Bernd Leitenbergers Blog

Probier’s doch mal mit Fluor

Die letzten Kommentare haben mich bewegt dem aktuelln Blog doch eine Erklärung voranzustellen. Ich habe ja im letzten Blog auf einen Thread im Raumfahrer.net Forum bezug genommen. Wie schon erläutert, verkehre ich nicht in Foren, ich habe das vor drei Jahren mal gemacht und erkannt, dass man damit viel Zeit verbraten kann, Zeit die ich lieber für andere Dinge nutze. Hätte ich nicht den Link von Vineyard in einem Kommentar gesehen, wäre mir dieser Thread auch wohl entgangen.

Ich habe allerdings auch ein Menschenbild, und das ist das, dass man sich informiert und kundig macht. Nicht jeder kann sich die Zeit nehmen, alles zu überprüfen. Daher war meine Intention des letzten Artikels an nur einem konkreten Beispiel die Personen, die von sich sagen sie könnten den technischen Aspekt nicht beurteilen zu zeugen, dass hier einiges im Argen ist und ich mir das nicht aus den Fingern sauge. Wenn ich also schreibe „ohne Raumfahrtvorkenntnisse“, dann ist dies bezogen auf diese Personen, nicht das ganze Forum und es ist hilfreich gemeint, denn man sollte nicht alles kritiklos lesen, sondern nachfragen. Wer sich an dem Ausdruck „für Dummies“ stößt, sollte mal einen Ausflug in die nächste Bücherei machen: Diese Formulierung ist äußerst populär und zahlreiche sich gut verkaufende Bücher enden mit „für Dummies“. Ich hatte die Vorstellung das es vielleicht auch einige gibt, die mein Blogeintrag dazu bringt kritischer zu sein, sich mehr zu informieren und Fakten zu hinterfragen. Wenn diese Aufforderung zu Kritik in der Form wie ich es getan habe, falsch verstanden wurde, so tut mir das leid. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dies ein Blog ist (kein Artikel und keine Nachrichtenagentur) und ich sehr gerne spitz formuliere, und nicht nur zum Thema SpaceX. Auch die NASA, ESA und andere haben hier ihr Fett schon weg bekommen.

Aufgrund der bisher vorliegenden harten Fakten – absolvierte Starts, Erfolge, Veränderung der Nutzlastangaben und Preise, sehe ich die Angaben von SpaceX offensichtlich viel kritischer als einige (Betonung auf einige) Forumsmitglieder in obigem Forum.

So nun zu etwas komplett anderem. Es wird mal Zeit flüssiges Fluor als Oxidator zu beleuchten. In den 60 er Jahren gab es zahlreiche Ideen für dessen Einsatz, warum ist es so still darum geworden. Fangen wir erst mal an mit den Vor- und Nachteilen. Alle Daten sind mit dem NASA Programm FCEA 2 berechnet (Herunterladbar unter http://www.grc.nasa.gov/WWW/CEAWeb/ceaguiDownload-win.htm, allerdings ist der Server seit einigen Tagen down, wer Interesse hat dem kann ich es per Mail zuschicken.

Vorteil 1: Ein hoher spezifischer Impuls

Vielleicht erinnert sich noch einer an seinen Oberstufen Chemiekurs und den Begriff der Elektronegativität. Das ist ein künstlicher Begriff um auszudrücken wie sehr ein Stoff gerne Elektronen haben möchte. Verbindungen mit einer hohen Elektronegativität nehmen gerne anderen die Elektronen weg, Stoffe mit einer geringen Elektronegativität geben sie dagegen ab. In der Raketensprache sind die ersten gute Oxidatoren, die anderen gute Verbrennungsträger. Fluor hat von allen Elementen die höchste und reagiert sogar mit einigen Edelgasen. Daher können wir bei der Umsetzung höhere spezifische Impulse erwarten als mit Sauerstoff. Das ist auch gegeben. Ob Verbrennung mit Kerosin, Hydrazin oder Wasserstoff – überall ist der spezifische Impuls höher als bei der Umsetzung mit Sauerstoff. Allerdings ist der Vorteil bei Wasserstoff geringer als bei anderen Elementen, weil das Reaktionsprodukt Fluorwasserstoff eine Atommasse von 20 u hat – Wasser dagegen eine von 18. Da diese auch wichtig für den spezifischen Impuls ist, ist der Vorteil nicht so hoch.

