Bernd Leitenbergers Blog

Raumfahrer und Raumforscher

Am Samstag kam die neue SuW und darin ein Artikel von Eugen Reichl, wie er sich die nächsten 20 Jahre der Raumfahrt vorstellt. Der Artikel beginnt mit dem Problem der Finanzierung des Constellation Programmes, geht über in private Raumfahrtunternehmen die nach Ansicht des Autors alles besser machen sollen, und dann weiter zu internationalen Programmen. So prognostiziert der Autor ein nationales Marsprogramm von Russland neue Raketen und Raumschiffe und China soll auch auf dem Mond landen und schließt mit der Lamentiererei warum Europa seiner Ansicht nach zu wenig tut.

Ich kann schon die Einschätzung der Fakten nicht teilen. So ist eine „mündliche Übereinkunft“ die ISS bis 2020 zu betreiben absolut nichts wert – es gibt genug Beispiele von Verträgen mit der NASA, die wegen Haushaltskürzungen einseitig von den USA gebrochen wurden. Nicht zuletzt die ISS ist ein gutes Beispiel dafür: 2002 gab es Pläne sie nicht mehr fertigzustellen weil sie zu teuer ist. So tragisch es klingt: Columbia hat dies verhindert. Auch die Einschätzung des russischen Weltraumprogrammes ist sehr befremdlich, da in dem letzten Jahrzehnt praktisch alle neuen Projekte eingestellt, auf unbestimmte Zeit verschoben oder verzögert wurden. Als Beispiel seien nur genannt: die seit Jahren propagierte Raumsonde „Venera D“, die zweimalige Startverschiebung von Phobos-Grunt (nur durch chinesische Finanzspritzen überhaupt zustande gekommen), die Einstellung des Weltraumbahnhofs Swobodny und die schleppende Entwicklung der Angara. Dieselbe Basisstufe könnte schon längst zur Verfügung stehen, wenn es genug Geld gäbe, wie die Naro zeigt, bei der Korea für eine kleine Abwandlung des Angara URM zahlte. Klar gibt es laufend neue hochfliegende Pläne für neue Programme und Raketen, aber es wird nichts umgesetzt. Das durfte sich bei geringer werdenden Einnahmen aus Erdölverkäufen auch nicht bessern. Heute stößt schon die Routineversorgung der ISS an die Grenzen der Leistung Russlands. Die ESA will Sitze an Bord von Sojus Kapsel kaufen, doch so wie es aussieht kann Russland keine weiteren Flüge mehr durchführen. Die Raumfahrtindustrie ist soweit heruntergewirtschaftlich, dass nun die Versorgungsflüge zur ISS an der Kapazitätsgrenze sind.

Der Optimismus bei China und Indien ist auch stark von Wunschdenken geprägt. China dürfte das gleiche Problem wie Russland haben, durch die globale Rezession brechen auch hier die Einnahmen weg. Bislang ist das chinesische bemannte Raumfahrtprogramm auch überschaubar: Ein bemannter Flug pro Jahr mit Nachbauten von Sojuskapseln auf 30 Jahre alten Trägern ist nicht gerade viel und die neue Generation, ebenso wie neue Trägerraketen, existieren bislang nur auf dem Papier. Zumindest der Erstflug der CZ-2G sollte schon vor einem Jahr stattfinden.

Indien konzentriert sich vornehmlich auf die unbemannte Forschung und hat auch hier mit Rückschlägen zu kämpfen. Die GSLV erreicht bei weitem nicht die Sollnutzlast, Chandrayaan fiel schon nach 10 Monaten aus und die Weiterentwicklung der GSLV Mark III verläuft auch nicht nach Zeitplan.

Auch beim privaten Raumfahrtsektor kann ich die optimistischen Aussagen nicht teilen. Zum einen stimmen angeführte Fakten nicht (die angegebenen Startpreise von SpaceX sind 2 Jahre alt und inzwischen haben sich die Startpreise verdoppelt) und zum zweiten orientiert sich auch gerade diese Firma inzwischen vorwiegend auf den Regierungsmarkt. Damit wird das Henne und Ei Problem (nur billige Flüge machen neue Anwendungen möglich) auch nicht durchbrochen. Immerhin teile ich eine Einschätzung des Autors: In den Raumfahrtfirmen arbeiten inzwischen mehr Juristen als Ingenieure und sie haben es sich bequem gemacht, im Auftrag von Regierungen zu entwickeln. Ich würde das sogar noch weiter führen: Zumindest in Europa ist es so, dass EADS laufend irgendwelche neue Projekte präsentiert, welche die ESA finanzieren soll, selbst aber nicht dafür sorgt, dass schon laufendes Kerngeschäft wie die Ariane 5 Produktion profitabel ist zum Beispiel indem der Konzern selbst die ESC-B Oberstufe entwickelt, wenn die ESA dies nicht tut, alleine um im Geschäft zu bleiben. Stattdessen bettelt man um 960 Millionen Euro Zuschuss zur Produktion.

