Wernher von Braun und Sergej Korolow

Die Welle der Mondlande-dokus hat auch eine sehr interessante Doku hervorgebracht, und zwar „Mondmänner mit Hammer und Sichel“. Es geht dabei um den Wettlauf im All, von Gagarin bis zur N-1. Vor allem um die dreht es sich. Das Format ist relativ authentisch. Nie zuvor habe ich von Russen, und die stellten die meisten Interviewpartner gehört, das Koroljow nichts von Technik verstand und seine N-1 falsch konzipiert hätte. In fast allen anderen Dokus wird er als der sowjetische Gegenpart zu Wernher von Braun stilisiert und sein früher Tod, im Januar 1966 für den Niedergang der russischen Raumfahrt vom Tod Komarows bis hin zu den Fehlstarts der N-1 verantwortlich gemacht.

Es gibt eine Menge Unterschiede. Der Wichtigste zuerst: ich sehe Koroljow nicht als Raumfahrtpionier an. Dazu zählen für mich Leute, die die theoretischen Grundlagen der Raumfahrt gelegt haben wie Ziolkowski und Oberth, den man auch zur zweiten Gruppe zählen kann, den Tüftlern. Zu ihnen ist auch Robert Goddard zu zählen. Wernher von Braun ist ein anderes Kaliber. Sicher er hat auch am Anfang selbst Raketen gebaut und gestartet. Doch sein verdient liegt darin die Raketentechnik von Typen, die einige Hundert Meter hoch flogen, zur Saturn V gebracht zu haben die Menschen zum Mond und zurück brachte. Neben dem technischen Verständnis braucht man dazu Organisationsfähigkeiten und vor allem muss man die Geldgeber, egal ob dies Nazigrößen oder US-Präsidenten sind, überzeugen in ein solches Projekt zu investieren. Wernher von Braun war alles drei – technisch begabt, Organisationstalent und Leute begeisternder Visionär.

Koroljow billige ich nur eine dieser Eigenschaften voll zu: das Organisationstalent. Koroljow trug den Titel Chefkonstrukteur. Das klingt nach technischem Genie, ist aber irreführend. In einem System, in dem die Macht (angeblich) von den Arbeitern ausgeht, muss der Chef auch einen Titel tragen, der nach Arbeit klingt wie eben Chefkonstrukteur. Koroljow war das, was wir einen Manager nennen und das machte er gut. Er schaffte es mit begrenzten Ressourcen – er konnte ja praktisch nur auf sein Kombinat OKB-1 zurückgreifen, denn in Russland arbeiteten die Spezialisten für Raketentechnik wie Gluschko, Jangel, Tschelomej und eben Koroljow nicht zusammen sondern, stritten um die Aufträge – die Entwicklung der R-7, der Wostokkapsel, des Woschodraumschiffs und der Sojus. Manageraufgaben sind wichtig. Ohne George Müller, der das Apolloprogramm leitete und gleich zu Beginn das All-Up Testing anordnete, um Zeit zu sparen und in der Mitte des Programms zahlreiche NASA-Planungen einstellen lies, die für ein Apolloanschlussprogramm gedacht waren, um Ressourcen für das eigentliche Programm freizusetzen, wäre Apollo nie vor 1970 auf dem Mond gelandet. Ebenso hat James Webb es fertiggebracht die benötigten Mittel vom Kongress zu bekommen und dabei nicht das unbemannte Programm der NASA zu beschneiden – das hat seitdem kein NASA-Administrator mehr geschafft. Wann immer die NASA seitdem was neues Bemanntes geplant hat, sei es das Space Shuttle, die ISS oder Constellation wurden die unbemannten Programme teilweise radikal gekürzt. Aber man würde niemals Webb oder Mueller mit von Braun vergleichen. Sie waren die Verwalter des Programms, aber sie bestimmten nicht die Technik und Umsetzung.

Als Tschertok sich mit NASA-Angehörigen traf um für seine Memoiren zu recherchieren war er erstaunt, das Wernher von Braun sich in technischen Dingen, auch Teilfragen genauestens auskannte, weil er das von russischen „Chefkonstrukteuren“ nicht kannte. Ich meine ja das ist eine typisch deutsche Eigenschaft, eine gewisse Art von Perfektionismus. Sie treibt auch mich an bei meinen Büchern und ich staune immer wie die US-Bücher die ich lese, sich meistens nur oberflächlich mit der Technik, dafür viel mehr mit der Geschichte beschäftigen. Als vor einigen Jahren Jesco von Puttkamer starb, der ja auch weit über das Rentenalter hinaus für die NASA aktiv war (er war es noch, als er im Alter von 79 starb), musste die NASA seine Seiten über die ISS einstellen – es gab niemanden der diesen Gesamtüberblick hatte und das bei einer Raumfahrtagentur, bei der schon bei Raumsonden Millionenbeträge nur für die Webspräsenz ausgegeben werden.

