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Zuverlässigkeit und Sicherheit bei Raketen

Immer wieder gibt es Fehlstarts bei Raketen - Warum dies, nach 40 Jahren Raumfahrt? Sollte die Technik nicht inzwischen ausgereift sein? Wie solle jemals die wirtschaftliche Erschließung des Weltraums möglich sein, wenn jeder 20. Start schief läuft? Die Luftfahrt hat es doch auch geschafft innerhalb kurzer Zeit Routine zu werden, warum gelingt dies nicht bei den Raketen?

Der Vergleich mit der Luftfahrt

Immer wieder wenn Journalisten Vergleiche zwischen Raumfahrt und etwas anderes anstellen nehmen sie die Luftfahrt. Sie verweisen dann zumeist darauf, wie unzuverlässig im Vergleich zu Flugzeugen Raketen sind, wie wenige Starts sie durchführen und wie verschwenderisch das Vorgehen mit den nur einmal nutzbaren Raketen ist. Das alles klingt doch logisch oder? Natürlich sitzen in den Raumfahrtagenturen nur beschränkte Menschen die es nicht wagen neue Ansätze zu verfolgen (aber Milliarden in die Luft verpulvern) und die Raketenhersteller haben natürlich auch kein Interesse neue Modelle zu entwickeln, wenn Sie mit den alten erfolgreich sind.

Es sei mir an dieser Stelle mal gestattet hier Dampf abzulassen, weil ich diesen unsäglichen Vergleich andauernd finde. Er ist völlig falsch weil man zwei grundlegend unterschiedliche Dinge vergleicht. Satelliten erreichen Geschwindigkeiten von 28000-37000 km/h, während die Verkehrsflugzeuge Geschwindigkeiten von 900-2000 km/h haben. Flugzeuge fliegen langsamer, müssen den Sauerstoffträger nicht mitführen und weitaus weniger Leistung entwickeln. Dabei sieht man gerade hier wie sich höhere Anforderungen auswirken: Schon die Verdopplung der Geschwindigkeit (Concorde) bewirkt eine Verzehnfachung des Ticketpreises, würde dieser Trend fortgeschrieben, so wäre der Startpreis eines Satelliten schon bei Mach 4 erreicht.

Ich möchte daher verdeutlichen, das dieser Vergleich einer von Äpfel mit Birnen ist und zwar indem ich einmal zwei andere Transportsysteme vergleiche die sich im Alltag durchgesetzt haben: Das Fahrrad und das Auto. Ebenso wie man die Transportmittel Rakete und Flugzeug vergleichen sollte dann auch dieser Vergleich statthaft sein.

Das Fahrrad schlägt das Auto um Längen: Pro kg Masse des Transportmittels transportiert es mehr Nutzlast, es ist 50-100 mal billiger, benötigt weniger Energie und in größerer Stückzahl vorhanden. Es benötigt weniger Wartung, ist unkomplizierter und ist weniger fehleranfällig. Der Unterhalt ist billiger und eine besondere Ausbildung (Führerschein) zur Benutzung ist auch nicht nötig.

Es stellt sich also die Frage wie bei der Raumfahrt: Warum benutzt man Autos? Warum hat man es nicht geschafft in 100 Jahren Automobilbau die Standards des Fahrrads zu erreichen? Das Auto hat eigentlich offensichtlich keine Vorteile, bis auf den Umstand, das man mit dem Fahrrad nicht 200 km in der Stunde zurücklegen kann. Ebenso ist es bei dem Vergleich eines Flugzeuges mit einer Rakete. Eine Rakete ist gebaut um 28000 km/h zu erreichen, die meisten Verkehrsflugzeuge schaffen in der Atmosphäre nur 900 km/h, im Weltraum arbeiten sie überhaupt nicht. Es werden Technologien verglichen die hinsichtlich ihrer Sicherheitsspannen, Technik und Anforderungen gar nicht verglichen werden können. Genau das gleiche wird aber immer bei dem Vergleich mit der Luftfahrt gemacht.

