Bernd Leitenbergers Blog

Mit der Railgun in den Orbit

Bei den Diskussionen über die Reduktion der Startkosten vergisst man eine Möglichkeit: Einen Teil der Startenergie nicht durch eine Rakete aufzubringen. Nun mit einem Flugzeug wird man nicht mehr als Mach 1-3 schaffen, wobei die Nutzlast stark abnimmt und RAMJETS und SCRAMJETS sind immer noch experimentell und brauchen selbst einen Antrieb der sie auf Mach 2-3 beschleunigt. Was jedoch geht, ist die Nutzung einer elektromagnetischen Kanone.

Es gibt zwei Hauptgattungen die Railgun und Coilgun. Sie beschleunigen beide mittels einer Wechselwirkung von elektromagnetischen Feldern wobei im einen Fall die Lorenzkraft und im anderen Fall Magnetfelder die Beschleunigung erbringen. Auf dieser Basis entstanden schon Kanonen die kleine Metallkugeln auf die Geschwindigkeit von Satelliten beschleunigen – benutzt z.B. um Meteoritenschutzschilde zu testen oder Meteoritenkrater künstlich zu erzeugen aber auch die Magnetschienenbahn, die etwas anders das gleiche technische Grundprinzip umsetzt. Die US Army arbeitet an einem Geschütz das Mach 7 (rund 2100 m/s) Geschossgeschwindigkeit erreicht und bis zu 64 MJ Energie aufweist – das wäre immerhin bei dieser Geschwindigkeit ein 29 kg schweres Projektil.

Damit kann man also einige Kilometer pro Sekunde erreichen, und wie die Magnetschienenbahn zeigt auch große Massen beschleunigen. Bei einer hinreichend langen Beschleunigungsstrecke mit vielen Kondensatoren (sie speichern die Energie, die in einem kurzen Augenblick abgegeben werden muss) müsste es auch möglich sein einen Satelliten zu beschleunigen.

Das Problem ist nur die Länge der Beschleunigungsstrecke. Eine Rakete, die schnell beschleunigt braucht trotzdem einige Zeit, bei den schnellsten Raketen so 200-300 Sekunden um die Orbitalgeschwindigkeit zu erreichen und sie legen dabei einige Hundert Kilometer zurück. Eine so lange Beschleunigungsstrecke wäre auf der Erde schwer möglich – vor allem keine lineare. Als Kreisring wie in CERN würde es sicher gehen. Doch ein Körper der auf einer Kreisbahn läuft wird dauernd durch eine Kraft auf diese Bahn gezwungen und bei einigen Kilometern pro Sekunde Kräfte auf einen Körper einwirken zu lassen die ihn in eine Kreisbahn zwingen klappt nur bei sehr kleinen und leichten Elementarteilchen.

Weiterhin sollte der Austrittspunkt möglichst hoch sein, damit die Atmosphäre ihn nicht stark abbremsen kann. So ist der ideale Ort eine Beschleunigungsstrecke mit einer leichten Steigung an einem Berghang. Sie sollte möglichst lang sein, da nach der einfachen Formel Weg = (Zeit²)*Beschleunigung /2 der zurückgelegte Weg immer größer wird je höher die Beschleunigung ist.

Ich halte für einen idealen Startpunkt den Kilimandscharo. Er ist ein erloschener Vulkan der sich 4200 m über der umgebenden Ebene erhebt. Es gibt zwar höhere Berge, aber es geht nicht um die absolute Höhe sondern die Beschleunigungsstrecke. Sie sollte möglichst lang sein was von Höhendifferenz zur umgebenden Ebene abhängt (die z.B. auch beim Mount Everest nicht höher ist, weil eben das Hochplateau des Himalajas höher liegt) und der Steigung – die ist beim Kilimandscharo recht niedrig. Um die Strecke noch zu erhöhen sollte es in der anderen Richtung (unter der Erde) weiter gehen. Die tiefsten Goldminen in Südafrika sind 4 km tief. Zusammen mit den 4,2 km die der Gipfel vom Kilimandscharo über der Ebene liegt sind das 8,2 km. Bei einer Steigung von 20 Grad ist das eine Beschleunigungstrecke von 24 km. Ich habe mal in einer Tabelle die maximale Endgeschwindigkeit aufgeführt für einige mittlere Beschleunigungen:

Beschleunigung Endgeschwindigkeit Zeit
55 m/s 1624 m/s 29,5 s
100 m/s 2190 m/s 21,9 s
200 m/s 3098 m/s 15,5 s
400 m/s 4381 m/s 10,9 s
800 m/s 6196 m/s 7,75 s
1600 m/s 8763 m/s 5,47 s