Die Überzeugungskraft Wernher von Brauns fehlte Koroljow. Der Start des Sputniks führte zwar dazu, dass er bald neue Sonden starten dürfte, um neue Erstleistungen zu erbringen. Aber dann war es das dann auch. Russland startete kein bemanntes Programm. Das Mercuryprogramm wurde im Dezember 1958 offiziell angekündigt, die Astronauten im April 1959 groß auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Ab da war es nicht zu ignorieren. Es erschienen Berichte in den Zeitungen, Life hatte einen Exklusivvertrag für die Vermarktung des Lebens der Astronauten. Nun erst begann man in Russland mit einem bemannten Programm. Das Design der Wostokkapsel begann so erst am 15.5.1958, im November wurde das Programm beschlossen, aber Mittel gab es erst im Sommer 1959. Koroljow hatte vorher keine Chance Gelder zu bekommen, erst als man in der russischen Führung die Berichte über Mercury nicht ignorieren konnte, gab es die Mittel für das Programm. Koroljows Verdienst ist es in der kurzen Zeit die Kapsel bauen zu lassen, indem er sie bewusst einfach konstruierte. Eine Steuerung durch den Kosmonauten wie bei Mercury gab es nicht. Alles wurde von der Bodenstation gesteuert, weshalb alle Missionen auch vielfache eines Tages waren, denn auch der Wiedereintritt wurde von der Bodenstation aus eingeleitet. Anstatt eine Kapsel zu bauen, die weich landen konnte, katapultierte man den Kosmonauten mit einem Schleudersitz aus einem MIG-Jet ins Freie.

Das Spiel wiederholte sich bei der N-1. Hier war Chruschtschow die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wichtiger als die Rakete. Mittel gab es erst seit seiner Entmachtung als Breschnew am Ruder war, der auch sonst enorm aufrüstete und damit auch den Untergang Russlands einläutete. Doch Wernher von Braun behielt recht: er argumentierte, als er von Kennedy gefragt wurde, was man am besten auflegt und ob sich eine Weltraumstation reichen würde, dass der Mond das beste Ziel wäre, denn dazu benötigt man eine Rakete, die mindestens zehn bis zwanzigmal größer ist als alles, was es bisher gab und das setzt die Uhren für deren Entwicklung für beide Seiten auf Null. Vor allem sieht man an der N-1 das Koroljow sich irrte. Er zog Wasserstoff als Treibstoff nie in Betracht. Es waren viel zu viele Triebwerke, jedes ist eine Fehlerquelle und dies zu einer Zeit, als sie noch um einiges unzuverlässiger als heute waren. Zudem war sie zu klein. Die erste Version der N-1 konnte maximal 90 t in den Orbit bringen. Die verbesserte dann 105 t. Das sind dann 30 bis 35 t zum Mond. Apollo hatte schon einen filigranen Lander und wog trotzdem 46 bis 48 t. Die Konzeption des russischen Mondprogramms war denn auch sehr abenteuerlich. Schließlich war kein Testflug der N-1 erfolgreich.

Ich glaube Koroljow hat sich von dem reibungslosen Einsatz der R-7 blenden lassen. Die R-7 hatte 5 Haupttriebwerksblöcke mit 20 Brennkammern und 12 Steuertriebwerke, da die Haupttriebwerke starr eingebaut waren. Aber diese Triebwerke waren noch adaptierte A-4 Technologie. Keine Brennkammer hatte einen höheren Schub als ein A-4 Triebwerk. Es wurde wie bei der A-4 Wasserstoffperoxid als Antrieb für den Gasgenerator verwendet und die Brennkammerwand war eine einfache doppelwandige Konstruktion. Russland hat das Wissen aus den A-4 Spezialisten und den Unterlagen herausgeholt, wo es ging und wenn es Probleme gab, dürften die deutschen Raketentechniker an den Lösungen arbeiten. Sie waren nie in leitender Mission. Aber trotzdem ähnelt die R-7 verdammt dem Entwurf der Gobalrakete-1 (GR-1) von Helmut Gröttrup. Sie war im Prinzip eine Bündelung von 20 A-4 und funktionierte dank der A-4 Technologie. Aber ein Geistesblitz Koroljows war sie nicht. Nur der Umsetzung eines deutschen Entwurfs. Bei den folgenden Eigenentwicklungen, sei es den Oberstufen oder neuen Raketen wie der Proton gab es denn auch die vielen Versager, die die R-7 nicht hatte und die erst den russischen Vorsprung ergab. Hätte Koroljow wie die Amerikaner erst die Trägerrakete qualifizieren müssen, er hätte sei sicher nicht geschlagen. Koroljow meinte dann, wenn die R-7 mit 20 Brennkammern funktioniert, dann auch die N-1 mit 30. Das war ein Irrtum.