Die Sicherheitsspanne

Space Shuttle Bei jedem Bauteil, aber natürlich auch bei einem Produkt als ganzes wird immer mit einer Sicherheitsspanne gearbeitet. Dies bedeutet das ein Produkt auch außerhalb der technischen Spezifikationen noch arbeitet, falls diese überschritten werden. Wie groß das ist von Produkt zu Produkt abhängig. Auch innerhalb einer Produktlinie gibt es hier Unterschiede. Nehmen wir mal das beliebte Thema "Übertakten von Prozessoren". Einen Z80 (8 Bit Mikroprozessor) konnte man ohne Probleme um 50-100 % übertakten. Der Prozessor wurde normalerweise zirka 30-35° heiß und war bis 78° Temperatur spezifiziert. Bei einem 486 waren noch 33 % drin und heute beim Pentium III mit größerem Aufwand vielleicht 10-15 %. Das bedeutet das die Sicherheitsspanne innerhalb der Halbleiterindustrie von 100 % auf 10 % innerhalb von 20 Jahren gesunken ist.

Sicherheitsspannen gibt es bei jedem technischen Produkt. Bei einem Flugzeug biegen sich z.B. die Flügel beim Start um 1-2 m durch, man muss Sie aber um 7-10 m biegen, bis sie brechen. In der Flugindustrie gibt es eine allgemeine Sicherheitsspanne von 100 %. Das heißt das ein Teil die doppelte Nennbelastung aushalten muss. Eine Übertragung dieser Sicherheitsspanne auf die Raketen würde bedeuten, das die meisten Raketen es nicht schaffen würden, ihre eigene Leermasse in einen Orbit zu befördern. Die Nutzlast würde komplett entfallen, weil die Leermasse zu hoch wäre. Die allgemeine Sicherheitsspanne liegt bei Raketen meist im Bereich von 40 % bei nicht gewichtskritischen Teilen. Bei Raketentriebwerken liegt sie in einigen Bereichen bei einigen Prozent. So war die NASA sehr froh das der Schub der Haupttriebwerke des Space Shuttles von 100 % auf 109 % angehoben wurde. Die Lebensdauer der Triebwerke zwischen 2 Wartungen reduzierte sich aber dadurch von 55 auf 3 Flüge.

Abweichungen - z.B. wenn ein Triebwerk ausfällt und andere einspringen müssen können so zu einem Verlust einer Mission führen, weil ein Orbit durch zu geringe Triebwerksleistung nicht erreicht werden kann und man nicht einfach die anderen Triebwerke höher fahren kann. Ein vierstrahliges Flugzeug kann noch mit 2 Triebwerken fliegen, eine Rakete mit 4 Triebwerken nicht mit 2. Viele Technologien in der Raumfahrt sind deswegen teuer, weil es sich um Technik an der Grenze zur physikalischen Belastung handelt. Nicht umsonst finden viele Technologien aus der Raumfahrt überall dort Anwendung wo Leichtbauweise oder hohe Belastungen wichtig sind. Viele Versager in der Raumfahrt sind nicht die von früher bekannten Explosionen sondern viel unspektakulärer Natur. Wenn ein Triebwerk nicht seinen vollen Schub erreicht, wofür es verschiedenste Gründe geben kann, so kann dies schon zum Verlust einer Mission führen. Die Bahnhöhe wird dann nicht erreicht und die Nutzlast verglüht wieder. Das eine Mission schon scheitert wenn nur wenig von der Sollleistung fehlt, ist z.B. ein Aspekt den es weder in der Luftfahrt noch in vielen anderen Bereichen gibt. In diesem Sinne kann man eine Rakete mit einem Rennwagen vergleichen: Auch dieser kann ein Rennen nur gewinnen wenn der Motor und alle Teile absolut ohne Störung laufen - Und bei der Raumfahrt gibt es keine zweiten Plätze....

Natürlich könnte man dies umgehen, wenn man alles größer baut als notwendig, in einer Stufe z.B. anstatt einem Triebwerk mit 100 kN Schub eines mit 200 kN einbauen oder den ganzen Antrieb doppelt bauen. Aber dann steigt zum einen wieder die Leermasse rapide an - und die Nutzlast wird kleiner. Zum anderen aber kosten größere oder doppelte Triebwerke mehr als kleinere oder einzelne - und dann ist eine Rakete vielleicht sehr zuverlässig, aber unbezahlbar.

