Planetare Bahnen - Ein Rechenbeispiel

Ich möchte an einem Beispiel einmal zeigen wie man Berechnungen anstellt. Die Formeln finden sich im Aufsatz über Planetare Bahnen erläutert.

Phobos-GruntDie Mission

Es soll eine komplexe Mission untersucht werden. Die Landung auf dem Marsmond Phobos und die Rückkehr zur Erde mit Bodenproben. Hierzu die einzelnen Schritte im groben:

Bis auf den letzten Punkt muss man dazu immer Triebwerke einsetzen, um Geschwindigkeit auf oder abzubauen. Eine derartige Mission ist unter der Bezeichnung "Phobos-Grunt" seit Jahren geplant. Diese soll mit einer Sojus-Fregat starten. Ein Bild der geplanten Sonde ist hier wiedergegeben. Wie man unschwer erkennt, besteht sie vorwiegend aus Treibstofftanks. Dieser Aufsatz wird zeigen warum.

Start von der Erde

Hier benutzen wir die Formel für eine Kreisbahn um die benötigte Geschwindigkeit zu errechnen:

Verdbahn  = Sqrt(GM ÷ x)

x = Bahnhöhe über dem Erdmittelpunkt.
G : Gravitationskonstante 6.6726e-11
M : Masse des Himmelskörpers. Bei der Erde z.B.5.976e24 kg.

Für eine 180 km hohe Kreisbahn (typische Bahn für Übergangsbahnen) und einen Erdradius von 6371 km kommt man zu

verdbahn = Sqrt(6.6726e-11 * 5.976e24 / (6371+180)*1000)

verdbahn = 7802 m/s.

Hinweis: Ich habe hier einmal zur Demonstration durch 1000 geteilt um die Kilometer in Meter umzuwandeln. Alle Formeln sind ausgelegt für die SI Einheiten und das ist nun mal das Meter und nicht der Kilometer. Das ist lästig, da wir von sehr großen Zahlen reden (Millionen km = Milliarden Metern), vergewissern sie sich aber beim Nachrechnen das sie ebenfalls in Metern rechnen.

Interplanetare Bahn

Das nächste ist die Berechnung der Geschwindigkeit zum Mars. Es gibt zahlreiche mögliche Bahnen. Die energetisch günstigste ist die Hohmann Bahn, bei welcher der sonnenfernste Punkt der Bahn gerade die Marsbahn schneidet. Da die Marsbahn sehr exzentrisch ist, differiert die Startgeschwindigkeit abhängig von der Entfernung von der Sonne. Berechnen wir jedoch zuerst einmal die solare Geschwindigkeit (bezogen auf die Sonne) in der Bahn:

v=Sqrt(GM × ((2 / x)-(1 / Halbachse))

Halbachse: (Sonnenfernster Punkt + Sonnennächster Punkt) ÷ 2
x : Abstand bei dem wir starten.
M : Diesmal die Sonnenmasse von 1.989x1030 kg.

So variiert die Geschwindigkeit je nach Abstand beim Start und Ankunftspunkt. Die beiden Extreme sind: nächster Punkt der Erdbahn an die Sonne (147.1 Millionen km) und größte Entfernung des Mars (249,23 Mill km). Dies ergibt die höchste Startgeschwindigkeit. Die niedrigste erhält man wenn man von der größten Entfernung der von der Sonne (152.1 Mill km) von der Erde zur nächsten Entfernung des Mars auf der anderen Seite startet (206,62 Mill Kilometer). Wir erhalten als Extreme:

33686 m/s bei 30289 m/s Geschwindigkeit der Erde in der Bahn (147.1 / 249.23 Mill km) 3399 m/s aufzubringen

31705 m/s bei 29293 m/s Geschwindigkeit der Erde in der Bahn (152,1 / 206,62 Mill km). 2404 m/s aufzubringen

Die irdische Fluchtgeschwindigkeit ist sehr einfach zu berechnen. Es gilt:

vflucht = Sqrt(2) * verdbahn

Die solare Differenzgeschwindigkeit addiert sich jedoch nicht einfach zu der irdischen Fluchtgeschwindigkeit. Vielmehr gilt nach dem Energieerhaltungssatz:

vstart = Sqrt( verdbahn² + vflucht²)

Man bekommt daher je nach Bahn der Erde eine Startgeschwindigkeit von 11278 - 11530 m/s. Dies ist nur wenig mehr als die Fluchtgeschwindigkeit von rund 11.033 km/s aus einer 180 km hohen Bahn.

