Der Rekord von Gemini 11 – brechbar?

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Die Mission Gemini 11 setzte am 12.9.1966 den bis heute geltenden Entfernungsrekord im Erdorbit. Nach dem Start koppelten die beiden Astronauten Charles „Pete“ Conrad und Richard „Dick“ Gordon an eine umgebaute Agena Oberstufe an die zuvor von einer Atlas in eine Umlaufbahn gebracht wurde. Die Zündung der Agena brachte die Kombination in eine 300 x 1.390 km Umlaufbahn. Die Entfernung von 1.390 km wurde seitdem von keiner Erdorbitmission mehr überboten, obwohl dies mittlerweile 56 Jahre her ist. Nun wird für kommende kommerzielle Starts von SpaceX mit Weltraumtouristen anvisiert diesen Wert zu brechen. Ich will in diesem Artikel untersuchen ob dies möglich ist und wenn ja welche Endentfernung man erreichen kann.

Wie hoch?

Zuerst beschäftige ich mich aber mit einer anderen Frage, nämlich der, warum man den Entfernungsrekord seitdem nicht gebrochen hat. Für jede bemannte Mission, egal ob es eine Kurzzeitmission oder eine Mission zu einer Raumstation ist, wird man eine Kosten-Nutzenanalyse durchführen. Ein Unterschied zu unbemannten Missionen ist, dass bemannte Missionen in der Regel keine Erdbeobachtung durchführen und keine Experimente haben, die andere Anforderungen an die Orbithöhe haben. Astronomische Satelliten profitieren von höheren Umlaufbahnen, weil die Erde dann weniger des Firmaments einnimmt, IR-Satelliten auch davon das die Infrarotstrahlung durch die Erde geringer ist. Erdbobachtungssatelliten haben Vorgaben für Umlaufbahnen, die sich nach gewünschter Auflösung und räumlicher Abdeckung richten.

Bemannte Missionen machen dagegen medizinische Untersuchungen am Menschen oder Organismen, führen Experimente durch, die die Schwerelosigkeit und/oder das Vakuum nutzen. Solche Experimente sind aber unabhängig von der Umlaufbahn. Daher wird man, da man für eine höhere Bahn mehr Treibstoff benötigt, so nahe wie möglich an der Erde sein. Viele Space Shuttle Missionen die nicht zur ISS führten hatten daher sehr niedrige Umlaufbahnen von 200 bis 220 km Höhe, die Mindesthöhe ergibt sich daraus das die Umlaufbahn stabil sein muss für die Missionsdauer die bei solchen Missionen nur ein bis drei Wochen betrug.

Bei Raumstationen wird abgewogen. Wenn die Station weiter von der Erde entfernt ist, so benötigen alle Missionen sie sie anfliegen (unbemannte Versorger, bemannte „Taxis“) mehr Treibstoff, die Station selbst aber weniger Treibstoff um die Bahnhöhe zu halten und der Treibstoff muss ja auch als Fracht zur Station gebracht werden. Je schwerer eine Station ist, desto weiter wird sie aus diesem Grunde von der Erde entfernt sein. Die ISS ist weiter von der Erde entfernt als die fünfmal leichtere Mir und diese weiter entfernt als die noch leichteren Saljuts. Eine Ausnahme war Skylab. Bei Skylab hätte die Saturn sie noch in eine höhere Umlaufbahn befördern können. Die Höhe wurde dadurch diktiert das sie lange genug stabil sein sollte, bis ein neues bemanntes Programm einsatzbereit wäre das dann die Station anfliegt. Leider verzögerte sich das Space Shuttle und bedingt durch das Ansteigen des Sonnenaktivität sank Skylab schneller ab als geplant.

