Ich wurde in einer Mail gefragt ob ich noch mehr zu Redoxreaktionen bei Raketen wüsste und das brachte mich auf den heutigen Blogeintrag. Zuerst einmal: was sind Redoxreaktionen? Eine Redoxreaktion ist eine Reaktion bei der ein Stoff oxidiert und der andere reduziert wird. Die meisten chemischen Reaktionen bei denen Energie frei wird sind Redoxreaktionen, so Verbrennungen egal ob mit Feuer oder beim Nährstoffabbau („Kalorien verbrennen“). Raketen sind natürlich ein gutes Beispiel, hier spricht man schon bei den Komponenten des „Treibstoffs“ von „Oxidatior“ und „Verbrennungsträger“, wobei man im chemischen Sinne, letztes auch als Reduktionsmittel ansehen kann.
Man kann die Redoxreaktion in zwei Teilvorgänge aufteilen, eine in der ein Stoff Elektronen abgibt (Oxydation) und eine in der ein anderer Stoff Elektronen aufnimmt (Reduktion). In reiner Form findet man dass bei der Oxidation von Metallen (Rostbildung, Anlaufen von Silber) wo ein Stoff seine Elektronen ganz abgibt und der andere Aufnimmt. Bei Reaktionen unter Nichtmetallen ist es im chemischen Sinn eher so zu verstehen, dass die Elektronen geteilt werden und die Bindung so gelagert ist, dass die Elektronen im Mittel mehr bei dem einen Partner als dem anderen sind.
Doch auch hier hat man sich angewöhnt das absolut zu sehen und hat dafür ein System eingeführt, dass man Oxidationszahlen nennt. Die Oxidationszahlen geben an ob ein Stoff reduziert oder oxidiert wurde. Steigen sie, so wurde er oxidiert, sinken sie, wird er reduziert. Das System ist relativ einfach. Es gibt einige Regeln die man auf der Wikipedia nachlesen kann.
Würde man die Elemente in stöchiometrischen Verhältnissen verbrennen, also eine vollständige Stoffumsetzung so wäre es relativ einfach. Für LOX + LH2 gilt z.B:
2 H2 + O2 → 2 H2O
Der Wasserstoff ändert seine Oxidationszahl von 0 auf +1, er wird also oxidiert, der Sauerstoff seine Oxidationszahl von 0 auf -2, er wird also reduziert.
Nun wird aber immer ein Stoff im Überschuss verbrannt, meistens das Reduktionsmittel, da man es zum einen für Hilfszwecke braucht (Brennkammerkühlung, Antrieb des Gasgenerators) zum andern so eine Oxidation der Brennkammer verhindert werden kann und zum dritten es oftmals günstiger ist wenn die Abgase keine zu hohe Molekularmasse haben, was der Fall ist wenn die Umsetzung nicht vollständig erfolgt.
Bei LOX/LH2 ist z.B. ein gängiges Verhältnis 6:1 anstatt dem stöchiometrischen 8:1. Bei stöchiometrischer Umsetzung erhält man nur Wasser, das hat Atommasse 18. Bei 6:1 erhält man 96,4% Wasser und 3,6% Wasserstoff. Das senkt aber die Atommasse von 18 auf 14, da Wasserstoff eine neunmal niedrigere Atommasse hat. Die Molekülzahl ist sogar um 33% angestiegen. Die Reaktionsenergie verteilt sich zwar auf mehr Moleküle, doch aufgrund der allgemeinen Gasgesetze nimmt so die Ausströmgeschwindigkeit nur wenig ab.
Der hohe spezifische Impuls von Beryllium verbrannt mit Wasserstoff und Sauerstoff beruht z.b. nur darauf, dass Beryllium weitgehend quantitativ zu Berylliumoxid verbrennt, dieses als Salz leicht ausfällt und die Energie auf den ungebrannten Wasserstoff überträgt, der dann mit hoher Geschwindigkeit, da kleine Molekülmasse die Düse verlässt.