Nun folgt ungefähr in der Hälfte der Interplanetaren Bahn meistens noch eine kleine Kurskorrektur, welche dazu dient die Bahnebenen anzupassen. Wir lassen dieses mal außer Betracht, da es sehr stark davon abhängt wann man startet. Wegen der geringen Neigungen der Bahnen von Mars und Erde zueinander liegt es aber immer unter 100 m/s.

Die Nutzlast einer Sojus Fregat ist bekannt. Sie beträgt 1260 kg von Baikonur aus. Die gleiche Rakete kann 5000 kg in einen niedrigen Erdorbit befördern. Daran sieht man schon die Abnahme der Nutzlast durch die höhere Startgeschwindigkeit von etwa 4500-4700 m/s.

Beim Mars

Um zu Phobos zu gelangen muss man sich zuerst einmal seine Bahn klar machen. Phobos umkreist den Planeten in einer nahezu kreisförmigen Bahn in  9378 km Entfernung vom Zentrum oder etwa 6000 km über der Oberfläche. Die Raumsonde nähert sich dem Mars mit einer Differenzgeschwindigkeit die von der gewählten Bahn abhängig ist. Variieren kann man den Punkt, an dem man in eine Marsbahn einschwenkt. Die Geschwindigkeit die man dazu benötigt ist berechenbar nach:

Vdiff = Sqrt(Vflucht² + Vsonde²)-Vbahn

Vflucht ist die Fluchtgeschwindigkeit beim Mars in dem gewählten Abstand. VBahn ist die Geschwindigkeit in der Bahn an diesem Punkt nachdem die Sonde im Orbit ist und Vdiff ist die relative Geschwindigkeit der Sonde zum Mars vor der Ankunft.

Man kann nun entweder durch Probieren oder Nachdenken herausfinden, dass man am günstigsten fährt, wenn man den marsnächsten Punkt sehr nahe an die Marsoberfläche legt. Bis auf 200 km geht dies bei der dünnen Atmosphäre und den marsfernsten Punkt sehr weit hinaus in den Weltraum. Zu weit sollte es jedoch auch nicht sein, sonst wird die Bahn durch die Sonne stark gestört. Außerdem müssen wir ja später Phobos erreichen. Die Umlaufszeit steigt rasch mit steigender Entfernung vom Mars an und es dauert so lange bis wir die endgültige Bahn erreicht haben. 

Um dies zu tun wäre eine erste Bahn von 200 x 6000 km eine gute Idee. Deren höchster Punkt liegt in der Entfernung wo Phobos seine Bahn hat.

Wie ermittelt man Vsonde ? Nun die Geschwindigkeit beim Mars kann man berechnen nach der schon vorgestellten Formel:

v1=Sqrt(GM × ((2 / x)-(1 / Halbachse))

Diese Geschwindigkeit wird immer kleiner sein, als die Geschwindigkeit des Mars im Punkt x. Diese ist identisch berechenbar mit derselben Formel, nur natürlich einem anderen Wert für die Halbachse, nämlich den der Marsbahn:

V2=Sqrt(GM × ((2 / x)-(1 / Halbachse Mars))

Halbachse Mars  = (249.23 Millionen km + 206.62 Millionen km ) / 2 = 227.925.000.000.000 m

Nun müssen wir nur noch die Differenz bilden um VSonde zu ermitteln:

Vsonde = V2 -V1

In einer typischen Bahn zu Mars beträgt die Geschwindigkeitsdifferenz VSonde etwa 2600-2700 m/s. Nehmen wir den höheren Wert von 2700 m/s. Nun können wir VBahn und Vflucht mit den Formeln die beim Start in die Kreisbahn um die Erde und zum Verlassen der Erdbahn angegeben wurden berechnen, nur eben beim Mars mit einer anderen Masse (4.87 x 1023 kg.) und der Distanz 3594 km (Marsradius ist 3394 km + 200 km) und 9378 km

vflucht =  Sqrt(2) * Sqrt(6.6726e-11 * 4.876e22 / 3594000)

vflucht = 4880.2 m/s

VBahn=Sqrt(GM × ((2 / x)-(1 / Halbachse))

Halbachse = (3594+9378)*1000/2 = 6486000 m
x = 3594000 m (in 200 km Entfernung über der Oberfläche oder 3594 km vom Zentrum)

VBahn = 4149.1 m/s

Vdiff = Sqrt(Vflucht² + Vsonde²)-Vbahn

Vdiff = Sqrt(4880.2² + 2700²)-4149.1

Vdiff = 1428.2 m/s

Man muss also 1428.2 m/s vernichten um in eine Bahn einzuschwenken. Heute geschieht dies noch weitgehend durch das verbrennen von Treibstoff. Denkbar wäre es auch die Atmosphäre zur Abbremsung zu nutzen. Die letzten amerikanischen Orbiter haben zum Beispiel alle zuerst eine sehr elliptische Umlaufbahn eingeschlagen und sind dann mehrfach in die Atmosphäre eingetaucht. Möglich, aber noch nicht realisiert ist das Aerocapture, bei dem man gar keinen Treibstoff mehr verbrennt, sondern tief in die Atmosphäre eintaucht (ein Hitzeschutzschild ist nun nötig) und die Geschwindigkeit mit nur wenigen Eintauchvorgängen abbaut.

