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Von der R-1 zur R-5

Dies ist ein kurzer Artikel über die Geschichte der frühen Raketen der Sowjetunion, die auf der A 4 (Aggregat 4) basierten. Nach dem Krieg waren die Alliierten auf der Suche nach deutschen Spezialisten für Militärtechnik, die sowjetischen Wissenschaftler voraus war, wie Düsentriebwerke, aber auch den Erbauern der A 4. Die USA konnten sich die wichtigsten Personen sichern, doch nicht alle. Helmut Gröttrup war der höchstrangige Raketenwissenschaftler, der mit den Sowjets zusammenarbeitete.

Als die Rote Armee am 1.7.1945 im Mittelbau Dora einmarschierte waren noch Bauteile für etwa 40 A 4 vorhanden, die nun zusammengebaut wurden. Den Großteil hatten die USA abtransportiert, die zuerst das Gebiet besetzten. Gröttrup konnte rund 4.000 Mitarbeiter rekrutieren, welche die Konstruktionszeichnungen auf Basis der vorhandenen Bauteile neu erstellten. Im Juli 1946 versuchten der amerikanische und britische Geheimdienst Gröttrup anzuwerben, was aber vom russischen Geheimdienst NKWD aufgedeckt wurde. Schon am 13.5.1946 beschloss Russland, die deutschen Spezialisten in die Sowjetunion zu überführen. Diese Operation wurde nun beschleunigt und in einer Nacht- und Nebelaktion wurden am 22.10.1946 insgesamt 160 Ingenieure mit ihren Familien in die Sowjetunion verschleppt. Es folgten später weitere.

Russland hatte mit Helmut Gröttrup, dem Spezialisten für Aerodynamik, Werner Albring, dem Ingenieur für Steuerungs- und Messtechnik Heinrich Wilhelmi und dem Experten für Kreiselsysteme Kurt Magnus vor allem die Personen, die bei der A 4 für die Steuer- und Regelungstechnik verantwortlich waren, während die USA die Experten für die Konstruktion und Triebwerksentwicklung zur Mitarbeit gewinnen konnten. Die USA hatten sicherlich mehr vom Spitzenpersonal gewonnen, dies glich die Sowjetunion durch Masse aus. In weitere Transporten dürften die 160 zuerst deportieren, nicht nur ihren Hausstand nach Russland transferieren, sondern es wurden nach und nach immer mehr Personen verschleppt, genaue Zahlen gibt es nicht. Problematisch für die Zahlenerhebung ist auch, dass Russland nicht nur Raketenexperten verschleppte, sondern alle Personen, die in Bereichen arbeiteten, in denen Deutschland einen technologischen Vorsprung hatte. Es scheinen aber mindestens 302 Raketenspezialisten zu sein. Damit waren es dreimal so viele wie die USA aufnahmen. Es umfasste die deutsche Siedlung auf der Insel Gorodomlja (heute Siedlung Solnetschny) im Seligersee, ca. 380 km nordwestlich von Moskau, mehrere Tausend Personen (zusammen mit anderen Spezialisten z.B. für Düsentriebwerke, chemische Kampfstoffe, etc.). Gröttrup bekam sein eigenes Designbüro mit 214 Angestellten.

Die rekonstruierten Konstruktionspläne wurden dann von russischen Spezialisten untersucht. Sergej Koroljow, der spätere Vater des sowjetischen Weltraumprogramms kam in einem 1947 fertiggestellten Report über 13 Bände zu diesem Schluss, dass die A 4 in vielen Dingen konstruktiv unvollkommen und technisch unausgereift wäre. Das betraf sowohl die Gesamtkonstruktion mit nichttragenden Treibstofftanks in einer tragenden Zelle, fest verbunden mit dem Gefechtskopf, wie auch die unnötige Kompliziertheit vieler Bauteile, Systeme und Aggregate sowie die ungenügende Zuverlässigkeit des Lenksystems. Die A 4 sei nach Koroljows Ansicht zu komplex für eine Serienproduktion. Markige Worte für jemand dessen persönliche Beteiligung an dem Bau einer Rakete die GIRD-X mit 29,5 kg Startmasse war, also etwa 500-mal kleiner als eine A 4. Gelenkt wurde diese Rakete überhaupt nicht.

Valentin Gluschko, schon damals verantwortlich für ein OKB, das Raketentriebwerke für militärische Zwecke konstruierte, erkannte mehr von der Leistung an: "Die Entwicklung der V-2 in den vierziger Jahren in Deutschland war eine große technische Leistung des Raketenbaus … Das Konstruktionsprinzip der Rakete hatte jedoch keine Zukunft. Zwar konnte die Konstruktion etwas verbessert werden (Verbesserung der Kühlung, Erhöhung des Brennkammerdrucks, Verlängerung der Schubdüse) doch den Schub und vor allem den spezifischen Impuls wesentlich zu erhöhen war nicht möglich".

De Fakto war die A 4 ein Prototyp und natürlich war der Prototyp noch unausgereift. Die Erbauer selbst wollten die Konstruktion wesentlich vereinfachen, um die Serienproduktion zu erleichtern. Zahlreiche Verbesserungen, die dann in den Triebwerken RD-101 und RD-103 eingesetzt wurden, waren schon in der Entwicklung. Dies wurde verhindert, weil nachdem Hitler einen Film über den ersten gelungenen Start einer A 4 sah, er sofort die Überführung in die Serienproduktion befahl, was zu einem "Design-Freeze" führte. Dass die Rakete unnötig massiv war, war dem geschuldet, dass sie im zweiten Weltkrieg als Gefechtswaffe auf dem Feld eingesetzt wurde - bei feindlicher Luftüberlegenheit. Keine der russischen Nachfolger wäre dafür geeignet gewesen, dafür war ihre Vorbereitungszeit viel zu lange. Was die Lenkungsgenauigkeit betrifft, so hatte Steinhof ein System ausgearbeitet das die Breitenstreuung (100%) von 18 auf 1 km drückt, doch ohne Dringlichkeitsstufe war Telefunken nicht bereit es in die industrielle Fertigung zu übernehmen und nach dem Design-Freeze kam es auch nicht mehr zum Einsatz.

Das Triebwerk war auch ein Prototyp. Spätere Triebwerke verzichteten auf Strahlruder, hatten eine aus Röhren geschweißte Brennkammer und setzten energiereichere Treibstoffe ein. Aber immerhin konnte es im Schub von 257 auf 432 kN gesteigert werden - um fast 70 Prozent. Kein späteres sowjetisches Triebwerk wurde in seiner Entwicklung so in der Leistung gesteigert.

Obwohl Koroljow also so abfällig über die A 4 urteilte baute er sie mehrere Jahre lang nach, entwickelte die R-2, als wenig verbesserten A 4 Nachfolger und selbst die R-5 setzte noch die Treibstoffe und das Triebwerk der A 4 ein. Rund ein Jahrzehnt brauchte Koroljow, um nur die Reserven des A 4 Konzeptes auszuloten, das er so abfällig beurteilte.

Die danach von Russland selbst entwickelten Triebwerke hatten dann sehr bald Probleme. Verbrennungsinstabilitäten führten zu Explosionen. Als Folge beschränkte Gluschkos OKB 456 den Schub neuer Triebwerke auf das Niveau des RD-103, rund 400 kN, sodass die R-7 zwanzig dieser Brennkammern, die R-16 und R-26 jeweils sechs dieser Brennkammern und selbst die kleinen Raketen R-12 und R-14 zwei Brennkammern benötigten. Es ist immer einfach zu sagen das etwas keine Zukunft hat, sehr viel schwieriger ist es zu beweisen das man etwas Besseres konstruieren kann.

Die A 4

Wenig ist über die ersten russischen Raketen bekannt. Bei der R-1 ist dies aber kein großes Problem, denn sie war ein Nachbau der A 4 und über die ist einiges mehr bekannt. Die Konstruktionspläne wurden leicht angepasst, sodass russische Komponenten verwendet werden konnten. Im Folgenden beschreibe ich daher vorrangig die A 4 und gehe nur auf Unterscheide zur R-1 ein.

Die A 4 wurde von Anfang an als Waffe konzipiert, als Ersatz für eine Fernartillerie. Das schlägt sich im Design nieder. Weiterhin war Wernher von Braun nicht so experimentierfreudig, hatte er bei den vorherigen Raketen A 1 bis A 2 (vor der A 4 sollte das verkleinerte Modell A 5 noch fliegen) eine Lösung gefunden, so verwandte er diese weiter. Das betrifft in erster Linie den Treibstoff. Während der Oxidator flüssiger Sauerstoff bis heute in Raketen eingesetzt wird, setzte die A 4 auf eine Alkohol-Wasser-Mischung mit 75 Prozent Alkohol, 25 Prozent Wasser. Diese Mischung hat einen geringeren Energiegehalt als Kohlenwasserstoffe, wie das später eingesetzte Kerosin, zum einen, weil der Alkohol schon teiloxidiert ist, zum anderen, weil das Wasser als nicht an der Reaktion teilnehmende Substanz dabei ist. Aber das reduziert die Verbrennungstemperatur und damit den Kühlaufwand und die Lösung nimmt mehr Wärme auf, bis sie verdampft als reiner Alkohol oder Kerosin. Die Wahl entpuppte sich später im Krieg als eine gute, denn abgeschnitten von Rohöllieferungen wurde das Benzin knapp, sodass man in Peenemünde den Alkohol, den man aus der Destillation von vergärtem Kartoffeln gewan sogar für den Antrieb der Motorräder und Kraftfahrzeuge nutzte, nachdem das Benzin rationiert wurde.