6 thoughts on “Wernher von Braun und Sergej Korolow

  1. Im Prinzip i9st der Begriff „Manager“ in beiden Fällen irreführend, weil sie waren beide keine ausgebildeten MBA’s, sondern hatten eine technische Ausbildung: Ein Physikstudium be von Braun; eine Schreinerlehre und ein Studium der Aeronautik an der Universität Kiew im Fall Koroljows. Aber beide waren klug genug, die detaillierte Entwicklungsarbeit anderen zu überlassen, und sind am besten für ihr Organisationstalent bekannt. Von Braun hatte hier die Oberhand, weil er für Öffentlichkeitsarbeit sogar die Disney Studios benutzen konnt, während Koroljows wahre Identität aus Furcht vor Terroranschlägen verheimlicht wurde. Und beide hatten ein sehr ambivalentes Verhältnis zu totalitären Systemen, und wurden sowohl ausgenutzt als auch verfolgt.

    Aber letztlich war es ein Kampf der Systeme. Und während in der Sowjetunion jeder Chef-Designer sein eigenes Süppchen kochte, so ähnlich wie heute in Amerika jeder Internet-Milliardär sein eigenes Weltraumprogramm hat, war das Apollo-Programm Planwirtschaft aus dem Lehrbuch, und jeder wusste, was er zu tun hatte. Selbst wenn Boeing und Douglas die schärfsten Konkurrenten im Markt um Linienverkehrsflugzeuge waren , kümmerte das niemanden, wenn es darum ging, Teile für die Saturn 5 zu liefern.

  2. Aber eindeutig widersprechen muss ich, wenn es sich um die Entwicklung von der A4 zur R-7 handelt. Koroljew erkannte 1947, als die Sowjetunion die erste reverse-engineered V-2 startete, dass es sich dabei um einen Weg in eine Sackgasse handelte. Die Forschung in punkto Vermischern war in der Sowjetunion weiter fortgeschritten als in Deutschland, ebenfalls der Umgang mit Verbrennungstemperaturen von Kerosin. Und Korolew hat erkannt, dass die Deutschen lediglich workarounds schaften, indem sie hochprozentigen Schnaps als Treibstoff verwendeten, um die Temperatur auf annehmbare Grade zu bringen, und lediglich 18 Brennkammer der V3 bündelten, und von einer Turbopumpe speisen liessen.

    Die RD-107 und RD-108- Triebwerke waren in Bezug auf Brennkammerdruck und spezifischem Impuls die besten ihrer Zeit, besser als die amerikanischen der Atlas- Juno- und Saturn-1 Raketen, und kein Vergleich mit der A4

    1. Das ist so nicht richtig.

      Die Treibstoffmischung stammt noch von der A-1 und wurde nie geändert, auch später kriegsbedingt wegen der Verfügbarkeit von Alkohol. Sie hat aber auf die Triebwerkskonstruktion keinen Einfluss. Solange ein Triebwerk gekühlt wird und dieses Kühlmittel dieselben Eigenschaften hat ist es egal was verbrannt wird. Es gibt auch nicht wenige Triebwerke wo man einfach einen Treibstoff ausgetauscht hat so bei der Jupiter-C oder der Weiterentwicklung der Titan zur Titan II. Lediglich wenn die Eigenschaften sich sehr unterscheiden muss man neu entwickeln, so bei Wasserstoff wegen seiner kleinen Dichte und weil er anders als Kerosin oder Alkohol verdampft.

      Wichtiger ist das die RD-107(108 sich technisch kaum weiterentwickelt haben. Vergleicht man sie mit dem von braun zur gleichen Zeit entwickelten S-3D Triebwerk der Jupiter so fällt das auf:

      *Wie bei der A-4 nicht schwenkbar (S-3D: kardanisch aufgehängt)
      **Gasgenerator nutzt kmno4/h202 nicht Teile des Treibstoffs
      *doppelwandige Brennkammerwand anstatt verschweißter Röhren

      Die damaligen spezifischen Impulse waren genauso hoch wie die der Atlas und Thor. Brennkammerdruck ebenfalls vergleichbar.