Vorteil 2: Man benötigt weniger Wasserstoff

Bei der stöchiometrischen Verbrennung von Sauerstoff und Wasserstoff müssen diese ein Mischungsverhältnis von 8 zu 1 aufweisen, da ein Sauerstoffatom 16 u wiegt, ein Wasserstoffatom 1 u und beide zusammen zu H2O reagieren, also 2 Wasserstoffatome involviert sind. Ein Fluoratom wiegt 19 u und reagiert mit nur einem Wasserstoffatom zu HF (Fluorwasserstoff). Das bedeutet: Es wird nur 45 % der Wasserstoffmenge benötigt wie bei der Verbrennung von Sauerstoff. Eine Rakete mit 200 t Treibstoff würde bei der stöchiometrischen Verbrennung mit Sauerstoff z.B. 22.2 t Wasserstoff mitführen, bei der Verbrennung mit Fluor dagegen nur 10 t. Da die Wasserstofftanks viel größer sind als die Sauerstofftanks wiegen sie auch mehr. Beim Shuttle Tank wiegt z.B. der Sauerstofftank der rund 600 t fasst 4,5 t, der nur 100 t fassende Wasserstofftank dagegen 13,1 t. Seine Maße liesse sich um 45 % reduzieren – das macht eine Menge aus. Bei Stufen mit massiver Konstruktion ist das Verhältnis noch schlimmer, so macht z.B. der Wasserstofftank der ESC-A mit 1,98 t rund 60 % der Stufenleermasse aus.

Vorteil 3: Keine Zündvorrichtung notwendig

Fluor reagiert hypergol mit allen organischen Substanzen und mit Wasserstoff. Das vereinfacht es, denn nun ist ein hypergoler Antrieb mit Wasserstoff möglich. Diese sind nicht umsonst so beliebt. Es gibt bei diesen keine Probleme mit ausbleibenden oder verzögerten Zündungen oder der Bildung explosiver Gase – zweimal scheiterte die Zündung einer HM-7 B Stufe aus diesem Grund.

Nachteil 1: Fluor ist giftig

Das ist der wichtigste Nachteil, und zwar sind auch die Verbrennungsabgase giftig. Daher scheidet der Einsatz als Erststufenantrieb aus. Doch genauso wie heute noch Hydrazine in Oberstufen ihren Dienst tun sollte dies auch für Fluor möglich sein.

Nachteil 2: Fluor ist reaktiv

Fluor reagiert mit fast allem, ätzt sogar Glas an. Es kann aber problemlos in Edelstahlbehältern gelagert werden, da es einen Überzug mit einer festanhaftenden Fluroidschicht bildet, vor allem wenn der Stahl nickelhaltig ist. Die Aggressivität teilt es aber mit anderen Stoffen wie z.B. der in der Agena über Jahrzehnte eingesetzten Salpetersäure. Solange (und dies ist gegeben) alles im Raketenbau was mit Treibstoff in Berührung kommt, aus Metallen besteht mit denen Fluor feste Fluoride bildet, gibt es keine Probleme. Ausscheiden durfte aber Aluminium als Werkstoff. Doch das sehe ich nicht als Hindernis an – die Reduktion der Tankmasse kompensiert dies leicht. Schlussendlich ist auch die Centaur aus Edelstahl gefertigt und weist eines der besten Voll/Leergewichte in ihrer Klasse auf. Auch ausscheiden tun CFK Werkstoffe für Tanks, Leitungen und Turbine – aber das ist auch so oder so gegeben, denn flüssiger Wasserstoff würde sie verspröden und zerbrechlich wie Glas machen.