Die A 4 war, weil der Sprengkopf nicht abgetrennt wurde, sehr massiv gebaut, sprich das Verhältnis von Startmasse zu Endmasse und damit die erreichbare Geschwindigkeit waren schlecht. Das lag an verschiedenen Faktoren. Zum einen waren die Tanks aus leichtem Aluminium in einer tragenden Hülle aus Edelstahl, wie im Flugzeugbau verstärkt mit Spanten und Stringern eingebettet. Das addierte Gewicht - als auch Aluminium knapp wurde, versuchte man tatsächlich eine Zeitlang die Tanks durch genähte und mit PVC beschichtete Textilien zu ersetzen, doch die Nähte hielten dem Druck nicht stand. Edelstahl als Material für die Hülle war nötig, weil diese sich beim Wiedereintritt auf bis zu 680 Grad Celsius aufheizte.

Das meiste Leergewicht wurde aber durch das Heck addiert. Es gab vier Finnen, kleine Flügel am Ende. Auf ihnen ruhte die Rakete und sie stabilisierten mit Lenkrudern den Flug bis die A 4 alleine durch ihre hohe Geschwindigkeit stabil war. Dadurch konnte die A 4 aber auch von überall aus starten, sie benötigte keine ebene Startplattform, da sie auf diesen Finnen wie auf Beinen ruhte. Ebenfalls ein wichtiger Punkt für eine im Feld eingesetzte Rakete. Praktisch wurden die Raketen von einer Waldlichtung aus gestartet und über ihnen die Bäume zusammengebunden. Erst kurz vor dem Start wurden die Kronen freigegeben und die Rakete so sichtbar. So wurde keine A 4 beim Abschuss zerstört, auch wenn es zwei reklamierte Versuche dafür gibt.

Das Triebwerk bestand wie moderne Konstruktionen aus drei Komponenten: einem Gasgenerator, einer Treibstoffpumpe und einer Brennkammer. Die Treibstoffpumpe, aus Kreiselpumpen für die Feuerwehr, die seit 1935 in Deutschland im Einsatz waren, entwickelt wurde unterschied sich nicht sehr von modernen Konstruktionen. Unterschiede gibt es aber in der Brennkammer und dem Gasgenerator. Der Gasgenerator hat die Aufgabe heißes Arbeitsgas zu erzeugen, das eine Turbine antriebt, deren Antriebswelle wiederum die Pumpe antreibt. Es wurden drei Methoden evaluiert: Die Verbrennung des Alkohols mit Sauerstoff im Überschuss - der Überschuss ist nötig, um die Verbennungstemperaturen zu begrenzen, das Einspritzen von Wasser in die stöchiometrische Verbrennung von Alkohol und Sauerstoff (d.H. im optimalen Verhältnis wodurch am meisten Energie freigesetzt wird) ebenfalls um die Verbrennungstemperaturen zu begrenzen und die Zersetzung von Wasserstoffperoxid. Wasserstoffperoxid ist ein Molekül das unter innerer Spannung steht und leicht in Wasser und Sauerstoff zerfällt und dabei wird Energie frei. Verwendet wurde die letzte Methode, weil die beiden ersteren nach der Untersuchung eine komplexe Regelmechanik mit Ventilen erforderten. Als Nachteil der katalytischen Zersetzung von Wasserstoffperoxid (mit einer Kaliumpermanganatlösung) hat man einen weiteren getrennten Treibstoffkreislauf mit eigenen Treibstoffen. Die zweite Lösung - die Einspritzung von Wasser in die Verbrennung brachte Karl Heinz Bringer 1942 zur Einsatzreife. Sie wurde später in den französischen Raketen Veronique, Diamant und der Ariane 1 bis 4 eingesetzt. Ab Mitte der Fünfziger Jahren verwendeten US-Raketen die Verbrennung einer der Komponenten im Überschuss, russische Raketen setzten dagegen noch sehr lange auf die katalytische Zersetzung von Kaliumpermanganat.

Ein Grundproblem bei der Entwicklung neuer Raketenbrennkammern ist, dass die Verbrennung absolut gleichmäßig erfolgen muss. Es darf keine lokalen Überschüsse an Alkohol oder Sauerstoff geben und die Verbrennung muss laminar erfolgen. Ist das nicht der Fall, so gibt es Verbrennungsinstabilitäten die zu starken Druckschwankungen im Triebwerk führen und diese Schwankungen schaukeln sich innerhalb kurzer Zeit so weit auf, dass ein Triebwerk explodieren kann. Bis in die späten Sechziger Jahren waren Verbrennungsinstabilitäten ein Problem, dass bei fast jeder neuen Trilateralentwicklung auftrat und nur durch langwierige Versuche mit vielen Veränderungen am Einspritzsystem lösbar waren.

Bei der A 4 löste man das Problem, indem man oberhalb der eigentlichen Brennkammer 18 Vormischkammern anbrachte, in denen sich Alkohol und Sauerstoff vermischen konnten, bevor sie in die Brennkammer eintraten. Das löste das Problem, machte das Triebwerk schwerer als nötig. Die Lösung entstand, weil der verantwortliche Konstrukteur Dr. Thiel diese Mischdüsenkonstruktion schon für ein Triebwerk mit 1,5 t Schub entwickelt hatte und sie dort funktionierte. Mit 18 dieser Mischkammern konnten so 25 t Schub erzeugt werden. Diese Variante genannt "Warzenkopf" war die Serienversion des Triebwerks, nachdem verschiedene Versuche mit einer Injektionsplatte bis 1942 nicht zum Durchbruch führten und dann das Design eingefroren wurde. Bis Kriegsende war dieser monolithische Injektor aber einsatzbereit.

Diese Konstruktion ist wahrscheinlich auch mit dafür verantwortlich, dass die Brennkammer nicht die vom Gewicht her optimale Zylinderform hat, sondern birnenförmig ist, da die Mischköpfe zueinander geneigt sind.

Die Schubrichtung muss auch geregelt werden. Hier wurde auf Steuerruder und in der ersten Phase zusätzlich Luftruder an den Finnen gesetzt, vergleichbar dem Ruder eines Schiffes. Die Strahlruder ragen in den Abgasstrahl und wenn sie aus der Senkrechten gelenkt werden so wird ein Teil des Schubs abgelenkt und die Rakete neigt sich. Diese Lösung war schwer aber es war eben die einfachste Lösung. Spätere sowjetische Raketen nutzten dafür zusätzliche kleine Steuertriebwerke, die USA gingen sehr bald auf kardanisch schwenkbare Triebwerke über. Diese machen eine komplexe Hydraulik nötig, auch weil das Triebwerk mit der Turbine und Pumpe schnell rotierende Teile beinhaltet, die sich einer Drehung aus der Rotationsachse widersetzen. Das war der Grund, warum diese Lösung nicht bei der A 4 gewählt wurde.

Die A 4 musste auch gelenkt werden. Hier wurde - vor allem um die Zielgenauigkeit zu verbessern, am meisten während des Kriegs entwickelt. Die Standardlenkung funktionierte relativ einfach. Eine der Heckflossen war besonders gekennzeichnet. Die Rakete musste so aufgestellt werden, dass diese Flosse in einer Linie mit der Flugbahn zum dem Ziel lag. Dann wurde im Instrumententeil über das Drehen eines Einstellrades der Endwinkel eingestellt. Die A 4 startete senkrecht und neigte sich nach 4 Sekunden mit fester Rate bis zu diesem Endwinkel, bei maximaler Reichweite waren dies 46 Grad. Je niedriger der Winkel war, desto weiter flog sie. Der Brennschluss wurde durch einen Analogrechner - im Prinzip ein Integrator - ausgelöst, der die Werte des Beschleunigungsmessers addierte und bei Erreichen der vorgegebenen Endgeschwindigkeit das Triebwerk abschaltete.

Die Treffgenauigkeit war nicht sehr groß, in der Standardversion betrug die 50 Prozent Abweichung (CEP) 4,5 km. So wurde fieberhaft daran gearbeitet, sie zu verbessern. Die Genauigkeit in dem Winkel konnte durch Funkleitung verbessert werden. Dazu gab es zwei Antennen die eine "Keule" abstrahlten und einen festen Winkel zueinander hatten. In der Mitte war die Intensität des Leitstrahls, den die A 4 empfing von beiden Empfängern (für linke und rechte Antenne, die bei unterschiedlichen Frequenzen sendeten) gleich groß. Dieses Verfahren wurde schon für Flugzeuge angewandt, das Problem für die A 4 war, dass man für eine befriedigende Genauigkeit und Durchdringung des Flammenstrahls viel höhere Frequenzen benötigte und die Technologie dafür erst entwickeln musste. Das erfolgte, ging wegen der fehlenden Dringlichkeit aber nie in die Serienfertigung.

So wurde ein Standard-Luftwaffenleitstahlsystem eingesetzt, das aber nur in Ausnahmefällen bei dem operativen Einsatz verwendet wurde. Trotzdem war die A 4 selbst in der letzten Version, mit einer CEP von 1,8 km - in einem Kreis mit einem Radius von 1,8 km kamen 50 Prozent aller Raketen nieder - für eine Waffe relativ ungenau, selbst beim Transport einer Atombombe wäre dies nicht tolerierbar gewesen.

