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Ich habe es schon sicher mal im Blog erwähnt, aber ich will es heute mal konkreter machen.
Im Prinzip funktioniert das Swing-By an Jupiter wie bei anderen Planeten. Der Planet zieht eine Raumsonde an, sie passiert ihn an einem nächsten Punkt und verlässt seine Einflusssphäre wieder. Der wesentliche Unterschied ist Jupiters Masse. Er ist 318-mal massereicher als die Erde und die Möglichkeiten, die er bietet, sind daher viel größer als bei einem Vorbeiflug an Venus oder Mars. Eine Raumsonde hat im Prinzip drei Möglichkeiten, von denen zwei auch kombiniert werden können.
Die Raumsonde kann die Jupiterbahn passieren, nachdem der Planet sie passiert hat, also „hinter“ ihm
Die Raumsonde kann die Jupiterbahn passieren, bevor der Planet sie passiert hat, also „vor“ ihm
Die Rausonde kann schräg zum Äquator Jupiter passieren.
Im ersten Fall wird die Sonde von Jupiter relativ zur Sonne beschleunigt, d. h. Ihr Aphel steigt an, es kann soweit ansteigen, dass die Bahn hyperbolisch wird und die Sonde das Sonnensystem für immer verlässt.
Im zweiten Fall bremst Jupiter die Sonde ab. Das reduziert ihr Perihel. Es kann soweit absinken, das sie in die Sonne stürzt. Die typische Startgeschwindigkeit zu Jupiter beträgt 14.300 bis 14.400 m/s relativ zur Erdoberfläche. Sobald man sich der Sonne näher als etwa 46-47 Millionen km nähern will, ist ein Swing-By an Jupiter energetisch günstiger als ein direkter Flug.
Der dritte Punkt dreht die Bahnebene, die bei Starts von der Erde in der Nähe der Ekliptik liegt, also des Sonnenäquators. Sie kann nun viel steiler verlaufen und die Sonne nahe der Sonnenpole passieren. Rein technisch ist dabei der Geschwindigkeitsgewinn am größten, den die Erde umkreist die Sonne mit einer Geschwindigkeit von 29.700 m/s. Um die Bahnebene um 90 Grad zu drehen, müsste man das 1,4-fache dieser Geschwindigkeit aufbringen, was in etwa viermal mehr ist, als bisher Raumsonden nur durch chemischen Antrieb erreicht haben.
Der letzte Punkt wurde bisher nur einmal umgesetzt, bei der Raumsonde Ulysses. Das Abbremsen war geplant für die Solar Probe. Sie wurde als zu teuer befunden und die Parker Solar Probe erreicht das niedrige Perihel nun nicht durch einen Vorbeiflug an Jupiter, sondern einem Dutzend an der Venus.
Bisher nutze man Jupiter vor allem, um
Geschwindigkeit aufzunehmen. Früher habe ich das gerne mit den Hohmannbahnen
vergleichen, doch das ist nicht zielführend, denn bei Hohmannbahnen braucht man
wirklich sehr lange um ein Ziel zu erreichen. Es geht aber auch schneller und
man braucht dafür nur wenig mehr Energie. Ich habe mal für Voyager 1 die
Vergleichszahlen ermittelt:
|
Voyager |
Selbe Distanz nach gleicher Zeit ohne Jupiterswingby |
---|---|---|
Jupiter |
Startv: 39.682 m/s |
38.315 m/s |
Saturn |
(3 Jahre 67 Tage) |
40.934 m/s |
Uranusbahn |
(6 Jahre, 175 Tage) |
42.293 m/s |
Neptunbahn |
(9 Jahre 164 Tage) |
43.191 m/s |
Eine
kleine Erklärung. Die erste Geschwindigkeit ist kleiner, weil das die Bahn mit
einem Perihel bei Jupiters Umlaufbahn ist, die Bahn von Voyager 1 führte aber
weiter ins Sonnensystem hinaus.
