bereich liegt z.B. das Trio Rosetta / Mars Express / Venus Express mit 1000 / 300 / 220 Mill. Euro. Bei der Raumsonde ist wie zu erwarten der Unterschied deutlicher: (nur Mars/Venus Express) 150 zu 82,4 Millionen Euro.

Was spricht dagegen?

Viele Raumsonden sind heute Orbiter. Bei ihnen entfällt der Zeitdruck von Vorbeiflugmissionen und die Einschränkung, dass jede Vorbeiflugmission nur einen Teil der Himmelskörper beobachten kann – mindestens eine Seite liegt immer im Schatten. Bei einem Orbiter kann man im Prinzip durch eine längere Mission die Daten gewinnen die eine zweite Mission liefert.

Anders sieht es bei den heute selten gewordenen Vorbeiflugmissionen aus. Sie liefern nur einen kurzen Einblick, können sich bei mehreren interessanten Zielen (Mond um Planeten, Pluto-Charon Doppelplanetensystem) nur einem Körper stark nähern und wie schon geschrieben, sehen sie richtig deutlich nur eine Seite. Gelingt es, die Vorbeiflüge zeitlich zu trennen, so gibt es einen echten Mehrwert, denn dann kann man zwischen den Vorbeiflügen die Daten auswerten und neu entdeckte Phänomene mit der zweiten Sonde genauer untersuchen. Das tat man bei Voyager. Als Voyager 1 auf Io Vulkane und einen Ring entdeckte, setzte man weitere Beobachtungen für Io auf den Plan. Da Voyager 2 Io nicht nahe passiert waren eigentlich kaum Aufnahmen geplant und den Ring wollte man bei der einzigen Gelegenheit, wo er im Gegenlicht aufleuchtet, wenn die Sonde hinter Jupiter ist, aufnehmen. Ähnlich verfuhr man bei Saturn, als sich in den Ringen seltsame Phänomene sie Speichen zeigten oder überhaupt die Zahl der Ringe stark anstieg – Voyager 2 konnte schließlich die Zahl der Ringe von Hundert auf über 1000 erhöhen.

Rover und Lander können nur einen Bereich erkunden. Noch gibt es kein Rover, die Tausende von Kilometern zurücklegen können, um kreuz und quer über den Mars zu fahren. Hier liefert uns jeder zusätzliche Rover einen Einblick in eine andere Landschaft, weshalb es auch zwei MER Rover gab. Bei den beiden Letzten dürfte der hohe Preis des ersten Exemplars wohl dagegen gesprochen haben, dass man es nochmals baute. Erstaunlicherweise ist ja Perseverance als Nachbau von Curiosity teurer als dieser, weil die neuen Experimente sehr teuer wurden.

Selbst den Ausfall könnte man eventuell kompensieren. Viele der letzten gescheiterten Missionen wie von Schiaparelli, MPL und MCO wären durch ein Softwareupdate lösbar gewesen. Allerdings wäre beim Start in einem Startfenster dafür die Zeit zu knapp die Ursache zu finden und zu beseitigen.

Mein Plädoyer

Ich bin für eine relaxte Doppelstartmission. Das bedeutet, wenn es keinen zeitlichen Druck gibt, das nächste Startfenster also in überschaubarer Zeit sich öffnet, wie es bei Venus, Mars und Mond der Fall ist, man zuerst eine Sonde startet. Ist diese erfolgreich, kann man die Zweite auf den Weg bringen, wenn nicht kann man den Fehler finden und beseitigen. So vorgegangen bei Schiaparelli würde für die anstehende Exomarsmission sicher mehr Zuversicht ermitteln, wenn wenigstens eine Landung mal klappte. Ist die Mission erfolgreich, so kann man wie bei China nachdenken, Experimente auszuwechseln. Das muss nicht unbedingt teurer werden, denn oft kann man Experimente anderer Sonden einsetzen, die grundlegenden Messprinzipien ändern sich ja nicht. Auch das gibt es schon. Die Abstiegskamera MARDI wurde seit 1998 auf mehreren Marslandesonden eingesetzt, und ist für eine Venussonde geplant. Das UV-Spektrometer ALICE flog auf so unterschiedlichen Missionen wie Rosetta, New Horizons und LRO, also auch in einem breiten Bereich an Umgebungsbedingungen wie Lichteinfall.

Ein zweites Exemplar ist meistens sogar relativ preiswert möglich. Üblich ist das neben dem Flugexemplar (Flight Model FM) mehrere Exemplare gebaut werden. Die meisten sind für Testzwecke vorgesehen und nicht komplett. Mindestens zwei Modelle sind flugfähig. Das ist das Flight Spare (FS), ein Ersatzmodell identisch zum Flug Model und das Qualification Model (QM), das härtere Tests durchläuft als das Flugmodel, sodass man sicher ist, dass es keine Probleme durch die Umgebungsbedingungen beim Start und Einsatz gibt. Würde man das FS nach einem erfolgreichen Start des FM umrüsten – die Experimente werden meist auch in mehreren Exemplaren gebaut, um später Probleme leichtere aufspüren zu können, dann wäre der relativ preiswerte Einsatz eines zweiten baugleichen Models möglich. Das würde für Landemissionen, die ja unterschiedliche Regionen erreichen schon völlig ausreichen. Identische Instrumente erlauben es zudem, viel leichter Ergebnisse verschiedener Landezonen zu vergleichen. Bei Orbitern könnte man über den Austausch von Experimenten durch Reserveexemplare anderer Missionen nachdenken. Im Prinzip also das, was China macht. So gesehen finde ich Chinas Weg nicht nur konsequent und sicher, sondern auch intelligent. Mich wundert nur das man bei der Landung auf dem Mars die komplexer als auf dem Mond ist nur eine Sonde auf den Weg gebracht hat, aber wer weiß, vielleicht folgt 2022 dann die baugleiche Tianwen-2?

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