Viele der Einschränkungen und Nachteile der A 4 waren ihrem Prototypcharakter geschuldet, sowie der Forderung, sie möglichst schnell in die Fertigung zu überführen. Das Heer wollte ermöglicht rasch eine Rakete. Das heißt: ab 1936 begann die Planung für die A 4. Zuerst wurde als Zwischenschritt ein Motor mit 5 t Schub entwickelt. Ab 1940 waren auch Tests des A 4 Antriebs auf dem Prüfstand VII in Peenemünde möglich, wo von 1936 bis 1940 rund 550 Millionen Reichsmark für ein gemeinsames Forschungszentrum der Luftwaffe (Peenemünde-West) und dem Heer (Peenemünde-Ost) investiert wurden. Mit dem Krieg wurde die Lage schlimmer. Der Rakete wurde im Frühjahr 1940 die höchste Dringlichkeitsstufe entzogen, was bedeutete, dass zum einen das Personal jederzeit eingezogen werden konnte, zum anderen bei allen Verhandlungen mit Firmen alle Aufträge erst angenommen wurden, wenn die Projekte mit höchster Dringlichkeitsstufe erledigt waren. So hatte man ein verbessertes Leitstahlsystem entwickelt, das die 50%-Genauigkeit von rund 2 km bei Verwendung des Luftwaffen-Leitsystems auf 250 m drücken würden. Doch Telefunken als industrieller Partner war voll ausgelastet mit der Entwicklung von militärischen Funkgeräten für Wehrmacht und Luftwaffe. Als Hitler im Dezember 1942 einen Film über den ersten erfolgreichen Flug der A 4 vorgeführt bekam, schlägt seine Stimmung ins völlige Gegenteil um. Während er bei seinem ersten Besuch im März 1939 nicht an das Projekt glaubt, soll nun die A 4 schnellstmöglichst in die Serienproduktion überführt werden. Sie bekommt nun die Einstufung in die höchste Dringlichkeitsstufe, aber eben mit der Auflage das sie nun produziert wird. Das bedeutete aber auch, dass die A 4 die produziert wurden, noch Prototypen sind. Geplant war von den Konstrukteuren, dass sie nun sukzessive einfacher, aber auch leistungsfähiger wird. Sie bezweifelten sogar, dass die Truppe mit einem solch komplexen Gerät überhaupt zurechtkam, was sich aber nicht bewahrheitete. Damit war es relativ einfach, die A 4 nach dem Krieg in der Sowjetunion aber auch den USA zu verbessern und auf Basis ihrer Technologie Raketen zu bauen die doppelt so weit flogen. Man musste nur die Entwicklungen die es von 1942 bis 1945 gab und die nicht in die Serienproduktion einflossen, umsetzen.

A 4

Länge:

14,0236 m

Maximaler Durchmesser:

3,554 m (Flossen, Länge der Flossen: 3,935 m)

Durchmesser des zylindrischen Teils

1,651 m

Startgewicht:

12.700 - 12.900 kg

Trockengewicht:

4.000 kg

Davon Nutzlastspitze:

1.000 kg, 2,01 m Länge

Davon Geräteraum

480 kg, 1,41 m Länge

Davon Mittelteil (Tanks)

742 kg, 6,215 m Länge

Davon Antriebsteil

931 kg

Davon Heck:

750 kg, 4,40 m Länge

Davon sonstiges:

105 kg

Treibstoff Alkohol:

3.800 kg

Oxidator Sauerstoff:

4.900 kg

Wasserstoffperoxid:

175 kg

Kaliumpermanganat:

13 kg

Treibstoffreste:

210 kg

Die A 4 wurde laufend verbessert. Der erste erfolgreiche Flug am 3.10.1952 führte über eine Distanz von 200 km bei einer Leermasse von 5,5 t. Die Reichweite der Serienversion lag bei 300 km bei einer Leermasse von 4 t. Die letzten Exemplare hatten eine Reichweite von 420 km.

Es gab zwei Ansatzpunkte für eine Verbesserung. Der einfachere Ansatz war es das Strukturgewicht zu senken. Es lag bei 4 t. Mit relativ einfachen Verbesserungen wie der Verkleinerung der Flossen, der Abtrennung des Sprengkopfs, sodass die Tanks selbsttragend waren wurde es besser. Daneben entpuppte sich das Triebwerk der A 4 als im Schub steigerbar, was die Mitführung von mehr Treibstoff ermöglichte und da der Mittelteil mit den Tanks schon der Teil der Rakete mit dem geringsten Leergewicht war, verbesserte dies das Voll-/Leergewicht deutlich.

Das zweite war es den Alkohol durch einen Treibstoff mit höherer Energie zu ersetzen. Entsprechende Forschungen gab es schon im dritten Reich. E wurde eigenes ein experimentelles Raketentriebwerk ED-140 konstruiert, mit dem man verschiedenerlei Treibstoffkombinationen testen konnte. Mit ihm wurde der Treibstoff für die Flugabwehrrakete Wasserfall gefunden. Dieses Triebwerk gelangte in sowjetische Hände und wurde in der Folge intensiv genutzt, um neue Treibstoffkombinationen zu erproben.

Das Triebwerk der A 4 war eine doppelwandige Konstruktion, durch die der Alkohol zirkulierte, zusätzlich gab es an einzelnen Stellen Schlitze, durch die er in die Brennkammer austreten konnte und diese durch Filmkühlung schützte. Nach Passieren der Doppelwand trat der Alkohol in die 18 Vorbrennkammern ein, in denen es insgesamt 2.160 Bohrungen für den Sauerstoff und 1.224 für den Alkohol gab. Das war enorm viel, heute haben selbst schubstärkere Triebwerke nur einige Hundert Mischdüsen, die aber komplexer aufgebaut sind. Das Triebwerk hatte folgende Kenndaten:

A 4 Triebwerksblock

Länge:

4,40 m

Startgewicht:

935 kg

Davon Brennkammer:

422 kg

Davon Gasgenerator:

73 kg

Davon Turbopumpe:

159 kg

Davon Gerüst:

56 kg

Davon Druckluft

75,5 kg

Davon Wärmeaustauscher

6,7 kg

Eintrittsdruck:

18,7 bar

Brennkammerdruck:

14,5 Bar

Schub Meereshöhe:

252,1 kN

Schub Vakuum:

270 kN

Brennzeit:

60 - 63 s

Verbrennungstemperatur:

2000 Grad Celsius

Austrittsgeschwindigkeit der Gase (Meereshöhe / Vakuum)

1887 / 2076 m/s im Mittel 2000 m/s

Durchsatz Alkohol:

58 kg/s

Durchsatz Sauerstoff:

72 kg/s

Durchsatz Wasserstoffperoxid:

2,1 kg/s

Durchsatz Kaliumpermanganat:

0,2 kg/s

Das Triebwerk arbeitete mit relativ geringem Brennkammerdruck, zieht man Druckgas, das nicht nur für das Triebwerk benötigt wurde und das Gerüst ab, so wog es 852 kg, bei einem Schub von 252 kN ist das ein Schub/Gewichtsverhältnis von 30, moderne Konstruktionen erreichen hier ein Verhältnis von 80.

Die R-1

Die Sowjetunion erbeutete 15 Güterwaggons mit 50 A 4 Triebwerken, die ab August 1945 getestet wurden. Valentin Gluschko übernahm das Kommando über diese Versuche und gründete das Institut Nordhausen IV, in denen die Pläne rekonstruiert wurden. In einer zweiten Serie von Tests vom Juli bis September 1946 wurden 40 Brennversuche mit A 4 Triebwerken durchgeführt, die teilweise "durchgebrannt" wurden, um ihre Grenzen zu finden. Das Ergebnis der Untersuchungen war, das das A 4 Triebwerk mit leichten Modifikationen von 25 auf 35 t Schub steigerbar war. Das ermöglichte erst die R-2 mit ihren vergrößerten Treibstofftanks.

Federführend war Sergej Koroljow, der am 9. August 1946 zum Chefkonstrukteur für ballistische Fernraketen ernannt wurde. Die Bezeichnung "Chefkonstrukteur" ist der Titel des Leiters eines OKB. Natürlich hat Koroljow nicht alles selbst konstruiert, er war vielmehr der Leiter des OKB, im westlichen Verständnis ein Manager. Boris Tschertok, ebenfalls "Chefkonstrukteur" war, als er zusammen mit der NASA sein Buch "Rockets and Peoples" schrieb, erstaunt zu hören, dass Wernher von Braun auch in führender Position bei der NASA noch in technische Details einbezogen werden wollte, das war in der Sowjetunion nie so. Vom September bis Dezember 1946 erarbeitet das OKB-1 einen Plan für die weitere Entwicklung aus. Im Januar 1947 schlägt Koroljow vor, eine Rakete mit 500 bis 600 km Reichweite in Angriff zu nehmen, als Zwischenschritt aber die A-4 nachzubauen. Am 14. April 1947 wird dem Plan stattgegeben.

Die R-1 war ein weitestgehender Nachbau der R-1. Mit deutscher Hilfe wurden die Konstruktionszeichnungen rekonstruiert. Angepasst wurde die Konstruktion wo es ging an sowjetische Standards, also Legierungen für die Materialien, Gewindenormen etc. teilweise, zum Beispiel bei den Dichtungen, mussten Originalteile verwendet werden.