Interessanter sidn Reaktionen von Elementen die mehrere Oxidationsstufen haben. Das ist beim Wasserstoff und Sauerstoff nicht der Fall. Der Sauerstoff ist immer zweiwertig, der Wassertoss Einwertig. Verbindungen wie OH sind daher radikalischen Charakters und instabil, wie auch die Ausgabe von FCEA2 zeigt:
*H 0.03893 0.03242 0.00000
HO2 0.00003 0.00002 0.00000
*H2 0.24869 0.24557 0.24402
H2O 0.65551 0.67825 0.75598
H2O2 0.00001 0.00000 0.00000
*O 0.00413 0.00277 0.00000
*OH 0.04849 0.03800 0.00000
*O2 0.00421 0.00298 0.00000
Die drei Spalten sind in der Brennkammer, am Düsenhals und an der Düsenmündung (Entspannungsverhältnis 100, Brennkammerdruck 40 bar). Es wird also praktisch nur H2O und H2 an der Düse abgegeben.
Verbrennt man dagegen Kerosin, ein Gemisch von Kohlenwasserstoffen mit Sauerstoff, so ändert sich das Bild. Kohlenstoff hat zwei stabile Oxidationsstufen: +2 und +4. Neben Kohlendioxid entsteht auch Kohlenmonoxid, beim häufig eingesetzten Verhältnis von 1,6 zu 1 z.B.
*CO 0.31693 0.31105 0.23148
*CO2 0.14644 0.15901 0.27484
COOH 0.00001 0.00001 0.00000
*H 0.03286 0.02882 0.00003
HCO 0.00002 0.00001 0.00000
HO2 0.00009 0.00005 0.00000
*H2 0.08233 0.08040 0.12485
H2O 0.31997 0.33515 0.36880
H2O2 0.00001 0.00001 0.00000
*O 0.01419 0.01105 0.00000
*OH 0.06603 0.05664 0.00000
*O2 0.02112 0.01779 0.00000
Es entsteht fast gleichviel Kohlenmonoxd wie Kohlendioxid, daneben noch unverbrannter Wasserstoff und Wasser. Wie bei der Verbrennung von LOX/LH2 senkt dieser die Atommasse und sorgt für eine höhere Ausströmgeschwindigkeit.
Stickstoff hat noch mehr Möglichkeiten. Stabile Oxidationsststufen sind hier -3,0,+3,+5, wobei man mit Stickoxiden die etwas ungewöhnlichen Oxidationsstufen +2 und +4 findet, hier lässt der Sauerstoff keine andere Wahl. Verbrennt man Aerozin-50 (40% Hydrazin, 50% UDMH) mit Stickstofftetroxid im Verhältnis 1.6:1 zu bekommt man folgendes Ergebnis:
CH4 0.00000 0.00000 0.00047
*CO 0.13923 0.13789 0.02902
*CO2 0.03413 0.03653 0.14642
*H 0.01397 0.00866 0.00000
HCO 0.00001 0.00000 0.00000
*H2 0.17372 0.17570 0.28616
H2O 0.32357 0.32976 0.22964
NH3 0.00001 0.00001 0.00001
*NO 0.00132 0.00056 0.00000
*N2 0.30319 0.30542 0.30829
*O 0.00045 0.00015 0.00000
*OH 0.01005 0.00520 0.00000
*O2 0.00033 0.00011 0.00000
Der Kohlenstoff und Wasserstoff wird fast vollständig oxidiert, nur wenig Kohlenmonoxid entsteht. Beim Stickstoff ist der elementare Stickstoff so stabil, das er fast ausschließlich entsteht, der ganze Sauerstoff also mit dem Kohlenstoff und Wasserstoff reagiert. Doch es gibt auch einige Überraschungen. So entstehen kleine Mengen an Methan und Ammoniak, obwohl noch nicht das ganze Kohlenmonoxid umgesetzt wurde. Diese wasserstoffreichen Moleküle sind energiereich, würden sich also selbst als Treibstoff eignen. Der Anteil an Methan nimmt sogar mit steigendem Expansionsverhältnis zu. Der Grund ist relativ einfach: Der Sauerstoff ist verbraucht und nun reagiert der Wasserstoff mit dem Kohlenmonoxid und bildet dabei ein bisschen Methan.
