Seit die Sowjets über Interkontinentalraketen verfügen hat sich in den USA einiges im Bewusstsein verändert. Die Supermacht bemerkt, dass sie verwundbar ist. Bislang war es doch so: Seit Mitte des 19 ten Jahrhunderts waren die USA die stärkste Macht auf dem amerikanischen Kontinent und brauchten sich vor keinem ihrer Nachbarn fürchten.
Mochten im 20.sten Jahrhundert andere Staaten Großmächte werden – Deutschland, Japan, Russland, so trennten in jedem Falle mindestens 5000 km Ozean diese Macht von Amerika – Für eine Invasionsarmee kaum zu schaffen und die Luftverteidigung und Marine wurde systematisch aufgebaut. Das gilt übrigens auch heute noch: Ohne die Möglichkeit, die ganzen Truppen in Nachbarstaaten des Irak zusammenzuziehen, hätten selbst die USA es schwer gehabt, den Irak anzugreifen.
Auch die Sowjetunion war keine Gefahr – selbst als sie über die Wasserstoffbombe verfügte Denn die Sowjetunion hatte Mitte der 50 er Jahre kaum strategische Bomber, welche bis zur USA fliegen konnten, und diese waren vom Modell Tu-95 Bear. Langsame Turboprop Maschinen. Diese hätten etwa 8-10 Stunden gebraucht um bis zu den USA zu fliegen. Genügend Zeit sie im Anflug mit RADAR zu entdecken.
Mit der Einführung der Semjorka, der ersten russischen ICBM änderte sich alles: Die Vorwarnzeit schrumpfte auf weniger als eine halbe Stunde, und es gab keine Abwehrmöglichkeit. Das führte zum einen zu einem enormen Wettrüsten – Mit dem Ziel so viele Waffen zur Verfügung zu haben, das genügend übrig blieben, um selbst bei einem Erstschlag den Gegner noch zu vernichten.
Das zweite war die Arbeit an einem Schutz, die praktisch in den 60 er Jahren begann und bis heute andauert.
Technisch gesehen kann man 3 Phasen unterscheiden:
Die erste Phase in den 60 er Jahren war der Aufbau eines Systems aus Nike und Sprint Raketen. Mit der damaligen Technik war es unmöglich einen Atomsprengkopf direkt zu treffen. Stattdessen plante man eine Atombombe (Sprint) oder Wasserstoffbombe (Nike) in die Nähe zu bringen und mit dieser Kernexplosion sie zerstören. Nachdem man Milliarden in das System investiert hatte und das erste aufgebaut hatte (mit 46 Raketen bei der Grand Forks AFB) wurde es nach nur 4 Monaten Operation wieder außer Dienst gestellt. Es gab Proteste und Prozessandrohungen von Farmern, die um eine radioaktive Verstrahlung ihres Landes fürchteten. Doch der wichtigste Punkt war, das es 1976, als es in Operation ging, obsolet wurde. Die Entwicklung von MIRV: unabhängig lenkbaren Mehrfach Sprengköpfen – veränderte die strategische Lage völlig. Vorher hatte man eine gewisse Chance mit einem vertretbaren Aufwand einen Sprengkopf abzufangen. Mochte man dafür vielleicht 2-3 Raketen brauchen um sicher zu gehen, so waren diese doch kleiner als eine ICBM – Der nötige Atomsprengkopf egalisierte dann aber diese Einsparungen. In der Summe wäre das Abwehrsystem zwar teurer gewesen, als die Raketen die es schützte, aber der Aufwand war noch vertretbar. Das änderte sich mit den MIRV. In der ersten Generation hatte eine russische ICBM nun 3 Sprengköpfe – man brauchte nun 3 mal mehr Abwehrraketen. Vor allem hatten die USA nun schon die zweite Generation im Dienst – mit 9-10 Sprengköpfen. Russland würde bald nachziehen und auch mehr MIRV pro Rakete installieren. Das machte ein Abwehrsystem unbezahlbar.
1983 kam dann die Vision von Reagan – SDI. Eine Vision, weil die Prinzipien zwar schön in Trickfilmen gezeigt wurden, aber niemals technisch beherrscht wurden. Das System bestand aus verschiedensten Komponenten: Im Weltraum aus Plattformen in Erdumlaufbahnen, mit Partikelkanonen, Railguns, Laserstrahlen welche Raketen möglichst noch in der angetriebenen Phase abschießen sollten, andernfalls die Sprengköpfe. Am Boden dann aus Laserkanonen, Abwehrraketen welche die Projektile im Endanflug abschießen sollten.
Mal abgesehen davon das wesentliche Schlüsseltechnologien fehlten – Die Detektoren die eine Rakete genau orten konnten, die Computerleistung so schnell einen Angriff von 1000 Raketen mit 10000 Sprengköpfen abzufangen, und die Raketen die diese Tausenden von Tonnen in den Weltraum befördern konnten, gab es bald auch prinzipielle Einwände.
Die Partikelkanonen kann man z.B. nicht in Erdmagnetfeld betreiben. Die Laser brauchten so hohe Energie, dass dies im Weltraum nur machbar wäre, über eine Explosion einer Atombombe – Pro Laser genau ein Schuss. Die Railguns schienen technisch möglich, doch die Geschwindigkeiten sind so gering, dass die Gravitation die Projektile über Hunderte von Kilometern stark ablenken würde.