Das war durchaus aufwendig. So wurden 86 Stahlsorten, 56 andere Metallsorten und 159 Nichtmetalle auf ihre Eignung überprüft. Die Reichweite sank durch die Verwendung von sowjetischen Materialien von 300 auf 250 km ab, konnte durch Verbesserungen aber wieder auf 270 km erhöht werden. Insgesamt war die R-1 etwas schwerer als die A 4, sie nahm etwas mehr Treibstoff auf.


A 4 Serienversion

R-1 (8A11)

Gewicht Sprengkopf:

1.000 kg

1.075 kg - 1.100 kg

Startmasse:

12.700-12.900 kg

13.430 kg

Davon Treibstoff:

8.700 kg

9.400 kg (5.160 kg / 4.285 kg)

Leermasse:

4.000 kg

4.105 kg

Reichweite:

300 km

270 km

Schub (Meereshöhe)

245 kN

257 / 262 kN (unterschiedliche Angaben)

Schub Vakuum:


304 kN

Abmessungen:

1,65 m Durchmesser, 14,02 m Länge

1,65 m Durchmesser, 14,25 m Länge

Die Sowjetunion hatte bei den Tests einen Vorteil, den die Peenemünder während des Kriegs nicht hatten. Sie konnten einen Telemetriesender einbauen und bekamen so während des Tests Daten. Das schied bei der A 4 aus, während des Kriegs hätte der Funkverkehr einer einfachen Telemetrieanlage leicht abgehört werden können. Die damals vom Militär verwendeten Funkgeräten verwendeten Funkfrequenzen lagen im Bereich einiger Megahertz, im Bereich der Mittel- und Kurzwellen. Sie waren so durch die Nachbarländer, wie das offiziell neutrale Schweden, das aber z.B. den Briten eine auf ihrem Gebiet niedergegangene A 4 übergab, empfangbar. An der Aufgabe die Telemetrie zu verschlüsseln scheiterten damals die Ingenieure. Dieses Problem hatte die Sowjetunion nicht, denn sie konnten die Tests in eigenem Territorium außerhalb des Empfangsbereiches von US-Stationen abwickeln. Mit diesen Daten konnte die R-1 verbessert werden. Ein Problem, dass die A 4 hatte und das relativ spät entdeckt wurde, weil zuerst alle Tests über die Ostsee führten und die Raketen so in der Ostsee versanken, waren die "Luftzerleger". Die Raketen explodierten beim Wiedereintritt vor Erreichen der Oberfläche. Schuld war eine zu hohe Aufheizung im Bereich des Sprengkopfs. Das fiel erst auf, als es Tests im "Heidelager" in Polen gab und man die niedergegangenen A 4 untersuchen konnte. Durch zusätzliche Isolationsschichten konnte die Zahl der Luftzerleger von 10 bis 15 Prozent auf wenige Prozent gesenkt werden. Russland konnte die Stelle durch die Telemetrie genau lokalisieren und durch leichte Veränderungen blieb die Temperatur nun immer unter der kritischen Grenze. Das geschah aber erst 1954. Eine weitere Verbesserung war die Zentralisierung der Fertigung. Das A 4 Triebwerk wurde in Peenemünde oder im Mittelbau Dora aus Teilkomponenten zusammengebaut, die überall in Deutschland produziert wurden. Diese dezentrale Strategie war während des Kriegs ein Schutz gegen die Folgen einer Bombardierung, aber so wurden Bauteile aus unterschiedlichen Quellen mit unterschiedlicher Qualität und Genauigkeit verwendet. Das erklärt zum einen die Ausfallrate wie auch die Streuungen in der Reichweite. Gluschko sorgte dafür, dass das OKB-456, das ganze Triebwerke baute, alle Teilkomponenten selbst herstellte.

Das Triebwerk der R-1 war die letzte Entwicklungsversion des A 4 Aggregats. Die Leistungsdaten waren etwas besser, wie die obige Tabelle zeigt. Gluschkos OKB-456 taufte das Triebwerk RD-100.


A 4 "Warzenkopf" Version

R-1 RD-100

Verbrauch Alkohol:

58 kg

57,8 kg

Verbrauch Sauerstoff:

72

74 kg

Mischungsverhältnis::

0,81

0,78

Injektordruck Alkohol

1,93 MPa

2,02 MPa

Injektordruck Sauerstoff

1,93 MPa

2,04 MPa

Brennkammedruck:

1,48 MPa

1,63 Mpa

Aussrömgeschwindigkeit:

2.000 m/s

2.130 m/s

Verbrennungstemperatur:

2.000 ° Celsius

2.300 ° Celsius

Schub (Meereshöhe)

245 kN

262 kN

Brennzeit:

62 s

65 s

Die erste wesentliche Fortentwicklung war die R-1A. Schnell wurde erkannt, dass eine bedeutende Leistungssteigerung nur erreicht werden kann, wenn nicht die Rakete komplett aufschlägt, sondern nur der Sprengkopf. Bei der R-1A wurde erprobt, ob dieser am Ende des aktiven Teils der Flugbahn abgetrennt werden kann und dann noch stabil weiter fliegt. Die erste R-1A startete am 7. Mai 1949, im Mai 1949 fanden vier weitere Starts der R-1A statt.

Die Entwicklung der R-1, also der Nachbau einer A 4 wurde am 26. Juni 1947 gefasst. Innerhalb eines Vierteljahres wird bei Kapustin Jar, 150 km südlich von Stalingrad ein provisorisches Testgelände aufgebaut. Hinsichtlich der Flugtests gibt es zwei Angaben. RSC Energija, Nachfolger des OKB-1 nennt zwei Serien. Eine Serie vom 17.9.1948 bis zum 10.10.1948 mit neun Starts, davon war nur einer erfolgreich. Diese Starts sollen aus noch in Deutschland zusammengebauten A 4 bestanden haben. Die Ursachen der Unfälle waren hauptsächlich auf die schlechte Qualität der Fertigung, unzureichende Tests von Komponenten und Instrumenten sowie die mangelnde Entwicklung eigener Systeme zurückzuführen. In einer zweiten Serie von 20 Raketen gab es umfangreiche Änderungen an der Instrumentierung. Von diesen Raketen erreichten 17 die volle Reichweite. Auch bei den ersten neun Starts gab es keine Probleme am Antrieb selbst. Russland selbst gab lange Zeit als ersten Start den 18.10.1947 an und baute sogar ein Denkmal mit einer R-1 und mit diesem Datum eingemeißelt im Sockel. Wahrscheinlicher ist, dass am 18.10.1947 der erste Start glückte. Am 13.9.1948, also ein Jahr später fanden die ersten Tests der selbst gebauten R-1 statt. Sie verliefen noch schlechter. Von den ersten zehn Starts verließen sechs Raketen nicht mal den Starttisch. Es ging zurück an den Schreibtisch und zwischen 10. September bis 25. Oktober 1949 fanden zwanzig Starts statt, alle Raketen hoben ab, bis auf zwei erreichten sie ihr Zielgebiet.

Andere Quellen führen nur eine Serie an. Am 25. November 1950 wurde die R-1 vom Militär akzeptiert. Bei der NATO erhielt sie den Code SS-1 "Scunner", der sowjetische Produktcode ist 8A11. Die Produktion erfolgte relativ spät. Koroljows OKB-1 war als Konstruktionsbüro nicht ausgelegt für eine Serienproduktion, so beschloss Beria am 1. Juni 1951 die Produktion in der Fabrik 586 in Dnipro durchführen zu lassen. Die erste vollständig in Dnipro produzierte R-1 wurde erst am 28. November 1952 fertiggestellt. Fünf Jahre - länger als die Entwicklung in Deutschland - brauchte die Sowjetunion nur für den Nachbau einer Rakete die Koroljow als so schlecht ansah. Man sollte meinen, dass wenn er es so genau weiß es schneller geht.

Im Einsatz war die R-1 noch komplexer als die A 4. Ein Regiment benötigte alleine 20 Fahrzeuge. Sechs Stunden dauerte es, die Rakete vorzubereiten und die Befehlshaber in der Roten Armee waren angesichts des Alkoholproblems in der Armee nicht begeistert von einer Rakete, deren Treibstoff zu 75 Prozent als Alkohol bestand. Es wurden drei Regimenter, jede mit sechs Raketen, stationiert. Der letzte militärische Start fand am 27.6.1951 statt.

Danach wurde die R-1 in eine Höhenforschungsrakete konvertiert. Es gab vier Subversionen, die sich darin unterscheiden, was sie erforschten (Ionosphäre, Astronomie ...) und ob die ganze Rakete mit einem Fallschirm oder nur ein Instrumentencontainer, der am Heck befestigt wurde dann mit einem Fallschirm abgebremst wurde. Diese Höhenforschungsraketen wurden bis 1964 eingesetzt.