Zum Vergleich: Hätte man die Sonde anstatt in einen 200 x 5984 km Orbit (200 km x Phobos Bahnhöhe) in einen 200 x 70.000 km Orbit gebracht, so hätte sich Vbahn auf 4764.7 m/s erhöht. Bei gleichen Werten für  Vflucht und VSonde resultiert dann eine Vdiff von 812.6 m/s. Den Rest muss man dann durch Aerobraking abbauen. Bei einem chemischen Antrieb mit einer Ausströmgeschwindigkeit von 3100 m/s (ein durchschnittlicher Wert für lagerfähige Treibstoffe) bleiben von 1250 kg Startmasse noch 788.5 kg (nur chemischer Antrieb) bzw. 961.7 kg (Einbremsung in 200 x 70000 km Bahn und Aerobraking übrig.

Aufgrund der hohen Differenzgeschwindigkeit VSonde von 2700 m/s wäre ein Einschwenken direkt in den Phobosorbit in 5984 km Höhe über der Oberfläche nicht so günstig. Dafür benötigt man 3443.2 m/s.

Okay, nun ist unsere Sonde in einem 200 x 5984 km Orbit. Und dieser muss nun erhöht werden auf einen 5984 km hohen kreisförmigen Orbit. Dies ist praktisch die gleiche Berechnung wie die Berechnung von VSonde, nur eben beim Mars:

vBahn2 = Sqrt(GM × ((2 / x2)-(1 / Halbachse))

x2 = Abstand in Phobosdistanz

VPhobos  = Sqrt(GM ÷ x2)

Halbachse = (3594+9378)*1000/2 = 6486000 m
x2 = 9378000 m

vBahn2 = 1590.9 m/s

VBahn phobos  = 2136.8 m/s

Vdiff = VBahn phobos - VBahn2

Vdiff = 2136.8 - 1590.9 m/s = 545.9 m/s

Addiert man dies zu den 1428.2 m/s, so kommt man auf 1974.1 m/s, also viel weniger als die 3443.2 m/s die man bei direktem Einbremsen in den Phobos Orbit aufbringen muss. Unsere Sonde wäre nun noch leichter geworden - 661.2 kg bei reinem chemischen Antrieb ohne Aerocapture und 806.4 kg bei Aerocapture.

PhobosBei Phobos

Dieselben Formeln kommen nun bei einer Landung auf Phobos zum Einsatz - Die Sonde wird auf einem Orbit mit nahezu (aber nicht identischen Bahnparametern) sich langsam Phobos nähern und eine Landung entspricht einem Fall aus dem Unendlichen auf Phobos Oberfläche und der Rückstart ist das Einschlagen in eine Fluchtbahn von Phobos aus. Doch bei der kleinen Masse des Mondes braucht man dazu nahezu keinen Treibstoff. Der Wert beträgt für beide Manöver weniger als 12 m/s, entsprechend etwa 40 km/h.

Für die Landung reichen dann Stoßdämpfer und für den Rückstart ein kleiner Impuls des Raketentriebwerks um die Sonde um 12 m/s zu beschleunigen. Ein Fußballspieler könnte auf Phobos ohne Problem den Ball auf eine Fluchtbahn bringen.

Zurück zur Erde

Nun muss man noch von Phobos zurück zur Erde starten. Dazu muss man die Fluchtgeschwindigkeit des Mars in Phobos Entfernung aufbringen und die solare Differenzgeschwindigkeit (die wir ja zu 2700 m/s schon berechnet haben) aufbringen:

VRückstart = Sqrt( VSonde² + (VFlucht-VBahn phobos)²)

VFlucht kann man durch

VFlucht = Sqr(2) * VBahn phobos

damit reduziert sich der Term zu:

VRückstart = Sqrt( VSonde² + VBahn phobos)²)

