Also am Sonntag bin ich beim Surfen über den Wikipedia Eintrag über Udo Pollmer gestolpert. Wer ihn nicht kennt: Udo Pollmer ist ein Lebensmittelchemiker der sehr oft in den Meiden vorkommt. Ihn „nicht unumstritten“ zu nennen ist gelinde gesagt eine leichte Untertreibung, entsprechendes spiegelt sich auch in den Wikipedia Diskussionseiten wieder. Schon als ich studierte galt Udo Pollmer als das schwarze Schaf bei den Lebensmittelchemikern. Udo Pollmer ist ziemlich provokant und einige der Aussagen von ihm sind grenzwertig. Ich nehme mal die aus dem Wikipediaartikel:
„Von Rohkost wird wegen erhöhter mikrobiologischen Belastung und Darmbeschwerden abgeraten“: Auch unter Ernährungswissenschaftlern ist erwiesen, das reine Rohkost, eine Sonderform des Vegetarismus nicht empfehlenswert ist, es fehlen zahlreiche Vitamine und Spurenelemente und die Resorptionsrate ist sehr gering. Doch ich denke das meint er nicht. Was er meint ist, das Rohkost für uns schlecht verdaulich ist, was ebenso unumstritten ist. Die meisten Allergeien in Deutschland gibt es gegen Gemüse. Sie sind bei Rohkost besonders ausgeprägt und dass die ballaststoffreiche Nahrung Blähungen verursacht ist ebenso unumstritten. Das die in dem Artikel zweimal erwähnte Aussage „Rohe Lebensmittel übertragen Krankheitskeime“ korrekt ist, ist ebenso unumstritten. Was leider im Wikipedia Artikel nicht klar ist, ob er sich generell gegen rohe Nahrungsmittel wendet oder nur gegen die Rohkost als Lebensform. Denn natürlich spricht nichts dagegen in Maßen Obst und Gemüse (z.B. als Salat) roh zu essen.
Dass der BMI nicht alleine das Maß aller Dinge ist, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. Zum einen hat die Ernährungsforschung inzwischen noch andere Kennzahlen eingeführt wie Waist to Hip Ratio und Taillenumfang und zum anderen wären nach dem BMI Bodybuilder extrem adipös und Kinder dürften gar nichts wiegen.
Das Panschereien in den Lebensmitteln zugenommen haben ist nicht nur seine Meinung, sondern auch meine. Ich beobachte das beim Untersuchen von Lebensmitteln immer mehr. Qualitativ hochwertige Zutaten werden durch billige ersetzt, so Milchfett durch Pflanzenfett, nicht erlaubte Farbstoffe durch färbende Lebensmittel umgangen etc. Nicht umsonst gibt es heute das Berufsbild des „Food Designers“. Pollmer polarisiert aber extrem und er macht sich angreifbar, z.B. indem er 1994 E.U.L.e gründete: Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften. klingt nach einem Forschunginstitut, ist aber nichts anderes als ein eingetragener Verein, mit ihm als Leiter … Mangelnde Geltungsssucht kann man ihm zumindest nicht unterstellen.
Ich gehe darauf nur ein, weil ich zeigen will, dass man sich mit Pollmer objektiv und sachlich auseinandersetzen kann, denn was mir dann aufstieß ist die Aussage von Ibrahim Elmadfa, in Deutschland bekannter Ernährungswissenschaftler „Konstruktive Kritik wäre gut, aber Pollmer spricht nicht unsere Sprache, er gehört nicht zu unserem Kreis. Außerdem ist er Chemiker, nicht Ernährungswissenschaftler“.
Also als Ernährungswissenschaftler würde ich mich nicht besonders weit aus dem Fenster lehnen. Ich habe das Fach in der Schule gehabt und es besteht eigentlich aus zwei Fächern. Es ist ein Teilbereich der Biochemie, der sich nur mit der Verdauung der Nahrung beschäftigt und ein Teilbereich der Medizin, der sich mit den Krankheiten beschäftigt die durch die Ernährung verursacht werden. Nun der erste Teil ist wissenschaftlich abgesichert. Für ihn gabs sogar etliche Nobelpreise.
Bei dem medizinischen Teil sieht es ganz anders aus. Im Prinzip versucht die Ernährungsforschung eine Ursache Wirkungsbeziehung herzustellen. Das klappt in der Medizin leidlich gut bei einem Medikament das eine bestimmte Wirkung an einer Stelle des Stoffwechsels hat oder irgendwo in ein körpereigenes System spezifisch eingreift. Was die Ernährungswissenschaft dagegen versucht, ist eine Aussage zu treffen, ob z.B. Olivenöl die Lebenserwartung oder die Gesundheit fördert. Das dies im Prinzip den ganzen Menschen betrifft und wir noch dazu unterschiedlich sind mit unterschiedlicher genetischer Prägung macht die Sache nicht einfacher und vor allem nützt anders als bei medizinischen Studien es ja nichts, wenn man eine Kurzzeitstudie durchführt. Es geht ja um das Leben. Was nützt es wenn sich ein Krankheitsbild verbessert und man dann später früher an einer anderen Krankheit stirbt?