Die R-2

Schon bei der R-1 etabliere sich, dass das OKB-1 unter Führung von Koroljow die R-1 nachbaute, das OKB-456 unter der Führung von Gluschko das Triebwerk RD-100. Dies sollte für ein Jahrzehnt so bleiben, bis das OKB-1 sich vornehmlich auf Raumfahrttechnik konzentrierte und die OKB-586 (Jangel) und OKB-52 (Tschelomei) die militärischen Raketen entwickelten. Das OKB-456 blieb aber der wichtigste Hersteller von Triebwerken mit hohem Schub. Das erste Raketentriebwerk mit hohem Schub war das RD-100, ein Nachbau des A 4 Triebwerks. Damit begann eine Nummerierung, die bis heute verwendet wird. Triebwerke mit einer "1" als erster Ziffer setzen Sauerstoff als Oxidator und Kohlenwasserstoffe oder Alkohol als Verbrennungsträger ein.

Obwohl Koroljow die unbestrittene Nummer Eins im russischen Raketenprogramm war, wollte die Führung die Expertise der rund 300 deportierten Raketenwissenschaftler nutzen. Sie holte bei der R-2 einen Konkurrenzentwurf von den Deutschen ein, die ein eigenes OKB unter der Leitung von Helmut Gröttrup bekamen.

Der erste Nachfolger R-2 war eine leicht verbesserte R-1. Die Sowjetunion hatte die Konstruktionsunterlagen der A 4, aber was sie nicht hatten, waren die gesamten Testergebnisse und die Dokumentation der Entwicklung. Sie wussten so nicht, warum man jeweils zu einer bestimmten Lösung gekommen war und welche Fehlversuche und Probleme es bei der Entwicklung gab. Als erster Schritt war es daher vernünftig die A 4 / R-1 graduell zu verbessern. Ähnlich gingen später auch die USA vor, wo die Redstone ein nur leicht verbessertes A 4 Triebwerk mit demselben Treibstoff und derselben Schubvektorsteuerung einsetzte, aber den Sprengkopf abtrennten und so die Trockenmasse des Treibstoffteils und Hecks deutlich reduzierten.

Die sowjetischen Ingenieure gingen beim Entwurf der R-2 denselben Weg. Durch den bei der R-1A erprobten, abtrennbaren Sprengtopf konnte die Leermasse deutlich gesenkt werden. Die Rakete musste nun nicht den Eintritt in die Atmosphäre mit fünffacher Schallgeschwindigkeit überleben. Der Durchmesser der A 4 wurde beibehalten und die Tanks einfach gestreckt. Gluschkos OKB-456 fanden einen Weg den Schub des schon verbesserten A 4 Entwurfs nochmals zu steigern, indem sie die Treibstoffmischung alkoholreicher machten. Für den erhöhten Treibstoffdurchsatz wurde einfach eine zweite Turbopumpe eingebaut.

Helmut Gröttrups Entwurf der G-1 als Nachfolger war ebenfalls eine verbesserte A 4. Das lag an dem Auftrag, denn er wurde anders als Koroljow nicht beauftragt eine neue Rakete zu entwickeln, sondern nur nach Verbesserungsvorschlägen für die A 4 gefragt. Davon gab es 150, von denen 75 dann auch in der R-2 umgesetzt wurden.


R-2

G-1 (R-4 oder R-10)

Startmasse:

19.632 kg

18.400 kg

Trockenmasse:

3.590 kg

1.870 kg

Nutzlast:

508 - 1.350 kg

1.000 kg

Distanz:

550 km

600 bis 810 km

Schub:

402 kN

313 kN

Zielgenauigkeit (CEP)

8 x 4 km

2 x 3 km

Die G-1 war leichter und kam mit weniger Schub aus und hatte eine höhere Reichweite und Zielgenauigkeit. Aich sie war nicht neu. Schon während des Kriegs wurde die A60, eine 23 t schwere Rakete mit einem Startschub von 600 kN und einer Reichweite von 750 km untersucht. Gröttrup setzte als Kenner der A 4 auf eine noch stärkere Reduzierung der Leermasse als Koroljow, kam dafür mit dem Schub des A 4 Triebwerks aus. Die leichte Schuberhöhung war nach Ansicht seiner Ingenieure möglich, indem man einen Teil des Gases in der Verbrennungskammer in die Turbine leitet, dieses Verfahren "Tap off Cycle" wurde erst Jahre später praktisch umgesetzt. Die Sowjetunion hatte vor allem die deutschen Lenkungs- und Steuerspezialisten übernommen, das wirkte sich in einer verbesserten Genauigkeit aus. Gröttrup hatte bei Steinhof gearbeitet, der schon in der Kriegszeit die Funklenkung mit einer 100 %-Streuung von 1.000 m über 250 km entwickelt hatte. Diese Technologie sollte nun eingesetzt werden.

Die Führung wollte die eigenen Leute nicht brüskieren und vergab so den Auftrag für den Bau an Koroljows OKB-1, der übernahm einige Vorteile des G-1 Entwurfs ,wie den oberen Alkoholtank ohne Verkleidung, blieb beim unteren Sauerstofftank aber bei der Verkleidung, um eine zu starke Erwärmung des Sauerstoffs zu vermeiden. Das Steuersystem wurde in die Zwischentanksektion verlagert. Diese Idee stammte ebenfalls von den deutschen Forschern. So war es weniger starken Vibrationen ausgesetzt und die Zielgenauigkeit stieg an. Neu war ein Radiolenksystem, bei dem der Brennschluss durch eine Bodenstation ausgelöst wird, die über den Dopplereffekt die Geschwindigkeit genauer als der Analogrechner der R-2 bestimmen kann. Radiolenksysteme wurden daher für ein Jahrzehnt für neue sowjetische Raketen zumindest als Backup-Möglichkeit vorgesehen. Vieles andere wurde dagegen beibehalten, so die überdimensionierten Flossen.

Die R-2 wurde wie ihr Vorgänger bei den Tests in Kapustin Yar von der NATO entdeckt, allerdings erst 1959 und erhielt den NATO-Code SS-2 "Silbing". Als Nutzlast war wie bei der R-5 eine radioaktive Lösung vorgesehen - Russland hatte noch keine Atombombe entwickelt, konnte aber aus Kernreaktoren kurzlebige Isotope gewinnen, die in durch eine Luftexplosion als radioaktiver Regen niedergehen sollten.

Hier ein Vergleich der R-2 mit ihrem US-Gegenstück Redstone:


R-2

PGM-11 Redstone

Länge:

17,65 m

21,30 m

Durchmesser:

165,8 cm

177,8 cm

Startmasse (mit Sprengkopf)

20.416 kg

27.732 kg

Trockenmasse (ohne Sprengkopf)

3.590 kg 4.868 kg mit Sprengkopf

3.904 kg

Nutzlast:

508 - 1.350 kg

2.850 kg - 3.580 kg

Distanz:

550 km

323,5 - 800 km

Schub:

363 / 402 kN

347 / 384 kN

Triebwerk:

RD-101

A-7

Zielgenauigkeit (CEP)

8 x 4 km

0,3 km

Treibstoff:

92 % Alkohol / LOX

75 % Alkohol / LOX

Brennzeit:

85 s

120 s

Das RD-101, dass in der R-2 eingesetzt wurde, war eine nochmals leistungsgesteigerte Version des RD-100. Schon 1945 fanden deutsche Raketenforscher im Auftrag der Sowjets heraus, das der Schub des Aggregat 4 Triebwerks durch wenige Maßnahmen auf 30 t gesteigert werden konnte. Gluschkos Ingenieure fanden heraus, das der Schub nochmals steigerbar war, wenn man die Alkoholkonzentration von 75 aus 92 Prozent erhöhte und das Triebwerk trotzdem nicht durchbrannte. Der Schub wurde durch Steigerung des Brennkammerdrucks um 5 Bar und eine neue Turbopumpe mit größerem Durchsatz um 20 Prozent erhöht. Ebenso steigerte dies den spezifischen Impuls.


RD-100

RD-101

RD-103

RD-103M

Produktcode

8D51

8D52

8D54

8D71

Einsatz auf

R-1

R-2

R-5

R-5M

Abmessungen:

3,704 x 1,65 m

3,34 m x 1,65 m

3,121 x 1,65 m

3,121 x 1,62 m

Gewicht:(trocken/nass)

884 / 1.031 kg

888 / 1.060 kg

870 / 1.030 kg

867 kg

Schub:

257 / 304 kN

363 / 404 kN

422 / 490 kN

431 / 500 kN

Brennkammerdruck:

16 Bar

21,2 Bar

23,6 Bar

23,9 Bar

Spezifischer Impuls:

1991 / 2324 m/s

2060 / 2324 m/s

2.158 / 2.438 m/s

2.158 / 2.432 m/s

Entwicklungszeitraum:

1845 - 1950

1947 - 1951

1952 - 1953

1952 - 1955

Treibstoff:

Sauerstoff / 75 % Alkohol

Sauerstoff / 92 % Alkohol

Sauerstoff / 92 % Alkohol

Sauerstoff / 92 % Alkohol

Schon bei der R-2 zeigte sich das es leicht war die Fehler der A 4 zu benennen, es aber eine völlig andere Sache war sie auch zu korrigieren. Das Abtrennen des Sprengkopfs erwies sich als problematisch. Die Abtrennung durch Federn war relativ einfach zu lösen. Dies musste zeitgleich mit dem Brennschluss erfolgen, weil danach die Rakete ungelenkt war. Nun gibt es aber noch Restflüssigkeiten und Gase die einen weiteren Schub erzeugen. Das musste berücksichtigt werden um eine Kollision des Rumpfes mit dem Sprengkopf zu vermeiden. Abwarten konnte man aber auch nicht, weil die induzierte Restbeschleunigung sonst dazu führte, dass das Ziel überflogen wird. Es gab daher neben der R-1A weitere Tests der Abtrennung des Sprengkopfes auf R-1W Höhenforschungsraketen.

