Bernd Leitenbergers Blog

Wie funktioniert ein Flüssigraketentriebwerk?

Ich probiere mal heute einen neuen Ansatz: Raketentechnik für Politiker (im englischen: „Rocket science for Dummies“). Heute, wie funktioniert ein Flüssigraketentriebwerk.

Zentraler Teil ist die Brennkammer. Die Brennkammer ist eigentlich etwas relativ einfaches. Im einfachsten Fall ist es ein hohler Metallblock. Er hat zwei Öffnungen, die an den beiden Enden liegen. Am einen befindet sich die Düse und da andere Loch besprechen wir später. Durch die Düse entweicht der verbrannte Treibstoff, der durch die Hitze zu einem Gas wurde. Da Gas viel mehr Volumen als Flüssigkeiten beansprucht, ergibt sich ein großer Druck, dieser Druck ist der Schub den das Triebwerk entwickelt. Die Düse kann in einfachsten Fall nur eine Verengung sein. In der Regel weitet sie sich aber wie ein Trichter auf. Die Ausweitung hat den Vorteil, das solange das Gas den Trichter noch nicht vollständig passiert hat, es weiter Schub liefert, da es in alle Richtungen expandieren will, es aber durch die Form nur in eine Richtung expandieren kann. Die Kräfte die in die anderen Richtungen wirken, ergeben den Schub.

Kleine Triebwerke haben eine Brennkammer, die nur aus einem Metallgehäuse besteht. Das Metallgehäuse muss stabil genug sein dem Druck in der Brennkammer zu widerstehen. Bei größeren Triebwerken ist die Oberfläche der Brennkammer aber klein gegenüber dem Volumen. Da an der Oberfläche die Hitze übertragen wird die im Volumen entsteht, würde eine größere Brennkammer bald so heiß werden, das das Metall schmilzt. Man muss das verhindern. Heute ist die gängige Lösung dass man die Brennkammer nicht aus einem Stück fertigt, sondern aus vielen Röhren, die man aneinander verschweißt. Durch die Röhren strömt ein Teil des Treibstoffs. Er nimmt so die Wärme auf und verhindert das Durchbrennen. Es ist auch bei größeren Triebwerken nötig die Düsen zumindest am Anfang auf die gleiche weise zu kühlen. Der Treibstoff geht nicht verloren, er wird oben am zweiten Loch mit dem restlichen Treibstoff angespritzt.

Da kommen wir zum zweiten Loch: dem Injektor. Der Injektor ist ein sehr einfaches, und zugleich komplexes Teil. Er ist der Abschluss der Brennkammer und er muss die beiden Komponenten, die verbrannt werden, zuverlässig vermischen. Zuverlässig bedeutet: es darf keine lokales Ungleichgewicht geben. Üblicherweise setzt man eine oxidierbare Substanz und einen Oxidator ein. Gibt es einen lokalen Überschuss an einem Teil, so wird an dieser Stelle weniger Gas produziert. Das erzeugt einen Druckunterschied der zu Ausgleichsströmungen und damit anderen Druckunterschieden führt. Das Resultat kann ein zyklisches Schwanken des Drucks in der Brennkammer sein, die das Triebwerk zum Schwingen bringt und damit Materialstress, das bis zur Zerstörung des Triebwerks gehen kann. So kann man nicht einfach die Leitung für den Oxidator und Verbrenungsträger nebeneinander in die Brennkammer bringen. Man muss die beiden Substanzen vermischen, bevor sie in die Brennkammer gelangen. Das erreicht man indem der Injektor hunderte von kleinen Öffnungen hat. Jede Öffnung hat eine eigene Leitung für den Verbrennungsträger und Oxidator und vermischt diese.

Die Brennkammer ist aber der einfachste Teil des Triebwerks und auch der preiswerteste. Viel teurer ist das System das den Treibstoff erst mal in die Brennkammer bringt. Braucht man dieses? Man kann darauf verzichten und tut dies auch bei kleinen Triebwerken.

Das Problem ist, das in einer Brennkammer durch die Verbrennung entstehende Gase sich ein großer Druck aufbaut. Gegen diesen Druck muss man den Treibstoff injizieren, das bedeutet vor dem Injektor muss der Druck höher sein als in der Brennkammer. Nun haben selbst wenig leistungsfähige Triebwerke Brennkammerdrücke von 10 bar. Die leistungsfähigsten erreichen heute fast 300 bar. Hat man kein System um den Druck aufzubauen, muss der Treibstoff in den Tanks unter einem höheren Druck stehen als die Brennkammer. Dazu braucht man dickwandige Tanks die von einem Druckgas auf einen hohen Druck gesetzt werden. Da die Tanks sich entleeren, muss man das Gas zudem laufend nachfüllen. Das addiert viel Gewicht. Für Triebwerke von Satelliten oder Ober stufen ist es aber ein gangbarer Weg. Diese operieren dann auch mit niedrigen Brennkammerdrücken. Man kann auch auf ein separates Druckgas verzichten, wenn man die Tanks nur teilweise befüllt und den Rest mit Druckgas auffüllt. Der Druck sinkt dann ab, doch damit auch die Förderleistung. Das bedeutet: der Brennkammerdruck sinkt in gleichem Maße ab und damit der Schub.