Voyager
1 passierte auch noch Saturn, das veränderte auch die Bahn. Trotzdem erhält
man nicht dieselbe Geschwindigkeit bei
Uranus
und Neptun. Das liegt daran, dass die Sonde laufend an Geschwindigkeit
verliert. Sie tut das, wenn sie die Erde verlässt, aber auch nachdem sie Jupiter
und Saturn passiert hat. Das folgende Diagramm zeigt die Geschwindigkeit von
Voyager 2. Man sieht die Abnahme aber auch die Boosts durch die Vorbeiflüge. Wie
man sieht, nimmt die Geschwindigkeit am Anfang stark ab – die Sonne zieht
natürlich nahe der Erde stärker an der Sonde als wie, wenn sie schon Saturn
passiert hat. Die Geschwindigkeit, die man für eine vorgegebene Distanz und
vorgegebene Flugzeit benötigt, daher durch die laufende Abnahme anders, als wenn
die Sonde erst nach dem Planetenvorbeiflug schneller wurde, dann ist die Abnahme
ab diesem Punkt natürlich kleiner.
Die angegebenen Geschwindigkeiten sind solare
Geschwindigkeiten. Für den Start von der Erdoberfläche aus ist noch die
Fluchtgeschwindigkeit zu berücksichtigen, die zuerst erreicht werden muss. Für
11.000 m/s, die typische Geschwindigkeit um Fluchtgeschwindigkeit aus einem
minimalen Erdorbit heraus zu erreichen, sieht die Tabelle dann so aus:
Geschwindigkeit für gleiche Reisedauer wie Voyager 1 |
|
---|---|
Jupiter |
14.034 m/s (Voyager 1: 14.920 m/s) |
Saturn |
15.793 m/s |
Uranusbahn |
16.795 m/s |
Neptunbahn |
17.483 m/s |
Die letzten beiden Geschwindigkeiten sind schon höher als die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem. Die Zusatzgeschwindigkeit ist nun nicht so viel höher als, wie man denkt, wenn man berücksichtigt, dass die Reisedauer zu Neptun weniger als ein Drittel der Dauer auf einer Hohmannbahn beträgt. Aber 2,5 km/s mehr sind auch eine Ansage. Dieselbe Trägerrakete (Titan 3E) hätte anstatt der 825 kg schweren Voyager nur eine 277 kg schwere Sonde auf die Geschwindigkeit für einen direkten Neptunvorbeiflug beschleunigen können – das wäre nur eine Sonde wie Pioneer 10 gewesen.
Sehr oft wird die Zusatzgeschwindigkeit von den
Raumfahrtagenturen ausgewiesen, das ist jedoch etwas irreführend. Zum einen
wegen des oben erwähnten Umstands. Zum anderen bezieht sich das auf die Bahnen,
und da bedeutet eine Geschwindigkeitsdifferenz nicht unbedingt das die Raumsonde
um so viel schneller wird, sondern sich die Bahn ändert. Extremes Beispiel:
Ulysses hatte nach ihrem Vorbeiflug noch nahezu die gleiche Bahn, doch die
Bahnebene wurde um 80 Grad gedreht, was die Geschwindigkeit in der Bahn aber
nicht ändert. Trotzdem kann man ein ΔV
für diese neue Bahn angeben. Zudem erhält man eine neue Bahn – alle Vorbeiflüge,
bei denen die Sonden beschleunigt wurden, hatten dann Bahnen mit hohem Perihel,
das ist so, doch optimaler wäre es bei Vorbeiflugmissionen, wenn das Perihel gar
nicht verändert wird, dann wäre die Sonde nämlich noch schneller unterwegs. Aber
auch diese Perihelanhebung erfordert Energie.