Ebenso war es leicht zu sagen, dass die Konstruktion der A 4 unnötig massiv war. Als sowjetische Ingenieure dann aber beide Tanks tragend auslegen wollten, zeigte sich das die Aufheizung beim Flug so hoch war, dass dies beim Sauerstofftank zur Explosion führen würde, also gingen sie einen Schritt zurück und betteten diesen Tank in eine äußere Stahlhaut ein. Gröttrup hatte dagegen einen Integraltank mit gemeinsamen Zwischenboden vorgeschlagen.

Die Entwicklung der R-2 verlief weitestgehend parallel mit der R-1. Am 21. September 1950 fand der erste Teststart statt. Am 26.10.1950 wurde erstmals die Nennreichweite erreicht. Am 20.12.1950 wurde die erste Erprobungsserie abgeschlossen und die Erfahrungen verarbeitet. Eine zweite Erprobungsserie fand vom 2. bis 27. Juli 1951 statt. Schon am 27. November 1951 wurde die R-2 vom Militär abgenommen. Drei Tage später, am 30. November 1951 wurde die Spermienproduktion in Jangels OKB-586 in Dnipro angeordnet, wo die erste R-2 im Juni 1953, nur sechs Monate nach der ersten R-1 fertiggestellt wurde. Ein Vorteil war, dass die R-2 die gleiche Ausrüstung und denselben Abschusstisch wie die R-1 einsetzen konnte. Es wurden zwei Brigaden mit je sechs Raketen stationiert. Es dauerte sechs Stunden eine R-2 startbereit zu machen, davon 15 Minuten für die Programmierung des Steuersystems. Dann konnte sie, aber anders als ihr Nachfolger R-5 auch 24 Stunden betankt bleiben. Die Radiolenkung wurde auf zwei Wagen installiert.

Die R-2 wurde auch als Höhenforschungsrakete eingesetzt. Kurzzeitig wurde überlegt, um vor den Amerikanern im All zu sein, einen Kosmonauten mit einer R-2 auf eine suborbitale Bahn zu schicken, wie dies die USA mit der Redstone mit Gus Grissom und Alan Shepard taten. Aber diese Idee wurde verworfen und stattdessen die Wostok-Raumkapsel entwickelt. Es gab daneben noch die R-2E mit Eigenschaften der R-1. Dies war eine R-1 mit Änderungen die für die R-2 vorgesehen waren, aber noch den alten Treibstofftanks und dem RD-100. Sie wurde vom 25. September 1949 bis zum 11. Oktober desselben Jahres fünfmal getestet. Dazu kamen die R-2R zum Test des neuen Radiolenksystems, welches den Brennschluss kommandierte und die R-2A als Höhenforschungsrakete mit einer Gipfelhöhe von etwa 200 km. Sie wurde bis Ende 1959 als Höhenforschungsrakete eingesetzt. Insgesamt 221 R-2 aller Versionen sollen gebaut worden sein.

Von 1957 bis 1961 wurde die Technologie der R-2 nach China transferiert, welche die Rakete nachbauten und als ihre erste ballistische Rakete Dong Feng 1 (DF-1) in Dienst stellten. Das Dekret dafür gab es am 6. Dezember 1957 abgefasst. Sowjetische Ingenieure bauten in Beijing die erste Produktionsstraße auf. Die Dong Feng 1 bildete die Basis der chinesischen Raketenindustrie.

Die R-3

Sowohl die R-1, wie auch die R-2 waren strategisch nutzlose Raketen. Ihre Reichweite war zu gering und ihre Genauigkeit selbst bei einem Atomsprengkopf zu ungenau. Das letztere Problem war durch Fortschritte in der Steuerung lösbar, wie Gröttrup schon bei seiner G-1 skizzierte. Aber für einen realen Nutzen musste eine Rakete eine Reichweite von 2.500 bis 3.000 km haben, damit die BRD und andere NATO Staaten von russischem Territorium aus angegriffen werden konnten. So forderte die Führung nun eine Rakete mit dieser Reichweite. Erneut bekam kurz nach Koroljow auch Gröttrup einen Designauftrag:


R-3

G-4 (R-6)

Startmasse:

71.000 kg

66.600 kg

Trockenmasse:

5.480 kg

2.690 kg

Nutzlast:

3.000 kg

3.400 kg

Schub:

1.370 kN

1.059 kN

Erneut war der deutsche Entwurf der bessere. Dabei war es sogar der zweite Entwurf. Der erste Entwurf (G-2) sah zwei Stufen vor - das Konzept der deutschen A-9/A-10 wurde wieder aufgegriffen. Eine Oberstufe vergleichbar der G-1, saß auf einer Basisstufe mit drei oder vier A 4 Triebwerken. Das hätte die Startmasse auf 50 t gesenkt, aber das zweistufige Konzept war den Entscheidern wohl zu riskant, so besserte Gröttrup nach.

Nun gab es nun schon deutliche Unterschiede zwischen beiden Konzepten. Die R-3 war eine einstufige Rakete mit einem Triebwerk, dass LOX/Kerosin einsetzen sollte. Gröttrup wusste, wie aufwendig es war, das A 4 Triebwerk zu testen und wie viele Versuche es gab, bis es verlässlich funktionierte. Eine neue Treibstoffkombination bedeutete eine Veränderung aller Parameter wie Druck und Temperatur in der Brennkammer, die dann weitere Änderungen am Fördersystem und der Kühlung nötig machten. Also sah er kein neues Triebwerk, sondern mehrere Triebwerke der A 4 vor und rüttelte auch nicht am Alkohol als Treibstoff. Zum Kompensation des geringeren spezifischen Impulses des Alkohols senkte er die Leermasse. Beide Entwürfe wurden von einer unabhängigen Kommission untersucht und erneut war der Entwurf der G-4 der bessere. Dieses Mal konnte sich die Führung nicht dazu durchringen, erneut den schlechteren Entwurf umzusetzen und lies nur einige Grundlagenforschungen - die R-3A mit etwa 20 t Startmasse - durchführen. Zeitgleich arbeitete Gluschkos OKB-456 am Triebwerk der R-3 dem RD-110 mit 1.200 kN Schub und als sich Verbrennungsinstabilitäten einstellten und diese nicht schnell lösbar erschienen war dies das Ende des R-3 Projektes.

Die Anforderungen wurden heruntergefahren, sodass Koroljow nun an eine Rakete mit nur der halben Reichweite, 1.500 km gehen konnte. Die R-3, R-4 und R-6 wurden nie gebaut, die Nummern waren aber schon vergeben, sodass auf die R-2 gleich die R-5 und auf diese die R-7 folgte.

Die R-5

Mit dem angebrochenen R-3 Projekt waren weder das Militär noch Koroljow zufrieden. Der Sprung von 600 auf 3.000 km Reichweite erschien aber in einem Schritt zu groß. Tests schubstärkerer Triebwerke endeten bald in Explosionen. Es traten Verbrennungsinstabilitäten auf, die bei jedem neuen Raketentriebwerk bis weit in die Sechziger Jahre "normal" waren. Sie führten letztendlich auch zur umständlichen Konstruktion der A 4 Brennkammer mit 18 Vormischköpfen. Anstatt nun die Triebwerke zeitraubend zu modifizieren und über Versuch und Irrtum eine funktionierende Lösung zu finden, beschloss man im OKB-456 den Schub nur leicht anzuheben und von Kerosin als Treibstoff wieder zu Alkohol zurückwechseln. Damit war keine Rakete mit 3.000 km Reichweite möglich aber eine mit einer Reichweite von 1.200 km. Damit diese trotzdem auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden konnte, wurde die R-5 heimlich in der DDR stationiert. Mit nuklearen Gefechtsköpfen bestückte R-5M wurden während der Berlin-Krise im Mai 1959 erstmals außerhalb der UdSSR in der DDR in Vogelsang und Fürstenberg/Havel stationiert. Potenzielle Ziele waren Luftwaffenbasen und Häfen in der Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und US-amerikanische Raketenstellungen in Großbritannien. Nach geheimen Verhandlungen mit den USA und einigen Zugeständnissen wurden die Raketen im August 1959 wieder abgezogen.

Die R-5 war damit auch die erste Rakete der Sowjetunion, die nach ihrer Entwicklung in größerer Zahl stationiert wurde. Die Entwicklung begann, nachdem man den Technologiedemonstrator, die R-3A, 1949 begann, aber schon im Oktober 1951 wieder abbrach durch ein Dekret am 20. Oktober 1951. Damals war auch vorgesehen, in zwei weiteren Varianten mehrere Sprengköpfe zu transportieren, die zusätzlich am Heck angebracht wurden und die Reichweite auf 600 km senkten. Als Nutzlast waren damals "schmutzige Bomben" vorgesehen, das waren Flüssigkeiten mit Substanzen aus kurzlebigen Isotopen die durch ihre hohe Strahlung schnell zum Tod führen. Bis heute fertigt Russland solche Isotope und vergiftete mit Polonium-210 im Jahre 2006 den Putin-Kritiker Alexander Litwinenko.