Alle anderen Triebwerke gehen einen anderen Weg. Sie fördern aktiv den Treibstoff und setzen ihn unter Druck. Was man dazu braucht ist nichts anderes als eine Pumpe bzw. ein Kompressor. Die ersten Förderaggregate waren daher auch Feuerwehrpunpen. Eine Pumpe braucht aber einen Antrieb. Der Antrieb ist eine Gasturbine, die oft in die Turbopumpe integriert ist, so kann ihre Antriebswelle, die durch das Gas in eine rasche Rotation gebracht wird direkt die Pumpe antreiben. Genauer gesagt die Pumpen, denn man braucht zwei – eine für den Oxidator und eine für den Verbrennungsträger. Ist das Volumen für beide in etwa gleich groß, so kann man oft mit einer Pumpe und einem Übersetzungsgetriebe auskommen. Es kann auch bei sehr hohem Druck sein, das eine Pumpe gar nicht reicht und man zwei hintereinander schalten muss: eine die mit niedriger Drehzahl arbeitet und den Treibstoff auf einen höheren Druck bringt und eine zweite mit höherer Drehzahl die den Enddruck erreicht. Durch die sich bewegenden Teile zählen die Turbopumpen zu den empfindlichsten Teile eines Raketentriebwerks die auch am häufigsten Störungen aufweisen oder ausfallen. Die Turbopumpe fördert den Treibstoff für die Brennkammer aber auch die Brennkammerkühlung.

Doch woher kommt das Gas für die Turbine? Man benötigt so viel Gas, das alleine verdampfender Treibstoff dafür nicht ausreicht. Vielmehr wird heute ein Teil des Treibstoffs in einer eigenen Brennkammer verbrannt und dieses Arbeitsgas treibt die Turbine an. Dieser Gasgenerator ist eine kleine Brennkammer wie das Raketentriebwerk. Damit man die Brennkammer nicht kühlen muss und das Verbrennungsgas nicht die Turbinenblätter zum Schmelzen bringt erfolgt die Vebrennnung durch Überschuss einer Komponente. Das erlaubt es nur einen Teil des Treibstoffs zu verbrennen und der Rest dient als inertes Kühlmittel. So begrenzt man die Temperaturen in einem Gasgenerator auf unter 700 °C, in den Brennkammern können über 3000°C erreicht werden.

Bleibt noch eine Frage zu klären – wie sorgt man für eine gleichmäßige Mischung? Jedes Raketentriebwerk und jeder Gasgenerator ist auf ein bestimmtes Mischungsverhältnis ausgelegt, auch wenn man das meist variieren kann betreibt man es meist immer beim selben Arbeitspunkt. Nun das kann man sehr einfach erreichen ohne Ventile: man muss bei konstantem Druck im Tank eigentlich nur die Durchmesser der Leitungen festlegen. Der Durchfluss pro Zeiteinheit ergibt sich einfach durch den Druck und der Querschnittsfläche. So kann man auch für einen konstanten Zufluss für die Brennkammerkühlung und den Gasgenerator sorgen, indem die Zufuhrleitungen (die meist von der Hauptleitung abzweigen) dafür einfach einen geringeren Durchmesser haben. Das tolle an diesem System ist, das bei einem sinkenden Druck so alle Komponenten des Systems weniger Treibstoff bekommen – der Gasgenerator, der nun eine geringere Förderleistung hat, die Turbopumpe erreicht einen geringeren Druck und fördert weniger Treibstoff und in der Brennkammer sinkt der Druck auch ab, weil weniger Treibstoff verbrannt wird. Ebenso sinkt der Bedarf an Kühlmittel ab und auch dieses wird in geringerer Menge gefördert. So sinkt einfach der Schub ab, aber kein Teil überhitzt oder fällt aus.

Bleibt noch die Frage, wie man startet und abschaltet. Das Abschalten ist das einfachste. Man muss nur die Ventile zur Treibstoffzufuhr schließen. Das Zünden ist komplizierter. Es muss verhindert werden, dass sich ein explosives Gemisch bildet. Entzünden sich die Komponenten spontan, so öffnet man die Ventile leicht zeitverzögert. So strömt erst eine Komponente in Gasgenerator/Brennkammer und dann die zweite. Wenn es dann zum Kontakt kommt, verbrennt eine vollständig, die zweite aber nicht und so ist die Bildung eines explosiven Gemisches verhindert. Die getrennte, zeitlich verschobene Öffnung von Ventilen benutzt man auch bei sich nicht selbst entzündenden Substanzen, doch diese müssen extern gezündet werden. Dazu kann man wie im Auto einen Zündfunken nehmen, meistens nicht nur einen Funken sondern eine ganze Fackel oder man kann eine Substanz injizieren die sich spontan entzündet oder man hat einen Zündsatz eingebaut der dann gezündet wird. Das Zünden ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, denn üblicherweise kann man es nur einmal durchführen. Geschieht es nicht oder nicht gleichmäßig, so kann ein Triebwerk ausgehen oder beim Start beschädigt werden.

Die einzelnen Komponenten müssen nicht in jedem Triebwerk vorkommen. Es kann eine Turbopumpe z. B. mehrere Brennkammern versorgen und es kann auch eine Brennkammer mehrere Düsen haben (Feststofftriebwerke setzen dieses Prinzip ein) ebenso kann ein Gasgenerator theoretisch mehrere Turbopumpen mit Gas versorgen.

So das war die Raketentechnik für Politiker. Mit dem Wissen können sie nun eine Raumfahrtfirma leiten, denn da ist es nicht wichtig Details zu verstehen. So versteht selbst Elon Musk nicht den Unterschied zwischen 30 Brennkammern in der ersten Stufe der Sojus und 30 Raketentriebwerken: Hier treibt eine Turbopumpe aber vier Brennkammern an, nur die Steuertriebwerke haben einzelne Brennkammern. Es ist aber ein Triebwerk immer die Einheit aus allen Teilen. So hat die Sojus in de ersten Stufe vier Blöcke mit je einem Haupttriebwerk und zwei Steuertriebwerken und nicht vier Haupttriebwerken. Ein Detail das Elon Musk entgangen ist.

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