Ein Rekordorbit

Es gab also bisher keinen Grund einen höheren Orbit als Gemini 11 anzustreben. Wie sieht aber ein neuer Rekordorbit aus? Er wird wie bei Gemini 11 elliptisch sein. Das hat zwei Vorteile. Zum einen benötigt man für das Anheben des erdnächsten Punktes (Perigäum) Treibstoff wie auch das Anheben des erdfernsten Punktes (Apogäum). Wird nun nur der erdfernste Punkt angehoben so spart dies Treibstoff. Der zweite Grund ist das ein elliptischer Orbit sogar noch Treibstoff spart, nämlich beim Verlassen des Orbits, weil dann nur der erdnächste Punkt abgesenkt werden muss. Dann braucht ein elliptischer Orbit mit einem Perigäum in der Höhe eines niedrigen Erdorbits (z.B. 200 km Höhe) weniger Treibstoff als bei einem kreisförmigen Orbit in dieser Höhe. Die minimale Höhe kann sogar niedriger als bei einem kreisförmigen Orbit sein, weil die Abbremsung durch die Erdatmosphäre geringer ist, denn meistens ist das Raumschiff je weiter von derEerde entfernt als bei einem kreisförmigen Orbit.

Die Berechnung

Einfach ist die Berechnung nicht. Das liegt primär daran, das bei SpaceX alles geheim ist, man also auf Schätzungen und wenige veröffentlichte Angaben angewiesen ist. Diese Geheimniskrämerei (die in den letzten Jahren ja nicht nur bei SpaceX um sich gegriffen hat, genau das gleiche gilt auch für den Starliner, die neuen Trägerraketen Vulcan und Ariane 6 sowie etliche der „neuen“ Firmen) macht eine Berechnung schwer. Ich will daher zuerst erläutern wie ich vorgegangen bin.

Zuerst habe ich nach der bisherigen Maximalnutzlast einer Falcon 9 in einen LEO Orbit gesucht. Das waren 16,7 t bei dem Starlink Start am 27.8.2022 in einen 234 x 331 x 53,2 Grad Orbit. Dann habe ich diesen Start simuliert und bestimmt in wie weit mein Falcon 9 Modell die Nutzlast von den 16,7 t abweicht. Danach habe ich das Modell so angepasst, das die Nutzlast vonm 16,7 t für diesen Orbit herauskommt.

Das nächste war die Anpassung auf die Masse der Crewed Dragon. Auch deren Masse ist unbekannt, immerhin wiegt sie nach NASA Angaben beim Abkoppeln von der ISS 12.520 kg. Die optimale Bahnneigung sind 28,8 Grad, entsprechend von einem Azimut von 90 Grad. Als Perigäum habe ich 200 km angesetzt und dann die Simulation laufen lassen. Heraus kommt tatsächlich ein Apogäum in 4.289 km Höhe.

Da mir das etwas hoch erschien, habe ich es nochmals einfach nachgerechnet mit einem klassischen Hohmann Übergang:

 

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 200,00 × 331,00 × 28,28 ° 7.784,2 7.707,8 7.822,5 7.669,7
Anpassung Apo 200,00 × 4.289,00 × 28,28 ° 7.784,2 6.112,8 8.658,0 5.339,1 835,53
Anpassung Peri 200,00 × 4.289,00 × 28,28 ° 7.784,2 6.112,8 8.658,0 5.339,1 0,000
Anpassung Inklination 200,00 × 4.289,00 × 28,28 ° 7.784,2 6.112,8 8.658,0 5.339,1 0,000
Zielbahn: 200,00 × 4.289,00 × 28,28 ° Summe: 835,53 835,53 835,53 835,53
Umlaufdauer: Ausgangsbahn 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m
Umlaufdauer: Zwischenbahn 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m
Umlaufdauer: Endbahn 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m

Es wird eine Geschwindigkeitsänderung von 835 m/s benötigt, etwa ein Drittel dessen was für den GTO benötigt wird. Dafür werden 4.200 kg Treibstoff verbraucht (die Differenz von 16,7 und 12,5 t) die nach SpaceX Angaben rund einen spezifischen Impuls von 3300 m/s haben, also ein Gesamtmoment von 13.86 MN, das erlaubt es 16,6 t um 835 m/s zu beschleunigen was in etwa der Masse der Oberstufe und der Dragon entspricht. Es ist also plausibel.

