Bernd Leitenbergers Blog

Acetam und andere neue Treibstoffe

Es ist schon erstaunlich. Obwohl die Chemie der Treibstoffe bekannt ist, alle guten Kombinationen längt identifiziert wurden, tauchen doch regelmäßig neue Kombinationen auf die viel mehr Nutzlast versprechen. Ich bin schon mal auf Methan/LOX eingegangen, nun wird gerade die Acetam Kuh durchs Raketenstädtchen getrieben.

Auch ohne das man es genauer durchrechnet kann man eine Einstufung von Acetam, das eine nicht genauer spezifizierte Mischung von Ammoniak mit Ethin (den meisten Nichtchemikern als Acetylen bekannt) machen.

Wir haben bei Acetam die Verbrennung eines Kohlenwasserstoffes mit einem Stickstoffwasserstoff. So etwas gab es schon mal als Kombination LOX/UDMH. Der einzige Unterschied ist, das UDMH Kohlenwasserstoff und Stickstoffwasserstoff in einem Molekül ist. Er entspricht einer Mischung von 50 Ethin und 50% Ammoniak. Ohne die Kondensation hat der Ammoniak noch ein Wasserstoffatom mehr, doch ist das entscheidend? Der Wert von UDMH/LOX ist bekannt unter Normalbedingungen bei denen diese angegeben werden (Brennkammerdruck 7000 kpa, Außendruck 100 kpa) liegt er bei 3010 m/s. Die erste Version der Kosmos (11K63) nutzte diese Kombination in der Oberstufe, die im Vakuum mit einer sehr großen Entspannungsdüse einen spezifischen Impuls von 3450 m/s. erreichte. Das ist hoch, doch erreicht ein LOX/RP-1 Triebwerk wie das RD-0124 auch eine Ausströmungsgeschwindigkeit von 3531 m/s.

Das tolle heute ist, ist das man das nicht mehr ungesehen glauben muss. Man kann nachrechnen. Ich habe mit FCEA2, das sich jeder von der NASA runterladen kann. Die wesentlichen Daten für die Simulation sind als FCEA File diese:

problem
phi,eq.ratio=1.3 rocket
equilibrium
frozen
nfz=1 p,bar=80, sup,ae/at=25, 
react fuel=C2H4(L) wt=100 t,k=135 oxid=O2(L) wt=100 t,k=90 fuel=NH3(L) wt=0 t,k=239
end

 

Es ist eine Verbrennung bei 80 bar Brennkammerdruck mit einer Düse mit einem Expansionsverhältnis von 25 (typisch für eine Startstufe). Das Treibstoff/LOX Verhältnis habe ich auf 30% Überschuss festgelegt, das ist ein gängiger Wert und entspricht z. B bei LOX/LH2 von 6,15 zu 1 oder LOX/RP-1 von 2,67 zu 1.

Wenn man nun die Mischungsverhältnis von Ethin/Ammonaik anpasst, das eine von 100% auf 0 sinken lässt und das andere von 0 auf 100, so bekommt man folgende Kurven.

Für alle die nicht so sehr mit der Materie vertraut sind: „Frozen“ und „equilibrium“ sind zwei mathematische Annahmen über das chemische Gleichgewicht. Frozen liefert zu geringe Werte, equilibrium dagegen zu hohe. Die Wahrheit liegt also irgendwo in der Mitte, meist mehr bei Frozen. Beim RD-180 als einem dieser Treibstoffmischung verwandten Triebwerk sieht es z.B. so aus:

CEA“ „Frozen“ CEA2 „equilibrium“ RD-180 entspricht
spez. Impuls Boden 3165,1 3366,2 3050 m/s
spez. Impuls Vakuum 3301,9 3518,2 3315 m/s 94% frozen

Bei einem Bodentriebwerk kommen noch weitere Verluste hinzu, sodass hier der Wert sogar noch unterhalb von „frozen“ liegt. Man kann aber anhand des Vakuumwerts annehmen, das die realsten Werte von Acetam mehr bei „frozen liegen“.

Nach dem Equilibriumwerten ist es klar – Ethin ist der bessere Treibstoff. Sie sinken bis 30% Ammoniak erst langsam, dann stark an. Bei Frozen ist die Situation komplizierter. Es gibt zwar auch einen Abfall bei hohem Ammoniakanteil, aber ein lokales Maximum, das bei etwa 50-60% Ammoniakanteil Allerdings: Wir reden hier über ein wirklich kleines Maximum. Hier liegt der spezifische Impuls bei 3315 m/s, während es bei 100% Ethin 3280 m/s, also nur 35 m/s weniger sind.

Lohnt sich dafür der Aufwand? Ethin ist bei normalem Druck nicht flüssig, es sublimiert sofort bei -83,8°C. Es wird technisch bei 48 Bar verflüssigt. Damit es flüssig bleibt muss ein Druck von mehr als 1,27 bar aufrechterhalten werden. Etwas unangenehmer ist aber, das flüssiges Acetylen zur Selbstzersetzung in Kohlenstoff und Wasserstoff neigt. Das wird natürlich sehr lustig, wenn das passiert wenn man damit eine Brennkammer kühlt, denn das passiert schon ab 200°C in der Gasform. Meiner Meinung nach ist das ein absolutes k.o Kriterium für den Einsatz als Raketentreibstoff.

Ammoniak ist zwischen -77,7 und -33 Grad flüssig und LOX zwischen -222 und -182 „C. Das bedeutet man hat drei Treibstoff mit unterschiedlichen Temperaturen und braucht eine entsprechende Isolierung.

Was hat man für den Aufwand? Nun man kann die Mischung mal mit den Werten für die gleiche Bedingungen ermittelten für LOX/RP-1 und LOX/Methan vergleichen.