Testflüge und das Gesetz der großen Zahl

Vieles kann am Boden heute getestet werden: Triebwerke, ganze Raketenstufen oder numerische Simulationen eines Fluges.
Doch auch in der Luftfahrt gilt nicht der Bodentest sondern der Testflug. Zuerst werden bei einem, neuen Flugzeug einzelne Komponenten in andere Flugzeuge eingebaut, nach den erfolgreichen Tests finden dann unzählige Testflüge statt bei denen das Flugzeug an die physikalischen Grenzen gebracht wird. Zählt man diese Testflüge zusammen, so wird klar, das die meisten Raketen auf der Welt noch nicht einmal so viele Flüge hinter sich haben, geschweige denn das gezielte Ausloten der Grenzen der Technik. In diesem Sinne sind Raketen noch immer in der Erprobung...

Bei den allerersten Raumfahrtraketen - sowohl der A4 wie auch der Delta, Atlas und Titan gingen dem ersten Raumfahrteinsatz Dutzende von Erprobungsflügen voraus, trotzdem war die Anfangszuverlässigkeit noch gering. Das gilt auch heute noch. Zum einen kann man bei Bodentests einfach bestimmte Dinge nicht testen - Die Vibrationen beim Start, die aerodynamische Belastung, die Arbeit unter Vakuum und Schwerelosigkeit. Zum anderen verhält sich die Rakete als System anders als jede einzelne Stufe. Man rechnet daher bei einer Neuentwicklung mit zirka 20 Flügen bis man die gröbsten versteckten Fehler gefunden und eliminiert hat. Eine Erfolgsquote von 80 % für die ersten 20 Starts ist der Preis dafür. Das auch schon erprobte Träger bei umfangreichen Änderungen wieder mit dieser Regel zu tun haben zeigen die Fehlschläge der Delta 3 - einem Modell mit größeren Änderungen gegenüber dem recht zuverlässigen Vorgängermodell Delta 2.

Bemannte Raumfahrt

Buran + Energija Mag man in der unbemannten Raumfahrt eine Sicherheit von 90-95 % tolerieren, so sieht die bei bemannten Raumfahrzeugen anders aus. Hier ist wirklich die Forderung nach 100 % Sicherheit gegeben. Das war mit den Raketen die in den fünfziger und sechziger Jahren entwickelt wurden nicht zu machen. Zwar könnte man durch stärkere Kontrollen, mehrfachen Tests und Verwendung von 100 % geprüften Teilen die Zuverlässigkeit steigern, die Absicherung für das Leben der Astronauten war aber ein Fluchtturm, der bei der geringsten Abweichung die Kapsel von der Rakete wegtrug. Eingesetzt wurde er zumindest einmal bei einer Sojus Mission in den achtzigern.

Beim Space Shuttle z.B. ist eine solche Absicherung nicht möglich. Die Forderung nach absoluter Sicherheit führt dazu dass der Orbiter nach jeder Mission nahezu zerlegt wird, Teile geprüft und ausgewechselt werden. Die Forderung nach Sicherheit hat beim Space Shuttle dazu geführt, das 2800 Personen direkt nur mit dem Shuttle beschäftigt sind und zirka 12.000 indirekt bei den Firmen. Ein Start mit dem Space Shuttle ist daher zirka 4 mal teurer als mit einer Rakete, bei denen man sich mit 90-95 % Sicherheit zufrieden gibt.

Als man Ende der 50 und Anfang der sechziger Jahre in den Raumfahrt startete gab es solche Philosophien nicht. Die Zuverlässigkeit der Raketen, aber auch anderer Teile war miserabel. Zum einen weil man noch wenig Erfahrungen mit Ihnen hatte, zum anderen weil es darum ging um jeden Preis erster zu werden. Das schlug sich auch in unbemannten Projekten nieder: Bis Ende der siebziger Jahre wurden Raumsonden immer im Doppelpack gestartet, falls eine ausfiel. Im Vergleich zu heute waren diese relativ preiswert. Danach gab es Einzelmissionen mit komplexeren Sonden und heute will man wieder zurück zu den einfacheren und vor allem billigeren Missionen - im Rahmen des Discovery Programms. Doch hier sieht man auch durch die Ausfälle der Raumsonden Mars Climate Orbiter und Mars Polar Lander sowie Problemen bei anderen Missionen, das Zuverlässigkeit ihren Preis hat.