Tunen

Die obige Masse ist die einer Dragon die abgedockt hat. Bis dahin aber hat die Treibstoff verbraucht um die ISS zu erreichen. Der Start erfolgte in eine 200 km hohe Umlaufbahn, die ISS befindet sich in 407 km Höhe. Auch dafür kann man den Geschwindigkeitsbedarf berechnen:

 

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 200,00 × 200,00 × 56,30 ° 7.784,2 7.784,2 7.784,2 7.784,2
Anpassung Apo 200,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.784,2 7.664,5 7.844,2 7.604,9 60,058
Anpassung Peri 407,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.784,2 7.664,5 7.844,2 7.604,9 59,595
Anpassung Inklination 407,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.664,5 7.664,5 7.664,5 7.664,5 0,000
Zielbahn: 407,00 × 407,00 × 56,30 ° Summe: 119,65 119,65 119,65 119,65
Umlaufdauer: Ausgangsbahn 1 h 28 m 1 h 28 m 1 h 28 m 1 h 28 m 1 h 28 m 1 h 28 m
Umlaufdauer: Zwischenbahn 1 h 30 m 1 h 30 m 1 h 30 m 1 h 30 m 1 h 30 m 1 h 30 m
Umlaufdauer: Endbahn 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m

Daneben muss die Kapsel aus 407 km Höhe noch landen. Auch dafür benötigt sie Treibstoff. Hier eine Übersicht wie viel sie benötigt um das Perigäum auf 80 km Höhe abzusenken. In dieser Höhe wirds sie dann von alleine durch die Atmosphäre abgebremst:

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 80,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.856,2 7.664,5 7.952,6 7.569,3
Anpassung Peri 407,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.664,5 7.664,5 7.664,5 7.664,5 95,217
Anpassung Inklination 407,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.664,5 7.664,5 7.664,5 7.664,5 0,000
Anpassung Apo 407,00 × 407,00 × 56,30 ° 7.664,5 7.664,5 7.664,5 7.664,5 0,000
Zielbahn: 407,00 × 407,00 × 56,30 ° Summe: 95,217 95,217 95,217 95,217
Umlaufdauer: Ausgangsbahn 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m 1 h 29 m
Umlaufdauer: Zwischenbahn 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m
Umlaufdauer: Endbahn 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m 1 h 32 m

Dasselbe Manöver muss auch die Kapsel durchführen wenn sie aus dem 200 x 4289 km Orbit zurückkehrt, sie benötigt aber viel weniger Energie dafür:

Bahn Parameter v-Kreisbahn Peri v-Kreisbahn Apo v-real Peri v-real Apo ?V
Ausgangsbahn [km] 80,00 × 4.289,00 × 56,30 ° 7.856,2 6.112,8 8.768,6 5.308,7
Anpassung Apo 80,00 × 4.289,00 × 56,30 ° 7.856,2 6.112,8 8.768,6 5.308,7 0,000
Anpassung Peri 200,00 × 4.289,00 × 56,30 ° 7.856,2 6.112,8 8.768,6 5.308,7 30,421
Anpassung Inklination 200,00 × 4.289,00 × 56,30 ° 7.784,2 6.112,8 8.658,0 5.339,1 0,000
Zielbahn: 200,00 × 4.289,00 × 56,30 ° Summe: 30,421 30,421 30,421 30,421
Umlaufdauer: Ausgangsbahn 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m
Umlaufdauer: Zwischenbahn 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m 2 h 11 m
Umlaufdauer: Endbahn 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m 2 h 12 m

So sieht dann am Schluss die Rechnung so aus:

Um von der 200 km Bahn zur ISS und zurück zu kommen braucht die Crewed Dragon 119,6 + 95,2 m/s = 213,8 m/s. Um aus 200 x 4.289 km zurückzukehren nur 30,5 m/s. Zur ISS benötigt man also 184,3 m/s mehr. Diese Energie wird von dem internen Treibstoff aufgewandt, der einen spezifischen Impuls von 2,900 m/s hat. Durch Umformen der Zilokowski Gleichung ist errechenbar, dass dies bei 12,52 t Masse rund 770 kg Treibstoff entspricht. Die Crewed Dragon kann für eine Mission mit hohen Apogäum also 770 kg leichter (11,75 t schwer) sein. Dies in die Simulation eingesetzt, hebt das Apogäum auf 5.085 km an. Das noch höhere Apogäum würde die Energie für das Rückkehr auch noch mal absenken, jedoch nur leicht.