Was ist möglich?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Das eine ist es den hohen spezifischen Impuls auszunutzen und noch höhere Leistungen aus einer Oberstufe herauszuholen. Die folgende Grafik zeigt den spezifischen Impuls der Kombination LOX/LH2 und LF2/LH2. Dazu zwei Erklärungen: Das stöchiometrische Verhältnis von LOX/Lh2 liegt bei 8, bei LF2/LH2 dagegen bei 19 zu 1. Beide Kurven haben ihr Maximum aber bei einem niedrigeren Verhältnis. Der Grund: Es tragen auch die ungebrannten und radikalischen Moleküle H2, H,F und OH zum spezifischen Impuls bei. Bei 8:! gibt es keinerlei ungebrannten Wasserstoff mehr der eine 18 mal kleinere Atommasse als das Verbrennungsprodukt Wasser aufweist. Dieser Effekt ist wirksamer als die durch die vollständige Verbrennung entstehende Hitze. So erhält man den höchsten spezifischen Impuls nicht bei 8:1 sondern bei 6:1 bei LOX/LH2. Bei Fluor gibt es den gleichen Effekt, hier wird der höchste Wert bei 16:1 erreicht und nicht bei 19:1. Fluor hält ein Plateau von 4940 m/s zwischen 14 und 18 zu 1. Dies ist beim Sauerstoff nicht so ausgeprägt.

Die Daten sind ideale Werte für einen Brennkammerdruck von 60 bar und ein Expansionsverhältnis von 240. Das sind die Werte von Vinci. Dieses erreicht real bei LOX/LH2 von 6:1 einen Wert von 4560, theoretisch wären nach dem NASA Programm FCEA2 4723 möglich. (Kein Triebwerk wird den idealen Wert erreichen, weil der Wirkungsgrad keine 100 % beträgt, er liegt aber mit 93 % um einiges besser als bei einem Otto-Motor)  Zieht man diese 170 m/s Differenz vom idealen Wert von Fluor (4944 m/s) ab, so kommt man immer noch auf 4780 m/s. Das würde bei der Ariane 5 ESC-B die Nutzlast um rund 900 kg erhöhen. Berücksichtigt man den kleineren Wasserstofftank, so müsste bei analoger Konstruktion wie die ESC-A auch noch etwas mehr Nutzlast dazu kommen: Der Wasserstofftank sollte auch hier für gut die Hälfte des Stufengewichts gut sein.

Viel interessanter finde ich aber die Low Cost Alternative

Mit Fluor gibt es einen hypergolen Oxidator zusammen mit Wasserstoff. Er hat einen höheren spezifischen Impuls als LOX/LH2. Das erlaubt es auf Turbopumpen zu verzichten und einfach  die Treibstoffe durch Druck zu fördern – sie entzünden sich ja von selbst. Man kann so auch einfach die Stufe wiederzünden. Nimmt man einen Brennkammerdruck von 10 bar – einem typischen Wert von druckgeförderten Antrieben, so sinkt der spezifische Impuls nur leicht auf 4928 ab (von 4944 bei 16:1). Mehr noch: Selbst mit einer Expansionsdüse von einem Flächenverhältnis von 60 liegt er bei 4771 m/s, also höher als beim Vinci. Es wären so druckgeförderte Antriebsstufen mit kleinem Schub (maximal 30 kN) möglich, welche vor allem die Leistung kleiner Trägerraketen (Rockot, Vega, Dnepr….) steigern könnten, die zu klein für eine große Oberstufe sind. Oder es wäre möglich diesen Antrieb als Apogäumsantrieb für Satelliten zu nutzen: Oder eine zusätzliche Oberstufe für die Ariane 5 und andere größere Träger? Die Möglichkeiten sind faszinierend….

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