Serienfertigung: Preis und Risiken

Ariane 5 Schon immer gab es bei der Raumfahrt den Kostendruck. Kurz nachdem man die ersten Raketen vom Militär übernommen hatte, trachtete man die Nutzlast zu maximieren, zuerst durch bessere Oberstufen, dann durch Verstärkungen. Dies ist sicherlich im Hinblick auf die Kosten nicht optimal. Ideal wäre es eine Rakete von vornherein kostengünstig zu konzipieren. Da die meisten Raketen heute entweder aus militärischen Vorgängern abstammen oder mit einem bestimmten Zweck konzipiert wurden (z.B. Ariane 5 für den Raumgleiter Hermes) findet man heute nur wenige Raketen die diesem entsprechen.

Realistischerweise muss man aber sagen, das eine Neuentwicklung von Trägerraketen sehr teuer ist. Die dort eingesetzten Kosten spielen sich erst nach vielen Flügen ein, so das sich dies wirtschaftlich nicht lohnt. Die Ariane 5 Entwicklung kostete schließlich mehr als 11 Mrd. DM, ein Flug ca. 240 Mill. DM, so das man bei 40 Mill. DM Gewinn pro Flug 275 Flüge braucht um die Kosten einzuspielen.

Aus ökonomischer Sicht wäre es am besten wenn es gelänge nicht nur eine Rakete sehr preiswert zu entwickeln sondern auch herzustellen. Der grundlegendste Gedanke dazu ist der im Prinzip in der ganzen Rakete nur ein Triebwerk zu verwenden. Man erhöht so die Stückzahlen und senkt die Entwicklungskosten. Wir finden dies im kleinen bei Ariane 4 (gleicher Triebwerkstyp in flüssigen Boostern, erster und zweiter Stufe), H-2A und Delta IV (Erste Stufe als zusätzliche Booster, bis zu 9 identische Zusatzbooster), oder der Sojus (5 Triebwerke mit je 4 Brennkammern in der ersten Stufe = 20 identische Brennkammern).

Radikalere Konzepte sind bisher gescheitert. So die Mondrakete N-1 mit 30 identischen Triebwerken in der ersten Stufe, die Conestoga - mit Stufen aus Bündeln von Castor 4 Boostern oder die OTRAG aus einigen Hundert Triebwerken mit wenigen Kilonewton Schub. Im Gegenteil: Der Trend geht heute zu weniger Triebwerken: Ariane 5 verwendet nur 4 anstatt bis zu 10 Triebwerken bei der Ariane 5, die Atlas III nur 2 anstatt bis zu 7 bei der Atlas IIAS. Der Grund ist einfach: Jedes Triebwerk erhöht das Risiko eines Fehlstarts. Feststoffbooster sind auch deswegen so beliebt, weil Versager bei Ihnen zwar spektakulär enden (in einer Explosion), aber relativ selten sind. Feststoffbooster haben keine mechanischen Bauteile die ausfallen können. Keine Turbopumpen die zu geringe Leistungen bringen, keine Brennkammern mit Haarrissen.

So ist heute für eine Rakete wichtig viele Kunden zu gewinnen - nur über Stückzahlen kann der Preis gesenkt werden. Paradoxerweise nimmt die Zahl der Anbieter aber immer mehr zu. Nicht nur durch die Öffnung zum Osten sondern auch durch umgebaute ehemalige Interkontinentalraketen.

Gleichzeitig werden Satelliten immer schwerer: Die größten Kommunikationssatelliten lagen 1980 bei 1.8 t, 1990 bei 2.7 t und 2000 bei 4.9 t, die neuesten Modelle von Ariane, Atlas und Delta liegen bei 9.5-14 t Nutzlast für einen GTO Orbit. Es ist abzusehen, das viele dieser Rakete mit ihren Vorläufern aus kleinen Modellen irgendwann an die Grenze mit dem Tunen kommen werden. Vielleicht nutzt man dann die Chance nicht nur bei der internationalen Raumfahrt zusammen zu arbeiten, sondern auch gemeinsam eine Rakete in Europa, Russland und den UdSSR zu entwickeln - jeder kann dabei das beitragen was er am besten kann und eine größere Stückzahl und geringere Fertigungskosten sollten sich ergeben. Ariane zeigte das dies keine Utopie sondern ein erfolgreiches Konzept ist.


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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