40% Ethin, 60% Ammoniak LOX/RP-1 LOX/Methan
spez. Impuls Boden (frozen) 3165,7 3044 3182,8
spez. Impuls Boden (frozen) 3315,8 3192,1 3340,8
spez. Impuls Boden (equilibrium) 3324,9 3215,7 3316,2
spez. Impuls Vakuum (equilibrium) 3516,5 3416,7 3509,2

Also unter eingefrorenem Gelichgewicht ist es 120 m/s besser als LOX/RP-1 aber 20 m/s schlechter als LOX/Methan. Bei freiem Gleichgewicht schrumpft der Vorsprung bei LOX/RP-1 auf 100 m/s. Methan/LOX liegt gleichauf mit 10-20 m/s Unterschied.

100-200 m/s bekommt man aber alleine als Gewinn, wenn man effizientere Triebwerke einsetzt, also entweder höherer Brennkammerdruck oder größere (erweiterbare) Expansionsdüsen. Nur als Beispiel: Das Ersetzen des RD-0110 in Block I der Sojus durch das RD-0124 steigerte den spezifischen Impuls von 3187 auf 3521 m/s, also um mehr als 300 m/s. Ein entsprechender Gewinn ist bei den unteren Blöcken möglich, wenn man dort das RD-191 oder NK-33 einsetzt. Hier mal für LOX/RP-1 Impulse für verschiedene Brennkammerdrücke (bei eingefrorenem Gleichgewicht und Vakuum)

Expansionsverhältnis 40 80 160 240
80 Bar Brennkammerdruck 3117,4 3222 3305,1 3345,6
160 Bar 3283,8 3354,7 3429,7 3460,7
240 bar 3306,5 3388,9 3454,7 3486,8

Haupteffekt ist der Brennkammerdruck, danach folgt die Länge der Expansionsdüse. In den sechziger war die Kombination 80 Bar, Entspannungsverhältnis 40 üblich, heute erreichen Hochdrucktriebwerke 270 bar und Expansionsdüsen mit einem Verhältnis von 240 gibt es auch. Im obigen Beispiel entspricht dies einer Steigerung des spezifischen Impuls von 350 m/s – erheblich mehr als man durch die Umstellung auf LOX/Methan oder LOX/Acetam erhalten würde.

Und weil ihr mir nicht glauben müsst (obwohl ihr alles nachrechnen könnt). Es haben auch andere zumindest Methan verglichen mit Kerosin. Für Rückkehrstufen gibt es eine Studie vom DLR. Da die Tanks größer sind und damit schwerer, dann noch eine Isolation dazukommt und dies bei einem wiederverwendbaren Gefährt natürlich auch auf andere Budgets durchschlägt (Treibstoff für den Rückflug, Flügelgröße) war dem so, das das Gefährt schwerer wurde (35.209 t vs 31.914 t Trockengewicht) und auch das Fluggewicht größer war (247.972 vs. 243.809 kg). Das muss bei nicht wiederverwendbaren Trägern nicht so sein, doch an den größeren Tanks (mehr als das doppelte Volumen von Kerosin) und der benötigten Isolation wird es blieben. Das wird einen Teil des Gewinns, der eh nur bei 100-150 m/s liegt auffressen.

Verwundert? Nö ich nicht. De Fakto hat man in den letzten Jahrzehnten, vor allem den fünfziger und sechziger Jahren alle möglichen Treibstoffe ausprobiert. Viele nur theoretisch, viele auch in Experimentaltriebwerken. Die USA haben schon LOX/Methan mit dem RL-10 in den Sechzigern erprobt und nie eingesetzt. Wenn man trotzdem Kerosin durch Methan nicht ersetzt hat, dann muss es einen Grund haben. Es lohnt sich nicht.

Man kann als Laie aber auch leicht erkennen, das an solchen Wundertreibstoffen nichts dran ist. Der Grund für Acetam soll sein, dass der Treibstoff billiger ist als Wasserstoff. Ah ja. Im außerrussischen Ausland, also im Rest der Welt machen die Treibstoffkosten typischerweise 1% des Raketenpreises aus. Es kann höher sein, bei festen Treibstoff oder beim Einsatz von Hydrazinderivaten, aber die Treibstoffkosten bestimmen nicht die Wahl des Treibstoffs. Kerosin müsste in etwa so teuer sein wie Heizöl, Sauerstoff wird großtechnisch hergestellt und dazu braucht man nur Luft. Auch er müsste billig sein, größenordnungsmäßig in der gleichen Kategorie. Wasserstoff ist schwerer zu beziffern. Er wird durch Elektrolyse hergestellt und muss dann verflüssigt werden. Da es bei uns für Brennstoffzellen genutzt wird, nehme ich mal das Ergebnis einer Studie, wonach 40% der reingesteckten Energie in den Brennstoffzellen als elektrische Energie ausgenutzt wird. Wenn das für flüssigen Wasserstoff auch gilt, so sind es bei einem Strompreis von 27 ct/Kwh knapp 3 Euro pro Kilogramm. Wenn es in Russland 67 Dollar, sind ist dort der Strom enorm teuer oder die Verluste (Verdampfen) enorm hoch.

Die Benutzung alternativer Treibstoffe hat in Russland Tradition. LOX/UDMH für die 11K63 wurde schon erwähnt. Die Sojus U2 setzte zum Teil „Sintin“ ein, ein Kohlenwasserstoff Gemisch mit höherem spezifischem Impuls. Es war übrigens deutlich teurer, was jedoch damals keine Rolle spielte. Die Einstellung erfolgte, weil die Fabrik in der Zeit des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu machte, nicht weil der Treibstoff zu teuer war.

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