Der Autor ist übrigens Betriebswirt in einem Raumfahrtkonzern und damit selbst ein Ausdruck dieser Negativentwicklung. Das erklärt vielleicht auch die optimistische Einschätzung, sind heute Hauptprodukte der Raumfahrtfirmen ja keine Satelliten und Trägerraketen mehr sondern PowerPoint Präsentationen.

Diese lange Diskussion über den Artikel führt mich zu meinem eigentlichen Beitrag: Es ist nämlich das was fehlt: Der ganze Artikel ist nur fokussiert auf bemannte Raumfahrt, selbst wenn es um private Raumfahrt geht, so ist dann die Rede vom Passagiertransport und beim Henne und Ei Problem wird deutlich, dass der Autor tatsächlich daran glaubt, dass irgendwann jedermann wird ins Weltall fliegen können. Nirgendwo wird nach dem Sinn dessen gefragt. Das ist – ohne zahlreichen Bloglesern nahetreten zu wollen – eine weitverbreitete Haltung bei Personen die sich für bemannte Raumfahrt interessieren. Ich will diesen Menschenschlag mal so charakterisieren wie ich ihn erlebt habe: Es geht dabei weniger um die Technik, oder um Forschung, die eigentliche Aufgabe der Astronauten. Es geht mehr darum dass jemand da ist. Überspitzt gesagt: Die ISS ist dazu da, dass jede Nation vermelden kann „Wir haben da einen Astronauten“ (so wird jede Aktivität von Frank de Winne nun bei der ESA mit einer Nachricht gewürdigt) dazu ist ganz wichtig, dass es viele bunte Bildchen und Videos von freischwebenden Astronauten gibt. Das ganze ist also ein Selbstzweck. Oder es geht bei Mond- und Marsexpeditionen überspitzt darum zu sagen „Wir sind dagewesen“.

Charakteristisch sind auch Vergleiche wo woanders Geld ausgegeben wird, wie z.B. dem US-Verteidigungshaushalt oder notleidenden Banken so in dem Tenor: „Wenn man 10 % des US-Verteidigungshaushalts für das Constellationprogramm ausgibt, dann wäre man schon vor 2018 auf dem Mond“. Nur läuft das nicht in der Realität so. Wenn den USA es gelingt die Verteidigungskosten zu senken so wird man wohl zuerst das Staatsdefizit abbauen oder andere Baustellen schließen, so wie die nicht vorhandene medizinische Grundversorgung. Es wird sich wohl keine Mehrheit für einen Flug auf den Mond finden, solange Millionen von Amerikanern ohne Krankenversicherung dastehen und das Geld für diese Basisversorgung fehlt. Gerne verdrängt wurde auch, dass das Apollo Programm in einer Zeit florierender Wirtschaft mit fast zweistelligen Wachstumszahlen und niedriger Arbeitslosigkeit durchgeführt wurde, und es eines der ersten Dinge war, die zusammengestrichen wurden, als Vietnamkrieg und wirtschaftliche Rezession die Einnahmen verringerten.

Weiterhin charakteristisch ist dieselbe naive Einstellung, die sich dann bei Diskussionen äußert. Da gehen sehr bald die Sachargumente aus und die Gegenüber werden, dann meist als „Gegner der bemannten Raumfahrt“ bezeichnet. So nach dem Motto: „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns“. Vor allem erspart das einem sachliche Argumente für die eigene Position zu finden.

Es gibt aber auch noch eine zweite Gruppe von Personen die sich für „Raumfahrt“ interessieren nämlich die an der Forschung interessierten, nennen wir sie mal „Raumforschungsinteressierte“. Ich würde mich dazu zählen. Schon das Grundinteresse ist ein anderes. Es geht primär darum, mehr über unsere Welt – die Erde, Planeten und das Universum zu erfahren und Satelliten und Raumsonden sind hier lediglich Werkzeuge. Das Interesse gilt dann sowohl den Ergebnissen, wie auch der Technik mit der diese gewonnen wird. Ich habe z.B. kein Problem von zahlreichen Raumsonden mindestens ein Experiment aus dem Stand heraus zu beschrieben und die Ergebnisse wiederzugeben. Ich kenne aber keinen Befürworter der bemannten Raumfahrt, der dies bei mehr als einem der Experimente an Bord der ISS könnte. Da es um Ergebnisse geht, sind die Missionen auch kein Selbstzweck – wenn eine zu teuer wird, so wird sie eingestellt, wie jetzt gerade Exomars. Es gilt immer abzuwägen zwischen Nutzen und Kosten. Wenn erdgebundene Teleskope leistungsfähig genug sind benötigt man keine Raumsonde. Gerade dies unterscheidet einen „Raumforscher“ von einem „Raumfahrer“. Die Frage nach dem Nutzen wird dort kaum gestellt, die Kosten dann immer mit Aufwendungen für andere Zwecke verglichen, niemals aber mit unbemannten Projekten. Denn dann ist die Entscheidung recht eindeutig.

