Bernd Leitenbergers Blog

Atommüllentsorgung im Weltall – wohin?

Ich habe mich ja schon mal mit dem Thema beschäftigt, mehr von einem praktischen Gesichtspunkt aus. Heute ein mehr theoretischer Exkurs. Die Idee Atommüll im Weltraum zu entsorgen ist ja nicht neu. Es gab sie schon in den Siebzigern. Damals ging man sogar davon aus, dass es sich lohnt. Das ist natürlich begrenzt auf den richtig hochradiokativen Atommüll, also abgebrannte Brennstäbe, die aufgearbeitet wurden und eben das Material das dann noch üblich bleibt. Also das was bei uns auch im Endlager lagern soll. Das sind in Deutschland rund 16 t pro Jahr, also eine Menge die wir heute mit Trägerraketen ins All bringen können. Der gesamte leichtradioaktive und mittelradioaktive Abfall müsste zuerst aufgearbeitet und konzentriert werden. Das ist wahrscheinlich nicht lohnend und seine Radioaktivität ist auch deutlich geringer.

Neben der Menge ist ein wichtiges Kriterium, wie lange man es lagern muss. Die häufigste Zeit die ich vernommen habe sind 240.000 Jahre, das sind 10 Halbwertszeiten des langlebigsten Isotops im Müll, Plutonium-239 von 24110 Jahren, bei dem die Radioaktivität auf ein Tausendestel (genau 1/210  = 1/1024) absinkt. Jede Lösung im All muss also mindestens über diese Zeit stabil sein, sprich es muss gewährleistet sein, dass in dieser Zeit der Müll nicht mehr zur Erde zurückkommt.

Prinzipiell gibt es drei Lösungen:

Fangen wir mal mit dem ersten an. Das naheliegendes sind Erdumlaufbahnen. Ganz nahe Erdumlaufbahnen sind nicht gut geeignet. Die Atmosphäre bremst hier alles in auch für menschliche Maßstäbe kurzer Zeit ab. So wurde z.B. ROSAT 1990 in eine 580 km hohe Umlaufbahn gestartet. Ohne Korrekturmöglichkeiten sank er langsam immer weiter ab und steht nun 21 Jahre später vor dem Wiedereintritt. Allerdings nimmt die Dichte der Atmosphäre und damit ihr Abbremseffekt schnell ab, wenn man sich weiter von der Erde entfernt. Der passive Erdvermessungssatellit Lageos wurde bewusst in eine Umlaufbahn gestartet, die sehr geringen Störungen unterworfen ist, weil man durch Vermessung der Signallaufzeit von Laserstrahlen die Erdgestalt genau vermessen wollte. Seine Bahnhöhe von 6.000 km sollte über 8 Millionen Jahre stabil sein, wesentlich länger als die 240.000 Jahre die gefordert sind.

Entfernt man sich noch weiter von der Erde, so wird ihr Einfluss kleiner und andere Störeinflüsse, wie die von Mond und Sonne nehmen zu und die Lebensdauer nimmt wieder ab.

In den siebziger Jahren erschienen niedrige Umlaufbahnen als eine tolle Lösung, denn sie sind mit geringem Geschwindigkeitsbedarf erreichbar (für eine 6.000 km höhe Kreisbahn benötigt man aus einem 200 km Orbit nur zwei Manöver mit zusammen 2,1 km/s zusätzlicher Geschwindigkeit) und das noch schnell. Damals waren das Vorteile, denn wer weiß ob der heutige Atommüll dann nicht ein wertvoller Rohstoff ist (schon heute kann man ja in schnellen Brütern aus Abfall Energie gewinnen, nur ist diese Technologie doch recht umstritten). Heute spricht die zunehmende Verschmutzung des Weltraums mit Schrott gegen diese Überlegungen. Die NASA hatte diese Möglichkeit bei einer Studie daher auch nur auf Platz 5 gesetzt, wobei sie bewusst eine höhere Umlaufbahn in 55.000 km (jenseits der Umlaufbahn von GEO-Satelliten) als Ziel ansetzte.

Die Alternative sind Sonnenumlaufbahnen. Sofern diese die Erdbahn nicht kreuzen, besteht keine Kollisionsgefahr, jedoch verändern dann auch die anderen Planeten die Umlaufbahn über geologische Zeiträume. Die NASA hielt eine Umlaufbahn zwischen Erde und Venus für eine gute Lösung. Erde und Venus sind ungefähr gleich schwer, ihr Einfluss ist also bei gleichem Abstand gleich groß, was diese Umlaufbahn stabilisieren sollte. Bei einer Bahn zwischen Erde und Mars muss diese deutlich näher beim Mars liegen und bedingt durch die schweren Planeten jenseits von Mars besteht dann eher die Möglichkeit, dass der Müll auf den Mars auftrifft. Die NASA Referenzbahn in 0,85 AE Entfernung wäre über mindestens 1 Million Jahre stabil und erfordert einen Energieaufwand von 4,6 km/s zur Shuttle Umlaufbahn (3,3 km/s um die Erde zu verlassen und 1,3 km/s um die Bahn zu zirkularisieren). Das ist nicht viel mehr als für eine 55.000 km hohe Erdumlaufbahn (4 km/s), allerdings kommt man nun nicht mehr so einfach an den Müll heran. Er wäre dann wirklich für immer weg. Sie war der Sieger der NASA Selektion bei den Möglichkeiten.