Noch etwas komplizierter wird es bei dem festen Treibstoffen, hier eine Mischung von 14% HTPB, 19% Aluminium und 67% Ammoniumperchlorat:
*AL 0.00015 0.00007 0.00000
ALCL 0.00920 0.00612 0.00000
ALCL2 0.00064 0.00042 0.00000
ALCL3 0.00026 0.00023 0.00000
ALH 0.00005 0.00002 0.00000
ALHCL 0.00003 0.00002 0.00000
ALHCL2 0.00007 0.00005 0.00000
*ALO 0.00009 0.00003 0.00000
ALOCL 0.00025 0.00015 0.00000
ALOH 0.00408 0.00224 0.00000
ALOHCL 0.00050 0.00026 0.00000
ALOHCL2 0.00071 0.00051 0.00000
AL(OH)2 0.00008 0.00003 0.00000
AL(OH)2CL 0.00013 0.00007 0.00000
AL(OH)3 0.00002 0.00001 0.00000
AL2O 0.00010 0.00003 0.00000
AL2O2 0.00001 0.00000 0.00000
*CO 0.23894 0.24006 0.23306
*CO2 0.00473 0.00443 0.01439
*CL 0.00543 0.00441 0.00000
CL2 0.00001 0.00001 0.00000
*H 0.02638 0.02062 0.00000
HCN 0.00002 0.00001 0.00000
HCO 0.00002 0.00001 0.00000
HCL 0.11796 0.12393 0.13927
*H2 0.38300 0.39160 0.42299
H2O 0.05901 0.05366 0.03337
NH3 0.00002 0.00001 0.00000
*NO 0.00008 0.00004 0.00000
*N2 0.06852 0.06877 0.06963
*O 0.00006 0.00003 0.00000
*OH 0.00168 0.00103 0.00000
AL2O3(a) 0.00000 0.00000 0.08729
AL2O3(L) 0.07772 0.08110 0.00000
Wir finden fast kein Kohlendioxid, dafür viel Kohlenmonoxid, weil das Aluminium noch ein stärkeres Reduktionsmittel ist. Das Chlor reagiert fast ausschließlich zu Salzsäure, erstaunlicherweise finden wir sehr viel ungebrannten Wasserstoff. dass liegt daran dass diese Mischung weit vom stöchiometrischen Verhältnis entfernt ist, das bei 6,8% Binder, 6,6% Aluminium und 86,6% Ammoniumperchlorat liegt – es fehlt an Sauerstoff. Dieser reagiert fast ausschließlich mit dem Aluminium und oxidiert nur teilweise den Kohlenstoff, der dann Wasserstoff abspaltet. Das die Gleichgewichtslage so beschaffen ist, wird bei der Kohlevergasung praktisch ausgenutzt und ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff erzeugt. Derselbe Reaktionsmechanismus liegt auch dem Vorschlag zugrunde aus Kohlendioxid und Wasserstoff Methan und Sauerstoff auf dem Mars zu gewinnen. (Wobei allerdings der Sauerstoff energieintensiv aus dem Wasser gewonnen werden muss).
Der Effekt des Wasserstoffs ist sehr groß, vor allem bei Treibstoffen bei denen die Moleküle sonst recht schwer sind. Hier der theoretische Vakuum-Impuls bei Gleichgewichtsreaktion bis zum Düsenhals für UDMH/NTO. Das stöchiometrische Verhältnis ist bei 3.03. Dort findet man auch das Maximum, doch selbst ein extremer Unterschuss (1.0, also nur ein Drittel der benötigten Oxidatormenge) führt nur zu geringem Absinken. Wird das optimale Verhältnis dagegen überschritten, so sinkt der spezifische Impuls stark ab.