VBahn phobos Wurde schon zu 2136.8 m/s ermittelt. Vflucht ist daher 3021.9 m/s

VRückstart ist dann bei VSonde von 2700 m/s genau 3443.2 m/s - logisch, denn es ist die Geschwindigkeit die man auch aufbringen muss um von der Sonnenumlaufbahn in diese Bahn einzuschwenken. Da praktisch alle Bahnmanöver umkehrbahn sind, ist dies jedoch eine ungünstige Lösung. Günstiger wäre es praktisch die Vorgehensweise wieder umzukehren: Anstatt direkt von dem Phobosorbit direkt zur Erde zurückzukehren, sollte man zuerst wieder eine elliptische Umlaufbahn einschlagen und in den marsnächsten Punkt den Antrieb zünden. Man benötigt dann nur die 545.9 m/s um zuerst in die elliptische Umlaufbahn zu gelangen und weitere 1428.2 m/s um zur erde zu gelangen. Also zusammen die gleichen 1974.1 m/s die man braucht zu Phobos zu gelangen.

Zur Erde würden dann nur noch 349.9 kg (nur chemischer Antrieb) oder 426.5 kg (mit Aerobraking) gelangen. In der Praxis wären es weniger, denn die Sonde muss ja auch auf Phobos landen und Proben nehmen. Von diesen gut 400 kg muss man dann noch das Gewicht der Treibstofftanks und das Triebwerk abziehen. Übrig bleiben dann etwa 200-280 kg.

Es macht keinen Sinn nun in eine Erdumlaufbahn einzuschwenken. stattdessen wird die Kapsel mit den Gesteinsproben direkt aerodynamisch landen. Ansonsten bliebe praktisch keine Nutzlast mehr übrig. Denn um z.B. in einen ISS Orbit einzuschwenken müsste man die Differenz der Geschwindigkeit um zum Mars zu gelangen (11300-11500 m/s) und die der ISS Bahn (etwa 7700 m/s) bilden - Das sind 3600-3800 m/s, also fast genauso viel wie bisher aufgewandt wurde und das hat schon die Nutzlast auf ein Sechstel reduziert. Es blieben dann nur noch etwa 30 kg übrig und dies auch nur wenn man dazu eine eigene Raketenstufe verwendet.

Optimierung

Das Abwerfen von unnötigen Raketenstufen ist auch der Schlüssel zur Maximierung der Nutzlast. Nimmt man an, das der leere Antrieb ein Sechstel der Treibstoffmasse ausmacht so kann man entweder eine oder zwei Raketenstufen einsetzen:

Eine Raketenstufe:

Treibstoff: Startmasse: - Endmasse
900.1 kg = 1250 kg - 349.9 kg

Antrieb = Treibstoff / 6 = 150 kg
Reine Sonde = 349.9 kg - 150 kg = 199.9 kg

Zwei Raketenstufen:

Treibstoff1: Startmasse: - Masse im Phobos Orbit
558.8 kg = 1250 kg - 661.2 kg
Antrieb1 = Treibstoff1 / 6 = 98.1 kg

Abwurf von Antrieb1 ergibt die neue Startmasse aus dem Phobos Orbit zurück zur Erde:

Startmasse2 = 661.2 kg - 98.1 kg = 563.1 kg

Die Ankunftsmasse bei der Erde beträgt bei dieser neuen Startmasse 297.8 kg

Treibstoff2: Startmasse2: - Erdankunft
265.3 kg = 563.1 kg - 297.8
Antrieb2 = Treibstoff2 / 6 = 44.2 kg
Reine Sonde = 265.3 kg - 44.2 kg = 221.2 kg

Die Nutzlast liegt also um 22.2 kg oder 11 % höher als bei einer Raketenstufe. Dies gilt auch bei einem Aerocapture Manöver, doch ist dann die Massebilanz insgesamt günstiger. unglücklicherweise kann man mit Aerocapture keine Geschwindigkeit aufbauen, sondern nur abbauen. Würde der Mars einen massiven Mond nahe der Oberfläche besitzen, so könnte man durch ein Swing-By Manöver Geschwindigkeit aufnehmen. Unser Mond ist dazu nur bedingt geeignet. Für einen Flug zum Mars ist er von geringem Nutzen. Wie berechnet braucht man 11.3-11.6 km/s um zum Mars zu gelangen. Um zum Mond zu gelangen braucht man aber auch schon 10.9 km/s. Man kann daher nur sehr wenig von einem Vorbeiflug profitieren. Bei weiter entfernten Zielen ist der Gewinn höher. Doch aufgrund der Masse unseres Monds liefert ein Vorbeiflug auch nur wenig mehr Geschwindigkeit. einige hundert Meter pro Sekunde sind möglich.


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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