… Zumindest wenn es um Raketentreibstoffe geht. Es ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, als Laie zu beurteilen, wann ein Antrieb wirtschaftlich profitabel ist. Doch die technische Seite kann man recht gut beleuchten. Ich stelle immer wieder fest, dass es eine Menge von Raumfahrt-Fans gibt, die zwar alles mögliche über Missionen wissen, aber die einfachen mathematischen Grundlagen nicht verstanden haben. Das zeigt sich dann in dem Vorschlag eine Stufe durch eine andere auszutauschen oder Triebwerke auszuwechseln und wenn man diese Vorschläge nachrechnet (wofür man keinen Computer braucht, ein Taschenrechner reicht aus) zeigt sich, dass diese Vorschläge die Nutzlast verringern.
Heute mal ein Plädoyer für Wasserstoff anhand eines praktischen Beispiels. Ich will es bewusst einfach halten, und nehme daher sehr allgemeine Annahmen an, die aber so in etwa gelten:
- eine Nutzlast von 10 t Gewicht soll auf 9500 m/s beschleunigt werden (Geschwindigkeit für einen niedrigen Erdorbit, 1700 m/s höher als die Orbitalgeschwindigkeit)
- Das Voll/Leermasseverhältnis soll bei Stufen mit LOX/LH2 bei 10 liegen, bei LOX/Kerosin bei 13.
- die Ausströmgeschwindigkeit bei Wasserstoff/Sauerstoff im Vakuum bei 4400 m/s bei LOX/Kerosin 3300 m/s
- die Ausströmgeschwindigkeit bei Wasserstoff/Sauerstoff auf Meereshöhe bei 4000 m/s bei LOX/Kerosin 3000 m/s
Ein Excel Sheet zum Nachrechnen habe ich beigefügt. Die hinsichtlich Stufenmassen nicht optimierte, aber dem Optimum recht nahe kommende Rakete liegt dann bei etwa 152.5 t bei LOX/LH2, aber bei 401 t bei LOX/Kerosin, obwohl diese vom Strukturfaktor besser ist. Das ist eben der exponentiell eingehende spezifische Impuls, der etwa 30 % geringer ist. Noch übler wird es bei der Abnahme der Nutzlast mit steigender Geschwindigkeit. Für den GTO Orbit (v=12000 m/s) sind es dann noch 2150 kg bei LOX/Kerosin und 3300 kg bei LOX/LH2. Hier müsste bei LOX/Kerosin das Stufenverhältnis verändert werden oder eine weitere Stufe hinzukommen. Bei Fluchtgeschwindigkeit (v=12700 m/s) sind es dann nur noch 950/2200 kg, der Unterschied liegt also beim Faktor 2.
LOX/Kerosin ergibt also nicht nur eine fast 3 mal größere Rakete (für den LEO Orbit), die Nutzlast nimmt auch noch stärker ab. In der Praxis würde man natürlich die Rakete für einen bestimmten Orbit optimieren oder eine dritte Stufe einführen. Eine dritte Stufe würde zwar die Nutzlast dann wieder anheben, aber auch die Kosten.
In jedem Falle wird aber immer eine LOX/LH2 Rakete immer leichter sein (wenn sie die gleiche Stufenzahl hat). Der Unterschied wird sogar noch größer bei höheren Geschwindigkeiten. Eine Rakete die 10 t auf Fluchtgeschwindigkeit in dreistufiger Version bringt wiegt etwa 360 t bei 3 LOX/LH2 Stufen und 1140 t bei LOX/Kerosin. Das wird immer so sein.
Warum ist LOX/LH2 dann so selten? Nun so selten ist es gar nicht. Wenn man die in Europa und den USA seit 1980 neu in Dienst gestellten Antriebe nimmt, dann überwiegt Wasserstoff/Sauerstoff. Das Problem ist, dass immer noch Antriebe fliegen die vor Jahrzehnten entwickelt wurden. Auch Russland machte mit dem RD-120 einen Schritt in diese Richtung, aber noch mehr als im Westen fliegen hier Jahrzehnte alte Antriebe. Die Entwicklungskosten einer Rakete sind so hoch und die Startkosten so gering, dass wenn nicht technische Gründe eine komplette Neukonstruktion nötig machen es nicht wirtschaftlich ist auf Wasserstoff/Sauerstoff zu wechseln. Bis man die Entwicklungskosten durch niedrigere Fertigungskosten wieder herein bekommt dauert es einfach zu lange wenn neuer ein Dutzend Starts pro Jahr erfolgen. Selbst SpaceX schätzt die Entwicklungskosten einer Falcon 9 mit kryogener Oberstufe auf 1-2 Milliarden Dollar. Bei rund 100 Millionen pro Start und vielleicht 20-30 % Gewinn dabei kann man sich ausrechnen wie viele Flüge notwendig sind um 1-2 Milliarden wieder rein zu bekommen. Sinnvoll ist es aber dann wenn man über einen solchen Antrieb verfügt ihn möglichst effizient einzusetzen. Daher finde ich die Ideen die Vulcain Stufe als Booster einzusetzen nicht dumm: Die Stufe existiert bereits und das Triebwerk auch. Dringend ist derzeit eine größere Oberstufe, doch wenn die existiert wäre es sicher sinnvoller anstatt einer noch weiteren Steigerung der Nutzlast an Wiederverwendung zu denken und so die Kosten zu senken.
Gibt es noch optimalere Treibstoffe: Theoretisch schon, praktisch sind die Alternativen dünn gesäht. Fluor/Wasserstoff liefert noch etwas höhere spezifische Impulse, doch der Gewinn liegt im einstelligen Prozentbereich. Optimal wären 3 Komponentenysteme bestehend aus Lithium/Beryllium und Wasserstoff als Verbrennungsträger und Sauerstoff/Fluor als Oxidator. Beryllium verbrannt mit Sauerstoff liefert sehr viel Energie, aber das Berylliumoxid wird schon bei recht hohen Temperaturen fest und leistet dann keinen Anteil mehr zum Schub. Daher setzt man Wasserstoff hinzu, der als Arbeitsgas auf hohe Temperaturen erhitzt wird und die molekulare Masse des "Abgases" rapide absenkt. Dadurch steigt der spezifische Impuls an. Das Problem ist nur, dass Beryllium und Lithium extrem teuer sind und zudem sind solche 3 Stoffsysteme auch technisch sehr aufwendig. Daher halte ich Wasserstoff/Sauerstoff für das Optimum, und dies wahrscheinlich für lange Zeit.