Das Triebwerk RD-103 war die letzte Evolution des A 4, im Schub nochmals durch Steigerung des Brennkammerdrucks etwas gesteigert, war nun aber das Entwicklungspotenzial ausgeschöpft. Die Kühlung der Brennkammer wurde verbessert. Es wurde auf einen festen Katalysator übergegangen, bei der A 4 wurde noch eine wässrige Kaliumpermanganatlösung verwendet. Eine eigene Pumpe förderte das Wasserstoffperoxid, sodass das Gewicht der Druckgastanks reduziert werden konnte. Elastische Leitungen wurden erstmals eingeführt. Nach wie vor wurden aber Gasruder für die Steuerung des Schubvektors verwendet und das Triebwerk RD-103 war nichts schwenkbar eingebaut. Danach ging man auf die Entwicklung neuer Triebwerke mit Kerosin als Treibstoff und viel höheren Brennkammerdrücken von 50 bis 60 Bar über.

Die Steigerung der Reichweite musste nun nicht durch eine schwerere Rakete (die R-5 wog mit 28,6 t nur 8 t mehr als die R-2), sondern durch Gewichtseinsparungen realisiert werden. Hier wurde auch die meiste Arbeit investiert. Die Form war nun wie bei allen späteren Typen zylinderförmig, anstatt die aerodynamisch spitz zulaufende Form. Da er Durchmesser bei 1,65 m blieb, sank so der Luftwiderstand ab. Die Tanks waren für Oxidator und Treibstoff aus einer leichten Alumnium-Magnesiumlegierung AMR3, die in später für alle Modelle eingesetzt wurde. Lediglich das Heck bestand anfangs noch aus Stahl, wurde aber auch später auf eine leichtere Aluminiumlegierung D16T umgestellt. Beide Tanks waren nun selbsttragend. Die schweren Finnen an der Basis mussten nun nicht mehr die Rakete beim Wiedereintritt stabilisieren und wurden drastisch auf 15 Prozent der Fläche verkleinert. Nach wie vor hatten sie aber aktive Luftruder, die nun einen viel größeren Ausschlag erforderten und viel stärkere Stellmotoren nötig machten. Um die Rakete nach Brennschluss zu stabilisieren wurde Druckgas, dass es alleine durch das Verdampfen des Restsauerstoffs gab, verwendet das durch kleine Düsen expandiert wurde. Die R-5 erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 3.044 m/s und als ballistische Rakete eine Spitzenhöhe von 300 km. 10,5 Minuten nach dem Start erreichte der Sprengkopf das Zielgebiet.

Wie bei vielen russischen Raketen folgte auf die erste Version nach den Tests die in Kapustin Yar stattfanden, eine modernisierte Version R-5M. Sie hatte ein etwas leistungsfähigeres Triebwerk. Die R-5M war als erste Rakete vorgesehen, einen nuklearen Sprengkopf zu tragen. Mit einer Verbesserung der Zielgenauigkeit auf 1,5 km war sie nun auch eine echte Bedrohung für ungeschützte Ziele. Die Genauigkeit wurde durch die Hinzunahme eines Radiolenksystems zur internen Lenkung erreicht. Neu war, dass dieses Radiolenksystem auch die Seitenabweichungen korrigieren konnte. Es gab verschiedene Sprengköpfe von 60 bis 80 und 300 kt Sprengkraft. Die R-5 hatte eine Startvorbereitungszeit von zweieinhalb Stunden , konnte aufgetankt aber nur eine Stunde lang startbereit gehalten werden. Sie war daher eine Erstschlagswaffe. Nachdem die R-5 bei einer Militärparade auf dem roten Platz in Moskau von Militärbeobachtern der USA gesichtet worden war ,bekam sie die Bezeichnung SS-3 "Shuster". Der russische Produktcode war 8A62.

Die Tests der R-5 verliefen in mehreren Phasen. Im März bis Mai 1953 erfolgten die ersten Tests mit acht Raketen, nur fünf waren für eine Reichweite von 1.200 km ausgelegt. Der erste Start erfolgte am 15. März 1953, der erste erfolgreiche Flug erfolgte am 2. April 1953 und die volle Reichweite wurde erstmals am 19. April 1953 erreicht. Von den acht Raketen die bis zum 23. Mai gestartet wurden erreichten sechs ihr Ziel. Danach gab es auf der Basis der Erfahrungen Änderungen am Design, vor allem aber im Steuerungssystem. Die zweite Phase der Erprobung fand dann vom 30. Oktober bis Dezember 1953 statt. Alle Raketen hatten nun eine maximale Reichweite von 1.185 km. Von den sieben Raketen erreichten sechs die Zielreichweite, bei einer führte ein Kabeldefekt zu einem vorzeitigen Brennschluss. Die letzte Phase vom 12. August 1954 bis zum 7. Februar 1955 hatte vor allem die Aufgabe, das Radiolenksystem zu qualifizieren. Von den 19 Starts erfolgten zehn mit dem der Radiolenkung. Es waren 15 Starts geplant, aber da das Radiolenksystem mehrmals versagte, wurden vier zusätzliche Starts ohne dieses System anberaumt.

Nach den Tests wurde die R-5 am 21. Mai 1956 in das Arsenal der Sowjetstreitkräfte übernommen und verblieb dort bis 1967. Gebaut wurde sie erstmals in Jangels OKB-586 in Dnipro, der auch beim Entwurf beteiligt war. Er sollte später die meisten russischen ICBM entwickeln.

Es wurden insgesamt für Tests und Stationierung etwa 200 R-5 gebaut. Stationiert wurde aber wahrscheinlich nur die modernisierte Version R-5M. Der Beschluss für die modernisierte Version R-5M erfolgte am 19. April 1954. Neben einem neuen Sprengkopf, der nun nicht mehr konisch zulief und so die Aerodynamik veränderte, war es vor allem wichtig, die Zuverlässigkeit der Rakete zu erhöhen - bei einem vorzeitigen Brennschluss wäre sonst die Wasserstoffbombe auf einem Gelände detoniert. Das wurde vor allem durch Redundanz erreicht. Das Steuerungs- und Funkleitsystem waren redundant vorhanden, der Geschwindigkeitsintegrator sogar dreifach, sodass eine Abstimmung möglich war. Ebenso wurden Stromleitungen verdoppelt und es gab sechs anstatt vier Steuerflossen. Ein Empfangssystem konnte die Explosion des Atomsprengkopfes auslösen, wenn die Rakete ein Problem hatte oder vom Kurs abkam.

Die R-5M wurde erneut getestet. Von 14 Raketen waren 13 erfolgreich. Der erste Start erfolgte am 21. Januar 1955. Am 2. Februar wurde erstmals eine R-5M mit aktivem Atomsprengkopf getestet, der beim Aufschlag auch detonierte. Die Armee übernahm die Rakete am 21. Juni 1956 in ihr Arsenal. Für die Startvorbereitungszeit wurden anfangs 30 Stunden, nach mehreren Jahren Übung fünf bis sechs Stunden angegeben. War eine R-5M betankt, so musste sie innerhalb einer Stunde gestartet werden. Stationiert wurden 48 Raketen.

Wie die R-2 wurde auch die R-5 zivil als Höhenforschungsrakete eingesetzt. Sie wurde als R-5W oder W-5 meist aber als "Vertikal" bezeichnet. Es gibt drei Subversionen R-5A, R-5A und R-5W. Am 21. Februar 1958 erreichte eine R-5W eine Rekordhöhe von 473 km. Sie beförderte eine Kapsel mit einem Gewicht von 1.520 kg, die nach der Landung noch 1.350 kg wog. Mit der R-5W wurden Hunde auf suborbitale Bahnen als Vorbereitungsmission für das Wostok-Raumschiff gestartet. Diese Höhenforschungsraketen wurden bis 1975 gestartet. Insgesamt 49 Starts sind dokumentiert.

Wie die R-2 wurde die R-5 an China lizenziert, die sie unter der Bezeichnung Dong Feng 2 in Dienst stellte. Öffentlich präsentiert wurde die R-5 im November 1957 bei der Parade zum vierzigsten Jubiläum der Oktoberrevolution. Die NATO gab ihr den Code SS-3 "Shyster". Der sowjetische Produktcode war 8K51 und als erste sowjetische Rakete erhielt sie auch einen Namen: "Pobenda" (Sieg).

