Bernd Leitenbergers Blog

Stratolaunch: Eine genauere Betrachtung des Konzepts

Um das Konzept von Stratolaunch beurteilen zu können, muss man wissen wie sich die Gesamtenergie bei einem Raketenstart verteilt. Der größte Teil entfällt natürlich auf die Energie, die man braucht um einen Orbit zu erreichen. der zweite Punkt der ebenfalls exakt berechenbar ist, ist die Hubarbeit: Genauso wie jemand Arbeit verrichtet, der etwas in das oberste Stockwerk hebt, so bedeutet auch, das Satelliten in meistens über 180 km Höhe ihre Kreise ziehen, dass man Energie aufwenden muss um sie erst dorthin zu heben.

Während man diese ersten beiden Posten exakt berechnen kann und sie auch unabhängig vom Raketentyp sind, gilt das nicht für die nächsten drei Punkte:

Am Beispiel einer Rakete bei der diese Werte bekannt sind, sollen diese drei Verluste mal mit Zahlen belegt werden:

Die Ariane 1 ist in Form und Schub/Gewichtsverhältnis mit einer Falcon 9 vergleichbar. Bei ihr gibt es folgende Werte:

Mann sieht schon: die gesamten Verluste von 1623,3 m/s sind klein im Vergleich zur Geschwindigkeit die erreicht werden muss. Kann man nun durch Stratolaunch viel davon einsparen?

Nun zum einen findet der Start nicht bei Tempo 0 statt, sondern der Geschwindigkeit mit der das Flugzeug fliegt. Es wird sicher im Unterschallbereich sein. Nimmt man das Tempo eines typischen Passagierjets an, so sind dies rund 900 km/h, rund 250 m/s.

Die Abtrennung erfolgt in 9000 m Höhe, etwas unterhalb der Zone in der bei den meisten Raketen der Punkt mit maximaler aerodynamischer Belastung liegt und dieser Punkt wird mit niedriger Geschwindigkeit passiert. Man kann also eine Reduktion der aerodynamischen Belastung annehmen. Eine Halbierung halte ich für möglich. Das sind dann etwa 60-70 m/s Gewinn

Ein niedriger Orbit liegt in rund 180 km Höhe. nun sind es nur noch 171 km um ihn zu erreichen. Das wird die Gravitationsverluste etwas absenken. Das macht jedoch wenig aus, nur etwa 10 m/s.

Was allerdings verringert wird sind die Verluste durch Unterexpansion, da in 9000 m Höhe weniger als die Hälfte des Luftdrucks wie am Boden herrschen. Ein Drittel weniger sollte hier möglich sein. Das sind weitere 30 m/s.

Zusammen sind das dann Einsparungen von rund 360 m/s. Das ist nicht viel. Würde man 360 m/s mehr Geschwindigkeit erreichen müssen, indem man vom Erdboden aus startet, so würde dies bei einer angenommen Trockenmasse der zweiten Stufe von 2 t die Nutzlast von 6,1 auf 5,25 t absenken, Für einen Gewinn von weniger als 14 % Nutzlast ein eigenes Trägerflugzeug zu entwickeln ist also nicht wirtschaftlich sinnvoll.

Natürlich spart man eine Startanlage am Boden ein. Doch gerade die Falcon 9 Anlage zeigt ja gerade, dass diese recht minimal und daher kostengünstig gebaut werden kann. Die Kosten für eine zweite Startrampe in Vandenberg wurden von SpaceX mit rund 80 bis 125 Millionen Dollar beziffert. Man kann davon ausgehen, dass die Entwicklungskosten für das Trägerflugzeug von Stratolaunch bei seiner Größe die einen A380 in Schatten stellt sicher teurer kommt.

Bleibt nur ein Vorteil, der gerne erwähnt wird: Der Start kann von überall aus auf der Welt erfolgen. Nur was ist der praktische Nutzen?

Bei Bahnen mit niedriger Inklination würde man etwas gewinnen, da von Cape aus maximal 28 Grad Inklination möglich sind. Nur werden in solche Bahnen nur geostationäre Satelliten befördert. Dafür ist die Rakete aber zu klein, Mit 6,1 t LEO Nutzlast wird die GTO Nutzlast unter 2 t liegen, Die gewonnenen 55 m/s durch die Erdrotation machen da auch den Kohl nicht fett.

Die meisten Starts einer Rakete in diesem Nutzlastsegment gehen in sonnensynchrone Bahnen. Bei diesen Bahnen mit Inklinationen über 90 Grad ist die geographische Breite des Startortes absolut irrelevant. Selbst bei ISS-Missionen (wofür auch die Rakete zu klein ist, sie könnte nicht einmal eine leere Dragon befördern) gibt es keinen Nutzen, da auch hier die Inklination mit 51,7 Grad höher als die der US-Startorte ist.

Stattdessen gibt es neue Risiken. Bisher war es bei vier Starts nur einmal möglich, pünktlich zu starten. Einmal wurde der Start nach Zündung der Rakete abgebrochen (dritter Flug) und  ein defektes Teil musste ausgewechselt werden (hier wäre die Rakete bei einem Abwurf verloren gewesen), beim Jungfernflug wurde der Countdown mehrmals unterbrochen und einmal auch wenige Sekunden vor dem Start abgebrochen – wenn die Rakete dann schon ausgeklinkt worden wäre, wäre sie ebenfalls verloren gewesen und beim zweiten Start betrugen die Verzögerungen mehrere Stunden, soviel Zeit hätte wohl bei begrenzten Treibstoffvorräten nicht zur Verfügung gestanden.

Das grundsätzliche Problem einer Rakete mit flüssigen Treibstoffen ist, das sie komplexer als eine Feststoffrakete ist, deswegen werden im Militär ja nur diese eingesetzt. Ein Countdown erstreckt sich über Stunden. Und die Gefahr von Verzögerungen oder kleinen Problemen die zu einem „Scrub“ führen sind höher. Bei einer Falcon 9 dauert der gesamte Countdown über 7:30 h. Selbst wenn man den Teil nur nimmt, nachdem die Tanks voll sind (ab dann kann das Flugzeug abheben) ist man bei 3:15 h. De fakto gibt es viel was gegen das Vorhaben spricht. So verdampft laufend flüssiger Sauerstoff. Er kann nicht mehr nachgefüllt werden.

Neben allgemeinen Bedenken, wenn eine so große Nutzlast transportiert wird, gibt es auch spezifische bei einer Rakete mit 200 t Flüssigkeit. Wie verändert Schwappen des Treibstoffs oder verändern Flüsse beim Aufstieg die Gewichtsbilanz, welche Kräfte wirken dann? Die Hülle der Rakete muss angepasst sein, da nun nicht nur wie bei normalen Starts die meisten Lasten in der Längsachse wirken, sondern auch zusätzliche senkrecht dazu. Das Zusatzgewicht für eine stabilere Hülle kann dann leicht den Gewinn durch den Start aus der Luft mehr als kompensieren.

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