Bei einer hohen Beschleunigung erreicht man also eine Geschwindigkeit, die ausreicht einen Orbit zu erreichen. Die Frage ist nun: Wie viele g’s hält ein Satellit auf. Bei Raketen liegt die Beschleunigung bei unter 6 g. Da wäre also die erste Zahl relevant. Immerhin erreicht man so über 1600 m/s – das ist in etwa die Geschwindigkeit bei der bei Ariane 5 die Booster abgetrennt werden. Doch das Hauptproblem bei Satelliten ist nicht die lineare Beschleunigung sondern das Rüttel und Schütteln. So halte ich 100 m/s durchaus für möglich – schon steigt die Endgeschwindigkeit auf 2,1 km/s. Bei Eintauchsonden gab es früher schon kurzzeitig höhere Verzögerungen von bis zu 350 g, aber eben leider nur kurz. Trotzdem sind auch 2,1 km/s nicht zu verachten. Einen weiteren Antrieb braucht der Satellit sowieso, denn er muss die Bahn zirkularisieren.

Die Steigung hat auch einen Einfluss auf den Geschwindigkeitsvektor, der ja nicht nur in die Orbitalrichtung zeigt. Bei 20 Grad Steigung und 2190 m/s Endgeschwindigkeit hat die Nutzlast nach verlassen des Rohrs eine Geschwindigkeit von 1933 m/s parallel zur Erde und 1027 m/s senkrecht dazu, würde so also bis auf 54 km Höhe steigen wo dann spätestens der Zusatzantrieb einspringen müsste.  Es gibt so für jede Orbitalhöhe ein ideales Steigungs/Geschwindigkeitspaar, für das man die „Railgun“ optimieren könnte.

Wie würde es gehen?

Es wäre eine Beschleunigungsstrecke mit zahllosen Punkten an denen die Nutzlast in einer aerodynamischen Verkleidung jeweils einen Energiestoß erhält und dabei schneller wird. Da anders als bei bisherigen Kanonen man gute 24 km Strecke hat und so sehr viele Spulen bauen kann verbunden jeweils mit einer eigenen Stromversorgung, müsste es nicht viel schwieriger sein als heute ein kleines Geschütz wo die Abgabe nur in einem Impuls erfolgt. Idealerweise ist die Beschleunigsstrecke luftleer und erst beim Austritt in die Atmosphäre in 5,9 km Höhe wird ein dünnes Siegel vor dem Rohr von dem Projektil durchbrochen. Es steigt dann zur Gipfelhöhe auf, wo der eigene Antrieb zündet. Vorher wird die aerodynamische Verkleidung abgesprengt. Feststofftriebwerke müssten diese Prozedur ohne Problem überleben, bei niedrigen Beschleunigungen auch Antriebe mit flüssigen Treibstoffen. Nimmt man die Zahlen für 100 m/s Beschleunigung und rechnet 600 m/s aerodynamische Verluste dazu (übernommen aus den Zahlen für eine projektierte Railgun für die US-Marine), so wären noch rund 6300 m/s aufzubringen. Eine Stufe mit dem spezifischen Impuls des Vinci Triebwerks (4560 m/s) könnte so bei 10 t Startmasse noch 2500 kg in den Orbit befördern. Zieht man die Leermasse der Stufe von etwa 1,2 t ab, so wären dies noch rund 1,3 t – immerhin 13 % der Startmasse.

Bei höheren Beschleunigungen wird der Vorteil noch höher. Bei 200 m/s Beschleunigung steigt die Nutzlast bei gleichen Daten schon auf 23 %. Geht es nur um den Materialtransport in eine Umlaufbahn, so ist die Beschleunigung weitgehend unproblematisch, dann sind auch 1600 m/s möglich und man braucht nur einen kleinen Antrieb um das Perigäum von Meereshöhe auf die Orbithöhe anzuheben und ein Nutzlastanteil von 80-90 % ist möglich.

Warum wird es nicht getan?

Weil man damit keine Menschen in den Orbit befördern kann, die halten höhere Beschleunigungen nicht aus. Eine solche Strecke mit 24 km Röhren, Beschleunigern bis 4 km unter der Erde und bis in 6 km Höhe erfordert hohe Anfangsinvestitionen, die sich zwar bei vielen Starts leicht amortisieren würden, wenn die Nutzlast verdoppelt oder vervierfacht wäre, aber solche Summen bekommt man nur für bemannte Systeme.  Daher wird es wohl niemals gebaut werden.

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