Technisch gesehen war das Projekt praktisch nicht machbar, das war schon gleich zu Beginn klar. Für etwa 10.000 Sprengköpfe hätte man mindestens in dieser Größenordnung auch Abschussstationen gebraucht. Da diese im Orbit sich aber mit 7 km/s über die Erdoberfläche bewegen ist jede nur einige Minuten pro Umlauf in einer Position, wo sie eine Rakete abfangen kann – Man braucht also viel mehr Abwehrstationen als der Gegner Raketen.
Sehr bald zeigte sich, dass schon das einfache Lackieren oder Blankpolieren der Raketen ausreichte, um eine Zerstörung durch einen Laser zu verhindern oder zumindest dafür die 10 fache energiemenge nötig zu machen. Ein Billionen Dollar Programm wäre durch eine Lackierung mit Chromlack im Werte einiger Dollar pro Rakete sinnlos geworden….
Als Clinton 1993 ins Amt kam, wurde SDI erst stark herunter gefahren und dann eingestellt. Gekostet hat es in den 10 Jahren etwa 75 Milliarden Dollar.
Das neueste System versucht nun gar nicht mehr den Ganzheitsanspruch. Das System heute ist konventionell. Das Grundprinzip ist es die andere Rakete mit einem konventionellen Sprengkopf zu treffen. Nachdem die Patriot Raketen im Golfkrieg von 1991 einen gewissen Schutz boten, entwickeln nun die USA unter der Bezeichnung Ground-Based Midcourse Defense ein Abfangsystem für Interkontinentalraketen. Die Programmkosten werden mittlerweile mit über 87 Milliarden Dollar angegeben. Ziel ist es die Rakete oder den Sprengkopf direkt zu treffen. Die Abfangraketen haben eine um so bessere Chance die gegnerische Rakete zu treffen, je früher dies erfolgt, d.h. je langsamer die Rakete ist, und am besten noch in der Flugphase (größeres Ziel). Das ist der wesentlichste Grund, warum die US Regierung diese Raketen so nahe wie möglich bei Iran stationiert haben will, nicht um Europa zu schützen, wie dies so gerne betont wird.
Die bisherigen Versuche, einschließlich des Abfangens eines Spionage Satelliten, hatten einen systematischen Mangel: Sie sind sozusagen Idealbedingungen: Man weiß wo das Ziel kommt, kennt den genauen Zeitpunkt und vor allem befindet man sich in idealer Position. Das alles ist in der Realität nicht gegeben. Trotzdem verliefen nicht alle Tests reibungslos.
Neben diesem technischen Aspekt scheint aber niemand in Amerika ganz einfache Fragen zu stellen. Fragen wie: "Warum sollte Iran auf die Idee kommen eine Interkontinentalrakete auf Amerika abzuschießen?" Manchmal habe ich das Gefühl, das es da eine gewisse Paranoia gibt, zumindest in der politischen Führung. Aber sicher auch in einem Teil der Bevölkerung, denn sonst gäbe es Proteste gegen die Art Geld aus dem Fenster zu werfen.
Die Sache ist doch umgekehrt nur denkbar: Iran müsste Angst haben von den USA angegriffen werden. Das gleiche gilt für Nord-Korea. Keines dieser Länder hat in den vergangen Jahrzehnten irgendwann die USA bedroht oder angegriffen? Es war doch immer umgekehrt. Selbst wenn nun Iran über eine Rakete verfügt und vielleicht auch über die Atombombe, so wäre doch ein Angriff auf die USA der Selbstmord. Das ganze macht nur Sinn für einen Angreifer, der sich davor schützen will, dass als Verzweiflungstat dann ein Atomschlag folgt. Angesichts der Invasion des Irak wundert es auch keinen, dass nun in der ganzen Welt Nationen nach der Atombombe streben. Der Irak mag ein Unrechtsregime gehabt haben. Doch die Invasion wurde begründet mit Lügen. Und nicht demokratisch gewählte Regierungen oder einfach Regierungen die den USA nicht passen, gibt es ja mehr auf der Welt. Anstatt die Region sicherer zu machen, hat der Irakkrieg (abgesehen vom Irak selbst) die Weltlage weitaus unsicherer als sicherer gemacht.
Seit den 60 er Jahren haben die USA etwa 130 Milliarden für ein Raketenabfangsystem ausgegeben. Es werden, wenn das derzeitige GBMD System in Betrieb geht über 200 Milliarden sein – das ist so viel wie das Orion Programm und die ISS kosten. Eine enorme Summe, auch für die USA. Das schlimme ist aber dass ein solches System neben dem politischen Kollateralschaden den jetzt schon die Stationierung in Tschechien und Polen angerichtet hat dürfte es das Bestreben von Politikern wie GWB in den USA sich auf militärische Abenteuer einzulassen erhöhen. Es macht die Welt nicht sicherer, hat nur einen noch größeren Keil zwischen Russland und die USA getrieben und vielleicht funktioniert es nicht einmal.