In dieser Höhe überblickt man leicht die ganze Erde. Sie macht dann 112 Grad des Firmaments aus. Der Blick wird wahrscheinlich atemberaubend sein, was auch der Reiz dieser Mission ist. Die ganze Erde sieht man auch aus einem niedrigen Orbit, aber sie nimmt eben fast das halbe Firmament ein und die Verzerrung zum Rand hin ist erheblich größer.

Sonnensynchrone Orbits

Für normale bemannte Missionen spielen sonnensynchrone oder polare Orbits keine Rolle. Ein polarer Orbit hat eine Bahnneigung von 90 Grad, er führt über die beiden Erdpole und man sieht so die ganze Erdoberfläche. Ist die Bahnneigung etwas größer als 90 Grad, so dreht sich die Bahnebene gegen die Bewegung der Erde um die Sonne bei geeigneter Wahl gleichen sich beide Bewegungen aus und vom Raumschiff aus hat man immer den gleichen Phasenwinkel zur Sonne. Neben praktischen Vorteilen – man kann so permanent im sonnenbeschienenen Zeil der Bahn bleiben anstatt das man Tag und Nacht einmal pro Umlauf hat, hat diese Bahn eine wichtige Bedeutung für die Erdbeobachtung da jeder Punkt der Erde immer zur gleichen lokalen Uhrzeit überflogen wird und damit bei gleichen Beleuchtungsbedingungen und Schattenwurf. Für Erdbeobachtungssatelliten ist das wichtig, für bemannte Missionen nicht, weil alleine die Menschen an Bord für so viele Erschütterungen sorgen, das hochauflösende Bilder verwackelt wären. So gab es bisher keine bemannte Mission in einen polaren oder sonnensynchronen Orbit, weil der Geschwindigkeitsaufwand höher ist. Auf der anfangs modellierten Bahn mit optimierten Azimut umkreist das Raumschiff die Erde nur zwischen dem -29 und +29 Breitengrad.

Es ist klar das für diese Mission eine polare oder sonnensynchrone Umlaufbahn möglich ist, denn die errechneten 835 m/s Differenz sind schon größer als die maximale Rotationsgeschwindigkeit der Erde am Äquator von 465 m/s. Ich habe zum Schluss dann noch eine elliptische Bahn mit einem Azimut von 0 Grad, das ergibt wegen der Bewegung der Erde eine Bahnneigung von 87,8 Grad also nahezu polar, modelliert. Hier wird in etwa eine 200 x 2.000 km Bahn erreicht, die immer noch über dem Rekord von Gemini 11 liegt.

Fazit

Wenn SpaceX will, es könnte den Rekord von Gemini 11 leicht knacken. Die von mir errechneten Maximalhöhen werden wohl nicht erreicht werden, weil man sicher bei einer bemannten Mission mehr Sicherheitsreserven bei der Rakete haben wird als bei der unbemannten Starlink Mission. Daneben benötigt eine Nicht-Kopplungsmission (zur ISS) auch mehr Ressourcen an Bord – Wasser, Nahrungsmittel, vor allem aber Mittel um die Luft zu regenerieren wie Sauerstoff in Druckgasflaschen und Lithiumhydroxidkanister um das Kohlendioxid aus der Luft zu filtern. Das können pro Person und Tag leicht 10 bis 20 kg Mehrgewicht sein. Dies macht die Dragon bei vier Mann Besatzung leicht pro Tag um 100 kg schwerer.

One thought on “Der Rekord von Gemini 11 – brechbar?

  1. Interessante Berechnung allerdings wird die maximale Höhe wohl deutlich niedriger liegen da eine 5000 x 200 km Bahn unangenehm weit in den inneren van-Allen Gürtel reinreicht. Der besteht zwar nur aus energiereichen Protonen aber die machen eine ganze Menge Bremsstrahlung wenn man ihnen nicht nur kurz wie beispielsweise bei einem Durchflug Richtung Mond ausgesetzt ist.

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