Warum ich, wie viele andere die sich für Forschung interessieren, eine gewisse Antipathie für bemannte Raumfahrt entwickelt habe ist, weil es seit mehreren Jahrzehnten nach demselben Schema läuft: Wenn es ein teureres bemanntes Projekt gibt und es finanziell aus dem Ruder läuft, dann wird es nicht eingestellt, sondern viele unbemannte Projekte werden gekürzt oder gestrichen. Als Ende der 70 er Jahre das Space Shuttle zu teuer wurde und dann noch nach Challenger weitere Mittel nötig wurden, da stand z.B. die planetare Raumfahrt der USA für ein Jahrzehnt still: Zwischen 1978 und 1989 startete keine einzige Raumsonde, weil zeitweise das Space Shuttle 2/3 des Gesamtetats der NASA ausmachte. Als das Constellation Programm angekündigt wurde, flogen im Budget 2006 massenhaft geplante anspruchsvolle unbemannte Missionen aus dem NASA Programm. Und das alles für ein paar Videos von schwebenden Astronauten? Es läuft nun mal nicht so, wie sich die naiven Raumfahrtenthusiasten denken. Es gibt heute nicht mehr einen kalten Krieg der Unsummen freisetzt nur um erster zu sein. China ist da übrigens auch keine Ausnahme: diese wenigen bemannten Flüge mit Shenzou werden nicht von vielen unbemannten Missionen ergänzt: Auch hier ist das unbemannte Programm recht klein und das bemannte dient nur als Beweis „Wir können es“. Im Westen braucht man nicht darauf hoffen, dass es einen Gemeinkonsens für ein teures bemanntes Programm gibt. Ein solches ist meiner Ansicht nach nur durchführbar, wenn es eine kurze, verständliche Antwort auf die Frage nach dem „Warum sollen wir dafür so viel Geld ausgeben?“ liefert und das können weder ISS, noch das Constellation Programm.

Gibt es eine Lösung für beide Gruppen? Ja es gibt eine, aber sie wird nicht umgesetzt: Trennung der Etats von bemannter und unbemannter Raumfahrt. Die Zielstellung sind recht unterschiedlich. Bei der unbemannten Raumfahrt geht es primär um Forschung, sekundäre Aspekte sind Prestige oder PR-Erfolge oder die Weiterentwicklung von Technologien. Bei der bemannten Raumfahrt geht es primär um Prestige und sekundär um Forschung. Die Weiterentwicklung von Technologien ist inzwischen schon fast nicht mehr als Sekundärziel zu bezeichnen, da die Sicherheitsanforderungen eher zu einem Rückgriff auf schon bewährtes verleiten, wie man bei den Ares Raketen sehr deutlich sehen kann. Dann sollte das erste aus dem Forschungsetat finanziert werden und das zweite aus einem Etat für Werbung oder PR. Dann muss der Staat zuschießen, wenn Columbus 4 Jahre am Boden steht und trotzdem dreistellige Millionenbeträge pro Jahr verschlingt, aber er beschneidet nicht den Etat für die Forschung. So wäre eine faire Koexistenz gewährleistet. Nur wird es nicht so kommen. Die bemannte Raumfahrt wird nicht ausgegliedert werden, weil dann jeder ihre Kosten offensichtlich sieht. Heute geht das noch recht gut, weil sie zusammen mit der unbemannten Forschung in einem Topf ist, dann wird eben auch auf die Satelliten und Raumsonden verweisen oder andere teure Großprojekte wie beim CERN (dabei aber geflissentlich unterschlagen dass dort einige Tausend Wissenschaftler tätig sind, während es bei den Experimenten an Bord der ISS maximal Hundert sind). Das eine schließt natürlich nicht das andere aus: Sollte es tatsächlich ein Experiment geben dass unbedingt von Menschen durchgeführt werden muss dann kann dies natürlich vom Forschungsbudget finanziert werden. Nur lief es bisher immer umgekehrt: Während bei einer unbemannten Mission zuerst die Experimente selektiert werden und dann die Raumsonde für diese Experimente gebaut wird, ist es bei der bemannten Raumfahrt so, dass zuerst ein Raumfahrzeug entwickelt wird, und dann die Entwickler dieses Forschern Mitfluggelegenheiten für Experimente anbieten, die sie dann nichts oder wenig kosten (wahrscheinlich weil sonst der Ansturm recht gering ist).

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