Sonde/Vorbeiflug |
Geschwindigkeit |
---|---|
Voyager 1 an Jupiter |
9.949 m/s (775,56 x -1962 Mill. km) |
Voyager 1 an Saturn |
9.934 m/s (1310,4 x -2272,2 Mill. km) |
Voyager 2 an Jupiter |
4.635 m/s (751,1 x -5191,7 Mill. km) |
Voyager 2 an Saturn |
6.378 m/s (1436,17 x -2494,26 Mill. km) |
Voyager 2 an Uranus |
7.861 m/s (2154,2 x -3050,54 Mill. km) |
Cassini an Jupiter |
2.100 m/s |
New Horizons an Jupiter |
3.890 m/s |
Gerade die beiden letzten Sonden zeigen, dass man nicht mal so nahe an Jupiter heran muss, um viel Geschwindigkeit aufzunehmen. Cassini hatte nur eine Distanz von 10 Millionen km. 2.100 m/s mehr sind aber mehr als ein Marsvorbeiflug liefern kann. New Horizons eine von 2,27 Millionen km. Für die knapp 4 km/s mehr muss man die Erde oder Venus schon sehr nahe und in günstiger Konstellation passieren. Für Cassini war nicht der Geschwindigkeitsgewinn so wichtig, er dürfte sogar nicht zu hoch ausfallen, schließlich sollte die Sonde ja bei Saturn noch abgebremst werden, sondern das Anheben des Perihels auf das von Jupiter.
Jupiter ist wegen dieser Eigenschaft ein gutes Etappenziel auch für Orbiter um Uranus und Neptun, selbst, wenn er dann das Aphel kaum anhebt. Denn auch bei Uranus und Neptun senkt ein hohes Perihel die Geschwindigkeit ab, die der Orbiter beim Einschwenken in die Umlaufbahn vernichten muss.
Für zwei Planeten kann man ein Startfenster noch relativ einfach berechnen. Es gilt ganz einfach:
1/Startfenster = 1/kürzere Umlaufszeit – 1/längere Umlaufszeit
Bei mehr als zwei Planeten ist die Ermittlung des Startfensters nur noch durch numerische Simulation möglich, wobei es sein kann, dass man kein optimales Startfenster, sondern nur einen günstigen Zeitpunkt erhält. Es ist aber auch nicht notwendig genau die Periode zu ermitteln, nach der sich die drei Planeten um genau denselben Winkel fortbewegt haben, da der Vorbeiflug ja die Bahn ändert. Je nach Distanz erhält man einen anderen Winkel um den das erfolgt. Die folgende Grafik zeigt die Drehung einer Bahn mit gleichen Startparametern aber unterschiedlicher Passagedistanz zwischen 200.000 und 2 Millionen km von Jupiter. Die Position ist nach 3.000 Tagen jeweils eine andere. Die starke Ablenkung links kommt von der großen Annäherung und die geringe rechts von einer Passage in großer Distanz. Für jeden äußeren Planeten gibt es, wenn man ihn nur passieren will, daher ein Zeitfenster von rund 3 Jahren, in denen er erreichbar ist. Bei Pluto sieht man dies ganz gut. Es gab mehrere Pläne für Plutosonden. Die früheste (Pluto Fast Flyby) wäre 2003 gestartet. Sie hätte sich Jupiter bis auf 143.000 km genähert, der sie dann stark umgelenkt hätte. Nach acht Jahren wäre sie dann bei Pluto gewesen. Die Nächste, Pluto Kuiper Express, deren Start für Ende 2004 geplant war musste schon weniger stark umgelenkt werden, nur bis auf 585.000 km an Jupiter herankommen. Trotzdem hätte sie Pluto nach 8,5 Jahren erreicht. New Horizons startete weitere 13 Monate später im Januar 2006, näherte sich Jupiter nur auf 2,3 Millionen km und braucht dafür 9,5 Jahre zu Pluto. Ähnliche Zeitfenster von zwei bis drei Jahren gibt es auch bei Flügen zu den anderen Planeten. Für die Grand Tour erstreckten sich auch die Startmöglichkeiten von 1977 bis 1979, allerdings mit einer Passage aller vier Gasplaneten nur im Jahre 1977. Für nur drei Objektpassagen, bei denen man mehr Freiheiten im Umlenken hatte, wären auch Starts 1978 oder 1979 möglich gewesen. Auch Cassini sollte ursprünglich ein Jahr vorher Jupiter passieren.