R-5 Pobenda 8K51

Länge:

20,75 - 22,12 m, 17,47 m ohne Sprengkopf

Durchmesser:

1,652 m, Spannweite 3,45 m

Startmasse (ohne / mit Sprengkopf)

27.200 / 28.570 kg - 29.200 kg (R-5M: 28.610 kg ohne Sprengkopf)

Trockenmasse (mit / ohne Sprengkopf)

4.300 kg / 3.250 kg

Nutzlast:

1.000 - 1.425 kg

Distanz:

<1.200 km

Schub:

438 kN

Triebwerk:

RD-103

Zielgenauigkeit (CEP)

1,5 km

Treibstoff:

92 % Alkohol / LOX: 24.300 kg

Brennzeit:

120 s

Hier ein Vergleich mit den zeitgleich entwickelten ersten US-Mittelstreckenraketen:



R-5

Jupiter

Thor

Projektname:

8K51

PGM-19

PGM-17

Länge:

17,47 m

18,29 m

19,76 m

Durchmesser:

1,65 m

2,67 m

2,41 m

Startmasse:

27.200 kg

49,885 kg

49.560 kg

Trockengewicht:

3.250 kg

4.308 kg

3.125 kg

Startschub:

438 kN

667 kN

670 kN

Sprengkopf

60 - 300 kT

W-49 1,44 MT

W-49 1,44 MT

Gewicht Sprengkopf:

1.000 - 1.425 kg

1.187 kg

1.000 kg

Zielgenauigkeit:

1.500 m

1.500 m

2.000 m

Reichweite:

1.185 km

2.778 km

2.820 km

Erster Testflug

15.3.1953

1.3.1957

25.1.1957

Teststarts

34, davon 23 erfolgreich = 67,6 Prozent

28, davon 22 erfolgreich = 78,5 Prozent

18, davon 7 erfolgreich = 38,9 Prozent

Indienststellung:

21.5.1956

1961

August 1958

Technisch und von der Masse her ist die R-5 aber eher mit der Redstone zu vergleichen, die zwar eine kürzere Reichweite hat, doch das lag an dem viel schwereren Sprengkopf, der je nach Typ zwischen 2,8 und 3,6 t wog:


R-5

PGM-11 Redstone

Länge:

17,47 m

21,30 m

Durchmesser:

165,8 cm

177,8 cm

Startmasse (ohne Sprengkopf)

28.610 kg

24.200 kg

Trockenmasse (ohne Sprengkopf)

3.590 kg

3.904 kg

Nutzlast:

508 - 1.350 kg

2.850 kg - 3.580 kg

Distanz:

1.185 km

323,5 - 800 km

Schub:

438 / 500 kN

347 / 384 kN

Triebwerk:

RD-103

A-7

Zielgenauigkeit (CEP)

1,5 km

0,3 km

Treibstoff:

92 % Alkohol / LOX

75 % Alkohol / LOX

Brennzeit:

120 s

120 s

Spezifischer Impuls:

2.158 / 2.432 m/s

2.070 / 2.293 m/s

Fazit

Mit seinem Urteil über das Aggregat 4 hat sich Koroljow wohl etwas übernommen. Er hat nur die Mängel gesehen, aber da er die Entwicklungsgeschichte nicht kannte, nicht realisiert, wie viel Arbeit in diesem Design steckte und warum man in Peenemünde zu diesen suboptimalen Lösungen kam. Daneben hat er völlig ignoriert, dass das Aggregat 4 während des Kriegs entwickelt wurde und es gar nicht die Zeit und Mittel gab, die beste Lösung zu finden. Doch die Geschichte hat sein Urteil gerade gerückt. Koroljow und seine Ingenieure haben zehn Jahre, nachdem sie die ersten A-4 Teile in den Händen hielten, immer noch mit ihrer Technologie gearbeitet. Zu dem Zeitpunkt hatten die USA die Sowjetunion raketentechnisch längst überholt, sie wussten es nur nicht. Mehr noch: die ersten auftretenden Schwierigkeiten beim RD-110, dem ersten eigenen Triebwerk der Sowjetunion, waren so groß, dass beschlossen wurde, auf dem Schubniveau des RD-103 zu bleiben und so viele Brennkammern zu bündeln. Die R-7 für die Koroljow berühmt wurde setzt nicht weniger als 20 Hauptbrennkammern und 12 Steuerbrennkammern ein. Auch an dem damals schon obsoleten Gasgenerator, der Wasserstoffperoxyd als Arbeitsmedium nutzt wurde bei der R-7 noch festgehalten. Das Steuerungsprinzip der A 4 wurde noch viel länger eingesetzt. Bei der R-7 wurde es erst mit der Einführung der Sojus 2 durch ein digitales System ersetzt. Koroljow verdankt seinem Ruf nicht seinem Können als Ingenieur oder Raketenwissenschaftler. Er verdankt ihn der Tatsache das sein OKB den ersten Satelliten, die erste Mondsonde und den ersten Menschen ins All brachten. Bei seinen folgenden Raketen hatte er weitaus weniger Erfolge vorzuweisen. Die R-9 wurde zwar gebaut, aber nur in kleiner Stückzahl stationiert, da sie nicht lagerfähige Treibstoffe einsetzte. Die aus ihr abgeleitete Globalrakete GR-1 wurde nie gebaut und die Mondrakete N-1 scheiterte bei vier Testflügen.

Links:

https://web.archive.org/web/20180301164626/https://www.energia.ru/ru/history/systems/rockets/r1.html

https://web.archive.org/web/20161007030137/http://www.energia.ru/ru/history/systems/rockets/r5.html

https://russianspaceweb.com/r1.html

https://russianspaceweb.com/r2.html

https://russianspaceweb.com/r5.html

https://en.wikipedia.org/wiki/R-5_Pobeda

http://astronautix.com/r/r-1.html

http://astronautix.com/r/r-2.html

http://astronautix.com/r/r-5.html

https://nuke.fas.org/guide/russia/theater/r-2.htm

Artikel verfasst am 26.9.2023


Bücher des Autors über Trägerraketen

Wie man an dem Umfang der Website sieht, sind Trägerraketen eines meiner Hauptinteressen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Büchern von mir, auch weil ich in den letzten Jahren aufgrund neuer Träger oder weiterer Informationen über alte Projekte die Bücher neu aufgelegt habe. Sie finden eine Gesamtübersicht aller Bücher von mir bei Amazon und hier beim Verlag.

Ich beschränke mich in diesem Abschnitt auf die aktuellen Werke. Für die in Europa entwickelten Trägerraketen gibt es von mir zwei Werke:

Europäische Trägerraketen 1 behandelt die Vergangenheit (also bei Drucklegung): Das sind die nationalen Raketen Diamant, OTRAG und Black Arrow und die europäischen Träger Ariane 1 bis 4 und Europarakete.

Europäische Trägerraketen 2 behandelt die zur Drucklegung 2015 aktuellen Träger: Ariane 5, Vega und die damaligen Pläne für Vega C und Ariane 6.

Wer sich nur für einen der in den beiden besprochenen Träger interessiert, findet auch jeweils eine Monografie, die inhaltlich identisch mit dem Kapitel in den Sammelbänden ist, nur eben als Auskopplung.

Weiter gehend, alle Raketen die es weltweit gibt, behandelnd, gehen zwei Bände:

US-Trägerraketen

und

Internationale Trägerraketen (im Sinne von allen anderen Raketen weltweit)

Auch hier habe ich 2023 begonnen, die Bände aufzusplitten, einfach weil der Umfang für eine Aktualisierung sonst weder handelbar wäre bzw. an die Seitengrenze stößt, die der Verlag setzt. Ich habe auch bei den Einzelbänden nochmals recherchiert und den Umfang erweitert. Bisher sind erschienen:

US Trägerraketen 1 mit den frühen, kleinen Trägern (Vanguard, Juno, Scout)

US Trägerraketen 2 mit der Titan-Familie

2023 wird noch die erste Auskopplung aus den internationalen Raketen über russische Träger erscheinen. Nach und nach werden alle Raketen dann in einzelnen Monografien geordnet nach Trägerfamilien oder Nationen dann aktualisiert auf den aktuellen Stand, so besprochen.

Für die Saturns gibt es noch einen Sonderband, den ersten in der Reihe über das Apolloprogramm.

Alle bisherigen Bücher sind gerichtet an Leute, die wie ich sich nicht mit oberflächlichen Informationen oder Zusammenfassung der Wikipedia zufriedengeben. Wenn sie sich nicht für Technik interessieren, sondern nette Anekdoten hören wollen, dann sind die bisherigen Bücher nichts für Sie. Für dieses Publikum gibt es das Buch „Fotosafari durch den Raketenwald“ bei dem jeder Träger genau eine Doppelseite mit einem Foto und einer Beschreibung hat. (Also etwa ein Zehntel der Seitenzahl auf den ich ihn bei den beiden obigen Bänden abhandelte). Das Buch ist anders als die anderen Bände in Farbe. Ab und an macht BOD als Print on Demand Dienstleister Mist und verschickt es nur in Schwarz-Weiß, bitte reklamieren sie dann, ich als Autor kann dies nicht beeinflussen.

Als Autor würde ich mich freuen, wenn sie direkt beim Verlag bestellen, da ich da eine etwas größere Marge erhalte. Dank Buchpreisbindung und kostenlosem Versand ist das genauso teuer wie bei Amazon, Libri und iTunes oder im Buchhandel. Über eine ehrliche Kritik würde ich mich freuen.

Alle Bücher sind auch als E-Book erschienen, üblicherweise zu 2/3 des Preises der Printausgabe – ich würde sie gerne billiger anbieten, doch da der Gesetzgeber E-Books mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, Bücher aber mit nur 7 Prozent, geht das leider nicht. Ein Vorteil der E-Books - neben dem einfacher recherchierbaren Text ist, das alle Abbildungen, die im Originalmanuskript in Farbe, sind auch in Farbe sind, während ich sonst - um Druckkosten zu sparen - meist auf Farbe verzichte. Sie brauchen einen pdf-fähigen Reader um die Bücher zu lesen. Sofern der Verlag nicht weiter für bestimmte Geräte (Kindle) konvertiert ist das Standardformat der E-Books ein DRM-geschütztes PDF.

Mehr über meine Bücher finden sie auf der Website Raumfahrtbuecher.de und eine Liste aller Veröffentlichungen findet sich auch bei meinem Wikipediaeintrag.

 

© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.

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