Platz 4 der NASA Untersuchung war eine Mondumlaufbahn, die etwas höhere Geschwindigkeiten (4,25 km/s), mindestens drei Schubmanöver erfordert und bei der es Bedenken hinsichtlich der Langzeitstabilität gab.

Das leitet über zu den zweiten Möglichkeiten. Er entspricht so dem menschlichen Prinzip den Müll woanders (Wald, Nachbarn) einzuladen. Das naheliegendste ist der Mond. Mit 3,1 km/s mehr zur Erdumlaufbahn bringt man Müll auf einen Kollisionskurs. Er schlägt drei Tage später mit rund 2,5 km/s auf dem Mond auf. Das Problem ist dabei, dass Teile davon auch die Mondfluchtgeschwindigkeit erreichen und wieder auf der Erde landen können. So kamen wir auch zu Meteoriten vom Mond. Also müsste man es weich landen, wobei man das dann besser auf der Rückseite macht, dann treffen uns nicht mal die Strahlen und wenn er durch Meteoriten beschädigt wird, ist die Gefahr auch geringer. Dazu benötigt man rund 6,1 km/s und es sind mindestens fünf Manöver nötig. Bei den anderen Möglichkeiten waren es nur zwei. Zudem ist es organisatorisch sehr aufwendig: Auf der Mondrückseite hat man keinen direkten Funkkontakt. Die NASA Studie sie auf Platz 2 ein. Das Depot wäre dann in ferner Zukunft leicht erreichbar und man könnte den Müll leicht wieder bergen.

Die Gefahr das was bei einer direkten Kollision zurückkommt besteht auch beim Mars. Bei der Venus ist sie durch die dichte Atmosphäre nicht gegeben. Dorthin benötigt man nur 3,5 km/s, aber damit man sie gezielt erreicht, muss man die Bahn aktiv verändern. Die anderen Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) erfordern noch höhere Geschwindigkeiten und auch Reisezeiten und auch hier muss die Bahn über Jahre aktiv kontrolliert werden.

Die Kollision mit der Sonne selbst erfordert noch deutlich höhere Geschwindigkeiten und eine gute Abschirmung, schließlich will man verhindern, dass der Atommüll vorher verdampft und in einer Umlaufbahn welche die Erde streift, wieder auskristallisiert. Die 24 km/s die man heute benötigt, sind heute technisch nicht erreichbar. Dafür wäre nur ein Schubmanöver nötig. Möglich ist der Umweg über Jupiter, also Jupiter lenkt die Bahn so um, dass der Müll in die Sonne stürzt. Nur kann man ihn dann auch gleich in den Jupiter stürzen lassen. Zum Jupiter benötigt man rund 6,6 km/s relativ zu einer niedrigen Erdumlaufbahn. Der direkte Sturz in die Sonne kam so nur auf Platz 6 bei der erwähnten NASA Untersuchung.

Das letzte ist der Weg auf Nimmerwiedersehen. Wir kennen das ja auch auf der Erde. Einfach den Müll auf hoher See mal kurz auskippen…. Damit dies klappt, muss man nicht nur die Fluchtgeschwindigkeit der Erde überwinden (sonst erreicht man nur eine Sonnenumlaufbahn, welche regelmäßig die Erdbahn kreuzt), sondern die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem. Das sind rund 8,8 km/s relativ zur Erde. Dann verschwindet der Müll wirklich für immer, vielleicht landet er mal auf einem anderen Stern, aber viel wahrscheinlicher ist, dass er seine Runde um das Zentrum der Galaxis zieht. Der Riesenvorteil dieses Konzepts, ist das nur ein Schubmanöver nötig ist also, die Zündung in der Erdumlaufbahn. Eine einfache Raketenstufe reicht aus, während bei allen anderen Manövern mindestens eine weitere Zündung nach Stunden bis Monaten erforderlich ist. Das vereinfacht vieles und macht es auch billiger und zuverlässiger. Diese Möglichkeit kam auf Platz 3 bei den NASA Untersuchungen.

Hier nochmal eine Zusammenfassung der Möglichkeiten. Zu den Geschwindigkeiten ist zu sagen, dass 4 km/s in etwa einer Reduktion der Nutzlast auf ein Viertel entspricht. Entsprechend sinkt sie bei höheren Geschwindigkeiten leicht exponentiell ab. Die bisher höchste Geschwindigkeit die eine Raumsonde direkt von der Erde aus erreichte waren 16,9 km/s bei New Horizons. Das sind 9,1 km/s mehr in einer Erdumlaufbahn. Die Nutzlast der Atlas 551 nahm dabei von 20.520 kg in eine Erdumlaufbahn auf rund 490 kg ab.

Beschreibung Platz Geschwindigkeit
Sonnenumlaufbahn zwischen Erde und Venus in 127,2 Millionen km Entfernung 1 4,60 km/s
Depot auf der abgewandten Mondoberfläche 2 6,05 km/s
Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnenumlaufbahn 3 8,80 km/s
Mondumlaufbahn 4 4,25 km/s
Erdumlaufbahn in 55.000 km Höhe 5 4,00 km/s
Direkter Sturz in die Sonne 6 24,00 km/s

Quelle:  Analysis of space systems study for the space disposal of nuclear waste study report. (mehrere Bände)

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