Zahlreiche Empfehlungen wurden teilweise oder ganz einkassiert, so die für Salz, extrem cholesterinarme Ernährung und wie ich inzwischen erfahren habe, sieht die Ernährungsforschung inzwischen auch die Omega-6 Fettsäuren, die wichtigste Klasse an essentiellen Fettsäuren nicht mehr so positiv. Das war als ich noch in der Schule war anders.
Trotzdem vertreten zahlreiche Ernährungswissenschaftler noch die Theorien, als seien sie in Stein gemeißelte Erkenntnis oder kaschieren zumindest, dass man sie per Prinzip nicht beweisen kann mit hübschen Worten wie „evidenzbasiert“ (was dem Ernährungsforscher sein evidenzbasiert ist, ist dem Soziologen sein „empirische Feldforschung“).
Was mich aber besonders ärgert, ist die Behauptung er wäre Chemiker und versteht damit nichts von Ernährung. Also ich wäre da bescheidener. Zum einen gehört es zum Beruf eines Lebensmittelchemikers über Ernährung Bescheid zu wissen. Denn eine wesentliche Aufgabe ist die Beurteilung der Werbeaussagen die sich nicht auf die Chemie sondern Ernährungsphysiologie beziehen. Das Fach ist bei allen Berufen rund um die Ernährung wohl das interdisziplinärste. Die Kernaufgabe ist es Lebensmittel zu beurteilen und das nicht nur chemisch, sondern rauch rechtlich. Dazu gehören dann Kenntnisse in Recht, man muss Kenntnisse in der Technologie haben um die Zusammensetzung und das Produkt zu beurteilen und eben in Biochemie/Toxikologie/Ernährung um die Wirkung auf den Menschen oder nur Werbeaussagen zu beurteilen. Demgegenüber muss sich ein Ernährungswissenschaftler nur wenig mit den Nahrungsmitteln beschäftigen. Ihm reichen einige Tabellenangaben über die Zusammensetzung.
Ich habe einige Bücher über Ernährungslehre im Schrank, darunter übrigens eines von Elmadfa und mein Eindruck ist nun nicht gerade, „das ist ein schwieriges Fach“. Also ich kann die flüssig lesen ohne es studiert zu haben, darunter auch das von Elmadfa, das nach den Amazon-Wertungen der Hammer sein soll. Es ist eben ein Auswendiglernfach, bei dem man nun nicht gerade viel Verständnis haben muss. Umgekehrt hat auch Elmadfa ein Buch über Lebensmittelchemie geschrieben und das habe ich mir angeschaut. Also ich hätte mit dem Buch mein Examen nicht bestanden, denn es ist wie Ernährungsbücher kein Verständnisbuch, sondern ein Buch das Tatsachen aneinanderreiht. Also wenn ich selbst ein Buch über ein fremdes Fach schreibe und dabei scheitere, dann würde ich wirklich meine ´Klappe halten über die Qualifikation derer aus diesem Fach. So tauchen dann auch im Wikipediaartikel wirkliche Falschaussagen nicht auf. Ich habe mir die Videos seines Vereins mal angeschaut und da sagt er, dass Stoffe in Bitterorangen und Bananen bewirken dass wir uns besser fühlen oder Bananen mögen. Das Thema ist ja nicht neu. Zahlreiche Lebensmittel enthalten in kleiner Menge Vorstufen von Neurotransmittern und dann wird eine für die Stimmung positive Wirkung postuliert: nur sind die Konzentrationen dafür zu gering und exogen aufgenommene Substanzen können die Blut/Gehirnschranke nicht passieren. Das ist so typisch Pollmer, der Mix von Wahrheit und falschen Schlüssen daraus.
Was viel mehr helfen würde, wäre wenn jemand von den Ernährungswissenschaftlern auch in den Fernsehsendungen auftritt. Wenn ich Pollmer sehe, dann meistens in einer illustren Runde, in der er der einzige vom Fach ist. Dann kommen dann meistens noch Verbraucherschützer, die nicht so tief in der Materie drin sind, Industrievertreter die mehr der Gewinn als die Zusammensetzung ihrer Produkte interessiert oder Verbraucher dazu. Daher ist es auch recht einfach dass seine Aussagen unwidersprochen sind.
Das ist natürlich auch eine Forderung an die Medien, denn warum ist Pollmer bei den Medien so beliebt? Eben weil er so kontroverse Themen hat und relativ provokativ rüberkommt. Aus dem gleichen Grunde taucht ja auch Thilo Bode aus, der noch viel schlimmer ist, denn als Politologie ist er auch noch fachfremd. Für ihn ist alles Skandal was er nicht kennt und wenn man seinen Forderungen folgt läuft das auf eine Kultur des Protektionismus raus, also Mozzarella nur noch aus Büffelmilch, Schwarzwälder Schinken muss nicht nur im Schwarzwald hergestellt werden, sondern die Schweine müssen auch davon stammen (was das Produkt enorm verknappt und teurer macht).