Die Erde kann man bei den Betrachtungen übrigens herauslassen. Ihre Periode ist so viel kleiner als die des Jupiters, dass es im Prinzip alle 13 Monate ein Startfenster gibt. Notfalls kann man durch eine höhere Startgeschwindigkeit die Flugdauer zu Jupiter verkürzen, die minimal 27 Monate beträgt.
Die Startfenster zu den äußeren Planeten sind dann immer länger als ein Umlauf von Jupiter, der 11.5 Jahre dauert. Zwischen knapp 20 Jahren zu Saturn (genutzt: Startfenster 1977 und 1997, 2016 ist schon vorbei, 2035/36 ist das nächste) bis 12 Jahren bei Neptun.
Bei den meisten Planeten ist es so, dass, wenn man
beschleunigen will, man möglichst nahe den Planeten passiert. Bei Jupiter ist
das nicht so. Den Grund sieht man bei den Grafiken. Durch das Umbiegen der Bahn
wird diese zunehmend tangential zur Jupiterbahn. Damit steigt die
Sonnenentfernung aber langsamer, als wenn die Sonde nicht so stark zur Seite
abgelenkt wird. Bei meinen Simulationen mit typischen Transfergeschwindigkeiten
zu Jupiter errechne ich einen optimalen Abstand von rund 180.000 km über der
Wolkendecke. Der optimale Abstand wird kleiner, wenn die Startgeschwindigkeit
höher wird. Dann bei einer höheren Startgeschwindigkeit wird die Bahn nicht so
stark verbogen. Auch bei einer hohen Startgeschwindigkeit bringt ein Vorbeiflug
in jedem Falle einen Gewinn. Die Grafik zeigt dies: bei gleichem Passageabstand
wird die Bahn der blau eingezeichneten Sonde stärker gebogen und damit aus der
Zielrichtung abgelenkt als die beim Start etwa 2 km/s schnellere rote Bahn. Noch
deutlicher wird das bei den Parametern: Die zweite Sonde hat 3 Jahre früher eine
Distanz von 3 Milliarden km erreicht (die langsamere ist noch nicht mal soweit
vorgedrungen) und das bei nur 2 km/s mehr Startgeschwindigkeit, was etwa 1,4
km/s mehr von der Erde aus entspricht. Entsprechend ist auch der größere
Vorsprung von Voyager 1 zu erklären – neben der größeren Annäherung hatte die
Sonde auch schon eine höhere Startgeschwindigkeit. Bei der Grafik kommt die
Sonde ursprünglich von links.
Parameter | Erste Bahn | Zweite Bahn |
---|---|---|
Distanz | 2.903.231.280,3 | 3.000.003.620,6 |
Offset | -15.800.000,0 | -4.200.000,0 |
Geschwindigkeit | 12.978,9 | 21.734,9 |
Startbahn Perihel | 149.600.000,0 | 149.600.000,0 |
Startbahn Aphel | 865.721.347,8 | 2.456.138.468,6 |
Perihel | 780.855.383,6 | 763.319.645,9 |
Aphel | -4.228.645.565,9 | -1.454.876.633,8 |
Minimaldistanz | 184.220,9 | 181.883,8 |
Startgeschwindigkeit | 38.900,0 | 40.900,0 |
Maximale Geschwindigkeit | 32.342,1 | 34.709,6 |
Simulationsdauer | 8 J 80 d 36 s | 5 J 57 d 3 h 16 m 27 s |
Zeit bis Planet erreicht | 1 J 336 d 11 h 43 m 21 s | 1 J 97 d 5 h 18 m 45 s |
Distanz Zueinander | 2.433.117.232,5 |