      Natürlich hat das heutige RD-10/108 eine andere Technik und Leistungsdaten. Doch das kann man auch nicht vergleichen.

      Und die A-4 hatte nicht 18 Brennkammern, sondern 18 Injektorkammern, Allerdings hat man vor Kriegsende auch schon den heutigen Injektortyp erfunden. Er kam nur nicht mehr in den Serienexemplaren zum Einsatz.

    2. Wenn man es genau nimmt, hatte Korolow doch von Anfang an eine fertige Rakete vor sich, an der er experimentieren und die er untersuchen konnte, nämlich die A4. Dazu kommen noch die Techniker und Ingenieure aus Deutschland, welche ihr ganzes Wissen und die jahrelange Erfahrung mitbrachten. Er musste also nichts von Grund auf erfinden. Er konnte existierende und funktionierende Technologie weiterentwickeln oder mit anderer vergleichen und dann daraus etwas neues machen. Oder aber nur verbessern. Ganz im Gegensatz zu von Braun und sein Team. Die mussten von Grund auf alles entwickeln und testen. Auf dieses schon existierende Wissen konnte Korolew zurückgreifen und es für sich nutzen. Schon aus diesem Grund kann ich ihn nicht als den großen Pionier betrachten. Er machte im Grunde nichts anderes, als das was die Chinesen Heute tun. Existierende Technologie und Wissen verwenden und etwas Neues daraus machen.

  3. Ich habe die (interessante) Dokumentation „Mondmänner mit Hammer und Sichel“ nochmal angesehen. Ihre Schlussfolgerungen in Bezug auf Koroljow daraus kann ich nicht nachvollziehen.
    Von Braun billigen Sie den „Raumfahrtpionier“ in Bezug auf die „erste Großrakete bis zur Mondlandung etc.“ zu. Koroljow mit der ersten Raumfahrtrakete, dem ersten Satelliten, dem ersten bemannten Raumschiff etc. nicht?
    Gerade wenn man Tschertok liest, bekomme ich den Eindruck, dass Koroljow gerade wg. den Besonderheiten der sowjetischen Wirtschaft (militärische Priorität, Planwirtschaft, hohe Fertigungstiefe, begrenzte Ressourcen u.v.m.) sehr tief in die technischen Details eingedrungen ist (eindringen musste). Ich halte auch die Liste seiner Entwicklungen für sehr beeindruckend (militärisch: R1, R2, R5, R7, R9, GR1, RT2 / zivil: Sputniks, erste Generationen der Mond- und Planetensonden, Wostok (Woschod), Sojus inkl. L1/L3) und sogar umfangreicher als das Portfolio von von Braun.
    Die Entwicklungsphilosophie von „trial and error“ hat bekanntlich ihren Ursprung bei den Artilleristen und war sicher in den 60iger nicht mehr angemessen. Dies nicht rechtzeitig erkannt / umgesetzt zu haben, ist sicher gerade Koroljow zuzurechnen. Dies rächte sich gerade bei der N1; genauso wie die die Reihenfolge der Realisierung (zuerst N1 statt N111, N11). Das Koroljow die N1 nicht wie gewünscht realisieren konnte, beruht auf dem Konflikt mit Gluschko. Die kurz vor der Einführung stehende neue Triebwerksgeneration NK-33/43, die geplanten Wasserstoffstufen und die geplanten Nutzlasten zeigen m.E. die Koroljowschen-Visionen für die (nicht perfekte) N1.
    Das Organisationstalent halte ich aufgrund der o.g. Besonderheiten auch für größer und auf „Leute begeisternder Visionär“ trifft dies (wg. der fehlenden Öffentlichkeit) auf die Verantwortlichen der Partei-/Staats-/Militärführung, seiner Mitarbeiter und der Kooperationspartner zu.

    1. Die NK-33/43 entstanden unter Mischin und wenn ich die Versagen in Testständen und bei der Antares ansehe sind sie nicht zuverlässiger. Das gilt auch für die Triebwerke Gluschkos, die ja dann in der Proton eingesetzt wurden.

      In jedem falle war Koroljow dafür verantwortlich für die Konzeption der Rakete und natürlich auch die Triebwerke auch wenn er sie nicht in seinem OKB baute.

      Koroljow war gegen Wasserstoff als Treibstoff, es gab auch keine geplanten Stufen für die N-1, nur einen Ersatz von Block D. Das Triebwerk wurde dafür entwickelt, die Stufe selbst bis heute, 50 Jahre später nicht und das obwohl die N-1 und das wusste auch Koroljow und tat nur wenig dagegen viel zu klein war.

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